NOTARZT 2019; 35(01): 45-53
DOI: 10.1055/a-0815-6703
Zusatzweiterbildung Notfallmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prähospitale Anlage von Tourniquets zur Kontrolle massiver Extremitätenblutungen – ein Update

Limb Tourniquets and Massive Haemorrhage in the Prehospital Setting – an Update
Raimund Lechner
,
Martin Kulla
,
Florent Josse
,
Björn Hossfeld
Further Information

Korrespondenzadresse

OFA Dr. Raimund Lechner
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie
Zentrum für Notfallmedizin
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Oberer Eselsberg 40
89081 Ulm

Publication History

Publication Date:
13 February 2019 (online)

 

Zusammenfassung

2016 wurde erstmals eine Handlungsempfehlung der DGAI zur prähospitalen Anwendung von Tourniquets veröffentlicht. Diese wurden 2018 anhand einer systematischen Literaturrecherche reevaluiert und grundsätzlich bestätigt. Die vorliegende Übersicht gibt einen aktuellen Überblick über die Anwendung von Tourniquets zur prähospitalen Blutungskontrolle mit einigen Ergänzungsvorschlägen zur DGAI-Handlungsempfehlung. Zusammenfassend sollte ein Tourniquet immer dann angelegt werden, wenn eine Extremitätenblutung durch Kompression einer Wunde nicht kontrolliert werden kann oder die Kompression situationsbedingt nicht durchführbar ist.


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Abstract

In 2016, a recommendation of the German Society of Anaesthesiology and Intensive Care Medicine (DGAI) for the prehospital use of tourniquets was published. This recommendation was re-evaluated and confirmed in principle on the basis of a systematic literature search in 2018. This article provides an up-to-date overview of the use of tourniquets for prehospital bleeding control with some additional proposals for the DGAI recommendation.

  • Tourniquetscontrol massive limb bleeding fast and with high reliability.

  • Concerning application and conversion a differentiation between medical and tactical indications has to be made.

  • A tourniquet is only a temporary treatment.

  • Tourniquet application has only few complications if it is applied correctly.

  • Tourniquet application has to be trained routinely, especially with regard to the indication.

In summary, a tourniquet should always be applied if limb haemorrhage cannot be controlled by compression or the compression is not feasible in the ongoing situation.


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Abkürzungen

cABCDE: Critical Bleeding + Airway, Breathing, Circulation, Disability, Exposure/ Environment
DGAI: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin
MANV: Massenanfall von Verletzten
TCCC: Tactical Combat Casualty Care/ Taktische Verwundetenversorgung
TREMA: Tactical Rescue Emergency Medicine Association
 

Historie

Erste Anwendungen eines Tourniquets gehen mindestens bis auf das Jahr 200 v. Chr. zurück [1]. Eine feste Etablierung in einer strukturierten Patientenbehandlung erfolgte jedoch erst gegen Ende des letzten Jahrtausends [1]. Im Jahr 1996 wurde, maßgeblich resultierend aus den medizinischen Erfahrungen der Operation Gothic Serpent im Oktober 1993 in Somalia, im Rahmen der 1. Auflage der Tactical Combat Casualty Care Guidelines (TCCC Guidelines) die Anlage eines Tourniquets bei massiver Extremitätenblutung in militärischen Szenarien empfohlen [2]. Korrespondierend hierzu wurde im deutschsprachigen Raum 2010 durch die Tactical Rescue Emergency Medicine Association (TREMA) die Anlage von Tourniquets in taktischen Szenarien empfohlen. Zunächst lediglich durch militärische Spezialkräfte routinemäßig angewandt, gehört die Tourniquet-Anlage heutzutage zu den Standardmaßnahmen der Selbst- und Kameradenhilfe verwundeter Soldaten [3].

In der Folge hat sich auch die zivile Notfallmedizin zunehmend mit dieser Thematik beschäftigt. So wird die Anlage eines Tourniquets mittlerweile in der S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung und in der European Guideline on Management of Major Bleeding and Coagulopathy Following Trauma empfohlen, wenn eine Blutung nicht durch Kompression oder Druckverband beherrschbar ist [4], [5]. 2016 wurden von der Arbeitsgruppe Taktische Medizin des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Notfallmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) Handlungsempfehlungen zur prähospitalen Anwendung von Tourniquets publiziert [3].

