Handchirurgie Scan 2018; 07(03): 180-181
DOI: 10.1055/a-0644-9066
Diskussion
Ellenbogengelenk
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Häufigkeit von Revisionseingriffen nach Osteosynthesen oder Prothesen bei Radiuskopffraktur

Kupperman ES. et al.
Treatment of Radial Head Fractures and Need for Revision Procedures at 1 and 2 Years.

J Hand Surg Am 2018;
43: 241-247
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Publication History

Publication Date:
15 January 2019 (online)

 

    Radiuskopffrakturen vom Typ I und II nach der Mason-Klassifikation können häufig konservativ behandelt werden, bei höhergradigen Frakturen mit komplexen Begleitverletzungen ist dagegen oft ein operativer Eingriff indiziert. Dafür existieren verschiedene Methoden, im Wesentlichen eine offene Reposition und Plattenosteosynthese (open reduction, internal fixation; ORIF) oder eine Resektion des Radiuskopfes mit prothetischem Ersatz.


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    Eine einfache Resektion des Radiuskopfes ohne Ersatz erfolgt dagegen heute nur noch selten, da zunehmend die biomechanische Bedeutung des Radiuskopfes für das Ellenbogengelenk erkannt wird. Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe hat nun versucht, genaue Zahlen für die einzelnen Vorgehensweisen und die jeweiligen Verläufe zu ermitteln.
    Eli Kupperman und sein Team haben dazu Daten eines USA-weit vertretenen privaten Krankenversicherers herangezogen. In der Datenbank suchten sie für den Zeitraum 2007 – 2011 nach der Häufigkeit von Radiuskopffrakturen (einschließlich Frakturen des Radiushalses) insgesamt, dem Anteil der chirurgisch versorgten Frakturen und den jeweils eingesetzten Verfahren. Darüber hinaus beurteilten sie den Verlauf anhand der Revisions-OP-Raten bis Jahr 1 und Jahr 2 und verglichen sie zwischen den Vorgehensweisen. Die Auswertung ergab für den berücksichtigten Zeitraum insgesamt mehr als 58 000 Radiuskopffrakturen. Davon waren

    • 2981 Frakturen (5,1 %) operativ behandelt worden, jedoch

      • nur 3,2 % der isolierten Radiuskopffrakturen, aber

      • 36,3 % der Frakturen mit begleitender Fraktur des Processus coronoideus ulnae (insgesamt n = 769),

      • 23,0 % der Frakturen mit begleitender Ellenbogenluxation (n = 2038) und

      • 9,6 % der Frakturen mit begleitender proximaler Ulnafraktur (n = 7163).

    Insgesamt erfolgte

    • eine ORIF bei 57,1 % der Frakturen,

    • eine Radiuskopfresektion mit prothetischem Ersatz bei 37,9 % und

    • eine einfache Resektion bei 4,9 %.

    Diese Häufigkeiten verschoben sich jedoch, wenn Begleitverletzungen berücksichtigt wurden:

    • Bei Frakturen mit begleitender Fraktur des Processus coronoideus ulnae erfolgte

      • eine ORIF bei 32,6 %,

      • eine Radiuskopfresektion mit prothetischem Ersatz bei 64,2 % und

      • eine einfache Resektion bei 2,5 %;

    • bei Frakturen mit begleitender Ellenbogenluxation

      • eine ORIF bei 41,9 %,

      • eine Radiuskopfresektion mit prothetischem Ersatz bei 54,3 % und

      • eine einfache Resektion bei 3,4 %;

    • bei Frakturen mit begleitender proximaler Ulnafraktur

      • eine ORIF bei 52,6 %,

      • eine Radiuskopfresektion mit prothetischem Ersatz bei 47,2 % und

      • eine einfache Resektion bei 4,1 %.

