Dtsch Med Wochenschr 2018; 113(13): 982
DOI: 10.1055/a-0600-7962
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zum Beitrag: Medikamentöse Therapie kardiologischer Erkrankungen im Alter

Claudia Stöllberger
1   Krankenanstalt Rudolfstiftung, 2. medizinische Abteilung, Wien
,
Peter Pommer
2   Fachklinik Allgäu, Pfronten
,
Birke Schneider
3   Medizinische Klinik II, Sana Kliniken Lübeck, Lübeck
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
04 July 2018 (online)

Mit Interesse haben wir den Artikel über medikamentöse Therapie kardiologischer Erkrankungen im Alter gelesen [1]. Wir teilen die differenzierte Betrachtung über Vor- und Nachteile einer Therapie mit Betablockern, ACE-Hemmern, AT1-Rezeptorantagonisten und Statinen. Es verwundert allerdings, dass diese differenzierte Betrachtungsweise bei den Empfehlungen zur oralen Antikoagulation (OAK) bei Vorhofflimmern fehlt. Der Autor empfiehlt, nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAK) dem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Phenprocoumon vorzuziehen und beruft sich dabei auf die Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) [2], die jedoch nicht korrekt zitiert werden. Die Leitlinien empfehlen nicht „NOAK dem Phenprocoumon“ vorzuziehen, sondern „Wenn eine orale Antikoagulation begonnen wird bei einem Patienten mit Vorhofflimmern, der für ein NOAK infrage kommt, sollte NOAK einem VKA vorgezogen werden“ [2].

Die Empfehlung basiert auf randomisierten Studien, in denen NOAK mit dem VKA Warfarin verglichen wurden. In diesen Studien war die Qualität der VKA-Therapie mangelhaft: In der Vergleichsstudie mit Dabigatran lag der INR-Wert nur 64 % der Zeit im therapeutischen Bereich, mit Rivaroxaban 55 %, mit Apixaban 62 % und mit Edoxaban 68 %. Eine Ursache für die schlechte Einstellung mit VKA könnte die Verwendung von Warfarin sein, das im angloamerikanischen Raum häufig verwendet wird, hierzulande aber weitgehend unbekannt ist. Warfarin hat eine kürzere Halbwertszeit als Phenprocoumon. Ein europäisches Register hat gezeigt, dass in Deutschland die Zeit im therapeutischen INR-Bereich mit 81 % höher liegt [3]. Mit steigender Güte der INR-Einstellung nehmen die Vorteile von NOAK gegenüber Warfarin ab und sind in westeuropäischen Zentren nicht mehr sicher nachweisbar [4].

Die randomisierten Studien, welche den ESC-Leitlinien zugrunde liegen, wurden von den NOAK-Herstellern gesponsert. Nur 10 – 22 % der Studien-Autoren waren ohne einen Interessenkonflikt (IK), und 9 – 29 % der Autoren waren Angestellte der Hersteller. Auch die meisten „post-Marketing“-Register werden von NOAK-Herstellern gesponsert. Der potenzielle Einfluss der Industrie geht aber weiter: Von den 17 Autoren der ESC-Leitlinie hatten 14 (82 %) einen IK durch Erhalt persönlicher Zahlungen. Die Anzahl der IK lag im Mittel bei 13, und 64 % der Leitlinienautoren hatten Zahlungen von NOAK-Herstellern erhalten. Der Vorsitzende der Leitlinienkommission gab die zweitmeisten IK (n = 30) an, darunter waren IK mit allen 4 NOAK-Herstellern. Es bestehen somit Zweifel an der Unabhängigkeit der Empfehlungen in den ESC-Leitlinien.

Bei der Entscheidung über die OAK betagter Patienten mit Vorhofflimmern sind zu berücksichtigen:

Ältere Menschen

  • leiden häufig an Niereninsuffizienz, die sich innerhalb weniger Tage verschlechtern und zu Blutungen infolge NOAK-Kumulation führen kann [5].

  • stehen häufig unter Polymedikation. Während Medikamenteninteraktionen der VKA bekannt und durch Abweichungen der INR leicht zu erkennen sind, ist dies bei NOAK nicht der Fall [6].

  • neigen zu Stürzen, die unfallchirurgische Eingriffe erfordern. Mangel an Labortests zur Einschätzung der Gerinnungshemmung und Fehlen eines Antidots für 3 der 4 NOAK erschweren die Versorgung.

  • leiden häufig unter kognitiver Beeinträchtigung, was die Adhärenz beeinträchtigt. Die NOAK-Einnahme ist schwierig zu überprüfen, bei der VKA-Therapie ist es einfach.

Es scheint uns voreilig, NOAK bei Betagten mit Vorhofflimmern den VKA vorzuziehen. Angesichts der Häufigkeit von Vorhofflimmern in dieser Altersgruppe besteht ein Bedarf an unabhängigen randomisierten Studien zur Effizienz und Sicherheit der OAK.

 
  • Literatur

  • 1 Schwinger RHG. Medikamentöse Therapie kardiologischer Erkrankungen im Alter. Dtsch Med Wochenschr 2018; 143: 236-243 . doi:10.1055/s-0043-108475
  • 2 Kirchhof P, Benussi S, Kotecha D. et al. 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Europace 2016; 18: 1609-1678 . doi:10.1093/europace/euw295
  • 3 Le Heuzey JY, Ammentorp B, Darius H. et al. Differences among western European countries in anticoagulation management of atrial fibrillation. Data from the PREFER IN AF registry. Thromb Haemost 2014; 111: 833-841 . doi:10.1160/TH13-12-1007
  • 4 Wallentin L, Lopes RD, Hanna M. et al. Efficacy and safety of apixaban compared with warfarin at different levels of predicted international normalized ratio control for stroke prevention in atrial fibrillation. Circulation 2013; 127: 2166-2176 . doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.112.142158
  • 5 Becattini C, Giustozzi M, Ranalli MG. et al. Variation of renal function over time is associated with major bleeding in patients treated with direct oral anticoagulants for atrial fibrillation. J Thromb Haemost 2018; DOI: 10.1111/jth.13985.
  • 6 Stöllberger C. Drug interactions with new oral anticoagulants in elderly patients. Expert Rev Clin Pharmacol 2017; 10: 1191-1202 . doi:10.1080/17512433.2017.1370369