Benennung und Ziele der Technik
Benennung
Es lassen sich drei Hauptwege für das individuelle Stressmanagement unterscheiden:
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Instrumentelles Stressmanagement: Hier wird an den Stressoren angesetzt mit dem Ziel, diese zu beseitigen oder zu reduzieren.
Das kann beispielsweise durch Umorganisation des Arbeitsplatzes und die Organisation
von Hilfe geschehen.
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Mentales Stressmanagement: Hier geht es um eine Veränderung von stressverschärfenden Einstellungen und Bewertungen.
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Palliativ-regeneratives Stressmanagement: Hier geht es um die Regulierung und Kontrolle der physischen und psychischen Stressreaktion.
Dabei kann unterschieden werden zwischen Bewältigungsstrategien, die die akute Stressreaktion
dämpfen (Palliation), und längerfristigen Strategien, die der regelmäßigen Entspannung
und Erholung dienen (Regeneration).
Einordnung nach Grawe
Stressbewältigungstrainings sind vor allem ressourcenorientiert, indem sie an den
vorhandenen Kompetenzen der Teilnehmer zur Belastungsbewältigung ansetzen und diese
stärken und ausbauen wollen. Sie enthalten aber auch problemorientierte Elemente,
wie etwa die Analyse und Bewältigung konkreter alltäglicher Belastungserfahrungen
der Teilnehmer.
Ziele
Das zentrale Ziel von Stressbewältigungstrainings besteht darin, dass die Teilnehmer
verschiedene Strategien zur Stressbewältigung kennenlernen und dadurch ihr persönliches
Bewältigungsrepertoire erweitern.
Voraussetzungen und Indikationen
Voraussetzungen beim Teilnehmer und Therapeuten
Für eine erfolgreiche Teilnahme werden bei den Teilnehmern Selbstreflexions- und Gruppenfähigkeit sowie Eigensteuerungskompetenzen vorausgesetzt.
Wichtig sind beim Therapeuten gute methodische Kompetenzen für die Durchführung der verschiedenen Bausteine (s. u.)
sowie Sicherheit in der Leitung strukturierter Gruppen.
Differenzielle Indikation
Nicht geeignet sind Stressbewältigungstrainings bei Personen, bei denen die o. g.
Voraussetzungen persönlichkeitsbedingt oder aufgrund einer akuten existenziell bedrohlichen
Belastung oder einer vorrangig und spezifisch zu behandelnden psychischen Störung
eingeschränkt sind.
Beschreibung des Vorgehens
Schwerpunkt der Technik
Die Teilnehmer erlernen Strategien des instrumentellen, mentalen und palliativ-regenerativen
Stressmanagements und wenden diese in ihrem Alltag an.
Durchführung
Für die Durchführung von Stressbewältigungstrainings liegen deutschsprachige Manuale
unter anderem vor von Kaluza [3], Wagner-Link [4] sowie Drexler [1]. In diesem Beitrag wird die Trainingspraxis am Beispiel des Gesundheitsförderungsprogramms
„Gelassen und sicher im Stress“ (Kaluza [2]) dargestellt. Konzipiert ist das Programm als fortlaufendes Gruppentraining mit
12 – 16 Trainingssitzungen, die wöchentlich stattfinden. Das Trainingsprogramm besteht
aus 5 Basis- und 5 Ergänzungsmodulen. Die Basismodule bilden das inhaltliche „Pflichtprogramm“,
während die Ergänzungsmodule optional hinzugefügt werden können. Durch den modularen
Aufbau und die Ergänzungsmodule sind eine flexible Kursgestaltung und Schwerpunktsetzung
möglich.
Einstiegsmodul
Die Teilnehmer lernen als grundlegendes Modell des Trainings die sogenannte „Stressampel“
kennen, die eine Differenzierung in äußere Stressoren, innere persönliche Stressverstärker
und Stressreaktionen vornimmt, und beziehen diese auf ihr persönliches alltägliches
Stresserleben. Sie erhalten grundlegende Informationen zur Biologie der akuten und
chronischen Stressreaktion und deren mögliche Folgen für die Gesundheit. Dem ressourcenorientierten
Ansatz entsprechend, tragen die Teilnehmer bisher von ihnen erfolgreich eingesetzte
Strategien zur Stressbewältigung zusammen und ordnen diese einem der drei Hauptwege
des individuellen Stressmanagements (s. o.) zu.
