Univ.-Professorin Dr. med. Gundula Staatz
Was bedeutet es für Sie, als Kongresspräsidentin des 100. Deutschen Röntgenkongresses
zu amtieren?
Für mich ist es eine große Ehre und Auszeichnung, dass ich als erste Frau das Kongresspräsidenten-Amt
innehaben und zudem die Kinderradiologie auf diesem besonderen Kongress vertreten
darf. Das ist natürlich auch eine Würdigung meines Fachgebietes, über die ich mich
sehr freue.
Welche Veranstaltungen sollten die Teilnehmer beim 100. Deutschen Röntgenkongress
auf keinen Fall versäumen?
Wir haben auf dem Röntgenkongress ein breit gefächertes wissenschaftliches und interessantes
Fortbildungsprogramm zusammengestellt. Jeder Besucher, jede Besucherin kann sich aus
dem Programm etwas herauspicken, das zu den Interessen passt. Der Kongress bietet
aber auch eine gute Gelegenheit, über den Tellerrand hinaus zu blicken und Veranstaltungen
zu besuchen, die andere fachliche Schwerpunkte thematisieren. Ich persönlich finde
die Highlight-Sitzungen zu den 3 Hauptthemen des Röntgenkongresses wichtig, also Radiologie 4.0 , Früherkennung und Jung und Alt . Zudem haben wir in diesem Jahr eine neue Highlight-Reihe Zukunft der Radiologie konzipiert, in welcher die Arbeitsgemeinschaften der DRG spannende Vorträge zur Entwicklung
der Radiologie zusammengestellt haben. Und natürlich würden wir uns freuen, wenn möglichst
viele Kongressbesucherinnen und -besucher zur Eröffnungsveranstaltung und zur Röntgen-Vorlesung
kommen. Die Eröffnungsveranstaltung mit dem bekannten TV-Wissenschaftsjournalisten
Ranga Yogeshwar und die Röntgen-Vorlesung mit dem Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo
stehen ganz im Zeichen von künstlicher Intelligenz .
Sie haben als Kongresspräsidentin und Kinderradiologin den Schwerpunkt „Jung und Alt“
gewählt. Welche Inhalte werden dazu auf dem Kongress vertieft?
Wir haben diverse kinderradiologische Themen zur speziellen Bildgebung bei Kindern
und Jugendlichen vorbereitet. Das betrifft Refresher-Kurse zur onkologischen, neonatologischen
und muskuloskelettalen Bildgebung, aber auch fallbasierte Vorträge zur Bildgebung
in der Sport-, Unfall- und Notfallmedizin. Als Kongresspräsidentin hatte ich die Gelegenheit,
zum ersten Mal eigene Highlight-Sitzungen für die Kinderradiologie mitzugestalten
– ich freue mich auf exzellente Vorträge von nationalen und internationalen Referentinnen
und Referenten zu diesem Gebiet.
Können Sie eine dieser Highlight-Sitzungen näher beschreiben?
Am Kongress-Donnerstag nimmt die Sitzung Kinderradiologie 2025 – quo vadis? die Zukunft in den Blick. Darin geht es um die Entwicklung der Kinderradiologie vom
Röntgen zum PET-MRT. Wir werden einen Vortrag zu zukunftsweisenden MR-Techniken hören
und beleuchten, wie gering die Dosis beim Low-Dose-CT sein kann. Das ist ja ein ganz
zentrales Thema, wenn Computertomografie für Kinder notwendig wird: Wie kann ich mit
möglichst wenig Dosis die volle Bildinformation erzielen?
Neben der Bildgebung bei z. B. Lungenkrankheiten oder chronischen Erkrankungen wie
der Glasknochenkrankheit haben es Kinderradiologen auch mit Kindesmisshandlungen zu
tun. Wird es dazu auch eine Sitzung auf dem Kongress geben?
Wir haben am Kongress-Samstag eine Sitzung zum Thema Kindesmisshandlung, bei der die
ZNS-Läsionsmuster, Skelettveränderungen oder auch Charakteristika von abdominellen
Verletzungen behandelt werden. Das Thema Kindesmisshandlung ist wichtig. Wir sehen
ca. ein Dutzend Patienten pro Jahr, aber die Dunkelziffer liegt ja viel, viel höher.
Wir Radiologen sollten deshalb sensibilisiert sein, das schwierige Thema Kindesmisshandlung
stets mitzudenken. Wichtig ist, dass die Betreuung dieser Patienten dann im Rahmen
von sogenannten Kinderschutzgruppen, wie bei uns an der Universitätsmedizin Mainz,
abläuft: Ein interdisziplinäres Team aus Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Kinderklinik,
Rechtsmedizin, Kinderradiologie, Kinderchirurgie, Sozialdienst u. a. bespricht die
Anamnese, die Klinik und die Bildgebung gemeinsam und legt im Team dann das weitere
Vorgehen fest. Voraussetzung ist aber natürlich, entsprechende Zeichen in der Bildgebung
überhaupt erst einmal zu erkennen, um weitere Schritte einleiten zu können.
