JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2018; 07(03): 94-95
DOI: 10.1055/a-0587-2173
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

In aller Freundschaft

Heidi Günther
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Publication Date:
07 June 2018 (online)

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(Quelle: Paavo Blåfield)

Schon vor Jahren habe ich mich über dieses Thema ausgelassen. Und es wird heute nicht besser. Ich hatte in den letzten sechs Wochen eine gesundheitlich bedingte kleine Auszeit, in der ich mich wirklich sehr bemühen musste, die Zeit totzuschlagen. Und was bleibt, nachdem die Wohnung geputzt, die Bücher gelesen und alle Telefonate geführt sind? Fernsehen. Bei den durch die Fernsehanstalten gebotenen Programmen kam ich schon ein bisschen an meine Grenzen.

95 Prozent aller deutschen Haushalte verfügen über mindestens ein Fernsehgerät, der durchschnittliche Deutsche verbringt 196 Minuten, also rund 3,2 Stunden täglich vor der Flimmerkiste. Das macht im Jahr 1.168 Stunden, also knapp 49 Tage im Jahr. Ich habe dieses Jahrespensum fast vollständig in den letzten sechs Wochen abgearbeitet und weiß jetzt, dass viel fernsehen sehr erschöpfend sein kann. Wie viele Fernsehsender möglicherweise in Deutschland zu empfangen sind, weiß ich nicht genau. Aber offensichtlich sagt die Quantität nichts über die Qualität aus. So habe ich mich zappend durch den Tag gehangelt, irgendwann „Blut geleckt“ und meinen tristen Tag nach den diversen Sendeterminen des Dauerbrenners „In aller Freundschaft“ um die Belegschaft der Sachsenklinik gerichtet. Was für ein Stress! 11:45 Uhr NDR, 12:25 Uhr MDR und 13:25 Uhr BR. Da war nicht mehr viel mit Mittagsschlaf. Heute, wo alles in meinem Leben wieder seinen geregelten Gang geht und es mir fast schon ein bisschen peinlich ist, rede ich mir gern ein, dass alles natürlich nur zur Recherche für diese Kolumne gedient hat und ich mich gewissermaßen geopfert habe.

Im deutschen Fernsehen gab und gibt es insgesamt 27 bei uns produzierte Arztserien Das heißt, eigentlich nur 24. Denn in drei dieser Serien geht oder ging es vordergründig um Krankenschwestern. Wer kennt nicht noch die legendären Schwestern Stefanie und Nicola. Vor langer Zeit einmal habe ich „Bettys Diagnose“ sehen müssen (!), als ich bei meinen Eltern zu Besuch war, und kann mich noch sehr gut an mein Entsetzen ob der Realitätsferne erinnern. Wenn nun also die offensichtlich einzige Anästhesistin des Hauses schon aufgeregt an der Einfahrt der Notaufnahme wartet, den Patienten in Empfang nimmt, ihn selbst zum CT oder MRT fährt, die Untersuchung inklusive Diagnostik vornimmt und dann die nötige Operation ansetzt, sie diese dann zu guter Letzt und weil gerade kein Chirurg zur Hand ist auch noch selbst durchführt – ja, dann sind wir in der Sachsenklinik in Leipzig angekommen. Ein Traum. Frau Dr. Globisch, ein Urgestein der Sachsenklinik, die gemeinsam mit drei, vier anderen Ärzten den Alltag eines ganzen Krankenhause wuppt und wahre Wunder bewirkt, zieht wöchentlich mehr als fünf Millionen verträumt schauende Fernsehzuschauer in ihren Bann. Das Ganze schon seit 1998 und offenbar noch bis 2020.

„Nichts bewahrt uns so gründlich vor Illusionen wie ein Blick in den Spiegel.“

(Aldous Huxley (1894–1963), britischer Schriftsteller)

Da sind dann noch die Kolleginnen Azu und Yvonne und die omnipräsente Oberschwester Ingrid, die in schicker, sehr freizeitorientierter Funktionskleidung und immer gut gestylt ihre Schichten nicht nur pragmatisch abarbeiten, sondern auch mit überbordenden Soft Skills glänzen. Kein Problem der Patienten ist zu groß, das nicht sofort durch hohen persönlichen Einsatz gelöst werden könnte. Dazu Oberschwester Ingrids mahnender Blick und leise autoritäre Worte, um alle wieder zur Stationsräson zu bringen. Besonders erstaunt bin ich bei jeder Episode über die fachlichen Kompetenzen der Pflege. Ob Notaufnahme, Station, Intensivstation oder OP – dort können alle alles. Meine Pflegedienstleitung wäre überglücklich, wenn sie über ein derart flexibles Personal verfügen könnte.

