Der Klinikarzt 2018; 47(06): 241
DOI: 10.1055/a-0626-3998
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Patient – unser Partner?

Matthias Leschke
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Publication Date:
25 June 2018 (online)

Wir Ärzte sind für unsere Patienten, für die Kranken da. Ohne sie wären wir arbeitslos. Unser ganzes Trachten ist auf den kranken Menschen ausgerichtet. Selbst die Grundlagenforschung, die es nicht mit Menschen, jedoch mit Mäusen zu tun hat, hat letztlich das Wohl der Kranken im Sinn. Und wie beschreiben wir unsere Beziehung zum Patienten?

Der eine Kollege ist ganz Mediziner und sieht in seinem Patienten den Fall, der diagnostiziert und leitliniengerecht behandelt gehört. Eine überaus pragmatische, kühle, ja gewissermaßen geschäftige Beziehung. Der andere Kollege hat es mehr mit der Empathie und sieht in seinem Patienten den Menschen, der an einer leichten oder schweren oder gar zum Tode führenden Krankheit leidet. Natürlich beherrscht er seine Emotionen, denn das fordert die Professionalität, dennoch spürt der Patient, dass dieser Arzt insgeheim auch persönlichen Anteil an seinem Leiden nimmt. Wir kennen den arroganten, den nüchternen Kollegen, den schweigsamen, den gesprächigen, den Skeptiker, den mitreißenden Optimisten. Alle Schattierungen sind möglich. Und alle sind wir Menschen. Dasselbe gilt für unsere Patienten.

Da ist der leise, geduldige, überaus höfliche Patient, dem es beinahe peinlich zu sein scheint, den Arzt mit seiner Krankheit zu belästigen. Ihm kommt selten eine Frage über die Lippen, gottergeben nimmt er hin, was ihm sein Arzt sagt. Da gibt es dann den neugierigen, alles hinterfragenden Patienten, dessen Wissensdurst zur Besserwisserei ausarten kann. Da gibt es aber auch den wirklich kompetenten Patienten, der einigermaßen über seine Krankheit Bescheid weiß und dies im Gespräch durchblicken lässt.

Welcher Patient wäre unser Wunschkandidat? Unter dem Aspekt, mit ihm einen vernünftigen Pakt zu schließen, Heiler und Kranker, zum ausschließlichen Wohle des Patienten? Im Grunde wünschen wir uns doch den idealen Patienten, dem wir nicht alles haarklein und redundant erläutern müssen. Den vielbeschworenen mündigen Patienten, der sich mit seinem Arzt (wie das so schön heißt!) auf Augenhöhe austauscht. Dem der medizinische Zusammenhang keine böhmischen Dörfer sind. Der uns weniger mit tausend Fragen löchert, sondern ganz sachlich Diagnose und Therapiemöglichkeiten diskutiert. Ein frommer Wunsch, dieses Patientenprofil. Es gibt ihn schon, doch dieser Typus ist leider rar. Und das hängt zusammen mit unserer Gesundheitskompetenz.

Mehr als die Hälfte unsrer Bürger verfügt über eine problematische bis unzureichende Gesundheitskompetenz. Health Literacy nennen die Experten diese Fähigkeit. Versorgungsforscher sind in unserer Republik schon lange unterwegs, um die Ursachen dieser Defizite herauszufinden. Die Beipackzettel der Medikamente zu verstehen, Vor- und Nachteile verschiedener Therapiemöglichkeiten zu beurteilen, die Vertrauenswürdigkeit von Informationen in den Medien richtig einzuschätzen, zu wissen, wann es sinnvoll ist, eine Zweitmeinung einzuholen und wie diese zu bewerten ist. Gesundheitskompetenz, um es auf einen Nenner zu bringen, umfasst das Wissen, die Motivation und die Fähigkeit von Zeitgenossen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung, der Krankheitsprävention und der Gesundheitsförderung zu urteilen und Entscheidungen treffen zu können.

Und dabei können wir Ärzte auch mitwirken, natürlich indem wir hier und da Vorträge halten. Wir vergessen aber oft eine Instanz, die medizinisches Wissen ins öffentliche Bewusstsein transportieren kann. Die Selbsthilfe bietet den richtigen Rahmen für mehr Gesundheitskompetenz. Neben der Weitergabe von Erfahrungswissen aus der Perspekive der Betroffenen muss die Selbsthilfe durch eine stärkere Vernetzung mit dem professionellen Gesundheitssystem den Betroffenen auch qualitätsgesichertes und evidenzbasiertes medizinisches Wissen zur Verfügung stellen. Da sehe ich noch ein großes Defizit. So mancher Kollege drückt sich um den Kontakt mit der Selbsthilfe. Weil er skeptisch ist, mit Laien zusammenzuwirken. Weil er fürchtet, dass ihn dies zu viel Zeit kosten könnte. Weil er vielleicht auch die Kompetenz der Selbsthilfe scheut und als Konkurrenz insgeheim betrachtet. Solche Vorbehalte sollten wir über Bord werfen und uns mit den Selbsthilfegruppen unserer Krankheitsentitäten zusammentun. So können wir peu à peu unsere Patienten mündiger werden lassen.