Schlüsselwörter
foetal period - gestational diabetes - metabolic defects
Einleitung
Die Aufnahme des Screenings auf Gestationsdiabetes (GDM) in die deutschen Mutterschafts-Richtlinien
2012 und die Publikation einer Vielzahl von neuen Studien führen zu klinikrelevanten
Änderungen in der Versorgung der Schwangeren mit GDM, die in der im März diesen Jahres
erschienenen neuen S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge bei Gestationsdiabetes
(AWMF 057/008) berücksichtigt wurden. Einige Aspekte werden im Folgenden dargestellt
und auf der Basis von weiteren Hintergrundinformationen diskutiert.
Widersprüchliche Daten zur Prävalenz
Widersprüchliche Daten zur Prävalenz
Gestationsdiabetes hat inzwischen die hypertensiven Erkrankungen eingeholt in der
Reihenfolge der häufigsten Schwangerschaftskomplikationen. Laut Perinatalerhebung
wurde 2017 in Deutschland bei 5,9% (44 907) der Schwangeren ein GDM dokumentiert,
die Prävalenz ist damit im Vergleich zu 2016 erneut um 10,5% angestiegen. Trotz eines
Anstiegs von 4,4 auf 5,9% seit Einführung des Screenings liegt Deutschland jedoch
im europäischen Vergleich noch im unteren Bereich. Die Prävalenzdaten der Perinatalerhebung
decken sich nicht mit einer Auswertung von Leistungsdaten aller gesetzlichen Krankenkassen
(2014 – 2015) durch die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) [1]. Danach wäre die Prävalenz mit 13,2% deutlich höher. Betrachtet man die Zahlen detailliert,
fallen etliche Widersprüche auf, die an der Validität der Datenauswertung der KBV
zweifeln lassen ([Abb. 1]):
Abb. 1 Screeningumsetzung und GDM-Prävalenz nach Testverfahren [1]. Äußerer Ring: Verteilung der Testverfahren bzw. kein Test, innerer Ring: Schwangere
mit GDM-Diagnose. GDM: Gestationsdiabetes mellitus.
-
1,3% Fälle mit vorbestehendem Diabetes wurden für die angegebene GDM-Prävalenz von
13,2% mit berücksichtigt.
-
Bei 1,8% der Fälle wurde die Diagnose GDM ohne jeglichen Glukosetest gestellt.
-
Bei 4,4% der Schwangeren wurde die Diagnose alleinig aufgrund des 50-g-Suchtests gestellt.
Das müsste bedeuten, dass 4,4% aller deutschen Schwangeren im Suchtest einen Blutzuckerwert
> 200 mg/dl gehabt haben müssten. Das ist unrealistisch.
-
Es wurde von 12 300 Fällen mit manifestem Diabetes berichtet, im Gegensatz zu 6500
Fällen in der Auswertung der Perinatalerhebung des gleichen Zeitraums. Es ist vorstellbar,
dass in der Kreißsaalhektik die Codierung eines GDM vergessen wird, allerdings fraglich
bei ⅔ aller Gestationsdiabetikerinnen und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass dies
bei 50% aller Typ-1-Diabetikerinnen passiert sein soll. Diese Frauen gelten als Hochrisikoschwangere.
Wahrscheinlich liegt die „Wahrheit“ der Prävalenz bei 7 – 10%.
Wie ist die Validität des Screenings auf GDM basierend auf dem 50-g-Suchtest?
Wie ist die Validität des Screenings auf GDM basierend auf dem 50-g-Suchtest?
Die Autoren der KBV-Erhebung bewerteten aufgrund der eigenen Daten die Einführung
und den Modus des Screenings als positiv. Die Bewertung bezieht sich jedoch nur auf
die Frage, ob ein flächendeckendes Screening umgesetzt wurde (80% aller Schwangeren)
und wie viel Prozent der Schwangeren der 75-g-oGTT erspart werden konnte (63,3%).
Die Leitliniengruppe hat sich jedoch in einer ausführlichen Literaturrecherche damit
beschäftigt, welche Validität von dem geforderten 2-stufigen Screening mit obligatem
50-g-Suchtest als primärem Test zu erwarten ist. Folgende kritische Punkte ergaben
sich aus den vorhandenen Studiendaten:
-
Die Testvalidität des 50-g-Tests ist von der Tageszeit der Durchführung und dem zeitlichen
Abstand zur letzten Nahrungsaufnahme abhängig.