In den zurückliegenden 2 Jahren wurden zahlreiche Studien zur Thematik Tourniquet veröffentlicht [6]. Zudem hat der Aspekt der taktischen Medizin im zivilen Rettungsdienst durch die zahlreichen Terroranschläge der letzten Jahre in Europa weiter an Bedeutung gewonnen [7]. In zahlreichen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die massive Blutung nach außen in kriegerischen Auseinandersetzungen die Hauptursache der vermeidbaren Todesursachen darstellt [8], [9]. Durch ähnliche Verletzungsmuster bei Terroranschlägen und kriegerischen Auseinandersetzungen rücken Behandlungsmöglichkeiten solcher Verletzungen weiter in den Fokus.

International ist der Stellenwert der prähospitalen Blutungskontrolle noch deutlich präsenter. Am 31.03.2018 wurde beispielsweise in den USA der erste landesweite National Stop the Bleed Day durchgeführt, in dem Zivilisten in Blutstillungsmaßnahmen bei starken externen Blutungen unterwiesen wurden [10], [11].

Auch im nationalen Vorgehen zur Bewältigung unsicherer Lagen ist das Tourniquet als eine Methode zur Blutstillung fest etabliert [12]. Jedoch liegt auch in Deutschland abseits von Terrorszenarien der Anteil an vermeidbaren Todesfällen in der Traumaversorgung bei ca. 15%, wobei der überwiegende Teil auf Behandlungsfehler in der prähospitalen Versorgungsphase entfällt und 57,5% der potenziell vermeidbaren Todesursachen auf externe Blutungen zurückzuführen sind [13]. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend der aktuelle Wissensstand zur Tourniquet-Anlage und aktuelle Handlungsempfehlungen wiedergegeben.


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Arten von Tourniquets

Auf dem Markt wird in der Zwischenzeit eine Vielzahl von Tourniquets angeboten. Generell sollten kommerziell erwerbliche Tourniquets improvisierten Abbindungen vorgezogen werden, da diese schneller anzulegen sind, seltener ein Versagen durch Knebelbruch aufweisen und wahrscheinlich bauartbedingt weniger Komplikationen aufweisen [6]. Über Internetanbieter werden derzeit gehäuft gefälschte Produkte von minderer Qualität angeboten, was eine aktuelle Interpol-Warnung verdeutlicht [14]. Es muss daher geraten werden, Tourniquets nur bei autorisierten Fachhändlern zu erwerben.

Durch das Committee on TCCC sowie seitens der DGAI werden derzeit 3 Produkte empfohlen [3], [15], [16]:

  • für den prähospitalen Einsatz unter robusten Bedingungen

    • das Combat Application Tourniquet® (C.A.T.®, C•A•T Resources LLC, Rock Hill, SC, USA) und

    • das SOF® Tactical Tourniquet (Tactical Medical Solutions Inc., Anderson, SC, USA) ([Abb. 1]).

  • Zusätzlich wird noch das pneumatische Emergency & Military Tourniquet (EMT, Delfi Medical Innovations Inc, Vancouver, BC, Canada) empfohlen.

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Abb. 1 Auswahl an mechanischen Tourniquets für den prähospitalen Einsatz. Von links nach rechts: Combat Application Tourniquet® (Generation 7), SOF® Tactical Tourniquet-Wide, SAM®-XT Tourniquet, NATO Tourniquet. Foto: S. Thierbach

Das Committee on TCCC analysiert und bewertet derzeit im Rahmen einer Marktsichtung alle verfügbaren Tourniquet-Modelle und wird bei Bedarf seine Empfehlungen anpassen. Als Alternative zu einem Tourniquet kann eine handelsübliche Blutdruckmanschette am Oberarm mit 250 mmHg und am Oberschenkel mit 400 mmHg angelegt werden [4].