Trainingsmodul 1: Entspannungstraining
Im Rahmen dieses Moduls erlernen die Teilnehmer die progressive Muskelrelaxation.
Diese dient der Erholung und dem Belastungsausgleich und kann insbesondere auch zur
kurzfristigen Bewältigung einer akuten Belastungssituation eingesetzt werden. Ab der
2. Trainingseinheit ist die progressive Muskelrelaxation regelmäßiger Teil des Kurses.
Es beginnt mit einer Langform, die aus 16 Muskelpartien besteht. Im weiteren Verlauf
wird die Entspannungsübung durch Zusammenfassen von Muskelpartien verkürzt. Durch
die regelmäßige Übung wird die Entspannungsfähigkeit trainiert. Den Teilnehmern gelingt
es immer leichter, aus der Anspannung in die Entspannung zu gelangen.
Um Entspannung auch als Bewältigungsstrategie in akuten Belastungssituationen anwenden
zu können, werden die Übungen noch weiter verkürzt, und ein individuelles „Ruhewort“,
mit dem die Entspannungserfahrung auch in Alltagssituationen abgerufen werden kann,
wird eingeführt.
Trainingsmodul 2: Mentaltraining
Die Teilnehmer erfahren die stressverstärkende Wirkung von persönlichen Denkweisen
anhand von Beispielen sowie durch praktische Imaginations- und/oder kleinere Stressinduktionsübungen
in der Gruppe. In der Reflexion tragen sie eigene stressverstärkende Denkweisen zusammen
und lernen die folgenden fünf stressverstärkenden Denkmuster und darauf bezogene förderliche
stressvermindernde Denkmuster kennen:
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Das-gibtʼs-doch-nicht-Denken versus Annehmen der Realität
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Blick auf das Negative versus Blick auf das Positive – Orientieren auf Chancen und
Sinn
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Defizit-Denken versus Stärken-Denken
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Negative-Konsequenzen-Denken versus Positive-Konsequenzen-Denken
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Personalisieren versus Distanzieren und Relativieren
Techniken zur kognitiven Umstrukturierung werden als Möglichkeiten vorgestellt, um
förderliche Denkweisen anzuregen. Beispiele hierfür sind Realitätstestung, Distanzierung
durch Rollentausch und Entkatastrophisieren. Die Teilnehmer wählen sich maximal drei
Techniken aus, die sie in ihrem Alltag regelmäßig einsetzen möchten.
Neben Denkmustern spielen auch Denkinhalte in Form von generalisierten Einstellungen
eine wichtige Rolle für das individuelle Stresserleben. Stressverschärfende Einstellungen
beruhen in der Regel auf einer Übersteigerung an sich normaler menschlicher Motive.
Wir differenzieren entsprechend den mit ihnen jeweils verbundenen Motiven die folgenden
fünf sogenannten „persönlichen Stressverstärker“:
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Leistungsmotiv: Sei perfekt!
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Anschlussmotiv: Sei beliebt!
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Autonomiemotiv: Sei stark!
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Kontrollmotiv: Sei vorsichtig!
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Schonungsmotiv: Ich kann nicht (auch: Ich kann das nicht aushalten)!
Diese werden reflektiert und die Teilnehmer formulieren mithilfe der Gruppe stressvermindernde,
förderliche Gedanken.
Viele Teilnehmer äußern dabei die Schwierigkeit, dass sie vernunftgemäß den Sinn des
stressvermindernden Gedankens erkennen, ihn aber gefühlsmäßig nicht „wirklich glauben“
können. Hier helfen Gruppengespräche und praktische Übungen (z. B. „Kreuzverhör“ und
„stressvermindernde Gedanken einatmen“) die stressvermindernden Kognitionen zu inkorporieren,
sie stärker mit dem Gefühl zu verbinden und sie dann auch im Alltag einsetzen zu können.