-
Die Grenzwerte für den 50-g-Test wurden in den 60er-Jahren arbiträr festgelegt, während
die WHO-Grenzwerte (= IADPSG-Kriterien) für den oGTT evidenzbasiert sind.
-
Je nach verwendeten Grenzwert schwankt in der Literatur die Sensitivität erheblich,
für den in der Mutterschafts-Richtlinien (MuRiLi) verwendeten Wert von 135 mg/dl liegt
sie zwischen 55 – 98% [2].
-
Alle Studien zur Validität des 50-g-Tests stammen primär aus den 90er-Jahren und basieren
auf heute nicht mehr gültigen diagnostischen Kriterien für GDM. Das heißt, es gab
bis jetzt keine Daten zur Sensitivität nach aktuellen GDM-Kriterien.
-
Laut HAPO-Studie lag bei 33% der Frauen mit GDM alleinig eine Erhöhung des Nüchternwertes
vor, dieser wird durch den 50-g-GCT nicht erfasst [3]. Der Nüchternwert zeigte jedoch in der HAPO-Population die engste Korrelation zu
ungünstigem Schwangerschaftsoutcome.
-
In der Praxis kommt es zum Teil zu erheblicher zeitlicher Verzögerung bis zum Therapiebeginn
wegen langer Zeitspanne zwischen 50-g-Test und 75-g-oGTT.
BEGIP-Studie bestätigt niedrige Sensitivität des 50-g-Tests
BEGIP-Studie bestätigt niedrige Sensitivität des 50-g-Tests
Im Juni dieses Jahres wurde die Auswertung der BEDIP-Studie [4] veröffentlicht, die aktuelle Daten zur Sensitivität des 50-g-Suchtests liefert.
Bei 1583 Schwangeren wurde mit 24 – 28 SSW sowohl ein 50-g-Test als auch ein 75-g-oGTT
mit Bewertung nach den aktuellen IADPSG-Kriterien durchgeführt. Der in den MuRiLi
festgelegte Grenzwert von 135 mg/dl (7,5 mmol/l) hat demnach nur eine 66%ige Sensitivität
([Tab. 1]), Schwangere mit Risiko für GDM zu erfassen. Es ist zu vermuten, dass primär die
33% Schwangeren mit isoliert erhöhtem Nüchternblutzucker nicht erfasst werden [3]. Um 77% zu erreichen, müsste der Grenzwert auf 120 mg/dl abgesenkt werden, was zur
Folge hätte, dass 40,8% der Schwangeren einen auffälligen Wert hätten und damit durch
Anschluss des 75-g-oGTTs doppelt getestet werden. Das ist wohl weder im Interesse
der Schwangeren noch ökonomisch effektiv. Die vollständigen Ergebnisse werden beim
DGGG-Kongress im November in Berlin von der Studienkoordinatorin Katrien Benhalima
präsentiert. Die Gruppe analysierte zudem, ob sich anhand von maternalen Charakteristika
eine Gruppe eingrenzen lässt, bei der ein Risiko für GDM durch einen Grenzwert von
130 mg/dl nicht erfasst wird. Die Daten sind noch nicht publiziert.
Tab. 1 Sensitivität und Spezifität des 50-g-Suchtests, Schwangere mit Risiko für GDM zu
identifizieren bei verschiedenen Grenzwerten; 1583 Schwangere erhielten mit 24 – 28 SSW
einen 50-g-Test gefolgt von einem 75-g-oGTT unabhängig vom Ergebnis des 50-g-Tests
[3].
Grenzwert 50-g-Test
|
Prävalenz GDM (%)
|
Sensitivität (%) (n/N)
|
Spezifität (%) (n/N)
|
≥ 140 mg/dl
|
7,5 (136)
|
59,6 (136/228)
|
81,0 (1282/1583)
|
≥ 135 mg/dl
|
8,3 (151)
|
66,2 (151/228)
|
76,1 (1204/1583)
|
≥ 130 mg/dl
|
9,1 (165)
|
72,4 (165/228)
|
70,2 (1111/1583)
|
≥ 125 mg/dl
|
9,8 (177)
|
77,6 (177/228)
|
64,2 (1016/1583)
|
≥ 120 mg/dl
|
10,3 (187)
|
82,0(187/228)
|
56,0 (886/1583)
|
Die neue GDM-Leitlinie wurde vor Veröffentlichung der BEDIP-Studie abgeschlossen,
daher konnten die Ergebnisse nicht mit aufgenommen werden. Die GDM-Leitliniengruppe
hat jedoch in den Empfehlungen bereits die Problematik der Sensitivität des 50-g-Tests
berücksichtigt. Basierend auf der vorliegenden Evidenz und der klinischen Erfahrung
der letzten beiden Jahre wurden die Empfehlungen in [Tab. 2] formuliert. Die Expertengruppe ist sich des Konfliktpotenzials dieser Empfehlungen
für die Umsetzung in den klinischen Alltag bewusst, aber entsprechend den Auflagen
bei der Erstellung von S3-Leitlinien ist die Orientierung an der Evidenz bindend.
