Z Gastroenterol 2018; 56(09): 1186-1187
DOI: 10.1055/a-0671-6881
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Regress-Androhung als Druckmittel der Krankenkassen

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Publication Date:
17 September 2018 (online)

Gastroenterologisch tätige Ärzte sind einer schwer zu verkraftenden Willkür bei den Kriterien für Regressprüfungen ausgesetzt. Sie werden in unangemessene Vergleichsgruppen gesteckt, müssen für sie alltägliche Therapieumstände als Praxisbesonderheiten geltend machen und sind beispielsweise in Niedersachsen der ungebremsten Findigkeit von Krankenkassen bei der Suche nach neuen Regresskriterien ausgesetzt.

In Niedersachsen werden für die Festlegung der eine Prüfung auslösenden Verordnungsgrenze die durchschnittlichen Verordnungskosten in definierten Vergleichsgruppen ermittelt. Eine Prüfung der persönlichen Arzneimittelausgaben wird immer dann ausgelöst, wenn die durchschnittlichen Verordnungskosten in der Vergleichsgruppe um mehr als 50 Prozent überschritten werden. Entscheidend ist aber, welche Ärzte in unsere Vergleichsgruppe hineingenommen werden. In Niedersachsen sind dies alle Gastroenterologen und gastroenterologisch tätigen Internisten. Der Grad der Spezialisierung der Praxen spielt keine Rolle.

Wie undifferenziert dabei vorgegangen wird, zeigt sich anhand der häufigsten Verordnungen in der „Vergleichsgruppe Gastroenterologie“. Hier steht nach Omeprazol das Metoprolol an zweiter Stelle. Einen weiteren Hinweis liefern die durchschnittlichen Therapiekosten bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, die pro Patient mit 150 Euro pro Quartal beziffert sind. Legt man die unkomplizierte Colitis ulcerosa mit den Kosten der einfachen Erhaltungstherapie mit 2 g Mesalazin pro Tag mit Kosten von rund 180 Euro zugrunde, wird das Problem der Vergleichbarkeit offenkundig.

Wenn die ungefilterten Medikamentenkosten eines verordnenden Arztes die zulässige Höchstmenge überschreiten, folgt die Regressvorankündigung, die eine offizielle Beratung durch die Prüfungsstelle nach sich zieht. Diese Beratung soll das individuelle Verordnungsverhalten systematisch darstellen, die Praxisbesonderheiten oder individuelle Verordnungsbesonderheiten aufdecken und es der bzw. dem Betroffenen dann ermöglichen, das Verordnungsverhalten zu ändern. In diesem Rahmen können Praxisbesonderheiten anerkannt und bei der nächsten Prüfung berücksichtigt werden. Praxisbesonderheiten können der Prüfungsstelle auch vorab dargelegt werden. Eine entsprechende Aufstellung ist allerdings nur mithilfe von Computer-Tools möglich, welche die KV im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit zur Verfügung stellt. Der Regress droht, wenn das Verordnungsverhalten bei einer Folgeprüfung dann erneut beanstandet wird.

Umständlich müssen patientenbezogene Praxisbesonderheiten für den einzelnen Patienten dargestellt werden und können dann vor dem Vergleich mit den durchschnittlichen Verordnungskosten abgezogen werden. Ein Zeitaufwand, der zusätzlich zur Versorgung der meist aufwendigen Patienten kommt und nur der Bürokratie dient, aber nicht der Betreuung der Patienten. Infrage kommen hier Betroffene mit besonderen Diagnosen, zum Beispiel seltenen Immunerkrankungen, Kurzdarmsyndrom oder Patienten mit schweren Krankheitsverläufen, so zum Beispiel CED-Patienten mit teuren Antikörpertherapien oder Hepatitis-Patienten mit einer antiviralen Therapie.

Eine systematische Praxisbesonderheit wird in Niedersachsen anerkannt, wenn pro Quartal 30 Prozent mehr Patienten mit einer Diagnose behandelt werden als in der Vergleichsgruppe üblich, z. B. wenn eine besondere Expertise im CED-Bereich zu überdurchschnittlich vermehrten Überweisungen führt. Die Anerkennung einer Praxisbesonderheit wird von der Prüfungsstelle bearbeitet und gilt jeweils für das geprüfte Jahr. Aber auch diese muss jedes Mal erneut beantragt werden.

Um die allgegenwärtigen Regressdrohungen abzuwenden, haben mehrere Kassenärztliche Vereinigungen der Länder Quotenregelungen eingeführt. Hier wird bei Einhaltung bestimmter Quoten von einer Prüfung der Verordnungskosten abgesehen. So wurde in den meisten Bundesländern eine Biosimilarquote eingeführt. In Niedersachsen problematisch ist eine zusätzlich geforderte „Generika-Quote“, die ebenfalls eingehalten werden muss, um eine Regressprüfung zu vermeiden. Bei der Festlegung dieser Quote werden alle generikafähigen Verordnungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Verordnungen gegenübergestellt. Dies führt zu einem schiefen Bild, da auch alle Medikamente einbezogen werden, für die es keinen Generikamarkt gibt. Da Biosimilars per Definition nicht „generikafähig“ sind, werden diese nicht zu der Quote der generikafähigen Medikamente gezählt, sondern auf die „Malusseite“ der Generikaquote gerechnet.

Die auf den ersten Blick mit den Quotenbildungen verlockende Wende in der Regresspolitik ändert nichts an der Tatsache, dass bei der Erstellung der fachspezifischen Quoten auch hier die oben schon als problematisch geschilderte Bildung der Vergleichsgruppe für die Bewertung ausschlaggebend ist. In der heterogenen „Vergleichsgruppe Gastroenterologie“ werden Quoten festgelegt, die für rein gastroenterologisch oder fachspezifisch aufgestellte Praxen kaum erreichbar sind. Wenn die Zielquoten verfehlt werden, greift wieder die alte Regressregelung.

Völlig unabhängig von allen Absprachen in den Prüfgremien der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen in Bezug auf den Regressprüfungsverzicht hat die größte Krankenkasse Niedersachsens neue Formen von Regressprüfungen eingeführt. Bei der Indikationsprüfung wird der dokumentierte ICD-10-Code von den Krankenkassen mit der verordneten Therapie abgeglichen. Wenn dort keine Indikation für das verordnete Medikament angegeben ist, kommt es zum Regress. Deshalb muss unbedingt jede indikationsgerechte Diagnose kodiert werden, z. B. ein Gallensäureverlustsyndrom bei der Verordnung von Colestyramin. Bei Medikamenten außerhalb der Zulassung (z. B. Purinethol bei CED) sollte vor Einsatz eine Prüfung durch den MDK und eine Kostenzusage der Krankenkasse erfolgen, um unübersichtliche und unkalkulierbare spätere Regressforderungen zu vermeiden.

Darüber hinaus kann bei jeder Medikation durch die Krankenkasse eine Jahresgesamtmenge anhand der zugelassenen Dosierung errechnet werden. Wird diese deutlich überschritten, fordert die Krankenkasse ggf. eine Rückerstattung für die aus ihrer Sicht zu viel verordneten Medikamente. Hier sind medizinische Begründungen und gutachterliche Stellungnahmen meist wirkungslos. Auch ethisch-moralische Grenzen (z. B. Schmerzpatienten in der Palliativsituation) werden nicht akzeptiert und der Gang vor das Sozialgericht wird von den Kostenträgern nicht gescheut.