Balint Journal 2018; 19(01): 31-32
DOI: 10.1055/a-0575-0916
Nachruf
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dr. med. Ursula Steiner-König, 4. Juli 1939 – 29. August 2017

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Publication Date:
14 March 2018 (online)

Es liegt nahe, dass mir als ehemaligem Mitglied des Leiterteams und während ein paar Jahren Organisator der Silser Balint-Studienwoche und Gründungspräsident der Schweizerischen Balint-Gesellschaft die Ehre zufällt, den Nachruf für unsere Kollegin Ursula Steiner-König zu schreiben. Ich kann aber Ursula nicht so gerecht werden wie Samuel Wiener-Barraud anlässlich der Verabschiedung von Ursula aus dem Leiterteam von Sils 2010. Ursula hat seine Würdigung so geschätzt, dass sie den Text bei ihren persönlichen Unterlagen aufbewahrt hat, und ich möchte deshalb auch für den Nachruf daraus zitieren.

Samuel Wiener-Barraud hat uns auf eine Zeitreise über mehrere Stationen mitgenommen.

1. Station, ca. 1950  Wer von meinem Heimatstädtchen Aarberg in die Welt fahren will, kommt am benachbarten Verkehrsknotenpunkt Lyss vorbei. Dort steht ein behäbiges Doktorhaus in einem zauberhaften Garten. Man sagte mir damals, dort wohne der berühmte Dr. König mit seiner Familie. Für mich wurde das Doktorhaus ein prächtiges weisses Schloss, und selbstverständlich trugen die Königs Kronen, die Eltern grosse, die Kinder kleine.

Der Dr. König war ein Patriarch in einer patriarchalischen Gesellschaft, dem bei der Geburt seines ersten Kindes, einem Mädchen, nur trotzdem gratuliert worden war. Ursula blieb im Dorf „ds Dokter Ursula“. Später wurde ein Bruder geboren. Noch in der Schulzeit von Ursula erkrankte die Mutter und starb als Ursula 23 war.

2. Station, ca. 1960  Ich fahre nun täglich über Lyss nach Biel ans Gymnasium. Dort höre ich von der legendären Ursula König in den oberen Klassen. Ein Krönchen stellte ich mir damals nicht mehr vor, aber es war mir klar, dass es Ursula König war, welche der Schule eine Einladung in ein internationales Jugendrotkreuz-Lager vermittelt hatte. Ursula sagt mir zwar, dass sie nie was mit dem JRK zu tun hatte, aber meine erste Teilnahme an einem internationalen Treffen blieb für mich mit dem Namen von Ursula König verbunden.

Ursula König studierte nach der Matura zunächst in Genf, u. a. Philosophie bei Jeanne Hersch, dann Medizin in Basel, Staatsexamen 1965. In Basel machte sie eine psychoanalytische Ausbildung, Analyse bei Gaetano Benedetti und war Assistenzärztin an der Psychiatrischen Universitätsklinik, später Konsiliarärztin für psychosomatische Medizin am Kantonsspital und schliesslich als Psychiaterin und Psychotherapeutin tätig. In Basel lernte sie 1968 ihren Ehemann kennen, Thoma Steiner, einen Mathematiker, den sie dann auch unterstützte bei einer Weiterbildung in Musikinstrumentenbau. In der Familie scheint er „halt nur als Schwiegersohn akzeptiert“ gewesen zu sein. Nach dem Tod des Vaters praktizierte sie ab 1980 im Doktorhaus in Lyss.

3. Station, ca. 1974  Ich komme erstmals nach Sils. Für mich ist klar, dass ich da Ursula leibhaftig begegnet bin. Ich sehe sie als strahlende charmante Frau. Ursula sagt mir zwar, das könne nicht stimmen, sie sei erst 1977 erstmals da gewesen.