Es gibt inzwischen 5 Cochrane Reviews 2010, 2014, 2015 und 2 in 2017 nach Abschluss
der Literaturrecherche für die Leitlinie [5], [6], die unisono zu dem Ergebnis kommen, dass die Datenlage unzureichend ist, um zu
entscheiden, welches Screeningprozedere zu einem verbesserten maternalen und neonatalen
Outcome führt. Der Outcomeparameter bei den bisherigen Studien ist primär die Prävalenz
von GDM, die erwartungsgemäß bei generellem Screening höher ausfällt als bei selektivem
Testen bei Risikofaktoren und bei 1-zeitigem Screening mit 75-g-oGTT im Vergleich
zu 2-zeitigem mittels 50-g-Test. Es gab bisher keinen RCT mit ausreichender Fallzahl,
der das Outcome bei Screening mit 50-g-Test vs. 75-g-Test untersucht.
Tab. 2 Empfehlungen zum Screening auf GDM, aus AWMF 057/008.
Empfehlungen zum Screening auf GDM
|
Empfehlungsgrad
|
Nach der vorliegenden Evidenz soll bei Schwangeren ein 75-g-oGTT zwischen 24 + 0 SSW
und 27 + 6 SSW durchgeführt werden.
|
A
|
Nach den deutschen Mutterschafts-Richtlinien sollte primär ein Screening durch einen
50-g-Suchtest durchgeführt werden. Wegen fraglicher Validität entspricht dies nicht
den Empfehlungen der Fachgesellschaften.
|
B
|
Wird entsprechend der deutschen Mutterschafts-Richtlinien ein 50-g-GCT zwischen 24 + 0 SSW
und 27 + 6 SSW durchgeführt, sollte im Falle eines negativen GCT ergänzend die Nüchternblutglukose
bestimmt werden.
|
B
|
Bei negativem GCT soll bedacht werden, dass es keine aktuellen Daten zur Sensitivität
des GCT gibt. Deshalb soll bei klinischen Anzeichen (asymmetrisches übermäßiges Wachstum
zugunsten des Abdominalumfangs, Polyhydramnion, maternale Glukosurie) unabhängig vom
Vorbefund ein zusätzlicher 75-g-oGTT durchgeführt werden.
|
A
|
Es kann sicher nicht das Ziel der Schwangerenvorsorge sein, durch Einführung von Screeninguntersuchungen
die Anzahl der „Risikoschwangeren“ ständig zu erhöhen. Die Tendenz geht leider in
diese Richtung, aber bei der Diskussion darf nicht außer Acht gelassen werden, dass
aufgrund der Änderung der Bevölkerungsstruktur und der medizinischen Gegebenheiten
junge Schwangere ohne bereits in die Schwangerschaft eingebrachte Risiken wie Adipositas,
höheres Alter, Sterilitätsbehandlung, Mehrlingsschwangerschaften etc. immer seltener
werden. Zudem steigt die Diabetesprävalenz in der Bevölkerung stetig an.Vielleicht
muss man neu diskutieren, ob eventuell die IADPSG-Kriterien, die auch von der WHO
übernommen wurden, für GDM für manche Populationen zu niedrig angesetzt sind, wie
es kürzlich in einer Studie aus Dänemark gefordert wurde: Gestational Diabetes Mellitus:
Does One Size Fit All? A Challenge to Uniform Worldwide Diagnostic Thresholds [7]. Nüchternglukosewerte mit 24 – 28 Schwangerschaftswochen wurden mit dem Schwangerschaftsoutcome
korreliert. Wenn der Nüchterngrenzwert der IADPSG-Kriterien von 92 mg/dl (5,1 mmol/l)
angewandt worden wäre, hätten 40,1% der Schwangeren in Dänemark GDM gehabt. Das Outcome
(LGA, Präeklampsie, Sectio) unterschied sich jedoch nicht von denen mit Nüchternwert
< 100 mg/dl (5,6 mmol), dem in Dänemark gültigen Grenzwert. Es ist jedoch gegenüber
den Schwangeren in Deutschland schwierig zu vertreten, dass nur ein Screeningprozedere
als Kassenleistung übernommen wird, das basierend auf den in den Mutterschafts-Richtlinien
festgelegten diagnostischen Kriterien nur 66% der Frauen mit Risiko für GDM erfasst.
