Aktuelle Neurologie 2005; 32 - M251
DOI: 10.1055/s-2005-919288

Einfluss der Demenz auf die spinale Nozizeption

V Mylius 1, M Kunz 1, S Scharmann 1, U Hemmeter 1, S Lautenbacher 1, K Schepelmann 1
  • 1Marburg, Bamberg

Fragestellung: Patienten mit Demenz vom Alzheimer Typ berichten bei akutem und chronischen Schmerz weniger über Schmerzen. Dabei ist nicht geklärt, ob dem eine verminderte Schmerzwahrnehmung oder eine Veränderung des nozizeptiven Systems zugrunde liegt. In Untersuchungen mit experimentell induziertem Schmerz zeigte sich bei unveränderter Schmerzschwelle ein Anstieg der Toleranzschwelle und damit Hinweise für eine verminderte Schmerzwahrnehmung. Allerdings ist bei Pat. mit deutlicher kognitiver Einschränkung der Schmerzbericht nicht valide zu erheben. Zusätzlich zum Schmerzbericht haben wir den spinalen nozizeptiven Flexorreflex (NFR) erhoben, da die Schwelle des NFR bei gesunden Probanden gut mit der subjektiven Schmerzschwelle korreliert.

Methoden: In die Studie wurden 20 Patienten mit Demenz und 51 gesunde altersgematchte Probanden eingeschlossen. Der NFR ist ein physiologischer spinaler Schutzreflex, der verschiedenen zentralen Einflüssen unterliegt. Nach elektrischer Stimulation am N. suralis wird über dem M. biceps femoris ein reflektorisches Muskelsummenaktionspotential abgeleitet. Nach Bestimmung der Schwelle des NFR wurde 10 mal eine 5 mA überschwellige Reflexauslösung gemittelt und die Parameter des Reflexes ausgewertet (Fläche, Amplitude und Latenz). Parallel wurde der verbale Schmerzbericht auf einer 6– stufigen Kategorialskala erhoben.

Ergebnisse: Es zeigt sich eine signifikant niedrigere Reflexschwelle bei Patienten mit Demenz im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe (13.9±7.5 mA vs. 21.1±9.6 mA, p<0.05). Die Parameter der überschwelligen Reflexantwort zeigten sich unverändert. Auch fand sich kein signifikanter Unterschied im verbalen Schmerzbericht.

Schlussfolgerungen: Die deutlich verminderte Reflexschwelle bei Demenz deutet auf eine stärkere Aktivität der Nozizeption bei Demenz hin. Möglicherweise spielt dabei die kortikale Funktionsstörung durch eine Reduktion der deszendierenden Hemmung eine Rolle. Diese Daten stehen im Gegensatz zu bisherigen Daten zur subjektiven Schmerz- und Toleranzschwelle. Eine mögliche Erklärung dafür könnte der Schweregrad der Demenz sein, da in der vorliegenden Studie Patienten mit ausgeprägter kognitiver Einschränkung (MMST Range 3–23) eingeschlossen wurden.