Trainingsmodul 3: Problemlösetraining
Es geht um die Auseinandersetzung mit konkreten Belastungen und wie damit umgegangen
werden kann.
Das Problemlösetraining gliedert sich in sechs Schritte:
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Dem Stress auf die Spur kommen: Die Teilnehmer lernen, ihre eigene Belastungssituationen und -reaktionen anhand eines
vereinfachten verhaltensanalytischen Schemas zu beobachten und zu beschreiben.
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Ideen zur Bewältigung sammeln: Die gesamte Kursgruppe hilft bei der bewertungsfreien Suche nach Bewältigungsmöglichkeiten
in Form eines Brainstormings.
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Den eigenen Weg finden: Der betreffende Teilnehmer trifft eine Positivauswahl unter den vorgeschlagenen Bewältigungsmöglichkeiten
und entscheidet sich für einen der (ggf. auch eine Kombination mehrerer) Vorschläge.
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Konkrete Schritte planen: Hier geht es darum, das konkrete Vorgehen bei der Realisierung des ausgewählten Vorschlags
möglichst genau zu planen.
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Im Alltag handeln: Dieser zentrale Schritt des Problemlöseprozesses findet außerhalb der Kursstunden
statt.
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Bilanz ziehen: Hier geht es darum, die Ergebnisse der Durchführung zu bewerten und nach Gründen
für das Gelingen oder Misslingen der Problemlösung zu suchen.
Trainingsmodul 4: Genusstraining
Ziel dieses Moduls ist es, ein individuelles Repertoire palliativer und regenerativer
Aktivitäten im Alltag zu verankern. Die Teilnehmer werden dazu angeregt, eine ganz
persönliche regenerative „Gegenwelt“ zu entdecken, zu entwickeln und gegenüber den
Anforderungen von Beruf und Alltag zu behaupten. In einem ersten Schritt geht es darum,
einen neuen Zugang zu positiven Emotionen zu finden, frühere positive Erlebnisse wiederzubeleben
und Lust auf neue Erfahrungen zu wecken. Hierzu werden erlebnisaktivierende Methoden
des Genusstrainings eingesetzt. In praktischen Übungen wird das Wahrnehmen mit verschiedenen
Sinnen geschult, z. B. anhand verschiedener Düfte oder Materialien. Darüber hinaus
werden die Teilnehmer dazu angeregt, auch in ihrem Alltag bewusster auf Dinge zu achten,
die ihnen guttun, und diese zu genießen. Durch Reflexion dieser kleinen Alltagsfreuden
werden Genussregeln entwickelt wie:
In einem zweiten Schritt geht es von der Erlebens- auf die Verhaltensebene. Die Teilnehmer
planen – möglichst konkret und realistisch – angenehme Aktivitäten (bzw. „Passivitäten“)
von Woche zu Woche, um aktiv einen Belastungsausgleich herbeizuführen. In der Gruppe
reflektieren sie, was bei der Umsetzung gut geklappt hat und wo es ggf. noch Schwierigkeiten
gab. In einem letzten Schritt planen die Teilnehmer ihr „persönliches Gesundheitsprojekt“
mit regelmäßigen angenehmen Aktivitäten zum Belastungsausgleich.
Ergänzungsmodule
Ergänzungsmodul 1: Sport und mehr Bewegung im Alltag Inhalt dieses Moduls sind Sport und Bewegung als grundlegende Strategien der palliativ-regenerativen
Stressbewältigung. Den Teilnehmern werden die positiven Auswirkungen von körperlicher
Aktivität auf die physische und psychische Gesundheit näher gebracht und sie erarbeiten
gemeinsam, wie jeder mehr Bewegung in seinen Alltag bringen kann. Zusätzlich werden
in den Kurssitzungen selbst praktische Bewegungsübungen durchgeführt.