Die Bundeswehr verwendet derzeit das C.A.T. ® Generation 7. Die Vorgängerversion, welche auch in den TCCC Guidelines und von der DGAI empfohlen wird, wird nicht mehr produziert. Wesentlicher funktioneller Unterschied (neben Designänderungen) ist, dass keine doppelte Rückschlaufung des Kompressionsriemens mehr möglich ist (s. u.: [Abb. 3]). Einzelne Hinweise, dass dies zu einer unbeabsichtigten Lösung des Tourniquets geführt hat, existieren, allerdings ist dies derzeit nicht durch wissenschaftliche Daten belegbar.

Aus praktischen Erfahrungen der Autoren heraus, jedoch derzeit durch Studien nicht belegbar, kann zusätzlich das SAM®-XT Tourniquet (SAM Medical Products®, Wilsonville, OR, USA) empfohlen werden ([Abb. 1]).

Bei konisch zulaufenden Extremitäten, wie man sie beispielsweise bei Diensthunden vorfindet, bei sehr dünnen Extremitäten oder als Alternative bei Versagen anderer Tourniquet-Modelle hat sich das NATO Tourniquet (SwissSafety.com, Liestal, Schweiz) als sehr effektiv erwiesen. Es kann deshalb als Rückfalloption Verwendung finden ([Abb. 1]).

Zusammenfassend soll ein Tourniquet idealerweise die in der Übersicht empfohlenen Eigenschaften aufweisen [3].

Übersicht

Anforderung an das Design von Tourniquets

  • pneumatische Tourniquets sind zu bevorzugen

  • möglichst breite Tourniquets – Mindestbreite von 3,8 cm

  • weiches, auf nasser/blutiger Haut rutschfestes Kompressionsband

  • stabiler und griffiger Knebel

  • runde Kanten

  • robust und wasserfest

  • einfache, intuitive und sichere Handhabung

  • geringes Gewicht und Packmaß für den taktischen Einsatz

(ergänzt gemäß [3])

Pneumatische Tourniquets weisen, vermutlich aufgrund der homogeneren und großflächigeren Druckverteilung, den höchsten Anlagekomfort und die geringste Komplikationsinzidenz auf und werden deshalb teilweise bevorzugt empfohlen [3], [6]. Jedoch ist ihre Anschaffung durch das größere Packmaß und Gewicht, den hohen Preis, die Gefahr einer Beschädigung der Luftkammer und den möglicherweise bei Transport und Lagerungsmaßnahmen störenden Druckball und Manometer kritisch zu prüfen. Sie eignen sich somit eher für den innerklinischen Einsatz und begrenzt für den Einsatz in Rettungsmitteln. Viel wichtiger als die Modellauswahl ist aber die Ausbildung am jeweiligen Produkt. Gut trainierte Anwender können ein Tourniquet in deutlich unter 30 Sekunden anlegen [6].

Merke

Wichtiger als die Modellauswahl ist die Ausbildung am jeweiligen Tourniquet.


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Indikationen

Prinzipiell muss zwischen taktischen und medizinischen Indikationen zur Anlage eines Tourniquets unterschieden werden [6]. In [Tab. 1] sind Beispiele für lebensbedrohliche Blutungen mit Indikation zur Anlage eines Tourniquets aufgezählt.

Tab. 1 Indikationen zur Anlage eines Tourniquets (nach [3], [6]).

medizinische Indikation

taktische Indikation

Amputationsverletzung proximal des Handgelenks oder Fußes

schwere Blutung einer Extremität bei Unerreichbarkeit der Verletzung (z. B. eingeklemmte Person)

multiple Blutungen an einer Extremität, die in der Summe einen relevanten Blutverlust bedeuten können

Versorgung einer stärkeren Blutung an einer Extremität bei Dunkelheit

schwere Blutung der Extremitäten bei gleichzeitigem kritischem A-, B- oder C-Problem

schwere Blutungen an Extremitäten bei MANV

Unmöglichkeit der Blutstillung durch Druckverbände o. Ä.

schwere Blutungen an Extremitäten bei Zeitdruck unter Gefahrensituationen

Merke

Für die Anlage von Tourniquets muss nach medizinischen und taktischen Indikationen differenziert werden.

