psychoneuro 2006; 32(6): 293
DOI: 10.1055/s-2006-948051
Im Gespräch

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview mit Dr. Matthias Dobmeier, Regensburg - "Eine symptomatische Remission reicht bei weitem nicht aus"

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Juli 2006 (online)

 

Matthias Dobmeier

In der Therapie bipolarer Störungen stehen immer mehr diejenigen Faktoren im Fokus, die über die primäre Psychopathologie hinaus die Krankheitsremission beeinflussen. Über die Bedeutung der kognitiven Leistungsfähigkeit als Prädiktor für das erreichbare Funktionsniveau sprachen wir mit Dr. Matthias Dobmeier, Regensburg.

Bei der Therapie bipolarer Patienten begnügt man sich nicht mehr mit einer symptomatischen Remission. Worauf begründet sich dieser Paradigmenwandel?

Dobmeier: Betrachtet man die Studienergebnisse und eigene klinische Erfahrungen, so haben bipolare Patienten keine besonders gute Prognose, in ihrem sozialen und beruflichen Umfeld wieder integriert zu werden. In den letzten Jahren ist man vermehrt auf dieses Problem aufmerksam geworden, und dies hat auch zu dem Paradigmenwechsel in der Definition des Remissionsbegriffes geführt. Eine symptomatische Remission der affektiven Störungen reicht bei weitem nicht aus, um einen ausreichenden Funktionsstatus zu erreichen. Wir müssen darüber hinaus auch andere Outcome-Faktoren berücksichtigen, und dazu gehört auch die kognitive Leistungsfähigkeit.

Ist die Kognition als Outcome-Faktor eine unabhängige Symptomdimension?

Dobmeier: Wahrscheinlich ja. In den letzten Jahren wurde gezeigt, dass kognitive Defizite nicht nur in den akuten, sondern auch in den remittierten Phasen der Erkrankung, bei euthymen Patienten, auftreten. Wir müssen davon ausgehen, dass zumindest ein Teil der remittierten Patienten mit einer affektiven Störung ein "kognitives Residualsyndrom" aufweisen.

Welche Bereiche der Kognition sind besonders betroffen, und was bedeutet dies für die klinische Praxis?

Dobmeier: Betroffen sind insbesondere die Aufmerksamkeits-, die Gedächtnis- und die Exekutivfunktionen. Das Schädigungsmuster ist individuell sehr unterschiedlich und hängt auch von der aktuellen Krankheitsphase ab.

In der Akutphase sehen wir vor allem Aufmerksamkeitsstörungen und Gedächtnisprobleme, in den weniger akuten und euthymen Phasen stehen Störungen der Exekutivfunktion - Problemlösung und Handlungsplanung - im Vordergrund. Das soll aber nicht bedeuten, dass die Exekutivfunktion in der Akutphase normal ist; die Störung ist schon nachweisbar, tritt aber gegenüber den Aufmerksamkeitsstörungen und Gedächtnisproblemen in den Hintergrund.

Macht es einen Unterschied, in welcher Phase - manisch, depressiv oder gemischt - sich der Patient befindet?

Dobmeier: Bei akut manischen Patienten finden wir eine vermehrte Ablenkbarkeit und eine eher erhöhte Grundaufmerksamkeit. Im Gegensatz dazu ist die Aufmerksamkeit beim depressiven Patienten eher generell verlangsamt.

Bipolare Störungen haben eine hohe Rezidivneigung. Muss man bei einer Symptomexazerbation auch mit einer erneuten bzw. weiteren kognitiven Verschlechterung rechnen?

Dobmeier: Wenn die akute Symptomatik wieder aufbricht, wird auch die Kognition wieder schlechter. Und je mehr akute Episoden der Patient erleidet, desto stärker wird auch die Kognition dauerhaft geschädigt. Bei euthymen Patienten konnte eine Korrelation zwischen der Häufigkeit der Akutphasen und der Stärke der kognitiven Beeinträchtigungen gezeigt werden.

Bei schizophrenen Patienten kann das atypische Neuroleptikum Olanzapin auch kognitive Defizite und damit den Funktionsstatus verbessern. Wie stellt sich in diesem Zusammenhang die Datenlage bei bipolaren Patienten im Vergleich zu Altsubstanzen wie z.B. Lithium, Valproat oder Carbamazepin dar?

Dobmeier: Zu den Altsubstanzen gibt es nur ganz wenig Daten. Olanzapin ist nicht nur bezüglich seiner klinischen Wirksamkeit, sondern auch bezüglich seiner Wirkung auf die Kognition der am besten untersuchte moderne Stimmungsstabilisierer[*]. Die einzige Studie, in der für Lithium die Kognition als klinischer Endpunkt mit einer umfangreichen Testbatterie enthalten war, war ein Langzeitvergleich Lithium-Olanzapin. Bisher ging man davon aus, dass Lithium die Kognition in der Langzeittherapie eher negativ beeinflusst. Insofern war es eine kleine Überraschung, dass Lithium Vorteile bei der Verbesserung der Exekutivfunktion und Gedächtnisleistung verbuchte, während Olanzapin bei den Aufmerksamkeitsfunktionen signifikant besser abschnitt.

Auch Valproat wurde gegen Olanzapin in einer Langzeitstudie über 47 Wochen verglichen. Dabei zeigten die mit Olanzapin behandelten Patienten ein signifikant besseres Erinnerungsvermögen sowie bessere Problemlösungsfähigkeiten. Leider gibt es zu Valproat keine ausreichenden Daten, um weiter gehende Aussagen zur Beeinflussung der Kognition zu machen.

Grundsätzlich dürfen wir eines nicht vergessen: Bei bipolaren Patienten ist eine Multimedikation eher die Regel als die Ausnahme. Neben der Frage der Kognitionsverbesserung geht es zuerst einmal darum, die Kognition unserer Patienten nicht pharmakologisch zu verschlechtern. Die Altsubstanzen bergen hier wahrscheinlich ein größeres Risikopotenzial als die neueren Psychopharmaka.

Vielen Dank für das Gespräch.

03 Olanzapin ist zur Behandlung von mäßig schweren bis schweren manischen Episoden angezeigt. Bei Patienten, deren manische Episode auf eine Behandlung mit Olanzapin angesprochen hat, ist Olanzapin zur Phasenprophylaxe bei Patienten mit bipolaren Störungen angezeigt.

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