Aber wenigstens gibt es dort noch Pflegekräfte. In der nachfolgenden Serie, „In aller Freundschaft – die jungen Ärzte“ kommt der Krankenhausalltag völlig ohne Krankenschwestern oder -pfleger aus. Darüber wären nicht nur meine Pflegedienstleitung, sondern auch unsere Gesundheitspolitiker ganz beseelt. Obwohl, Erstere wäre dann ja gewissermaßen ohne Arbeit. Auch nicht schön! In dieser Klinik jedenfalls stellen sogar Assistenzärzte Medikamente aus, fahren die Patienten von A nach B oder arbeiten die Laboranforderungen ab. Es gibt einen Arzt, der sich als Facharzt für Hand- und plastische Chirurgie vorstellt und dann nebenbei eine Leber transplantiert. Nicht ohne vorher die verschollene Tochter des Patienten zu suchen, um diese zur Lebendspende für ihren Vater zu bewegen. Da geht mir doch das Herz auf! Etwas Sorge bereitet mir, nach all der Unterhaltung und Realsatire, dass gerade die „jungen Ärzte“ von vorwiegend jungem Publikum konsumiert werden, und ich hoffe sehr, dass die Serie nicht zum Berufsberatungswerbeclip mutiert. Wenn sich erst der Eindruck eines lichtdurchfluteten, aus Einzelzimmern bestehenden Krankenhauses mit extrem bemühten, immer anwesenden Assistenzärzten und Patienten ohne jeglichen Pflegebedarf festsetzt und den Wunsch hervorbringt, Krankenschwester werden zu wollen … dann wird der Blick hinter die Kulissen in die Realität bitter.

Übrigens machen diese Serien auch viel mit dem Zuschauer und seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Zumindest mit meiner Mutter. Ich würde es nie wagen, sie zu den Sendezeiten der oben genannten Serien mit einem Anruf oder meiner Anwesenheit zu belästigen. Meine Mutter schwärmt für Dr. Bähr in der Sachsenklinik. Auf die Spitze treibt sie es, wenn sie mit Diagnosen und Behandlungsmethoden um die Ecke kommt, die sie dort gesehen hat und die auf einen von uns zutreffen könnten. Dieses Verhaltensmuster ist ganz und gar nicht einzigartig: Mit dem Phänomen beschäftigen sich bereits Sozial- und Gesundheitswissenschaftler. Eine Studie der University of Rhode Islands ergab: „Wer viele medizinisch geprägte Fernsehsendungen schaut, hat mehr Angst, krank zu werden.“ Es hat sich außerdem gezeigt, dass Fernsehzuschauer solcher Serien weniger Scheu haben, sich in Notfallsituationen zu kümmern, oder dass wiederum andere Konsumenten in ihrer Lebensqualität wegen der Angst vor zu erwartenden Erkrankungen deutlich eingeschränkt werden. Ganz andere werden zum Hypochonder. Gut, ich gehe davon aus, dass eine gewisse Disposition dafür schon vorher angelegt sein musste.

Am Ende ist zu sagen, dass das alles ja nur Unterhaltung sein soll. Früher haben die Menschen triviale Groschenromane gelesen. Heute lassen wir uns von seichten Soaps, Vampirserien, diversen Ermittlern oder eben Krankenhausserien berieseln. Und ganz so mies scheinen diese Serien dann doch nicht zu sein – bei wöchentlich mehreren Millionen Zuschauern und zahlreichen eingeheimsten Preisen. So bekam „In aller Freundschaft“ neben der Goldenen Henne auch den Medienpreis der „Bild“. Und wenn die diesen Preis vergibt, muss ja etwas Wahres dran sein!

In diesem Sinne, Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de