    Dabei wurde umso eher eine Radiuskopfprothese implantiert (statt der ORIF), je älter die Patienten waren: Bei den 1- bis 19-Jährigen lag der Anteil bei 4,4 % und stieg auf 57,9 % bei den über 50-Jährigen.

    Die Rate der Zweitoperationen und Folgeeingriffe lag nach einem Jahr bzw. 2 Jahren bei

    • 12,7 % bzw. 14,4 % der ORIF-Eingriffe,

    • 8,6 % bzw. 10,7 % der Radiuskopfresektionen mit prothetischem Ersatz und

    • 8,3 % bzw. 8,4 % der einfachen Radiuskopfresektion.

    Die Notwendigkeit von Revisionsoperationen stieg dabei mit zunehmender Komplexität der ursprünglichen Verletzung: Bei isolierten Radiuskopffrakturen lag sie bei 10,9 % bzw. 12,7 %. Am höchsten war sie bei Radiuskopffrakturen mit begleitender proximaler Ulnafraktur mit 17,1 % bzw. 21,3 %.

    Fazit

    Radiuskopffrakturen werden insgesamt relativ selten operativ versorgt, so die Autoren. Die Häufigkeit von Operationen steigt jedoch mit zunehmender Komplexität der Verletzung. Als Einschränkungen gelten aber, dass zum einen die einbezogenen Patienten nicht repräsentativ für die US-amerikanische Bevölkerung sind, so wurden z. B. Medicaid- und Medicare-Versicherte hier nicht berücksichtigt. Außerdem gibt es keine Informationen zu funktionellen Ergebnissen und zum Langzeitverlauf nach Jahr 2. Die Revisionsrate war insgesamt abhängig vom Ausmaß der Verletzung und der primären Prozedur. Sie lag nach Osteosynthesen höher als nach Prothesenimplantationen.

    Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

    Kommentar

    Die gute Nachricht: Die Amerikaner sind bei jungen Patienten zurückhaltend mit der Implantation von Radiuskopfprothesen und tendieren hier, wenn operiert wird, eher zur schwierigeren offenen Reposition und Osteosynthese.


    Die erwartete Nachricht: Ligamentäre Verletzung heilen schlechter als knöcherne. Radiuskopffrakturen mit assoziierten statischen Ellenbogenluxationen (soweit verständlich auf dem initial durchgeführten Röntgenbild, also mit humeroulnarer Dislokation) zeigten nach 1 und 2 Jahren sehr hohe Re-Operationsraten.


    Die schlechte Nachricht: Radiuskopffrakturen mit begleitenden Ulnafrakturen werden scheinbar unterschätzt. Nur 9,6 % dieser Kombinationsverletzungen wurden lt. dieser Studie chirurgisch versorgt und die Re-Operationsrate in dieser Gruppe lag mit 23,1 % nach 2 Jahren am höchsten.


    Damit eine Radiuskopffraktur entsteht, muss meiner Meinung nach eine Subluxation bzw. ein Luxationsmechanismus im Ellenbogengelenk stattfinden. Ligamentäre Zusatzverletzungen unterschiedlichen Ausmaßes und unterschiedlicher Relevanz sind von daher regelmäßig zu erwarten. Im eigenen Vorgehen achten wir insbesondere auf Hinweise für eine mediale ligamentäre Läsion, die sich in Schwellung und Hämatom über den medialen Aspekt des Ellenbogengelenkes äußert – in diesem Fall ist zu erwarten, dass ligamentär und muskulär relevante mediale Zusatzpathologien (auch ohne begleitende Koronoidfraktur) vorliegen und eine konservative Therapie eher nicht Erfolg versprechend ist. Dann fehlt einerseits die ligamentäre mediale Stabilität und andererseits die sekundäre Abstützung für die mediale Stabilität, da der Radiuskopf ja gebrochen ist. In diesem Fall ist eine Osteosynthese des Radiuskopfes und ligamentäre laterale Stabilisierung indiziert und je nach operativem Befund ggf. eine zusätzliche mediale offene Stabilisierung der Bandläsion oder eine externe Fixation zur indirekten Adressierung insbesondere der medialen Instabilität.