Die Indikation zur Tourniquet-Anlage ist prinzipiell die lebensbedrohliche Extremitätenblutung, die mit anderen Mitteln wie Kompression oder Druckverband nicht beherrscht werden kann [3], [4], [5], [6]. Hinweise auf eine solche Blutung sind

  • eine pulsierende Blutung,

  • eine große Blutmenge neben dem Patienten,

  • blutdurchtränkte Kleidung,

  • durchgeschlagene Verbände und

  • eine traumatische Amputation [15].

Darüber hinaus gibt es Indikationen, bei denen erfahrungsgemäß die Anlage eines suffizienten Verbandes von geringem Erfolg geprägt oder sehr zeitaufwendig ist (Amputationsverletzung, multiple Blutungen) ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Suffizient angelegtes Tourniquet am Oberarm eines Pkw-Fahrers bei Abscherung des Oberarms zwischen Fahrzeug und Leitplanke. Foto: B. Hossfeld

Es gibt äußere Umstände, welche die Anlage eines Tourniquets erfordern, z. B.

  • Unerreichbarkeit der Blutungsquelle,

  • Dunkelheit,

  • MANV,

  • bedrohliche Einsatzlagen oder

  • ein schwer polytraumatisierter Patient, bei dem neben der Blutstillung noch andere zeitkritische Maßnahmen (z. B. Atemwegssicherung oder Entlastung eines Spannungspneumothorax) erforderlich sind.

In diesen Fällen wird das Tourniquet primär angelegt, um einen Zeitpuffer für akut notwendige andere Tätigkeiten zu gewinnen.

Die korrekte Indikationsstellung zur Anlage eines Tourniquets muss betont werden, da in der Literatur im Mittel Raten von ca. 10% nicht indizierter Tourniquet-Anlagen mit einem Maximum von bis zu 41% beschrieben werden [6], [17]. Dem gegenüber stehen etwa 12,5% an Patienten, denen bei bestehender Indikation prähospital KEIN Tourniquet angelegt wurde. Diese Patienten wiesen eine höhere Rate an Volumenmangelschock und einen größeren Bedarf an Bluttransfusionen auf [6], [18].


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Anlage eines Tourniquets

Der Anlagealgorithmus eines Tourniquets ist in [Abb. 3] dargelegt. Er unterscheidet sich bei der Anlage aus medizinischer Indikation geringfügig von der Anlage aus taktischer Indikation. Bei medizinischen Indikationen sollte das Tourniquet auf der nackten Haut ca. eine Handbreit über der Wunde angelegt werden. In taktischen Situationen sollte das Tourniquet hingegen zunächst schnell und deshalb über der Bekleidung und möglichst proximal an der Extremität angebracht werden, um sicherzugehen, dass alle potenziellen Blutungsquellen erfasst werden. Da taktische Indikationen immer einen zeitlichen Druck durch patientenexterne Faktoren aufweisen, sollte hier, sofern überhaupt durchführbar, zunächst auf die Evaluation der Wunde und das Entkleiden zur Anlage verzichtet werden.

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Abb. 3 Anlagealgorithmus Tourniquet (adaptiert nach [3], [6]). [rerif]

Bei ungünstigen Wetterbedingungen ist die Indikation zur Anlage auf der nackten Haut ebenfalls kritisch zu stellen. Jedoch muss im weiteren Verlauf unter geordneten Rahmenbedingungen möglichst zeitnah die Verletzung evaluiert und die Indikation zur Anlage geprüft werden (s. u.: [Abb. 5]).

Die einzelnen Schritte der Anlage sind unten (s. Abschn. „Einzelschritte der Anlage des C.A.T.® Generation 7) bzw. in [Abb. 4] dargestellt.

Grundsätzliches

Lokalisierung

Ein Tourniquet sollte nicht über Gelenken, Frakturen oder gefüllten Hosentaschen angelegt werden. Weitere Details hinsichtlich der Anlage aus medizinischer resp. taktischer Indikation Indikation s. o.


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Reevaluation der Blutung

Direkt nach der Anlage ist eine Reevaluation der Blutung durchzuführen. Sollte die Blutung nicht sistieren, so ist ein 2. Tourniquet proximal des 1. anzulegen. In der aktuellen Literatur wird die Erfolgsrate der Blutstillung mit einem Tourniquet mit 70 – 98% angegeben [6]. Nach der Anlage eines 2. Tourniquets konnte die Blutung nur in Ausnahmefällen nicht kontrolliert werden [6].

