psychoneuro 2007; 33(3): 102-103
DOI: 10.1055/s-2007-974599
Interview

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview mit PD Dr. Karsten Wolf, Zentrum f. Seelische Gesundheit Marienheide - Emotion und Motivation von Schizophreniepatienten

Further Information

Publication History

Publication Date:
02 April 2007 (online)

 

Schizophreniepatienten leiden nicht nur an psychotischen Symptomen, auch Motivation und Erleben sind beeinträchtigt und erschweren die sozialen Kontakte im alltäglichen Leben. Der Behandlungserfolg wird ebenfalls dadurch gefährdet. Wir sprachen dazu mit PD Dr. Karsten Wolf, Gummersbach.

? Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte beschäftigt sich mit dem Thema "Emotion und Motivation von Schizophreniepatienten." Welche Rolle spielen diese Aspekte bei der Erkrankung der Schizophrenie?

PD Dr. Karsten Wolf: Den Aspekten von Emotion und Motivation ist aus verschiedenen Gründen eine wesentlich größere Rolle zuzuschreiben, als zum Beispiel den Aspekten kognitiven Funktionierens oder Produktivsymptomatik.

Hinsichtlich der Motivation ist dies unmittelbar einleuchtend, da mittlerweile weitreichend bekannt ist, dass die Negativsymptomatik mit Affektverflachung, Antriebsverarmung usw. (also letztlich einem Ausdruck erheblich defizitärer emotionaler und motivationaler Anteile) pharmakologisch wesentlich schwerer positiv zu beeinflussen ist, als die Produktivsymptomatik. Darüber hinaus leiden die Patienten häufig deutlich mehr unter der Negativsymptomatik als unter der Produktivsymptomatik.

Defizite im Bereich von Emotion und Motivation führen zu erheblichen Störungen im Bereich der Bindungsfähigkeiten/-gefühlen und damit zu einer eingeschränkten Lebensqualität und einer defizitären subjektiven Befindlichkeit, was letztlich bekanntermaßen in Isolation zu münden vermag. Bezüglich der bekannten Bedeutung von Emotionen für Bindung und Beziehung und damit auch den Lebenswert für einen schizophrenen Patienten sind die Aspekte von Emotionsausdruck und Emotionserkennung wesentlich. Sowohl die Fähigkeit, Emotionen beim anderen zu erkennen (Emotionserkennung), als auch die Fähigkeit, Emotionen insbesondere mimisch auszudrücken (Emotionsausdruck), müssen differenziert und subtil adäquat gelingen, um eine Beziehung zu anderen Menschen herzustellen zu empfinden und zu halten. Eben dies aber ist bei schizophrenen Patienten krankheitsbedingt defizitär: Schizophrene Patienten zeigen erhebliche Schwierigkeiten im Erkennen von Emotionen in anderen Gesichtern (am defizitärsten ist das Erkennen von Angst) sowie im Ausdruck eigener Emotionen (am defizitärsten in der Ausdruck von Freude). Dies führt bekanntermaßen zu missverständlicher emotionsbezogener Kommunikation und letztlich zu Defiziten in Bindungsfähigkeiten/-gefühlen.

Die Defizite in Emotionserkennung und Emotionsausdruck bei schizophrenen Patienten korrelieren primär mit dem Negativsyndrom, sekundär mit dem Depressionssyndrom. Daher kann aktuell geschlussfolgert werden, dass jene Medikamente, die sich positiv auf Negativ- und Depressionssyndrom auswirken, auch einen positiven Einfluss auf die Emotionalität und darüber hinaus Bindungsfähigkeiten/-gefühlen von schizophrenen Patienten haben.

? Gibt es hinsichtlich des subjektiven emotionalen Erlebens der Patienten Unterschiede zwischen der Gabe typischer und atypischer Antipsychotika?