4. Station, ca. 1980  Ich bin als Coleiter wieder da. Die Spannungen zwischen dem Fussvolk und dem Leiterteam waren damals beträchtlich. Als Coleiter zählte ich mich zum Fussvolk. In den Abenddiskussionen wurde gegen das Leiterteam als dem Olympgewettert. Aber der Olymp hatte eine Botin, die rosenfingrige Eos. Charmant schwebte sie vermittelnd hin und her zwischen Fussvolk und Olymp, zwischen Deutschsprachigen und Frankophonen und machte den Dialog möglich. In stagnierenden Grossgruppen stiess sie Türen zu neuen Fantasieräumen auf, indem sie uns teilhaben liess an ihren Schätzen aus Erfahrungen und unerschöpflichen Einfällen aus Kunst und Literatur. Von da an war Ursula Steiner-König, wie sie nun hiess, für mich die Fee von Sils. Sie wirkte nun im Doktorhaus in Lyss und sie leitete als Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie chaotische Mitgliederversammlungen (welche öfter wie nach-68-Vollversammlungen imponierten) mit königlicher Souveränität.

Ursula engagierte sich also in der Balintarbeit, war im Leiterteam der Silser Balint-Studienwoche und im Leiterteam der Journées Balint d'Annecy. Sie organisierte die Teilnahme der Schweizer Leiter von Annecy, die sich jährlich trafen und über einige Jahre leitete sie in Annecy mit einem französischen Kollegen alle Grossgruppen-Sitzungen. Jean-Pierre Bachmann aus Genf, mit dem sie wegen Annecy viele Kontakte hatte, erinnert sich, dass das immer angenehm gewesen sei mit Gesprächen meist über gemeinsame Interessen, die Musik, und weniger über die Funktion als Balint-Leiter.

Ursula engagierte sich auch berufspolitisch, zuerst in der bernischen, dann in der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, die sie 1991 bis 1996 präsidierte. 1994 wurde sie als erste Frau in den Zentralvorstand der FMH, der Schweizerischen Ärztegesellschaft, gewählt, deren Vizepräsidentin sie wurde.

5. Station, 2002 Ich stosse auch zum Leiterteam und lerne Ursula Steiner erst jetzt als engagierte zuverlässige Kollegin wirklich kennen, auf die man sich verlassen kann. Sie ist inzwischen im Zentralvorstand der Schweiz. Ärztegesellschaft tätig, in einer schwierigen standespolitischen Situation. Sie ist auch in dieser Funktion eine begnadete Networkerin, und von ihrem schweizweiten und internationalen Beziehungsnetz profitieren auch die Balint-Gesellschaft und Sils. Ihr Zauberwort am Telefon öffnet oft einen Sesam, und auch der kleine Goldregen der Ärztekasse ist ihrem Wirken zu verdanken. Wie gesagt: Die Balint-Fee von Sils.

Im Leiterteam von Sils war Ursula immer ein sehr geschätztes Mitglied, vernünftig, nicht in die ideologischen Rivalitätskämpfe verstrickt, ein ruhiger Pol, mit Verständnis für gegensätzliche Standpunkte. Spürbar war auch ihr grosses Engagement für die Balintarbeit, das durch ihr Vernetzt-Sein große Wirkung hatte, bei der Platzierung von Artikeln über die Balintarbeit, bei der Gründung der Schweizerischen Balint-Gesellschaft, bei der Anerkennung der Balint-Arbeit, beim Vermitteln von Sponsoring für die Silser-Balint-Studienwoche. Eindrücklich war immer wieder ihre verbindende Funktion, z. B. indem sie für die Balintgesellschaft den Kontakt zu den französischen und welschen Kolleginnen und Kollegen vermittelte.

Ursula war aktiv in der Schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaften mit Publikationen v. a. über ethische Fragen, zu ethischen Aspekten in der medizinischen Behandlung im Strafvollzug, zur Verwahrung gefährlicher Straftäter, sowie zur Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod mit Artikeln zum Tag der Kranken oder zum Recht auf einen würdigen Tod.

Ursula war bis 2006 im ZV der FMH und schrieb im Rückblick auch auf diese Tätigkeit, wie ihr der Satz „Unbegreifliches verstehen lernen“ am ersten Tag im ZV begegnet sei und sie über all die Jahre nicht losgelassen habe, sie immer wieder angespornt habe, auch wenn sie Kopf – oder Flügel – hätte hängen lassen wollen. Und bei allem berufspolitischen Engagement immer wieder daran denkend, dass wir Ärztinnen und Ärzte ja eigentlich v. a. für unsere Kranken da sein wollen.