Zu beachten ist auch, dass das Tourniquet sich durch Lagerungsmanöver lösen kann und dass bei einem Blutdruckanstieg im Verlauf der Versorgung der initiale Verschlussdruck überstiegen und damit das Tourniquet insuffizient werden kann. Eine regelmäßige Reevaluation ist somit auch nach zunächst erfolgreicher Anlage zwingend notwendig.

Merke

Eine regelmäßige Reevaluation der Blutung und des Tourniquets sind zwingend.


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Druck

In Studien an gesunden Probanden waren initial nur 70% der Tourniquets ausreichend fest angelegt. Letztlich waren 1170° Knebelrotation notwendig, um den Blutfluss bei allen Probanden vollständig zu unterbinden. Dies entspricht 3 ¼ Umdrehungen [19].

Cave

Tourniquets werden häufig mit zu wenig Druck und deshalb nicht suffizient angelegt.


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Analgesie

Erfahrungsgemäß ist ein suffizient angelegtes Tourniquet sehr schmerzhaft. Jeder mit einem Tourniquet versorgte Patient benötigt deshalb früh eine ausreichende Analgesie. Damit kann das Risiko gesenkt werden, dass der Patient aufgrund von Schmerzen das Tourniquet selbstständig löst.

Merke

Eine Tourniquet-Anlage ist schmerzhaft und erfordert eine adäquate Analgesie.


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Einzelschritte der Anlage des C.A.T.® Generation 7

  1. Das Tourniquet mit der knebelfernen Seite ohne Verdrehung um die Extremität legen ([Abb. 4 a]). Das Durchführen ist am Bein am besten auf Höhe der Kniekehle möglich und kann von dort an den Anlagepunkt verschoben werden. Danach Durchschlaufen des Kompressionsriemens durch die Öse.

  2. Maximales Festziehen des Kompressionsriemens („pre-tightening“) und Andrücken des Klettverschlusses ([Abb. 4 b]). Es darf kein Finger mehr zwischen Haut und Tourniquet passen. Der Knebel muss ventral oder lateral an der Extremität zu liegen kommen, damit dieser beim späteren Zudrehen nicht durch die Leiste oder Achselregion behindert wird.

  3. Festes und sorgfältiges Andrücken des Klettstreifens am Kompressionsriemen bis kurz vor den U-förmigen Arretierungshaken ([Abb. 4 c]). Nun kann durch Rotation des Knebels das Tourniquet fest gedreht werden, bis die Blutung sistiert. Die Drehrichtung ist irrelevant.

  4. Arretierung des Knebels in einem der U-förmigen Haken ([Abb. 4 d]).

  5. Einlegen des restlichen Kompressionsriemens in den U-förmigen Arretierungshaken ([Abb. 4 e]). Bei voluminösen Extremitäten kann es sein, dass der Kompressionsriemen hierfür zu kurz ist. Dann das Ende des Kompressionsriemens vollständig und sorgfältig auf den Klettverschluss drücken, um ein unbeabsichtigtes Lösen zu vermeiden.

  6. Schließen des Sicherungsklettverschlusses, um den Knebel und den Kompressionsriemen zu sichern. Dokumentation des Anlagezeitpunktes auf dem Tourniquet oder direkt daneben auf der Haut ([Abb. 4 f])

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Abb. 4 Einzelschritte der Anlage des C.A.T.® Generation 7. a Das Tourniquet unverdreht mit der knebelfernen Seite um die Extremität legen, danach Kompressionsriemen durch die Öse schlaufen. b Maximales Festziehen des Kompressionsriemens (“pre-thightening”) und Andrücken des Klettverschlusses. c Rotation des Knebels, bis Blutung sistiert. d Arretierung des Knebels. e Einlegen des restlichen Kompressionsriemens in den U-förmigen Arretierungshaken. f Anbringen des Sicherungsklettverschlusses und Dokumentation des Anlagezeitpunkts. Details siehe Text. Fotos: R. Lechner

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Konversion

Ein Tourniquet ist eine temporäre Maßnahme bis alternative Blutstillungsmaßnahmen durchgeführt werden können, oder bis zur definitiven chirurgischen Blutstillung.