Es sind in Deutschland aufgrund der Evidenz der HAPO-Studie die IADPSG-Kriterien für
GDM übernommen worden. Es wäre daher eine logische Konsequenz, ein Screening mit einer
akzeptierbaren Sensitivität entsprechend diesen Kriterien anzubieten.
Deshalb wird basierend auf Daten der BEDIP-Studie die AG Geburtshilfe und Pränatalmedizin
der DGGG beim G-BA einen Antrag auf Wiederaufnahme der Beratung zum GDM-Screening
stellen, um eine Klärung für das Vorgehen in der Praxis zu erreichen.
oGTT nach batriatrischer Operation obsolet
oGTT nach batriatrischer Operation obsolet
Nach operativen Verfahren, die die Resorption beeinflussen, ist eine GDM-Diagnostik
über einen oralen Glukosetoleranztest nicht möglich, wegen des Dumping-Phänomens ergeben
sich falsch negative Befunde. Es ist möglich, einen venösen Nüchternblutzuckerwert
zu bestimmen und auf dieser Basis bei Überschreiten die Diagnose GDM zu stellen. Bei
unauffälligem Nüchternwert kann zur Abklärung einer behandlungsbedürftigen postprandialen
Hyperglykämie ein Monitoring durch Blutzuckertagesprofile für 2 Wochen von postprandialen
1-Stunde-Blutzuckerwerten (2-Stunden-Werte sind nicht aussagefähig) unter normalen
Ernährungsbedingungen zum Beispiel mit 12, 24 und 32 SSW empfohlen werden und bei
Überschreiten der Zielwerte eine entsprechende diabetologische Betreuung. Für dieses
Vorgehen gibt es bisher keine Studien. Die AG G der DGGG hat eine S3-Leitlinie initiiert
zur „Adipositas und Schwangerschaft“, die weitreichend auf die Besonderheiten in der
Schwangerenvorsorge eingehen wird.
Blutglukosemessung nur valide mit Glykolysehemmung durch Citratpuffer
Blutglukosemessung nur valide mit Glykolysehemmung durch Citratpuffer
Ein maßgebliches Problem bei der Glukosebestimmung sind falsch negative Befunde durch
unzureichende Glykolysehemmung bei Probenversand. Bei Versand von venösen Vollblutproben
muss das Entnahmegefäß nach den neusten Richtlinien neben einem Gerinnungshemmer und
Natriumfluorid (NaF) zusätzlich den sofort wirksamen Glykolysehemmer Citrat/Citratpuffer
enthalten. NaF wirkt erst nach ca. 2 Stunden, mit vollständiger Wirkung nach ca. 4
Stunden. NaF in Kombination mit Citrat hemmt mit jedoch mit sofortiger Wirkung die
Glykolyse. Diese Abnahmesysteme müssen den Einsendern vom Labor zur Verfügung gestellt
werden. Dies geschieht jedoch nicht flächendeckend. Zu Beginn gab es Probleme mit
eingesandten Proben, da nur bei vollständige Befüllung der Gefäße (Verdünnungsfaktor!)
eine valide Messung möglich ist.
Geänderte Bevölkerungsstruktur erfordert Screening in der Frühschwangerschaft
Geänderte Bevölkerungsstruktur erfordert Screening in der Frühschwangerschaft
36% der Schwangeren in Deutschland sind übergewichtig oder adipös mit steigender Tendenz
(IQTiG 2017), dazu kommen Frauen aus ethnischen Gruppen mit hohem Diabetesrisiko und
das steigende Alter. Aufgrund der Zunahme von Schwangeren mit zuvor nicht diagnostiziertem
Typ-2-Diabetes oder entsprechenden Vorstufen wäre ein Screening im 1. Trimenon in
dieser Bevölkerungsgruppe wünschenswert. Die frühzeitige Erfassung eines Typ-2-Diabetes
ist nicht Bestandteil der Mutterschafts-Richtlinien.
