Rehabilitation (Stuttg) 2007; 46(3): 194-195
DOI: 10.1055/s-2007-970584
Bericht

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Bericht über das Symposium des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen zum Thema „Rehabilitation mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen” am 27.10.2006 in Bremen

Report on the Symposium of the Lower Saxony/Bremen Rehabilitation Research Network on Theme “Rehabilitation with Youths and Young Adults” October 27, 2006 in BremenF. Petermann 1
  • 1Rehabilitationswissenschaftlicher Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen (RFNB), Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation, Universität Bremen
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Publication Date:
21 June 2007 (online)

Der Rehabilitationswissenschaftliche Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen (RFNB) ist einer der bundesweit acht Forschungsverbünde, die seit 1998 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Rentenversicherung mit dem Ziel gefördert werden, die rehabilitationswissenschaftliche Forschungsinfra-struktur zu intensivieren, um die Wirksamkeit und Qualität der medizinischen Rehabilitation nachhaltig zu verbessern. Der RFNB veranstaltet regelmäßig Symposien und Jahrestagungen, jeweils mit einem aktuellen Schwerpunkt-thema.

Am 27. Oktober 2006 fand in Bremen das Symposium 2006 des RFNB mit dem Schwerpunkt „Rehabilitation mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen” statt. Die Veranstaltung wurde von Prof. Dr. Franz Petermann (Universität Bremen, Sprecher des RFNB) geleitet und in enger Kooperation mit der Deutschen Rentenversicherung Oldenburg-Bremen realisiert. In den Vorträgen wurde ein breites Spektrum rehabilitationsspezifischer und auf die Altersgruppe Jugendlicher ausgerichteter Aspekte thematisiert, wie der besondere Reha-Bedarf im Unterschied zur Rehabilitation Erwachsener, spezifische übergreifende Aspekte wie Motivation, Ziel-be-stimmung, Compliance und Lebensqualität. Einen weiteren Schwerpunkt der Vorträge bildete die Rehabilitation Jugendlicher im Kontext der häufigsten chronischen Erkrankungen. Im letzten Teil der Veranstaltung wurden wichtige psychosoziale Fragestellungen bearbeitet und die Situation Jugendlicher im Bereich und der Vernetzung anderer Träger und Leistungserbringer der Rehabilitation (Jugendhilfe, Jugendpsychia-trie, Strafvollzug) verdeutlicht.

Nach einem Grußwort des Direktors der Deutschen Rentenversicherung Oldenburg-Bremen, Christian Wolff, und einer Einführung von Prof. Petermann thematisierte Dr. Christiane Baldus (Universität Bremen) Verhaltensprobleme von chronisch kranken Jugendlichen; im Detail wurden die Motivation, Ziele und Compliance Jugend-licher in der stationären Rehabilitation diskutiert. Spezifische Probleme und Versorgungsdefizite innerhalb dieser Gruppe der Leistungsempfänger beziehen sich insbesondere auf eine bislang unscharfe Abgrenzung des Kindes- und Jugend-alters mit seinen besonderen Entwicklungsaufgaben und Rehabilitationsbedürfnissen. Dr. Baldus stellte dazu erste Ergebnisse eines Jugend-projektes der Fachklinik Sylt vor. Insgesamt konnten 179 Jugendliche mit Adipositas, Asthma, Neurodermitis, Diabetes und Psoriasis, deren Eltern, Hausärzte und Betreuer in der Rehabilitation hinsichtlich ihrer Reha-Motivation, Reha-Zielsetzung und Compliance befragt werden. Daraus ableitend identifizierte die Referentin konzeptionelle und strukturelle Möglichkeiten zur Optimierung der Rehabilitation, wie eine stärkere Ausrichtung der Forderungen nach Compliance und Krankheitsmanagement an entwicklungsbedingten Aspekten.

Den besonderen Bedarf und ein Abgleich zwischen Bedarf und Angebotsstruktur der Re-habilitation Jugendlicher thematisierte anschließend Dr. Heiner Vogel (Universität Würzburg). In einer explorativen Versorgungsanalyse wurden die gegenwärtigen Rehabilitationsangebote für Jugendliche hinsichtlich der Inanspruchnahme und Gründe für Nicht-Inanspruchnahme, insbesondere aber der Stellenwert und die Qualität von Berufsfindungsmaßnahmen in der stationären Rehabilitation dargestellt. Anhand der Da-ten von 20 Kliniken und insgesamt 243 Jugend-lichen, Eltern und behandelnden Ärzten wurde eine Bewertung der Rehabilitation auf den Ebenen Vermittlung von Information und Kompetenz, Berücksichtigung individueller Bedürfnisse, Förderung der Selbständigkeit, Angebot berufsbezogener Maßnahmen und Information über Reha-Vorbereitung und Reha-Nachsorge vorgenommen. Dr. Vogel leitete aus den Ergebnissen der Bestandsanalyse konkrete Maßnahmen zur Optimierung der Rehabilitation ab und stellte diese abschließend zur Diskussion.

