Aktuelle Neurologie 2005; 32 - P557
DOI: 10.1055/s-2005-919588

Der klinische Phänotyp bei familiärer Multipler Sklerose

C Korsukewitz 1, B Tackenberg 1, S Schock 1, B von Hagen 1, A Hehenkamp 1, B Ostermann 1, W.H Oertel 1, B Hemmer 1, N Sommer 1
  • 1Münster, Marburg, Düsseldorf

Einleitung: Multiple Sklerose (MS) ist durch eine große klinische Heterogenität geprägt. In etwa 10–15% der Fälle ist die Erkrankung familiär gehäuft, wobei für Deutschland bislang keine populationsbasierten Daten vorliegen. Für die genetisch bedingten Einflüsse auf die MS-Pathogenese ist die Datenlage bislang noch unzureichend. Ziel dieser Arbeit ist die phänotypische Charakterisierung der familiären MS mit dem Ziel, homogene Gruppen von Geschwisterpaaren identifizieren zu können, die als Ausgangspunkt für zukünftige genetische Untersuchungen dienen könnten.

Methoden: 156 Patienten (n=98 Geschwister, n=30 Vater/Mutter – Kind) mit nach Poser et al. gesicherter, familiärer MS (d.h. mit mindestens einem MS-positiven Verwandten 1. Grades) wurden in die Untersuchung eingeschlossen. Primärer Endpunkt war der Progressionsindex (PI=aktueller EDSS/ Dauer der Erkrankung) von 47 Geschwisterpaaren im Vergleich zu einer aus 98 alters-, geschlechts- und verlaufs-gematchten Patienten bestehenden Kontrollgruppe mit sporadischer, nicht-familiär gehäufter Form. Der Punktwert in der expanded disability status scale (EDSS) wurde mittels einer zuvor validierten Telefonversion erhoben. Für die sekundären Endpunkte (Lebensalter bei Beginn der Erkrankung, betroffenes funktionell-neurologisches System bei Erstmanifestation) wurde eine datenbankbasierte Kontrollgruppe (n=284) herangezogen.

Ergebnisse: Der PI war bei Patienten mit familiärer MS und der Kontrollgruppe nicht signifikant unterschiedlich (p<0,787). Allerdings fällt der PI bei den familiär gehäuften Fällen mit der Erkrankungsdauer stärker ab als in der Kontrollgruppe (r=–0,56; r2=0,31 vs. r=-0,488; r2=0,23). Das Alter bei Erkrankungsbeginn war mit 28,9 +/- 7,5 Jahren bei Patienten mit familiärer MS tendenziell niedriger (p<0,03) und Hirnstammsyndrome als Erstmanifestation waren signifikant häufiger vorhanden als in der Kontrollgruppe (p<0,001).

Diskussion: Familiäre MS scheint wegen des stärkeren Abfalls des PI zu Anfang der Erkrankung eine höhere Krankheitsaktivität zu zeigen, als bei den sporadischen Fällen. Patienten mit familiärer MS erkranken tendeziell jünger und haben häufiger Hirnstammsyndrome als Patienten mit einer sporadischen MS. Insgesamt lassen sich homogene Gruppen von Geschwisterpaaren zu genetischen Untersuchungen abgrenzen.