Am besten untersucht ist der Nüchternblutzuckerwert und der HbA1c hinsichtlich der Risikoabschätzung in der Frühschwangerschaft ([Tab. 3]). Der Nüchternwert hat einen guten prädiktiven Wert für die Entstehung eines GDM
in Verlauf der Schwangerschaft. Ab einem Wert von 92 mg/dl (5,1 mmol/l) im 1. Trimenon
steigt die Prävalenz von späterem GDM deutlich [8]. Ein Nüchternwert von 92 mg/dl (5,1 mmol/l) wurde deshalb als Cut-off für weitere
Diagnostik gewählt. Bei einem Blutglukosewert im venösen Plasma ≥ 92 mg/dl (5,1 mmol/l)
sollte eine Zweitmessung am nächsten Tag erfolgen. Die Blutglukosemessungen müssen
Laborstandard erfüllen. Das Ergebnis der Zweitmessung entscheidet, beide Messungen müssen über dem Grenzwert liegen, sonst kann die Diagnose GDM nicht gestellt
werden.
Tab. 3 Nüchternblutzucker im 1. Trimenon und GDM-Diagnose-Stellung im 3. Trimenon durch
75-g-oGTT [8].
Nüchternblutzucker (mmol/l)
|
n (%)
|
GDM
n (% Outcome)
|
> 4.1
|
1938 (11,3)
|
186 (9,6)
|
4,10 – 4,59
|
7055 (41,1)
|
872 (12,4)
|
4,6 – 5,09
|
6234 (36,3)
|
1165 (18,7)
|
5,10 – 5,59
|
1668 (9,7)
|
617 (37,0)
|
5,6 – 6,09
|
226 (1,3)
|
119 (52,7)
|
6,10 – 6,99
|
65 (0,4)
|
43 (66,2)
|
Total
|
17 186 (100,0)
|
3002 (17,5)
|
Ähnlich gute Validität hat der HbA1c, weshalb er als Screeningmethode mit aufgenommen wurde. Der HbA1c sinkt von Konzeption an mit einem Nadir im frühen 2. Trimenon, die HbA1c-Werte bleiben während der gesamten Schwangerschaft insgesamt niedriger als bei Nichtschwangeren.
Ein Werte von < 5,9% gilt als unauffällig, bei einem HbA1c zwischen 5,9 – 6,5% sollte zusätzlich ein oGTT zum Ausschluss eines Diabetes durchgeführt
werden, das entspricht dem Prozedere der aktuellen Praxis-Empfehlungen zur Diagnostik
des Diabetes der DDG [9]. Der oGTT wird jedoch nach IADPSG/WHO-Kriterien für die Schwangerschaft beurteilt.
Unklar ist bisher, welches Testverfahren und welche Grenzwerte in der Frühschwangerschaft
am sensitivsten und praktikabelsten ist. Die WHO empfiehlt die Anwendung der IADPSG-Kriterien
für den oGTT zu jedem Zeitpunkt in der Schwangerschaft (apps.who.int/iris/bitstream/10665/85975/1/WHO_NMH_MND_13.2_eng.pdf).
Die IADPSG-Kriterien sind in der Frühschwangerschaft jedoch nicht evaluiert, nur für
24 + 0 – 28 + 0 SSW. Zurzeit fehlen zudem noch randomisierte Studien, ob und welche
Intervention in der Frühschwangerschaft das maternale und neonatale Outcome verbessert.
Es gibt jedoch gute Daten, dass ein „früher“ GDM mit einem ungünstigen Schwangerschaftsoutcome
einhergeht [10].Vom klinischen Standpunkt her kann eine frühzeitige Beratung und individuell angepasste
Intensität der Intervention nur von Vorteil sein. Wünschenswert wäre die Aufnahme
einer strukturierten Ernährungs- und Lifestyleberatung für alle Schwangeren in der
Frühschwangerschaft in die Mutterschafts-Richtlinien.