Was ist das Besondere an Ihrem Beruf als Kinderradiologin innerhalb der Radiologie?
Wir decken eine enorme Altersspanne ab, vom kleinsten Frühgeborenen bis zu großen
Kindern und jungen erwachsenen Patienten, deren Erkrankungen, wie z.B die Mukoviszidose
oder auch Stoffwechselerkrankungen, in der Kindheit beginnen und bis zum Erwachsenenalter
gehen. Insofern ist Kinderradiologie Kinder- und Jugendmedizin, aber teilweise auch
Erwachsenenmedizin. Patienten, die wir als Kinder sehen, betreuen wir häufig bis weit
ins Erwachsenenalter hinein. Zudem haben wir ein anderes Krankheitsspektrum in der
Kinderradiologie. Prinzipiell gilt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Dadurch
ist das Tätigkeitsgebiet sehr anspruchsvoll, aber auch breit gefächert: Es reicht
von der allgemeinen Kinder- und Jugendmedizin bis hin zu allen möglichen pädiatrischen
Subspezialitäten, wie z. B. der Kinderonkologie, Kinderpulmonologie, Neonatologie,
Kinderorthopädie, Kinderchirurgie oder Neuropädiatrie. Das macht die ganze Sache sehr
spannend, weil abwechslungsreich. Was für mich persönlich immer ein Highlight der
Kinderradiologie darstellt: Wir sind Allrounder bezüglich der verschiedenen bildgebenden
Verfahren. Fast alle Kinderradiologen und Kinderradiologinnen in Deutschland wie auch
international führen alle Verfahren durch, vom Ultraschall über konventionelle Röntgenuntersuchungen
bis zu CT und MRT. Dabei steht für uns der Patient im Mittelpunkt – je nach Erkrankung
wenden wir die Bildgebungsmethoden an, die für den Patienten optimal sind und bei
denen wir mit möglichst wenig Strahleneinsatz die bestmögliche Diagnose erzielen.
Bei einem Kind steht fraglos der Ultraschall an erster Stelle, aber wenn das Kind
darüber hinaus noch weitere Diagnostik benötigt, schicken wir es nicht woanders hin,
sondern betreuen den kleinen Patienten von der ersten Untersuchung bis zur weiterführenden
Schnitt-Bildgebung.
Inwieweit erhalten angehende Kinderradiologen Unterstützung, um in diesem anspruchsvollen
Tätigkeitsfeld gut zurecht zu kommen?
Wir legen in der Kinderradiologie sehr viel Wert darauf, die Weiterbildungsassistenten
und -assistentinnen behutsam an das Fachgebiet heranzuführen. Natürlich haben wir
auch schwer kranke Kinder als Patienten und sehr mitgenommene Eltern, die ja immer
mit dabei sind. Da braucht es Sensibilität, Einfühlungsvermögen und auch Geduld, um
mit diesen Patienten und ihren Eltern adäquat umzugehen. In der Universitätsmedizin
Mainz fangen die kinderradiologisch auszubildenen Ärzte und Ärztinnen immer mit der
Diagnostik bei den größeren Kindern an, bevor wir zu den kleineren Kindern übergehen.
Und wir lassen niemanden mit einem kranken Kind oder Jugendlichen allein, es ist immer
ein kinderradiologischer Oberarzt bzw. ich selbst mit dabei, um die Untersuchungen
zu überwachen.
Der Deutsche Ärztetag 2018 hat nach 5-jähriger, teilweise kontroverser Diskussion
die neue (Muster-) Weiterbildungsordnung (MWBO) verabschiedet. Zu den Eckpunkten zählt
der Erhalt der Schwerpunkte Neuro- und Kinderradiologie mit jetzt 2-jähriger Weiterbildungszeit.
Wie schätzen Sie dieses Ergebnis ein?
Es gab Bestrebungen, die Schwerpunktfächer in den medizinischen Disziplinen insgesamt
zu reduzieren. Daher sind wir sehr froh, dass die Kinderradiologie als Schwerpunktfach
– genau wie die Neuroradiologie – erhalten geblieben ist. Die Weiterbildungszeit ist
verkürzt worden, sie betrug früher 3 Jahre. Jetzt macht man eine Ausbildung zum Radiologen
und setzt anschließend die Schwerpunktbezeichnung Kinderradiologie in einer 2-jährigen
Weiterbildungszeit oben drauf. Die Verkürzung der Weiterbildungszeit von 3 auf 2 Jahre
zielt eindeutig darauf ab, mehr Nachwuchs für die Kinderradiologie zu gewinnen.
Wie wird sich die Kinderradiologie zukünftig verändern?