Ergänzungsmodul 2: Sozialer Rückhalt Soziale Unterstützung ist eine wichtige Ressource bei der Bewältigung von Stress
und kann sowohl problem- als auch emotionsregulierend wirken. Die Teilnehmer reflektieren
die Qualität ihres sozialen Netzes anhand einer „mind map“. Im Vordergrund stehen
hierbei vor allem die unterstützenden und vertrauensvollen Beziehungen. Um diese Ressource
weiter auszubauen bzw. zu festigen, formulieren die Teilnehmer „Pflegetipps für das
soziale Netz“ und erproben diese im Alltag.
Ergänzungsmodul 3: Ziele klären und definieren Thema dieses Moduls sind Ziele als Ressource zur Stressbewältigung. Dadurch, dass
die Teilnehmer ihre persönlichen Ziele reflektieren, fällt es ihnen leichter, eigene
Prioritäten zu finden und Anforderungen als Herausforderungen auf dem Weg zum Ziel
wahrzunehmen. In einer Visualisierungsübung entwickeln die Teilnehmer eine positive
Zukunftsvision. Diese Vision dient als Grundlage für die Planung weiterer Schritte
und Ziele in verschiedenen Lebensbereichen.
Ergänzungsmodul 4: Keine Zeit? – Sinnvolle Zeiteinteilung im Alltag In diesem Ergänzungsmodul reflektieren die Teilnehmer ihren persönlichen Umgang mit
ihrer Zeit. Ziel ist es, dass die Teilnehmer erkennen, mit welchen eigenen Verhaltensweisen
und Einstellungen Zeitprobleme mit verursacht werden und wie ein gesundheitsförderlicher
Umgang mit der Zeit aussehen könnte. Hierbei geht es darum, wie die Teilnehmer Prioritäten
unter der Beachtung von Wichtigkeit und Dringlichkeit setzen können, sowie um die
Berücksichtigung ihrer eigenen Leistungskurve bei der Aufgabenplanung. Ein weiterer
wichtiger Punkt ist die Bedeutung von Pausen.
Ergänzungsmodul 5: Quart-A-(4A-)Strategie für den Notfall Thema dieses Ergänzungsmoduls ist der kurzfristige Umgang mit akuten Belastungssituationen.
Es wird den Teilnehmern eine Strategie vermittelt, die zum Ziel hat, akute physische
und psychische Erregung unter Kontrolle zu bekommen, Stresssymptome zu vermeiden bzw.
Stresstoleranz zu entwickeln sowie Handeln – falls erforderlich – möglich und gewollt
zu ermöglichen. Diese Quart-A-(4A-)Strategie besteht aus vier Schritten:
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Annehmen: Das bedeutet, die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist, und beinhaltet zwei Aspekte:
Das möglichst frühzeitige Wahrnehmen von Stresssignalen sowie eine klare und bewusste
Entscheidung für das Annehmen (und damit gegen das Hadern mit der Realität).
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Abkühlen: Das bedeutet, überschießende Erregung in einer akuten Stresssituation zu regulieren.
Wichtig ist auch hier die bewusste Entscheidung für das Abkühlen (und damit gegen
das Hineinsteigern in die Erregung). Für das Abkühlen selbst können kurze Entspannungs-,
Atem- oder Bewegungsübungen angewendet werden.
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Analysieren: Dies bedeutet, sich einen kurzen Moment Zeit zu nehmen, um eine bewusste und schnelle
Einschätzung eigener Kontrollmöglichkeiten (Kann ich momentan etwas tun?) sowie der
subjektiven Bedeutsamkeit der Situation (Ist es mir die Sache wert?) treffen zu können.
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Ablenkung oder Aktion: Je nach Ergebnis der vorangegangenen Kurzanalyse geht es hier entweder um Ablenkung
von der Situation oder um gezielte Aktionen zur Änderung der Situation.
Zu Beachtendes, mögliche Komplikationen
Die häufigste Komplikation und damit Herausforderung für den Therapeuten besteht darin,
dass viele Teilnehmer sich zu Beginn zu einseitig als Opfer äußerer stressreicher
Lebensbedingungen erleben. Empathie für die (An-)Klagen und zugleich Beharrlichkeit
im Aufzeigen von eigenen Handlungsoptionen zusammen können hier einen allmählichen
Wandel vom „Opfer“ zum „Akteur“ einleiten.