Therapeutische Intervention- so wenig wie möglich, so viel wie nötig
Therapeutische Intervention- so wenig wie möglich, so viel wie nötig
Es werden weiterhin aus Unsicherheit und Besorgnis zu viele Blutzuckermessungen von
Diabetologen empfohlen. So werden nicht selten auch bei stabil normalen Werten tägliche
Tagesprofile mit 6 Messungen durchgeführt. Seit Neuestem wird sogar gelegentlich eine
kontinuierliche Blutzuckermessung (CGM) verordnet, was Typ-1-Diabetikerinnen vorbehalten
ist, bei GDM eine unnötige Belastung der Schwangeren darstellt und die Kosten der
Betreuung erhöht. Die Messhäufigkeit ist basierend auf Interventionsstudien in der
Leitlinie festgelegt ([Tab. 4]): Für die ersten 1 – 2 Wochen 4-Punkte-Profil – morgens nüchtern und 1 oder 2 Stunden
nach Beginn der Hauptmahlzeiten. Sind alle Werte innerhalb der ersten 2 Wochen im
Zielbereich, wird nachfolgend auf eine einzige tägliche Messung im Rotationsverfahren
oder ein 4-Punkte-Profil 2 ×/Woche reduziert. Häufigkeit und Zeitpunkt der Selbstkontrollen
können individuell gemäß den gemessenen Ergebnissen fortlaufend angepasst werden.
Im Vordergrund soll jedoch eine möglichst geringe Belastung der Schwangeren und eine
Beschränkung der Selbstkontrollen auf das entscheidungsrelevante Minimum stehen. Die
behandelnden Gynäkologen können dazu beitragen, indem sie sich in die diabetologische
Betreuung involvieren, sich bei den Vorsorgeterminen die Blutzuckertagebücher zeigen
lassen und auch Insulinindikationen mal kritisch hinterfragen.
Tab. 4 Empfehlungen zur Therapie des GDM, Zusammenstellung von Empfehlungen aus AWMF 057/008.
Empfehlungen zur Therapie
|
Empfehlungsgrad
|
Bei Festlegung der Frequenz der Blutzuckerkontrollen soll eine möglichst geringe Belastung
der Schwangeren und eine Beschränkung der Selbstkontrollen auf das entscheidungsrelevante
Minimum im Vordergrund stehen.
|
A
|
Schwangere mit GDM sollen auf die negativen Auswirkungen einer übermäßigen Gewichtszunahme
hingewiesen werden.
|
A
|
Bei Adipositas kann die Gewichtszunahme auch darunterliegen.
|
C
|
Eine Indikation zur Insulintherapie soll nur gestellt werden, wenn 50% der Werte überschritten
sind innerhalb einer Woche, das kann auch für einzelne tagesspezifische Messungen
gelten.
|
A
|
Die Indikation soll sorgfältig und streng geprüft werden, da eine Insulintherapie,
neben der Belastung der Schwangeren, maßgebliche geburtsmedizinische Auswirkungen
wie eine Einleitung am Termin nach sich zieht.
|
A
|
Bei Schwangeren mit GDM und Verdacht auf ausgeprägte Insulinresistenz mit sehr hohem
Insulinbedarf sowie nach individueller Indikationsstellung kann die Gabe von Metformin
nach therapeutischer Aufklärung über den Off-Label-Use erwogen werden.
|
C
|
Auch die Indikation zur Insulintherapie ist eindeutig in der Leitlinie festgelegt
([Tab. 4]): innerhalb einer Woche ≥ 50% der Selbstmessungen aus den 4-Punkt-Profilen oberhalb
der Zielwerte. Dies gilt auch, wenn nur isoliert 50% der Messungen der Nüchternglukose
überschritten sind (Beginn mit Basalinsulin) oder die postprandialen Werte nach einer
Mahlzeit, was häufiger das Frühstück betrifft (kurzwirksames Insulin). Aber auch da
wird die Indikation oft zu großzügig gestellt, was sich schon daran zeigt, dass eine
sehr niedrige Dosierung gewählt wird, die in der Schwangerschaft wegen der hohen Insulinresistenz
eher homöopathische Wirkung hat.
Metformin – Datenlage pro Metformin
Metformin – Datenlage pro Metformin
Die Leitlinie empfiehlt erstmals, in individuellen Situationen die Gabe von Metformin
nach therapeutischer Aufklärung über den Off-Label-Use zu erwägen. Das kann eine zusätzliche
Gabe bei sehr hohem Insulinbedarf (> 1,5 IE/kgKG) oder Ultima Ratio bei Non-Compliance,
Überforderung/Risiken durch Insulintherapie u. a. sein. Eine Metformin-Tagesdosis
von 2,0 g sollte nicht überschritten werden.
