Z Sex Forsch 2019; 32(01): 58
DOI: 10.1055/a-0839-7438
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

What’s fappening? Eine Untersuchung zur Selbstbefriedigung im 21. Jahrhundert

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Publication Date:
20 March 2019 (online)

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Bislang existiert im deutschsprachigen Raum kaum qualitative Forschung, die sich mit dem Themenfeld Selbstbefriedigung beschäftigt. Umso erfreulicher ist es, dass Hanna Sophia Rose, Absolventin des Masterstudiengangs Angewandte Sexualwissenschaft an der Hochschule Merseburg, mit vorliegendem Band zur Exploration und Erhellung dieses Themenfeldes beiträgt. Nach einer Schilderung der Diskursgeschichte rund um die Masturbation und aktueller Forschungsergebnisse analysiert sie ausgewählte Aspekte individueller Masturbationsbiografien, die sie in qualitativen Interviews erhoben hat.

Auf den ersten Seiten ihres schmalen Bandes beschäftigt sich die Autorin – nach einem kurzen historischen Rückblick auf die Diskursgeschichte – mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, hier einerseits mit Internetpornografie und der Kommerzialisierung von Sexualität, andererseits mit dem (heterosexuellen) Orgasmusparadigma. Auch der sich anschließende Überblick über Forschungsergebnisse aus dem deutschen und angloamerikanischen Sprachraum bleibt knapp gehalten, sodass viele aus sexualwissenschaftlicher Perspektive spannende Themen nur angerissen werden, eine eingehendere Betrachtung jedoch ausbleibt. Dies ist mit Blick auf den Entstehungskontext des Bandes als sexualwissenschaftliche Masterthesis zwar verständlich, hinsichtlich des erhofften Erkenntnisgewinnes dennoch bedauerlich. Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass dem Band ein sorgfältiges Lektorat gut getan hätte. Recht zahlreiche orthografische Fehler, zum Teil auch der sprachliche Ausdruck, tragen dazu bei, dass das Lesevergnügen bedauerlicherweise etwas einschränkt ist.

Nach der bereits erwähnten kurz gehaltenen Skizze des theoretischen Hintergrunds und knappen Wiedergabe vorhandener empirischer Befunde zum Vorkommen von Selbstbefriedigung unter Heranwachsenden und Erwachsenen, stehen im Mittelpunkt des Buches sechs qualitative Interviews mit solosexuell erfahrenen jungen Erwachsenen. Positiv hervorzuheben ist hier die kritische Selbsteinschätzung der Autorin über die Reichweite und Aussagekraft der von ihr erhobenen Daten. Im Anschluss an zusammenfassende Falldarstellungen analysiert Rose ihr Interviewmaterial entlang der in den Gesprächen berichteten Motive und geht dabei vertiefend auf die Rolle des Orgasmus im Solosetting sowie auf die Kriterien Lust und sexuelle Erregung, Druckgefühl und Entspannung, Gewohnheit, Ablenkung und Langeweile sowie das Verhältnis von Solosexualität zur partnerschaftlichen Sexualität ein. Innerhalb dieser Unterkapitel unterlegt Rose ihre Analysen immer wieder mit Passagen ihres spannenden Interviewmaterials. Sie arbeitet heraus, dass Selbstbefriedigung häufig von nicht-sexuellen Beweggründen initiiert wird und dass der Orgasmus laut ihrer Befragten tatsächlich eine wichtige Rolle spielt und über die erlebte „Qualität“ der Selbstbefriedigung (mit-)entscheidet. Auch auf einen Zusammenhang zwischen Selbstbefriedigung und Pornografiekonsum, der in allen Interviews berichtet wird, geht Rose in ihrem Diskussionsteil ein. In diesem Zusammenhang reflektiert sie auch die Bedeutung heteronormativer Skripte für die Motive zur sowie Bewertung von Solosexualität.

„What’s fappening“ bietet z. B. Sexualpädagog_innen und sexualwissenschaftlich interessierten Nachwuchswissenschaftler_innen interessante Einblicke. Die qualitativen Daten ermöglichen eine Beschäftigung mit den Rahmenbedingungen von Solosexualität junger Erwachsener, ihre biografische Einbettung und die individuellen Motive, solosexuell aktiv – oder auch nicht aktiv – zu sein. Spannend bleibt, dass trotz der empirisch belegten zunehmenden Angleichung der Geschlechter in fast allen Bereichen sexuellen Verhaltens im Bereich von Solosexualität und Pornografienutzung weiterhin Geschlechterdifferenzen wahrzunehmen sind; das wird auch in dem Interviewmaterial von Rose deutlich, etwa darin, dass die befragten jungen Frauen sich seltener pornografiegestützt selbst befriedigen oder biografisch später damit beginnen. Inwieweit diese Geschlechterdifferenzen z. B. mit Alter, Beziehungsstatus oder sexueller Orientierung zusammenhängen oder welche Bedeutung Solosexualität z. B. im mittleren oder höheren Lebensalter hat, dies könnten spannende Themenfelder und Fragestellungen für zukünftige (sexual-)wissenschaftliche Forschung sein.

Maika Böhm (Merseburg)