2007 kehrte sie nach Basel zurück. Ihre Ehe war schon länger geschieden worden, aber die letzten Jahre, wieder in Basel, war ihr Thomas Steiner ein nächster Freund. Anlässlich ihres 70. Geburtstages konnte sie offenbar eine grosse Zahl von Freunden begrüssen. Sie hatte auch engen Kontakt zu Nichten, über viele Jahre telefonierte sie täglich mit einer im Ausland lebenden früh verwitweten Nichte.

Ursula hatte über viele Jahre mehr oder minder dauernd eine 7-Arbeitstage-Woche. In privatem Gesangsunterricht hatte sie einen Ausgleich zu all den beruflichen Beanspruchungen gefunden. Sie freute sich deshalb – allem Abschiednehmen-Müssen zum Trotz – auf mehr Freiraum, auch auf das Singen in einem Chor. Das war im vorgerückten Alter dann zwar schwierig, aber sie fand ,,ihren Chor“, den INCANTO-Chor in Basel. Und in einem Schreiben über den Chor, in dem sie auch die Funktion der Vizepräsidentin übernommen hatte, zitierte sie aus einem Lied: „… und habe wieder gesungen, und alles war wieder gut“.

Ursula realisierte beim Schwimmen, dass sie plötzlich kurzatmig geworden war, was dann zur Entdeckung eines malignen Pleuraergusses führte. Sie hatte wiederholte Therapien, die zu Remissionen führten. Sie konnte offen über ihre Krankheit und die Mühsal der Behandlungen sprechen, blieb aber zuversichtlich, fröhlich, und erwähnte z. T. auch gegenüber guten Kollegen nur, dass es ihr trotz Krankheit gut gehe.

6. Station, 2010  (Verabschiedung von Ursula aus dem Silser Leiterteam): Ursula, Du wirst uns allen fehlen. Ein Trost kann sein, dass Du der Balintarbeit verbunden bleibst, und dass Du, weil auch in der Feenwelt die Katzen das Mausen nicht lassen können, in Deiner alt-neuen Heimat Basel, wohin Du aus dem Lysser Doktorhaus zurückgekehrt bist, bald eine neue Balintgruppe eröffnen wirst. Danke Ursula, im Namen von uns allen für alles. Samuel Wiener-Barraud.

Soviel ich weiss, hat Ursula in Basel nicht mehr so viele berufliche Aufgaben übernehmen können, wie sie es sich gewünscht hat. Aber sie blieb der Balintarbeit verbunden, nahm teil an den Generalversammlungen der Balintgesellschaft, besuchte einmal die Silser-Balint-Studienwoche.

Am 29. August 2017 ist sie ihrer Krebskrankheit erlegen und ist im Kreise ihrer Familie eingeschlafen. Auch die Familie schrieb: wir werden ihre Fröhlichkeit, ihre Hilfsbereitschaft und ihr Engagement für diejenigen Menschen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, vermissen.

Im Rückblick bleibt mir der Eindruck, dass Ursula Steiner-König nicht wie viele von uns den Balint-Gedanken gepredigt und sich damit auch sichtbar gemacht haben, aber dass sie im Pflegen und Sich-Einlassen auf Beziehungen, im Reflektieren und Verstehen-Wollen die Grundgedanken Balints bewundernswert gelebt hat. Wie sehr es ihr um diese uneigennützige Haltung gegangen ist, zeigt auch der Wahlspruch der mittelalterlichen Stadtvögte, mit dem sie sich aus dem ZV der FMH verabschiedet hat: „Servir et disparaître“. Und ich schließe auch französisch, indem ich mich den Worten von Jean-Pierre Bachmann anschließe: „Je pense que beaucoup de nos collègues perdent une collègue aimée et appréciée, et si engagée dans le travail Balint“.

Dr. med. Heinrich Egli, St. Gallen