    Etwas überraschend ist, dass bei 58 404 Radiuskopffrakturen nur 769-mal eine begleitende Koronoidfraktur (1,3 %) verschlüsselt wurde – vorstellbar ist, dass diese oft übersehen oder auch unterschätzt wird. Bei den Terrible-Triad-Verletzungen liegen häufig transversale Frakturen des Koronoids vor, die früher als Spitzenfrakturen bezeichnet wurden und heute als O’Driscoll 1 klassifiziert werden. Diese können vergleichsweise klein sein und sind erst im CT im vollen Ausmaß einsehbar. Sie sind häufig Zeichen einer Terrible-Triad-Verletzung mit einer anterioren Fraktur des Radiuskopfes, begleitet von einer Bandruptur, insbesondere auch medial. Wenn dabei die anterior-mediale Facette des Koronoids mit involviert ist und nicht adressiert wird, verbleibt eine mediale Instabilität, die zu einer schnell fortschreitenden generellen Schliffarthrose des gesamten Ellenbogengelenkes führt. Wünschenswert wären eine CT-basierte Auswertung und die Zwei-Jahres-Ergebnisse der Radiuskopffrakturen und unterschiedlichen Koronoidfrakturen.


    Im eigenen Vorgehen führen wir standardmäßig ein CT bei Radiuskopffrakturen durch und achten besonders auf potenzielle Koronoidfrakturen, um uns dann für entsprechende Therapie zu entscheiden.


    David Ring (damals am Massachusetts General Hospital, Kollege von Jesse Jupiter) veröffentliche eine viel zitierte Arbeit (JBJS 84-A NO10/2002), in der er aufgrund der schlechten Ergebnisse der Osteosynthese propagierte, dass bei über drei Fragmenten des Radiuskopfes eine Prothese implantiert werden sollte. Mir selbst erschien auf den amerikanischen Kongressen, insbesondere den AAOS-Meetings Anfang der 2000er-Jahre, dass sich dieses Vorgehen bei den amerikanischen Kollegen auch durchgesetzt hat: Die vorliegende Studie widerlegt dies aber und stellt klar, dass insbesondere bei den jüngeren Patienten derm Versuch einer Osteosynthese Vorrang gegeben wird. In wenigen Fällen haben auch wir bei sehr jungen Patienten eine Rekonstruktion des Radiuskopfes „on the table“ durchgeführt und mit früher Metallentfernung und Arthrolyse mittelmäßig gute Ergebnisse erzielt. Wir denken, dass die Implantation einer Radiuskopfprothese (Hemiendoprothese), insbesondere beim jungen Patienten, nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden sollte. Andererseits ist bei komplexen Brüchen des Ellenbogengelenkes mit Zusatzverletzungen des Koronoids bzw. der lateralen oder medialen Bänder oder der Ulna eine stabile radiale Säule notwendig, damit die Zusatzverletzungen ausheilen können. Von daher implantieren wir auch bei sehr jungen Patienten, wenn eine Rekonstruktion primär oder sekundär nicht erfolgreich war, eine Radiuskopfprothese, damit insbesondere die ligamentären Zusatzverletzungen, aber auch das Koronoid bzw. die proximale Ulna stabil ausheilen können. Ob die Radiuskopfprothese dann nach Ausheilung der Zusatzverletzungen sekundär wieder entfernt werden sollte, bleibt offen und wird bis dato mit regelmäßiger Frequenz nicht durchgeführt.


    Autorinnen/Autoren

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    Prof. Lars P. Müller, Schwerpunkt: Unfall-, Hand- und Ellenbogenchirurgie, Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum (AÖR), Köln

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    Prof. Lars P. Müller, Schwerpunkt: Unfall-, Hand- und Ellenbogenchirurgie, Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum (AÖR), Köln