Wolf: Diese Frage kann zurzeit zweifellos mit ja beantwortet werden. Insbesondere die vielfältigen Studien von Prof. Dieter Naber vom UKE Hamburg haben gezeigt, dass atypische Antipsychotika positiver auf das subjektive emotionale Erleben wirken als typische Antipsychotika. Psychometrisch wird dies mit dem Fragebogen SWN abgebildet. In diesem Fragebogen werden fünf Domänen subjektiven emotionalen Erlebens erfasst, nämlich emotionale Regulation, Selbstkontrolle, mentale Funktionen, soziale Integration und physisches Wohlbefinden. Hier konnte insbesondere gezeigt werden, dass die subjektiven Effekte, die durch Neuroleptika ausgelöst werden, eindeutig messbar sind und die Lebensqualität vom Patienten erheblich beeinflussen. Analog zum Emotionsausdruck bei schizophrenen Patienten zeigt sich also auch bezüglich des emotionalen Erlebens ein Unterschied zwischen typischen und atypischen Antipsychotika zugunsten der atypischen Antipsychotika.

? Welche Rolle spielt das Risiko für mögliche Nebenwirkungen überhaupt bei der Verordnung von Antipsychotika?

Wolf: Es ist zu bedenken, dass die Unterschiede der verschiedenen Antipsychotika hinsichtlich der Wirksamkeit auf Positivsymptomatik wenn überhaupt nur marginal ausfallen. Für einen Patienten ist die Suppression oder Remission von Positivsymptomatik, also produktiven Symptomen allerdings nur einer von vielen gewünschten Effekten. Nicht selten werden Antipsychotika von Patienten ja abgesetzt, weil die Nebenwirkungen von Antipsychotika in einer subjektiven individuellen Güterabwägung gegenüber der Wirkung auf Produktivsymptomatik höher gewichtet werden.

Zweifellos muss man von modernen Antipsychotika verlangen, dass sie neben einer substanziellen und hinreichenden Wirkung auf die Positivsymptomatik auch möglichst geringe Nebenwirkungen aufweisen und darüber hinaus auch eine substanzielle und hinreichende Wirkung auf Negativsyndrom und Depressionssyndrom zeigen.

In beiden Aspekten zeigt sich auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage eine Überlegenheit der atypischen Neuroleptika gegenüber den typischen Neuroleptika.

? Lässt sich die unter Studienbedingungen gezeigte gute Verträglichkeit Ihrer Erfahrung nach in der Praxis bestätigen? Welchen Stellenwert nimmt Risperidon in Depotform in Ihrem täglichen Klinikalltag ein und warum?

Wolf: Die Verträglichkeit von lang wirksamem Risperidon, auch gegenüber dem oral verabreichten Risperidon, zeigt sich aus meiner klinischen Erfahrung deutlich. Deswegen nimmt langwirksames Risperidon in der Langzeitbehandlung schizophrener Patienten auch mittlerweile einen wesentlichen Stellenwert in unserer Klinik ein. Möglicherweise wird unter modernen Antipsychotika auch die Compliance verbessert, weil durch eine verbesserte indirekte Wirkung auf Bindungsgefühle auch die Einschätzung der emotionalen Verfassung des Patienten durch den Behandler treffsicherer ist.

Ich persönlich frage mich häufig allerdings, warum die Depotform eines Atypikum häufig erst dann dem Patienten angeboten und ggf. verabreicht wird, wenn zum Beispiel orale Medikationsformen aufgrund von Noncompliance gescheitert sind bzw. vielfältige Rückfälle vonstatten gegangen sind. Zwar handele auch ich weitgehend nach diesem Grundprinzip der Anwendung eines Depots erst in einem "späteren Stadium" der Erkrankung, allerdings ist mir wohl bewusst, dass es eigentlich hierfür gar keine gute wissenschaftliche Rationale gibt und vielmehr eine Reihe von Aspekten dafür sprechen könnten, eine Depotform, zum Beispiel das langwirksame Risperidon, durchaus auch bei ersterkrankten schizophrenen Patienten einzusetzen. Offensichtlich handelt es sich hier noch am ehesten um psychologische Aspekte im Sinne festgeschriebener Vorannahmen bei uns Behandlern, die uns von einem Einsatz eines Depotpräparates bei Ersterkrankten abhalten. Dies wäre doch vielleicht einmal eine genauere wissenschaftliche Untersuchung wert.

! Sehr geehrter Herr PD Dr. Wolf, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!