In der Version von 2011 wurde noch eine Kontraindikation für alle orale Antidiabetika
ausgesprochen. Die Datenlage ist inzwischen sehr umfangreich und weist auf ein gutes
bzw. sogar besseres maternales und neonatales Outcome im Vergleich zu Insulin hin,
Versagerrate im Mittel 31%, Dosierung 500 – 2500 mg/d (Metaanalyse von 16 RCT [11]):
-
geringere maternale Gewichtszunahme
-
weniger SIH
-
weniger LGA
-
gleiche Frühgeburtenrate
-
weniger neonatale Hypoglykämie
-
weniger Verlegung in Neonatologie
Es fehlten jedoch weiterhin Langzeitdaten für die Kinder. Bis zum Alter von 2 Jahren
fanden sich keine Unterschiede in der somatischen [12], motorisch kognitiven [13] oder neuro- und psychomotorischen Entwicklung [14]. Bei den Kindern des MiG-Trails (Metformin in GDM) (REF.) hatten die Kinder zwar
einen größeren Armumfang und mehr subkutanes Fettgewebe im Bereich von Trizeps und
Bizeps, jedoch identischen Anteil an %Körperfettanteil [12].
Die Society of Fetal Maternal Medicine [15] veröffentlichte im Februar 2018 eine Empfehlung, in der Metformin „as a reasonable
and safe first-line pharmacologic alternative to insulin“ bezeichnet wurde. Das entspricht
auch den NICE-Guidelines, geht jedoch weit über die Empfehlungen in der deutschen
GDM-LL hinaus, die sich eher an der Second-Line-Option von ADA und AJOG orientieren.
Die Nachuntersuchung der Kinder des MiG-Trails in Neuseeland von 7 – 9 Jahren [16], die aktuell nach Erscheinen der Leitlinie veröffentlicht wurde, gibt nun Anlass
zur Sorge, dass – im Gegensatz zu den bisherigen Untersuchungen der sehr jungen Kinder
– sich doch Langzeitfolgen des Eingriffs in den fetalen Stoffwechsel abzeichnen. Die
Auswertung der Follow-up-Daten erfolgte getrennt für die Kollektive in Adelaide (n = 109,
60% des Ausgangskollektivs) und Auckland (n = 99, 25%). Während sich in Adelaide mit
7 Jahren kein Unterschied in der somatischen Entwicklung der Kinder zeigt, waren die
Kinder der metforminbehandelten Mütter in Auckland, die mit 9 Jahren untersucht wurden,
signifikant schwerer und zeigten Anzeichen von vermehrter Bildung von Körperfett.
Die Autoren spekulieren über einen eventuell unterschiedlichen Langzeiteffekt von
Metformin in Abhängigkeit von Geburtsgewicht und maternaler Blutzuckerwerte; Parameter,
die in der Metformingruppe in Adelaide signifikant höher waren als bei ausschließlich
insulinbehandelten Frauen. Zudem fehlte der positive Einfluss auf die Gewichtszunahme,
der in Auckland beobachtet wurde.
Die Empfehlung der SMFM und die aktuellen MiG-Daten veranlassten führende amerikanische
und europäische Wissenschaftler zu einem im AJOG zur Veröffentlichung anstehenden
Statement, in dem in bisher einmaliger Komplexität die verschiedenen Ebenen der biochemischen
und physiologischen Wirkungen von Metformin in vivo außerhalb der Schwangerschaft
und in Tierexperimenten in der Schwangerschaft dargestellt werden (bisher persönliche
Übermittlung). Der potenziell weitreichende Eingriff von Metformin in den fetalen
Stoffwechsel in Kombination mit den MiG-Daten weist für die Autoren darauf hin, dass
Metformin zu einem metabolischen Phänotyp mit kindliches Übergewicht führen kann.
Sie raten aufgrund der Datenlage von einer First-Line-Therapie mit Metformin ab, zumal
es im Falle von maternaler Hyperglykämie mit Insulin eine nicht plazentagängige, effektive
Behandlungsalternative gibt. Eine Anwendung von Metformin sollte daher zurzeit nur
unter sehr sorgfältiger Abwägung der Gesamtsituation und möglicher Alternativen erwogen
werden.
Einleitungsindikation bei GDM – schwierige Interpretation der Daten
Einleitungsindikation bei GDM – schwierige Interpretation der Daten
Eine Vielzahl von Studien, größtenteils Kohortenstudien mit zum Teil hoher Fallzahl
sind in den letzten Jahren zum Thema Einleitung bei GDM und Makrosomie erschienen
[17], [18], [19]. In den meisten vorhandenen Studien wird jedoch nicht unterschieden, ob GDM nur
diätetisch behandelt wurde oder eine Insulintherapie nötig war.
Aus einer Arbeit, die bei GDM das Outcome untersucht bei abwartenden Verhalten vs.
