Zentralbl Chir 2008; 133(5): 427-428
DOI: 10.1055/s-2008-1076962
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Was ist gesichert in der Hernienchirurgie?

What is Evidence Based in Hernia Surgery?R. Obermaier1 , U. T. Hopt1
  • 1Albert-Ludwigs Universität Freiburg, Chirurgische Universitätsklinik, Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Freiburg
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Publication Date:
15 October 2008 (online)

Aufgrund der hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten, die für die operative Versorgung von Leistenhernien anfallen, ist es unsere Pflicht, regelmäßig relevante Punkte in der Hernienchirurgie unter den Gesichtspunkten der evidenzbasierten Medizin zu reevaluieren.

In Deutschland werden konstant um die 200 000 Leistenhernienoperationen sowie ca. 50 000 Narbenhernienoperationen pro Jahr durchgeführt. Parastomale Hernien werden mit einer Inzidenz von bis zu 50 % nach Anlage eines Enterostomas aktuell sicherlich noch unterschätzt, aber mit moderner Bildgebung zunehmend diagnostiziert. Genaue Zahlen liegen für Deutschland aktuell allerdings nicht vor.

Neben der gesamtwirtschaftlichen Problematik vor allem in Bezug auf die Dauer der Arbeitsunfähigkeit betrachtet der Chirurg die verschiedenen Methoden zur operativen Versorgung von Hernien primär unter den Gesichtspunkten der Komplikationen (zunehmend auch bezüglich chronischer Schmerzen), der Rezidivhäufigkeit und der Kosten des Operationsverfahrens.

Für die Versorgung der Leistenhernien darf als gesichert gelten, dass (beim Erwachsenen) durch den Einsatz von Netzen die Rezidivhäufigkeit signifikant gesenkt werden kann bei im Vergleich zur Versorgung ohne Netz mit ähnlichen Komplikationsraten aber schnellerer Rekonvaleszenz.

Die Diskussion, ob die laparoskopische oder die offene Leistenhernienversorgung vorzuziehen ist, wird nach wie vor teilweise sehr emotional geführt. So scheinen die laparoskopischen Verfahren (TAPP oder TEP) bei entsprechender Expertise und relativ langer Lernkurve bezüglich der Rezidivrate den offen Verfahren gleichwertig zu sein. Die in den „Veterans Affairs” von Neumayer et al. [3] angegebene erforderliche Anzahl von 250 laparoskopischen Hernienoperationen pro Operateur wäre allerdings sehr hoch.

Für die laparoskopischen Techniken sprechen eine geringere Rate an Patienten mit chronischen Leistenschmerzen sowie eine schnellere Rekonvaleszenz. Die Vorteile der offenen Netzverfahren liegen in der Option eines Eingriffes in örtlicher Betäubung, in der nahezu vollständigen Vermeidung der seltenen und gefährlichen, intraabdominellen Komplikationen sowie, zumindest für die einseitige Leistenhernien, geringeren Kosten. Diese Vor- und Nachteile erscheinen allerdings anhand der zur Verfügung stehenden Literatur objektiv nicht bilanzierbar, sodass sich letztlich der operierende Chirurg entscheiden muss, welches Verfahren er seinem Patienten anbietet. Auch hier haben die Ergebnisse der Cochrane-Analyse von 2003 weiterhin Bestand [2]. Bei der Versorgung einseitiger Leistenhernien sind die laparoskopischen Verfahren insgesamt teurer. Die einzeitige Versorgung einer bilateralen Hernie sollte im Regelfall Standard sein, dies ist offen und laparoskopisch gut möglich. Allerdings scheint die minimalinvasive Versorgung einer beidseitigen Hernie volkswirtschaftlich günstiger zu sein.

Die Diskussion, ob die Leistenhernienversorgung laparoskopisch oder offen durchzuführen ist, wird aber in Zukunft auch davon abhängen, ob die Krankenkassen die Versorgung unter stationären Bedingungen im Regelfall überhaupt noch bezahlen. Eine kostendeckende laparoskopische Leistenhernienversorgung unter den derzeitigen ambulanten finanziellen Rahmenbedingungen ist bei uns nicht möglich, sodass unter diesem Gesichtspunkt die Leistenhernienversorgung bei fehlenden Kontraindikationen zukünftig zwangläufig mehr und mehr ambulant durchgeführt werden muss und sicherlich somit schwerpunktmäßig nicht laparoskopisch erfolgen kann. Inwieweit dies auch für die Versorgung von beidseitigen Hernien gilt, bleibt abzuwarten.