Bei den kurzen notfallmedizinischen Transportzeiten in Mitteleuropa sollte eine prähospitale Konversion nur in Ausnahmefällen notwendig sein, konkret: wenn die Zeit bis zum Eintreffen in einem Traumazentrum mehr als 30 Minuten beträgt. Dies ist denkbar bei langen Transportzeiten in der Bergrettung/Seenotrettung oder hohem Patientenaufkommen bei einem MANV [3].

Die generellen Indikationen und Kontraindikationen der Tourniquet-Konversion sind [Tab. 2] zu entnehmen.

Tab. 2 Indikationen und Kontraindikationen zur prähospitalen Tourniquet-Konversion (adaptiert nach [3], [6]).

Indikationen

Kontraindikation

A: Airway, B: Breathing, C: Circulation

Anlage aus taktischer Indikation

Anlage aus medizinischer Indikation

hämodynamisch stabiler Patient und kein weiteres A-, B- oder C-Problem

hämodynamisch instabiler Patient/hämorrhagischer Schock

Blutungsstopp durch weniger invasive Maßnahmen möglich

Blutungsstopp mit anderen Mitteln nicht wahrscheinlich/
ausgeschlossen

Zeit bis Eintreffen in einem Traumazentrum > 30 min

akutes A-, B-, oder C-Problem

Anlagezeit < 2 h

Amputationsverletzung

limitiertes Personal/Material

Massenanfall von Verletzten

Anlagezeit > 6 h

Prinzip

Grundsätzlich ist anzustreben, ein Tourniquet so schnell wie möglich, mindestens jedoch innerhalb von 2 Stunden zu konvertieren, da in der Literatur bei einer Liegezeit von bis zu 2 Stunden die Inzidenz von Komplikationen gering ist [6] ([Abb. 5]).

Spätestens ab einer Liegezeit von über 6 Stunden sollte aber aufgrund der Gefahr der Einschwemmung von Stoffwechselmetaboliten beim Öffnen des Tourniquets eine Konversion nur erfolgen, wenn ein kontinuierliches Patientenmonitoring und ein Umfeld mit der Möglichkeit der regelmäßigen Bestimmung des Elektrolytstatus und des Säure-Basen-Haushaltes gewährleistet ist [15], [20]. Der Zeitraum zwischen 2 und 6 Stunden Liegezeit erfordert eine individualmedizinische Abwägung. Eine Konversion ist hier deshalb nur medizinisch ausgebildetem Personal vorbehalten [20].

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Abb. 5 Algorithmus zur Konversion eines Tourniquets (adaptiert nach [3], [6]). [rerif]
Merke

Ein Tourniquet ist immer eine temporäre Maßnahme.

Wurde ein Tourniquet aus medizinischer Indikation angelegt, so ist eine Konversion prähospital regelhaft nicht durchführbar, zumindest jedoch sehr zeitaufwendig. In Anbetracht der kurzen Transportzeiten in Mitteleuropa wird eine Konversion daher nicht empfohlen.

Wurde ein Tourniquet aus taktischen Gründen angelegt, ist zu prüfen, sobald es die Versorgungssituation zulässt, ob eine Blutstillung mit einem „Packing“ und Kompressionsverband (ggf. zusätzlich mit Hämostyptika) möglich ist. Hierbei wird lediglich der Knebel des Tourniquets nach Anlage des Druckverbandes gelöst, der Kompressionsriemen jedoch locker in Position belassen. Hierbei ist sicherzustellen, dass durch den mit Klettband fixierten Kompressionsriemen keine venöse Stauung entsteht. Somit kann bei Insuffizienz des Druckverbandes das Tourniquet ohne zeitliche Verzögerung wieder geschlossen werden.

Gestaffelte Positionskonversion

Ein Sonderfall der Konversion ist die gestaffelte Positionskonversion, wenn das Tourniquet aus taktischer Indikation angelegt wurde.

