Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34(1): 3
DOI: 10.1055/s-2008-1061607
Zum Thema

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Weihnachtsgans oder das Märchen vom guten Politiker

Peter Knuth
Further Information

Publication History

Publication Date:
21 February 2008 (online)

Die Weihnachtsgans ist verspeist, das Jahr 2008 über uns hereingebrochen und damit stellt sich die Frage: Von welchem Geld soll man die nächste Weihnachtsgans kaufen. Der brave Deutsche schaut also in seine Geldbörse und stellt fest: Es herrscht Ebbe in der Kasse. Liegt es am finanziellen Würgegriff des Staates oder am völlig ungenierten – teils staatlich geförderten – Rollgriff von nach dem Muster des Manchesterkapitalismus organisierten Wirtschaftsunternehmen, dass ihm die Ebbe in der Kasse klarmacht, der Aufschwung ist endlich bei ihm angekommen.

Verwirrt wegen der Diskrepanz zwischen staatlicher und wirtschaftlicher Propaganda schaut der Deutsche nach Berlin oder in seine Landeshauptstadt und sinniert, von wo am ehesten Hilfe zu erwarten ist. Schließlich hat er sich durch langjährige Anwesenheit in der Republik einen Status erworben – wenngleich nicht zwingend „erarbeitet“ – der seinen Rechtsanspruch auf eine Weihnachtsgans festlegt. Und der Blick nach Berlin stimmt dann wieder fröhlich. Ist doch die Rolle rückwärts, weg von der Agenda 2010, in vollem Gange. Nachdem der Bürger ausgepresst wurde wie eine Zitrone, will der Staat nun unter dem Schlagwort Mindestlohn lenkend in die Wirtschaft eingreifen. Dies hat zugleich den Nebeneffekt, dass sich aus dem dadurch automatisch höheren Steueraufkommen und der Verringerung staatlicher Sozialleistungen auch die Staatseinnahmen erhöhen. Dass dies alles vor Landtagswahlen und im Umfeld des längst stattfindenden Bundestagswahlkampfes erfolgt, ist natürlich reiner Zufall. Ein böser Bürger ist, der es wagen sollte, dabei Böses zu denken.

Dass der Mindestlohn für die Begünstigten ein Geschäft zu Lasten Dritter, nämlich der nicht Begünstigten ist, sei zudem nur der Ordnung halber angemerkt. Gleiches gilt für die Tatsache, dass der Staat kein eigenes Geld besitzt, sondern nur Geld verteilt, das er vorher seinen Bürgern, die keinerlei Mitwirkungsmöglichkeiten hierbei haben, abgenommen hat. Dies ist aber in der heutigen Gesellschaft ohne Interesse, da der eigene Vorteil ohne Rücksichten auf das soziale Gefüge der Gesamtheit der Maßstab der Dinge ist. Die ungenierte Selbstbereicherung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei ihren eigenen Einkünften, ist hierfür ein glänzendes Beispiel. Sind doch die Diäten nichts anderes als ein staatlicher Mindestlohn, den sich der Bundestag generös selbst bewilligt. Da stellt sich die Frage, ob nicht auch die Angehörigen der freien Berufe einen Mindestlohn für ihre Arbeit fordern sollten. Schließlich tragen sie erheblich zur intellektuellen und wirtschaftlichen Leistungskraft des Landes bei, ohne den Sozialversicherungsträgern zur Last zu fallen, da sie sich in aller Regel zu eigenen Lasten kranken- und über die Berufsständischen Versorgungswerke rentenversichern. Und dies alles, obwohl zum Beispiel die Ärzteschaft durch staatsdirigistische Eingriffe in den letzten Jahren überproportionale Einkommensverluste zu verkraften hatte – und dies nicht auf Basis überhöhter Einkünfte. Auch musste sie als Körperschaft öffentlichen Rechts viele eigentlich staatliche Aufgaben übernehmen, die ausschließlich aus Beiträgen der Mitglieder und nicht vom Staat bezahlt werden. Wäre es da nicht recht und billig, eine angemessene Vergütung für die Kollegen in Krankenhaus und Praxis zu fordern, unter Berücksichtigung deren langer Aus- und Weiterbildungszeiten und ihrer Verantwortung für die Patienten? Eine solche Forderung scheint jedoch angesichts der sozialistischen Ausrichtung der Regierungskoalition und fehlender Alternativen aussichtslos.

Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Immerhin werden die Abgeordneten im Bund und in den Ländern vom Volk gewählt, um die Interessen aller Bürger zu vertreten. Doch gerade in dieser mystischen Verklärung unserer Volksvertreter besteht der Irrglaube. So ist nur die Hälfte der Abgeordneten vom Volke gewählt. Die andere Hälfte gelangt über Landeslisten ins Parlament, die von den Parteien aufgestellt werden. Hier schlägt die Stunde der „Parteisoldaten“, die sich in erster Linie ihrer Partei und nicht dem Volk verpflichtet fühlen. Gleichwohl gilt dies oft auch für die direkt gewählten Abgeordneten. Denn auch sie stecken in einem Geflecht von Abhängigkeiten, da die Partei und nicht der Bürger bestimmt, wer für Direktwahlmandate antreten darf. Der sachkundige, unabhängige Abgeordnete ist leider ein Auslaufmodell, das in den Mühlen der Parteiapparate systematisch zerkrümelt wird. Stattdessen geistern Minister und Abgeordnete wie Darsteller einer Schmierenkomödie durch die Medien. Diese Erosionsprozesse unserer Demokratie stellen eine schleichende und ernsthafte Gefährdung unserer gesellschaftlichen Ordnung dar. Wer in dieser Situation Trost und Glauben in der Wesensgehaltsgarantie des Grundgesetzes sucht, ist wiederum enttäuscht, weil das reale Staatsrecht sich weit vom Grundgesetz entfernt hat. Es gibt keinen unantastbaren absoluten Kernbereich des Grundrechtsschutzes und bei der Abwägung, was ist schützenswert und was nicht, ist dem Gesetzgeber ein großer Gestaltungsspielraum eingeräumt. Immerhin erklärt dieser Staatszustand die aus der Sicht vieler Ärzte ihnen gegenüber feindsinnige Rechtsprechung des Kassenarztsenates beim Bundessozialgericht, der in aller Regel das Staatswohl vor das Einzelwohl der Heilberufe stellt.

Ein Ende dieser Misere ist leider nicht absehbar. Für die kommende Weihnachtsgans sollte man daher bereits frühzeitig Drittmittel eintreiben.

Prof. Dr. med. Peter Knuth

Flörsheim

    >