Nicht zuletzt aufgrund der oben dargelegten Grundlagen haben wir uns in den letzten Jahren zunehmend von der laparoskopischen Versorgung der Leistenhernien zurückgezogen und führen die laparoskopische Hernienoperation nur noch auf besonderen Wunsch des Patienten durch. Aufgrund der möglichen Major-Komplikationen und der längeren Lernkurve bei der Laparoskopie haben wir uns als Klinik mit Ausbildungsverpflichtung für die offenen Netzimplantation als Standardverfahren entschieden (Plug und Patch oder Lichtenstein). Immer mit der Option, bei fehlenden Kontraindikationen den Eingriff ambulant in örtlicher Betäubung durchzuführen. Skrotalhernien oder beidseitige Hernien (simultan) werden in der Regel ebenfalls offen, dann aber nicht in Lokalanästhesie unter stationären Bedingungen operiert.

Narbenhernien stellen weiterhin ein ungelöstes Problem in der Chirurgie dar. Einzig gesichert ist, dass die fortlaufende Naht unter Verwendung von langsam resorbierbarem Nahtmaterial beim Faszienverschluss Vorteile bringt. Alle anderen Empfehlungen bewegen sich eher auf der Ebene der „Eminenz-basierten” Medizin. Die oft zugrunde liegenden Risikofaktoren lassen sich präoperativ zwar erkennen, aber meistens nicht abstellen.

Auch in der Therapie der Narbenhernie hat die Versorgung mit alloplastischen Netzen zu einer signifikanten Reduzierung der Rezidivrate geführt. Die Netzimplantation in Sublay-Technik, ist mit den geringsten Rezidivraten behaftet und sollte aktuell der Standard in der Versorgung von Narbenhernien sein.

Die laparoskopische Versorgung mittels intraperitonealem Onlay-Mesh (IPOM) könnte eine viel versprechende Alternative werden, hier liegen allerdings noch sehr wenige Langzeitdaten vor. Zusätzlich ist das Verfahren nicht zuletzt aufgrund der teuren IPOM-Netze sehr kostspielig. Das optimale Netz bzw. die optimale Antiadhäsionsschicht ist noch nicht definiert, das (Anti-)Adhäsionsverhalten wurde bei den meisten Produkten nur im Tierexperiment evaluiert.

An unserer Klinik ist die Netzimplantation in Sublay-Technik das Standardverfahren zur operativen Therapie der Narbenhernie. Bei Brüchen im Epigastrium sehen wir durchaus Vorteile, wenn das Netz, um eine ausreichende Überlappung zu gewährleisten, im Sinne eines offenen, intraperitonealen Onlay-Meshes platziert wird. Die laparoskopisch IPOM-Technik kommt zum Einsatz, ist aber Patienten mit eher wenig zu erwartenden Adhäsionen vorbehalten.

Durch den häufigen Einsatz von moderner Bildgebung wird die Diagnose einer parastomalen Hernie zunehmend häufiger gestellt, ob jedoch jede diagnostizierte parastomale Hernie ohne klinische Beschwerden einer operativen Therapie bedarf, ist offen. Allerdings ist die angegebene Rate von bis zu 50 % parastomalen Hernien nach Stomaanlage erschreckend. Die operative Versorgung ist nicht banal und durch eine alleinige Stomatransposition sicherlich nicht gelöst. Auch hier sollte die Netzimplantation das Standardverfahren darstellen, verschiedene Techniken stehen zur Verfügung, das beste Verfahren ist noch nicht definiert. Eine prophylaktische Netzimplantation bei Anlage eines definitiven Stoma könnte ein Lösungsansatz sein und sollte überlegt werden [1].

Auch an unserer Klinik gehen wir zunehmend dazu über, zumindest bei elektiver, definitiver Stomaanlage eine prophylaktische Netzimplantation durchzuführen.

Die Manuskripte in diesem Schwerpunktheft stellen eine Übersicht über aktuelle Fragen in der Hernienchirurgie dar. Sie fassen für den Leser die relevante Literatur zusammen und zeigen die modernen Trends.

Wir sind gespannt darauf, welche neuen Fragestellungen sich in den nächsten Jahren herauskristallisieren werden und welche Richtung die Hernienchirurgie nehmen wird.

Literatur

  • 1 Israelsson L A. Preventing and treating parastomal hernia.  World J Surg. 2005;  29 1086-1089
  • 2 McCormack K, Scott N W, Go P M et al. Laparoscopic techniques versus open techniques for inguinal hernia repair. Cochrane Database Syst Rev 2003: CD001785
  • 3 Neumayer L, Giobbie-Hurder A, Jonasson O et al. Open mesh versus laparoscopic mesh repair of inguinal hernia.  N Engl J Med. 2004;  350 1819-1827

PD Dr. R. Obermaier

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