Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2019; 54(07/08): 457-473
DOI: 10.1055/a-0821-6736
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Einwilligung nach Aufklärung – ein juristisches Update

Informed Consent: an Update
Elmar Biermann
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Publication Date:
25 July 2019 (online)

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Zusammenfassung

Die Indikation allein reicht zur Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffes nicht. Hinzukommen muss die Einwilligung des durch einen Arzt aufgeklärten Patienten. Sind anstelle des Patienten andere Personen berechtigt, für ihn zu entscheiden, so sind diese aufzuklären. Dabei ist der Patient über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände rechtzeitig und verständlich aufzuklären, ggf. unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers bei fremdsprachigen Patienten.

Abstract

An indication for a medical intervention alone is not sufficient to justify its implementation. In addition, consent has to be obtained from the patient who has been given relevant information by a doctor. If, instead of the patient, other persons are entitled to decide for him (parents for children incapable of consent, authorised representatives, carers), they must be informed. If the patient, who is aware of the significance of his decision, refuses to consent to the measure as a whole or to parts of it, the physician is bound by it – even if the patientʼs refusal is based on religious, ideological or other reasons which are not comprehensible to the physician. In urgent cases, and in the case of a patient unable to give consent, the doctor can initiate treatment according to the principle of so-called presumed consent. The physician must inform the patient about all circumstances essential for the consent in a timely and comprehensible manner, i.e. also in the language of the patient in the case of patients who do not understand German. The patient must be informed about alternatives if there are other common treatment methods that are medically equally indicated, but which carry substantially different burdens, risks or chances of recovery. From a medical and forensic point of view, risk education is of the greatest importance, in particular information about the typical risks specific to interventions which are unknown to the patient and which, if they materialise, might have a lasting adverse effect on the patientʼs lifestyle. The extent of risk disclosure is influenced by the urgency of the intervention; the scope of risk disclosure is in inverse proportion to its urgency. An enlightened or otherwise adequately informed patient (e.g. in the case of a series of dressing changes under general anaesthesia) does not have to be enlightened every time, provided that the risk spectrum for the patient has not changed. Consent and clarification are also verbally effective, written form is strongly recommended for reasons of preserving evidence. However, the patientʼs right to self-determination also means that the patient can expressly dispense with more detailed information. Such a waiver should be carefully documented.

Kernaussagen
  • Die Indikation – auch die dringende – reicht allein zur Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffs nicht aus. Hinzukommen muss die wirksame Einwilligung des Patienten, evtl. in Form der mutmaßlichen Einwilligung. Der Patient ist frei, wie er sich entscheidet. Er kann – im Bewusstsein der damit verbundenen Konsequenzen – auch eine Behandlung ganz oder teilweise ablehnen. An diese Limitierung der Hilfeleistungsmöglichkeiten ist der Arzt gebunden, auch wenn die Entscheidung des Patienten unvernünftig ist und/oder aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen erfolgt, die für den Arzt nicht nachvollziehbar sind.

  • Eine wirksame Einwilligung setzt in der Regel eine ihr vorausgegangene, verständliche, in ausreichendem Umfang und rechtzeitig erteilte mündliche Aufklärung durch einen Arzt voraus.

  • Entscheiden anstelle eines einwilligungsunfähigen Patienten die zur Einwilligung Berechtigten, so sind diese aufzuklären.

  • Aufzuklären ist insbesondere über die eingriffsspezifischen, typischen Risiken, die, wenn sie sich verwirklichen, den Patienten in seiner Lebensführung nachhaltig beeinträchtigen. Über diese Risiken ist auch dann aufzuklären, wenn sie selten sind. Statistischen Risikowerten kommt, soweit es um die Frage geht, ob aufzuklären ist, nach der Rechtsprechung nur ein vergleichsweise geringer bis gar kein Wert zu.

  • Die Intensität der Aufklärung wird von der zeitlichen Dringlichkeit der Maßnahme beeinflusst: Je dringlicher der Eingriff, umso geringer die Anforderungen an die Risikoaufklärung.

  • Über das operative Vorgehen ist der Patient bei stationärem Aufenthalt spätestens am Vortag, über das Anästhesieverfahren spätestens am Vorabend aufzuklären. Bei ambulanten und stationär diagnostischen Maßnahmen lässt die Rechtsprechung die Einholung der Einwilligung nach Aufklärung bei „normalen“ ambulanten Eingriffen auch am Tag des Eingriffs zu, vorausgesetzt, dem Patienten bleibt eine ausreichende, von der Rechtsprechung nicht näher definierte Überlegungsfrist.

  • Es gibt ein Recht des Patienten auf „Nichtwissen“: Zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten gehört es auch, dass er ausdrücklich auf nähere (Risiko-)Aufklärung verzichten kann.