Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(4): 167
DOI: 10.1055/s-2006-943526
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Arztbrief - ein weites Feld für Qualitätsentwicklungen

Hagen Sandholzer
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Publication Date:
17 May 2006 (online)

Neulich saßen wir in der Arbeitsgruppe „Problem-Orientiertes-Lernen” - kurz „POL” genannt - also der POL-AG zusammen, um einen Kursus für die Studierenden kurz vor Eintritt in das Praktische Jahr zu konzipieren. Anhand eines Patientenbeispiels kam der Gruppe der geniale Gedanke: „Wie wäre es, wenn die Studierenden einen Arztbrief über diesen Fall verfassen - das wäre doch eine echte Arbeitserleichterung für geplagte Oberärzte, die jedes Jahr von neuem zirka 300 Studierenden die Grundfertigkeiten des Briefeschreibens beibringen müssen. Es entzündete sich eine Diskussion über die grundsätzliche Machbarkeit des Unterfangens - mir wurde dadurch klar, wie einfach die Definition eines guten wissenschaftlichen Artikels gegenüber der Beurteilung eines Arztbriefs ist, gibt es doch bei ersterer klar strukturierte Richtlinien. Bei letzterem - dies warf ein Diskutant ein - sieht man gleichermaßen unstrukturierte und trotzdem geniale Charakterisierungen eines Patientenproblems, wie auch strukturierte, nichts sagende aus dem PC geworfene Elaborate. Seit die Informierung des Hausarztes vorgeschrieben ist, lassen sich große Fachgebiete wie Gynäkologie, Augenheilkunde oder Pädiatrie auf zirka zehn Kästchen reduzieren, in denen rasch gesetzte Kreuze und hingekritzelte Abkürzungen ein großes Fragezeichen im Kopf des Hausarztes hinterlassen: Warum ist der Patient überhaupt dort? Ach ja, das Kästchen „Wiederbestellt” ist angekreuzt.

Da mir die Aufgabe zugeteilt war, eine simple Checkliste für Arztbriefe zu verfassen - was ich für leicht hielt - habe ich mich alsdann an den Computer gesetzt, um in all meiner Naivität eine Absicherung meiner Vorschläge durch GOOGLE oder Pubmed zu finden. Ich kann nur sagen: geben sie das Stickwort „Arztbrief” oder sogar „guter Arztbrief” in GOOGLE ein, sie werden alt dabei. Da finden sie Praxismanagement-Tipps von Kliniken für Hausärzte als Bestandteil ihres Marketings, die „Arztbrief” heißen und Schrott sind (woher sollte eine Klinik auch wissen, wie gutes Allgemeinpraxismanagement aussieht?), jede Menge IT-Anbieter, haufenweise Publikationen über elektronische Arztbriefe, ohne den als neuhochdeutsch bezeichneten „Content”, das heißt eine Beschreibung des guten Arztbriefs. Jetzt muss ich wohl doch noch auf den Speicher gehen, wo die alten Ausgaben einer allgemeinmedizinischen Zeitschrift lagern, aus einer Zeit, als sie noch gut war. Und da muss doch noch ein gutes Buch liegen, das ich mir 1984 gekauft habe, über Arztbriefe - ja von Dr. Heckl. Nein, der Speicher ist jetzt zu kalt, dunkel und staubig, da quäle ich mich noch durch 29 Seiten des deutschen Ärzteblatts - Dauer zirka zwei Stunden (wegen der Werbung) - um ein paar gute Glossen und den wegweisenden Artikel eines Dr. Spiess aus dem Klinikum Regensburg zu finden, der behauptet, den Stein des Weisen gefunden zu haben: den idealen Kurzarztbrief. Bezeichnenderweise schreibt der Autor, dass das begehrte Muster im Intranet des Klinikums zu finden ist - sehr praktisch. So langsam kommt mir der Verdacht, dass es wahrscheinlich noch der Schaffung von zehn Behörden bedarf, bis sich jemand eines Qualitätsproblems annimmt, das allen Ärzten gleichermaßen und alltäglich die Zeit raubt und obendrein für die Patientensicherheit und die Qualität der Patientenbetreuung so wichtig wäre. Doch halt, hier bei Thieme connect, da steht die Rettung: eine empirische Studie aus Berlin publiziert in - Nein!!! - auch hier ist kein Muster abgedruckt. Ich quäle den Rechner durchs Internet, ja die Park Klinik in Berlin hat sich eines Qualitätsmanagementprojektes angenommen: zur Information der niedergelassenen Kollegen hat man evidenzbasierte Textbausteine eingebaut. Alle waren zufrieden - ergibt eine Doktorarbeit - doch sang- und klanglos ist alles beendet, ohne Muster - ich kann mir denken warum. Nun reift dem Wissenschaftler in mir der Entschluss, eine gründliche Literaturübersicht zu publizieren und nun einfach schlafen zu gehen. Doch vorher hat noch der kleine Hausarzt in mir gesiegt und in den ersten Ordner „Dezember” unserer Praxis gesehen, um einen guten Arztbrief zu finden. Schon unter den ersten zehn Arztbriefen fand sich ein Exemplar eines sehr guten wie auch eines sehr schlechten Arztbriefes - beide aus der Gynäkologie.

Der erste Arztbrief stammt von einer Frauenärztin, die sich zum Ziel gemacht hat, mit einem Minimum an Tinte ein Minimum an Informationen zu Papier zu bringen. Dies geschieht durch eine Art „Arzt-Fragebogen”, dessen wichtigster Teil a) die Patientendaten und b) ein Kreuz unter der Rubrik „weitere Routineversorgung” darstellt. Eine persönliche Anrede, etwa an welchen Arzt der Brief gerichtet ist, findet sich nicht. Mit zwei weiteren Kreuzen ist als Leistung „Krebsvorsorge” und als Symptom mit Freieintrag „Dysmennorrhoe” gekennzeichnet. Verwirrend für mich ist ein weiteres Kreuz, das zwischen gynäkologisch unauffällig und Adnexitis angebracht ist - schließlich ging die Frau zur Abklärung von Beckenschmerzen zum Frauenarzt. Wir lernen aus dem Formular, dass die Frauenheilkunde nur noch zwei weitere Diagnosen kennt: „Kolpitis” und „Mastodynie”. Peng!

Es geht aber auch anders. Da findet sich, kurz und knapp beschrieben von einer gynäkologischen Kollegin, das wichtigste für den Hausarzt frei formuliert: die Diagnose, Nebendiagnosen, Histologie - erläutert mit: „steht noch aus” - Verlauf und Prozedere. Unter Prozedere steht ebenfalls alles drin: die weitere Medikation (Name, Dosierung, Therapiedauer), der nächste Untersuchungstermin, die Bitte um die Durchführung der Weiterbehandlung und Wiedervorstellung. Am Schluss: Ein „Danke” und „freundliche kollegiale Grüße”. Ja so muss er sein - der gute Arztbrief: auf das individuelle Patientenschicksal abgestimmt, auf der ersten - hier der einzigen - Seite konzentriert, sodass der Hausarzt eingescannte Arztbriefe gut während der Konsultation einsehen kann, mit klaren Empfehlungen für die kontinuierliche Weiterversorgung. Und das wichtigste: Inklusive der wichtigen Erinnerung des Hausarztes an ausstehende Befunde beziehungsweise was die Kollegen nicht gemacht haben, aber gleichwohl für wichtig halten. So einfach kann Qualitätsmanagement sein: vom Kollegen für den Kollegen.

Mit den besten kollegialen Grüßen

Prof. Dr. med. Hagen Sandholzer

Leipzig

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