Ist eine Blutstillung mit alternativen Mitteln nicht möglich und/oder wurde das Tourniquet initial über der Bekleidung und sehr weit proximal angelegt, so ist zu prüfen, ob es ca. eine Handbreit proximal der Wunde und auf der Haut angelegt werden kann. In diesem Fall ist gemäß der Tourniquet-Anlage bei medizinischer Indikation zu verfahren ([Abb. 3]). Hierbei sollte zunächst ein weiteres Tourniquet an der neuen Position angelegt werden, bevor das erstangelegte Tourniquet geöffnet wird.

Die gestaffelte Positionskonversion hat dieselben Indikationen und Kontraindikationen wie die normale Konversion, ist weniger zeitaufwendig als die Konversion mit „Packing“ und Kompressionsverband, muss jedoch dennoch gegen den unmittelbaren zeitkritischen Transport abgewogen werden. Sollte sich während der weiteren Behandlung retrospektiv herausstellen, dass die Anlage doch nicht notwendig war (initiale Anlage z. B. bei Dunkelheit oder Blutung aus anderer Quelle), so kann das Tourniquet entfernt werden.


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Komplikationen

Vor dem Hintergrund einer potenziell letalen massiven Extremitätenblutung treten mögliche Komplikationen, eine kritische Indikationsstellung vorausgesetzt, in den Hintergrund. Hier stellt das Tourniquet eine lebensrettende Maßnahme bei anderweitig nicht beherrschbaren Blutungen dar. Dennoch muss zwingend nach Anlage eines Tourniquets die Möglichkeit einer Konversion geprüft und die Liegezeit so kurz wie möglich gehalten werden, da das Risiko von Komplikationen mit zunehmender Liegedauer steigt.

Venöse Stauung

Eine besondere Komplikation ergibt sich aus der venösen Stauung bei insuffizient angelegtem Tourniquet, vergleichbar einer Stauung zur Blutabnahme. Durch einen fortbestehenden arteriellen Einstrom bei zeitgleich reduziertem venösem Blutabstrom kommt es in diesem Fall zu einer verstärkten Blutung. Durch den systemimmanenten Anlageschmerz darf eine ausreichende Knebelung deshalb nicht verhindert werden, eine Analgesie ist deshalb obligatorisch [3].

Eine venöse Stauung kann auch trotz maximal zugedrehtem Knebel entstehen, wenn bei der Tourniquet-Anlage der Kompressionsriemen initial zu locker angelegt wird ([Abb. 4 b]). Durch die Knebelrotation kann dann unter Umständen kein ausreichender Druck aufgebaut werden, da in diesem Fall durch die ersten Knebelrotationen lediglich der Raum zwischen dem Kompressionsriemen und der Haut verringert wird, ohne jedoch Kompression auf tieferliegende Gewebestrukturen auszuüben.

Darüber hinaus kann eine Insuffizienz auch, wie oben beschrieben, durch die Kreislaufstabilisierung des Patienten entstehen, wenn der systolische Blutdruck den Verschlussdruck des Tourniquets übersteigt.

Cave

Ein zu locker angelegtes Tourniquet kann durch die resultierende venöse Stauung eine Blutung sogar verstärken.

Die Komplikationen und Einflussfaktoren auf Komplikationen bei Tourniquet-Anlage fasst [Tab. 3] zusammen.

Tab. 3 Komplikationen und Einflussfaktoren auf Komplikationen (ergänzt nach [3]).

Komplikationen und Nebenwirkungen

Nebenwirkungen abhängig von

venöse Stauung mit verstärkter Blutung

Anlageort

Schmerzen

Anlagedauer

Haut-, Nerven-, Gefäß-, und Muskelschädigung

aufgewendeter Druck

Ischämie-Reperfusions-Syndrom

Tourniquet-Design

Kompartmentsyndrom durch postischämische Reperfusion

fehlerhafte Anwendung (z. B. insuffiziente Knebelung, verdrillter Kompressionsriemen)

Die bisher postulierte geringe Komplikationsrate von Tourniquets wurde durch Studienergebnisse der letzten 2 Jahre bestätigt [5]. Dennoch muss betont werden, dass eine Tourniquet-Anlage nicht risikofrei ist ([Tab. 3]). Patientenanalysen zeigen, dass nicht selten Tourniquets angelegt werden, die nicht indiziert sind und somit daraus entstehende Komplikationen ein vermeidbares additives Trauma darstellen. Dies belegt die Wichtigkeit der Ausbildung in der Tourniquet-Anwendung, einschließlich der richtigen Indikationsstellung.


