psychoneuro 2007; 33(11): 439
DOI: 10.1055/s-2007-1012759
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Krampf und Spasmus:Symptom oder Diagnose?

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Publication Date:
20 December 2007 (online)

Viele medizinische Begriffe finden Eingang in die Umgangssprache und verändern dadurch ihre ursprüngliche Bedeutung oder die Anwendbarkeit in der medizinischen Fachsprache. Auch die Begriffe 'Spasmus' und 'Spastik' haben sich in der Umgangssprache etabliert und werden häufig ungenau und verallgemeinernd, stellenweise sogar abwertend gebraucht.

Laut Fremdwörter-Duden ist 'Spasmus' gleich 'Zuckung' oder 'Krampf'. Der Begriff 'Spastik' ist nicht aufgeführt; 'spastisch' wird mit 'spasmisch' gleichgesetzt. Ein 'Spastiker' sei jemand, der an einer spasmischen Kranheit leide. Laut medizinischem Lexikon ist 'Spasmus' definiert als 'Verkrampfung', 'Krampf' und im eigentlichen Sinne als 'relativ langsame und/oder sich rhythmisch wiederholende Muskel(gruppen)kontraktion'. Der nächste Begriff im Lexikon ist 'spasticus', das lateinische Wort für spastisch. Danach folgt schon 'Spastik' und 'Spastiker'. Unter 'Spastik' wird das Spasmus-mobilis-Phänomen aufgeführt, womit beide Begriffe in einem Satz vorkommen. Man muss anerkennen, dass der Volksmund gar nicht so weit von der lexikalischen Definition entfernt ist.

Für dieses Schwerpunkheft haben wir Krankheitsbilder ausgewählt, bei denen einer der beiden Begriffe eine wesentliche Rolle spielt. Einerseits um Sie zu den Schwerpunkten weiterzubilden, andererseits um zur Begriffsklärung von 'Spasmus' beizutragen.

Dabei werden allgemeine Symptome wie die so häufig beklagten Beinspasmen und gastrointestinalen Spasmen neben definierten Diagnosen wie der spastischen Spinalparalyse, dem Spasmus hemifacialis und dem Blepharospasmus abgehandelt.

Das letztgenannte Thema offenbart das Problem des korrekten Einsatzes von Begriffen. Bei den Dystonien wird neben dem korrekten Begriff 'Torticollis spasmodicus' häufig auch 'Torticollis spasticus' gesagt und geschrieben. Der 'Spasmus hemifacialis' wird ebenso als 'Hemispasmus facialis' bezeichnet und sogar von offiziellen Behörden fälschlicherweise als 'fokale Dystonie' interpretiert. Außerdem taucht bei einem 'Spasmus hemifacialis' in Arztbriefen die Fehldiagnose eines 'unilateralen Blepharospasmus' auf. Statt 'Blepharospasmus vom palpebralen Typ' wird der Begriff 'Lidöffnungsinhibitionstyp' synonym gebraucht.

Ich hoffe, mit dieser kurzen semantischen Einführung und den wenigen Beispielen Ihr Interesse und die Sensibilität geweckt zu haben und würde mich freuen, wenn Sie unser Heft mit Freude und dem Gewinn an neuen Erkenntnissen lesen.

Prof. Dr. med. Wolfgang Jost

Wiesbaden

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