psychoneuro 2006; 32(6): 296-297
DOI: 10.1055/s-2006-948053
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Jahr Atomoxetin - Einmalgabe bei ADHS setzt sich durch

Further Information

Publication History

Publication Date:
10 July 2006 (online)

 

Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) fallen auf. Sie können sich in bestimmten Situationen, die sie langweilen, einfach nicht konzentrieren. Sie sind unruhig, stehen z.B. im Unterricht einfach auf oder kaspern herum. Es gibt aber auch Kinder, die nur unter der Aufmerksamkeitsstörung leiden und nicht hyperaktiv sind, sondern statt dessen verträumt wirken. Insbesondere Mädchen leiden oft unter dieser Form der ADHS, dementsprechend werden sie häufig falsch diagnostiziert und nicht adäquat behandelt. Die medikamentöse Behandlung zählt heute als erfolgreichste Therapie, je nach vorliegender Symptomatik sollten außerdem verhaltenstherapeutische und psychoedukative Interventionen und ergänzende Verfahren bei komorbiden Erkrankungen eingesetzt werden. Auf den 3. ADHS-Gesprächen diskutierten jetzt Experten ein Jahr praktischer Erfahrungen mit Atomoxetin (Strattera®).

ADHS betrifft das gesamte Leben. Selbst wenn sich die Kinder noch so sehr bemühen, hinsichtlich ihrer exekutiven Funktionen, der Informationsverarbeitung und Gedächtnis schneiden sie deutlich schlechter ab als dies nach ihrem Intellekt der Fall sein sollte. Sie bleiben fast viermal so häufig sitzen, haben schlechtere Schulabschlüsse. Die Folgen sind meist geringerer sozialer Status und kleineres Einkommen im Erwachsenenalter. Auch das Familienleben der Betroffenen wird beeinträchtigt. Die Scheidungsraten bei Eltern von ADHS-Kindern ist rund fünfmal höher als in der Normalbevölkerung. Wird ADHS nicht behandelt, interferiert die Erkrankung nicht nur mit dem sozialen Leben der Betroffenen, auch Folgeerkrankungen wie Alkohol- oder Drogenmissbrauch oder andere psychische Erkrankungen nehmen zu. Darüber hinaus ist auch die Verletzungsgefahr der unbehandelten Kinder signifikant erhöht. Sie sind häufiger in Unfälle verwickelt und werden häufiger auf Intensivstationen eingewiesen ([4]).

Das Störungsbild der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wurde bereits 1902 ausführlich in the Lancet publiziert ([14]). Trotzdem sind immer noch viele Ärzte mit der Erkrankung nicht vertraut. 1980 wurde die Diagnose erweitert auch auf Kinder ohne Hyperaktivtät. Nach den heutigen Diagnosesystemen leiden etwa 3-5% der Kinder im schulpflichtigen Alter an ADHS, dabei persistiert die Symptomatik bei etwa 60% der Betroffenen ins Erwachsenenalter. Jungen erkranken sechsmal häufiger als Mädchen. Allerdings werden vermutlich viele Mädchen mit ADHS nicht erkannt, weil sie häufig nicht die klassischen Symptome einer Hyperaktivität aufweisen. Ursache der ADHS sind neben genetischen Faktoren auch Störungen der Hirnentwickung und Funktion. ADHS wird heute vor allem als Störung des Neurotransmittergleichgewichts im Gehirn verstanden, umriss Prof. Thomas E. Brown, Yale, die Erkrankung. Insbesondere der Dopamin- und Noradrenalinstoffwechsel scheinen bei ADHS gestört zu sein.

Eine Möglichkeit, dieses Ungleichgewicht wieder herzustellen, ist die Gabe von Stimulanzien oder des spezifischen Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers Atomoxetin (Strattera®). Letzteres zeichnet sich aufgrund seines neuartigen Wirkmechanismus und seines Rezeptorprofils dadurch aus, dass der Nucleus Accumbens, der "feel good part" des Gehirns, der z.B. durch Kokain, Stimulanzien oder Sex aktiviert wird, durch Atomoxetin nicht beeinflusst wird. Missbrauch und Abhängigkeit sind daher unter Atomoxetin nicht zu erwarten, folgerte Craig L Donnelly, New Hampshire. Atomoxetin unterliegt nicht dem Betäubungsmittelgesetz und gilt heute nach den Richtlinien der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (AACAP), der Canadian ADD Ressource Alliance (CADDRA) und des englischen National Institute for Clinical Excellence (NICE) als eine Therapie erster Wahl für ADHS-Patienten ([1], [3], [5]). Weltweit wurde die Substanz bereits 3,7 Millionen Patienten verschrieben. Allein in Deutschland wurden bereits über 31000 Patienten behandelt ([6], [8]).

Literatur

  • 01 American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (AACAP):. ADHD Guidelines, Version 2.0, May 2004
  • 02 Buitelaar JK . et al . Posterpräsentation auf dem 51. Meeting der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 19.-24. Oktober 2004, Washington.  .
  • 03 Canadian ADHD Practice Guidelines 2005. 
  • 04 DiScala C . et al . Injuries to children with attention deficit hyperactivity disorder.  Pediatrics. 1998;  102 1415-1421
  • 05 www.nice.org.uk/page.aspx?o=297171
  • 06 Insights Health Panratio, Stand: März 2006. 
  • 07 Kelsey D . et al . Once-daily atomoxetine treatment for children with attention-deficit/ hyperactivity disorder, including an assessment of evening and morning behavior: A double-blind, placebo-controlled trial.  Pediatrics. 2004;  114(1) e1-e8
  • 08 Lilly data on file. 
  • 09 Michelson D . et al . Once-daily atomoxetine treatment for children and adolescents with attention deficit hyperactivity disorder: A randomized, placebo-controlled study.  Am J Psychiatry. 2002;  159 (11)
  • 10 Michelson et al. In press. 
  • 11 Owens J . et al . Sleep of children with ADHD compared with healthy controls. Posterpräsentation auf dem 25. CINP-Kongress, 20.-24. Juni 2004 in Paris.  .
  • 12 Schmidt  . et al . Das adrenerge Transmittersystem bei ADHS.  Stuttgart, Thieme, 2005.
  • 13 Spencer TJ . et al . Effects of atomoxetine on growth after 2-year treatment among pediatric patients with attention-deficit/hyperactivity disorder.  Pediatrics. 2005;  116 (1) e74-80
  • 14 Still GF . Some abnormal psychical conditions in children.  Lancet. 1902;  1008
    >