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Kernaussagen
  • Mit einem Tourniquet lassen sich kritische Extremitätenblutungen zuverlässig und schnell kontrollieren.

  • Bei der Anlage und Konversion muss zwischen medizinischen und taktischen Indikationen unterschieden werden.

  • Ein Tourniquet ist immer eine temporäre Maßnahme.

  • Eine Tourniquet-Anlage hat, technisch adäquate Durchführung vorausgesetzt, eine geringe Komplikationsrate.

  • Die Tourniquet-Anlage muss geübt werden, insbesondere in Hinsicht auf die Indikationsstellung.


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Autorinnen/Autoren

Raimund Lechner

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Dr. med., Oberfeldarzt, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin, Jahrgang 1980. Studium an der Universität Ulm und Approbation 2008. Tätig als Assistenzarzt in der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Mehrfache Teilnahme am Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan.

Martin Kulla

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PD Dr. med. Martin Kulla, DESA. Tätig als Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Bundeswehrkrankenhaus Ulm und Bereichsoberarzt der Zentralen Interdisziplinären Notfallaufnahme. Er ist stellvertretender Sprecher der Sektion Notaufnahmeprotokoll der DIVI, Mitglied im AK Notfallmedizin der DGAI sowie Mitglied der Sektion NIS der DGU.

Florent Josse

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Dr. med., Oberfeldarzt, Facharzt für Anästhesiologie, Jahrgang 1975. Studium der Humanmedizin an den Universitäten in Bonn und Erlangen. Verantwortlich für die Ausbildung im Bereich taktische Verwundetenversorgung am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Notarzt auf dem RTH Christoph 22. Mehrfache Teilnahme an Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Afghanistan und Mali. Mitglied der AG „Taktische Medizin“ der DGAI.

Björn Hossfeld

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Dr. med., Oberfeldarzt, Facharzt für Anästhesiologie. Studium der Humanmedizin an der Universität Würzburg. Täti als Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Notarzt auf dem RTH Christoph 22. Mehrfache Teilnahme an Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Afghanistan, Kosovo, Kongo und Niger.

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Danksagung

Die Autoren bedanken sich bei OTA Prof. Matthias Helm für die kontinuierliche Unterstützung und konstruktive Kritik im Rahmen der Manuskripterstellung.


Korrespondenzadresse

OFA Dr. Raimund Lechner
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie
Zentrum für Notfallmedizin
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Oberer Eselsberg 40
89081 Ulm


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Abb. 1 Auswahl an mechanischen Tourniquets für den prähospitalen Einsatz. Von links nach rechts: Combat Application Tourniquet® (Generation 7), SOF® Tactical Tourniquet-Wide, SAM®-XT Tourniquet, NATO Tourniquet. Foto: S. Thierbach
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Abb. 2 Suffizient angelegtes Tourniquet am Oberarm eines Pkw-Fahrers bei Abscherung des Oberarms zwischen Fahrzeug und Leitplanke. Foto: B. Hossfeld
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Abb. 3 Anlagealgorithmus Tourniquet (adaptiert nach [3], [6]). [rerif]
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Abb. 4 Einzelschritte der Anlage des C.A.T.® Generation 7. a Das Tourniquet unverdreht mit der knebelfernen Seite um die Extremität legen, danach Kompressionsriemen durch die Öse schlaufen. b Maximales Festziehen des Kompressionsriemens (“pre-thightening”) und Andrücken des Klettverschlusses. c Rotation des Knebels, bis Blutung sistiert. d Arretierung des Knebels. e Einlegen des restlichen Kompressionsriemens in den U-förmigen Arretierungshaken. f Anbringen des Sicherungsklettverschlusses und Dokumentation des Anlagezeitpunkts. Details siehe Text. Fotos: R. Lechner
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Abb. 5 Algorithmus zur Konversion eines Tourniquets (adaptiert nach [3], [6]). [rerif]