Einleitung mit 38 oder 39 SSW [17], lässt sich ableiten, dass eine Einleitung < 39 + 0 SSW die neonatale Morbidität
und Verlegungsrate erhöht und vermieden werden soll. Eine Einleitung mit 39 + 0 – 39 + 6 SSW
kann erwogen werden, ist jedoch mit einer 50%-Erhöhung der Einleitungsrate verbunden
und verringert nicht die neonatale Morbidität. ES gab keine Unterscheidung in diätetisch
oder insulinpflichtigen GDM.
Besonders schwierig ist die Abwägung bei ultrasonografischem fetalen Schätzgewicht
> 95. Perzentile. Viel Beachtung fand ein 2016 im Lancet veröffentlichter RCT bei
822 Schwangeren mit sonografisch und klinisch als LGA (> 95. Perzentile) geschätzten
Feten [19]. In der Gruppe mit Einleitung zwischen 37 + 0 und 38 + 6 SSW trat eine Schulterdystokie
(RR 0,32, 95%-KI 0,15 – 0,71; p = 0,004) signifikant seltener in der Gruppe mit Einleitung
auf als in der exspektativen Gruppe, aber das Auftreten von Clavicula- oder Humerusfrakturen
(RR 0,25; 95%-KI 0,05 – 1,18), Plexusparese, Tod oder verstärkter Blutung war nicht
signifikant seltener. Die Rate an Sectiones oder vaginal operativen Geburten unterschied
sich ebenfalls nicht. Phototherapie war signifikant häufiger nötig in der Einleitungsgruppe,
und der stationäre Aufenthalt vor der Entbindung betrug 16,2 Tage in der Einleitungs-
und 7,6 Tage in der exspektativen Gruppe (p < 0,001). Somit wird durch Einleitung
vor dem ET die Rate an Schulterdystokie verringert, jedoch ohne Einfluss auf Plexusparase
oder Frakturen bei Erhöhung der Notwendigkeit für Phototherapie und Verlängerung des
präpartalen stationären Aufenthalts [19]. Die Number-needed-to-treat für die Verhinderung einer Schulterdystokie beträgt
67, verbunden mit 523 zusätzlichen stationären Tagen.
Schlussfolgerung
Die Vielzahl von neuen Studien in den letzten Jahren sowohl zur Diagnostik und Therapie
als auch zu geburtshilflichen Aspekten schlägt sich auch in den Empfehlungen der neuen
Leitlinie der DGGG und DDG zum klinischen Management bei GDM nieder [20]. Einige werden kontrovers diskutiert, insbesondere die Empfehlungen zum Screening
im 3. Trimenon, da sie vom geforderten Prozedere in den Mutterschafts-Richtlinien
abweichen. Es bleibt zu hoffen, dass der Vorstoß der AG Geburtshilfe und Pränatalmedizin
der DGGG erfolgreich verlaufen wird, den G-BA zur Wiederaufnahme der Beratung über
ein valides Screeningprozedere zu bewegen. Auch ein Screening auf unentdeckten Typ-2-Diabetes
im 1. Trimenon bei Risikogruppen für Diabetes ist dringend gefordert angesichts unserer
geänderten Bevölkerungsstruktur. Weiterhin sollte der Fokus bei der Betreuung von
Schwangeren auf der Prämisse „ so wenig Intervention wie möglich, beschränkt auf ein
entscheidungsrelevantes Minimum“ liegen. Das betrifft die Frequenz der Blutzuckerkontrollen,
die Beurteilung der Blutzuckerwerte im Gesamtkontext und die strenge Indikation zur
Insulintherapie. Eine Öffnung zur ergänzenden Anwendung von Metformin bei extrem hohem
Insulinbedarf oder in Einzelfällen auch statt Insulin erscheint inzwischen gerechtfertigt
zu sein auf der Basis vielfältiger Studien und Metaanalysen. Die Frage, wann und bei
welcher Indikation eine Einleitung sinnvoll ist, ist weiterhin nicht allgemeingültig
zu beantworten. Die Daten weisen jedoch darauf hin, dass eine Einleitung vor 39 Schwangerschaftswochen
mit erheblichen neonatalen Problemen einhergeht und dass auch bei späterer Einleitung,
zum Beispiel bei Makrosomie, die Balance zwischen neonatalem Benefit einerseits und
Belastung der Frau und unserer klinischen Ressourcen anderseits eher kritisch zu sehen
ist.