ZFA (Stuttgart) 2008; 84(1): 19-20
DOI: 10.1055/s-2007-993219
Kommentar/Meinung

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Röntgen so selbstverständlich wie das tägliche Zähneputzen: Unbequeme Fragen - unbefriedigende Antworten

X-Rays as Naturally as to Brush One's Teeth: Inconvenient Questions - Unsatisfactory AnswersA. Altiner 1
  • 1Abt. für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum, Düsseldorf
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Publication Date:
18 January 2008 (online)

Wolfgang Ingenhang und Holger Wannenwetsch beschäftigen sich in ihrer Arbeit „Mehr Röntgen als Zähneputzen?” mit dem Problem unkritischen und nicht indizierten Einsatzes von Röntgendiagnostik. Wenig kontrovers dürfte allerdings lediglich ihre Erläuterung der physikalischen Natur der Röntgenstrahlung sein.

Die Autoren schlussfolgern, dass generelle Unwissenheit über die tatsächliche Strahlenbelastung und die von vielen niedergelassenen Spezialisten selbst durchgeführten Röntgenuntersuchungen Gründe für eine im internationalen Vergleich hohe Strahlenbelastung deutscher Patienten seien.

Damit haben Sie aus meiner subjektiven Sicht die Sache auf den Punkt gebracht. Trotzdem kommt ein schlechtes Gefühl auf: Belegt wird diese Aussage im Wesentlichen durch eine Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz aus dem Jahr 2004 - und das ist nicht direkt das, was wir als Evidenz-Level A bezeichnen würden. Warum also finden sich keine besseren Belege?

Vielleicht haben die Autoren nicht ausreichend in der Literatur recherchiert oder noch bedenklicher: Es gibt gar keine ausreichende Evidenz - eine sich für Deutschland typischerweise aufdrängende Erklärung.

Ingenhang und Wannenwetsch nähern sich der Problematik also eher im qualitativen Sinne und zitieren dabei die Süddeutsche Zeitung. Wir wissen dennoch - Sie haben recht. Jeder von uns bekommt von Patienten stolz die kaum jemals indizierten und aussage- wie folgenlosen LWS-Übersichtaufnahmen gezeigt, die der Orthopäde nebenan angefertigt hat.

Hier drängt sich die nächste unbequeme Frage auf: Warum wurde die unnötige Aufnahme gemacht? Aus Unwissenheit, wie vermutet wird? Diese Antwort ist unbefriedigend. Es kann auch nicht (nur) am Wissen alleine liegen (jeder Arzt der röntgt, muss regelmäßig Strahlenschutzkurse besuchen). Ein Schelm der Böses dabei denkt: Was nützt das beste Wissen um den Aufbau der Atome, wenn jede Röntgenaufnahme - ob indiziert oder nicht - vom Vergütungssystem belohnt wird?

Die Autoren hinfragen kritisch die „Innovation” der CT-Diagnostik der Herzkranzgefässe. Auch hier fällt eine mögliche Antwort mehr als unbequem aus: Was ist schlimmer, die unnötige Herzkatheter-Untersuchung oder das unnötige CT der Koronarien. Letzteres hat zumindest kein unmittelbares Mortalitätsrisiko für den Patienten.

Bei aller unvermeidbaren Polemik, bleibt als vielleicht drängendste Frage im Raume stehen, was ich als Allgemeinarzt tun kann, um das Problem unnötiger, teurer und gefährlicher Überversorgung mit Röntgenstrahlung - ganz im Sinn hausärztlicher Quartärprävention - wenigsten auf unterer Ebene anzugehen:

Was kann ich als Allgemeinarzt, der kein Röntgengerät betreibt, tun, damit mein spezialisierter Kollege weiniger unnötige LWS-Übersichtaufnahmen anfertigt? Was kann ich als Allgemeinarzt tun, damit mein spezialisierter Kollege vor dem indizierten Abdomen-CT nicht noch routinemäßig „durchleuchtet”?

Die unbefriedigende Antwort: Wir müssen bei uns selbst anfangen und Fehlversorgung durch unsere eigene Fehlüberweisung konsequent zu vermeiden suchen. Im Klartext: Konsequente Überweisung an den spezialisierten Kollegen nur zur Ausführung von Auftragsleistungen. Und: Das MRT oder falls nötig das CT selbst veranlassen - möglicherweise sogar vor Überweisung zum Spezialisten. Nur so lässt sich die „Hintertür” für weitere unnötige Röntgenuntersuchungen von vornherein präventiv schließen.Interessenskonflikte: keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. med. A. Altiner

Abt. für Allgemeinmedizin

Universitätsklinikum

Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

Email: altiner@med.uni-duesseldorf.de

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