Über ambulante Schulung jugendlicher Patienten mit Neurodermitis berichtete Dr. Judith Bahmer (Universität Bremen). Den Schwerpunkt des Beitrags bildeten psychologische Aspekte wie Krankheitsbewältigungskompetenz sowie Nutzen und Grenzen psychologischer Diagnostik in dieser Altersgruppe. Anhand von Studienergebnissen wurden die Fragen beantwortet, ob und in welchem Ausmaß sich bestehende Schulungsprogramme bei Neurodermitis verbessern lassen (sollten) und welchen Stellenwert dabei die Berücksichtigung von Persönlichkeitsmerkmalen besitzt.

Dr. Ulrich Dorsch (CJD Asthmazentrum Berchtesgaden) stellte die Problematik der Berufsfindung und Berufsvorbereitung chronisch kranker Jugendlicher dar. Deutlich wurde, dass durch eine individuelle Risiko-Relativierung in den Bereichen Krankheit und Beruf(swunsch) Möglichkeiten bestehen, die Berufswahl und Berufsfindung chronisch kranker Jugendlicher auf eine breitere Basis zu stellen. Exemplarisch wurden dazu Ergebnisse einer berufsvorbereitenden Maßnahme vorgestellt.

Über psychosoziale Belastungen und Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes berichtete Dr. Rainer Stachow (Fachklinik Sylt). Besonders deutlich wurden die hohen, viele wichtige Lebensbereiche des Patienten beeinflussenden An-forderungen der Erkrankung Diabetes. In der Rehabilitation und Therapieplanung, insbesondere im Bereich Patientenschulung jugendlicher Diabetiker sind geschlechts- und altersgruppenspezifische Aspekte, wie zum Beispiel Lebensqualität und Selbstwert, zu erkennen und angemessen zu berücksichtigen.

Ein besonderer Bereich der medizinischen Rehabilitation wurde von Priv.-Doz. Dr. Matthias Spranger (Neurologisches Rehabilitationszentrum Friedehorst, Bremen) beleuchtet. In seinem Beitrag „Jugendliche in der neurologischen Rehabilitation” wurden die Anforderungen an die neurologische Rehabilitation von Jugendlichen unter dem Entwicklungsaspekt deutlich. Der Rehabilitationsauftrag „Reintegration in die Gesellschaft” umfasst in dieser Altersgruppe immer die psychosoziale Integration und erfordert eine enge Zusammenarbeit und Verzahnung von rehavorbereitenden und rehanachbereitenden Maßnahmen und eine auf langfristige Begleitung angelegte Kompetenz.

Prof. Dr. Monika Bullinger (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) gab einen Überblick über Möglichkeiten und Grenzen der generischen und krankheitsspezifischen Erhebung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen. Anhand verschiedener nationaler und internationaler Forschungsergebnisse und im Vergleich unterschiedlicher chronischer Erkrankungen (u. a. Asthma, Neurodermitis, Adipositas) wurden geschlechtsspezifische Unterschiede und Besonderheiten der Diagnose- und Altersgruppen dargestellt.

Einen weiteren wichtigen Teilbereich der Rehabilitation Jugendlicher stellte Tanja Besier (Universität Ulm) dar. In ihrem Vortrag über die psychosoziale Rehabilitation zwischen Jugendpsychia-trie und Jugendhilfe wurde ein Überblick über erste Ergebnisse der Ulmer Jugendhilfestudie, eine Evaluation eines multimodalen, aufsuchenden Behandlungsprogramms, gegeben. In Deutschland befinden sich ca. 80.000 Kinder und Jugendliche in Jugendhilfeeinrichtungen, wobei ein großer Teil der Betroffenen zur Risikogruppe mit psychischen Auffälligkeiten bis zu psychischen Störungen gezählt werden muss. Für diese Patienten bestehen Versorgungsdefizite; insbesondere ein niedrigschwelliges kontinuierliches Betreuungsangebot, wie in der Ulmer Studie durchgeführt, verspricht diese Defizite ausgleichen zu können.

Anhand eindrucksvoller Beschreibungen einiger Fallbeispiele aus der Praxis konnte als letzter Referent des Tages Gangolf Schaper, Suchtberater der Jugendvollzugsanstalt für Frauen in Vechta, den Betreuungsbedarf jugendlicher Insassen verdeut-lichen.

Insgesamt konnte die Veranstaltung ein breites Spektrum reha-bezogener Aspekte und Fragestellungen für die Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen bearbeiten. Die Komplexität, aber auch die Relevanz der besonderen Berücksichtigung dieser Altersgruppe wurden vielfach betont. Die Inhalte des Symposiums sind inzwischen in einem Tagungsband dokumentiert (Petermann F [Hrsg]: Medizinische Rehabilitation von Jugendlichen. Regensburg: Roderer, 2007).

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Franz Petermann

Sprecher des RFNB

Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation

Universität Bremen

Grazer Straße 6

28359 Bremen

Email: fpeterm@uni-bremen.de

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