Die Kinderradiologie wird auch zukünftig ein ganz modernes Fachgebiet bleiben, das
spiegelt sich in der kinderradiologischen Anwendung von diversen Bildgebungsmethoden
wider, wie es auf dem 100. Deutschen Röntgenkongress präsentiert wird. Aber die wenigsten
modernen Bildgebungstechniken, die die Diagnostik erleichtern oder sogar verbessern,
werden für Kinder entwickelt. Im Vordergrund steht die Anwendung der jeweiligen Bildgebungsmethode
bei erwachsenen Patienten. Die Kinderradiologie muss diese neuen Bildgebungstechniken
für Kinder und Jugendliche adaptieren, im Endeffekt an der modernen Bildgebung wachsen
und ihre Entwicklungen mitgehen: Ob es sich um moderne Ultraschalltechniken handelt,
Stichwort Elastografie, moderne Techniken zur Dosisreduktion in der Computertomografie
oder hochspezialisierte Sequenztechniken in der Kernspintomografie, um zum Beispiel
Bewegungs- und Atemartefakte zu unterdrücken, den Kontrast zu erhöhen oder zum Beispiel
mittels Diffusions-Bildgebung möglichst wenig Kontrastmittel einsetzen zu müssen.
Das gilt auch für die künstliche Intelligenz (KI), die aus meiner Sicht eine Chance
bietet und keine Bedrohung darstellt. Wir haben es mit immer größeren Bilddatensätzen
zu tun, mit Hunderten von Bildern. Wenn uns in dieser Situation ein Computer bei der
Befundung hilft, ist das eine sehr gute Entwicklung. Natürlich muss letztlich der Radiologe
bzw. der Kinderradiologe entscheiden, was ein Artefakt und was diagnoserelevant ist.
Trotz dieses enormen Potenzials werden m. E. die KI-Systeme den Arzt in seinem Verhältnis
zum Patienten nicht ersetzen können. Wenn ein Bildgebungssystem uns beispielsweise
sagt, da ist nichts Besonderes zu sehen, ich sehe aber dem Kind an, dass es krank
ist, dann gebe ich mich nicht mit einer unauffälligen, von künstlicher Intelligenz
gesteuerten Bildgebung zufrieden. Ich weiß dann, dass ich noch einmal genauer hinschauen
und vielleicht noch ein anderes Bildgebungsverfahren hinzunehmen muss, etwa ein MRT.
Also, bei aller künstlichen Intelligenz – ohne Patientenkontakt und ohne den klinischen
Blick geht es für mich aktuell und auch in absehbarer Zeit nicht.
Sie sind die erste Kongresspräsidentin seit dem ersten Deutschen Röntgenkongress 1905.
Haben Sie einen Rat für junge Ärztinnen, die eine Karriere in der Radiologie anstreben?
Ich kann nur raten, zielgerichtet, engagiert und fleißig den angestrebten Weg zu gehen
und sich für das Fachgebiet oder Spezialgebiet zu entscheiden, das einem am meisten
Spaß macht – das ist für mich das Wichtigste. Für Ärztinnen gibt es mittlerweile gute
Förderprogramme, wie z. B. Mentoring-Programme, an fast allen Universitäten. Für die
nachfolgende Generation sollte es auch wichtig sein, sich berufspolitisch und für
das Fachgebiet, das einem am Herzen liegt, zu engagieren. Denn wenn man nicht aktiv
mitarbeitet, kann man auch nichts bewegen. Gerade weil es nicht so viele Kinderradiologen
beziehungsweise Kinderradiologinnen gibt, kann ich nur jeden ermutigen, mitzuhelfen
und mitzuarbeiten – auch wenn das zusätzliche Arbeit außerhalb der normalen Tagesroutine
bedeutet –, um unser Fachgebiet voranzubringen.
Jetzt haben wir viel über Kinderradiologie gesprochen. Was erwartet die Kongressbesucher
denn unter dem Stichwort „Alt“?
In der neonatologischen Kindermedizin werden die Kinder immer früher und damit kleiner
geboren, heute haben wir es teilweise mit 300-Gramm-Frühchen zu tun. Auf der anderen
Seite werden die Menschen immer älter, das Durchschnittslebensalter steigt weiter
an. Auf dem Kongress werden daher Erkrankungen der Altersmedizin wie z.B der Morbus
Alzheimer diskutiert.
Und was ist Ihr persönliches Highlight auf dem 100. Deutschen Röntgenkongress?
Ich freue mich schon sehr auf die Eröffnungsveranstaltung und die Röntgen-Vorlesung,
aber persönlich bin ich besonders gespannt auf die neue Highlight-Sitzung zur Reise-
und Tropenmedizin. Mit steigender Reisefreudigkeit, auch in die entferntesten Länder
dieser Welt, kehren die Menschen auch mit seltenen tropischen oder parasitären Erkrankungen
zurück, mit denen wir es dann zu tun haben. Oder das Thema Tuberkulose: Die Erkrankung
war in unserer Industriegesellschaft praktisch fast schon in Vergessenheit geraten,
und erst mit der Zuwanderung aus den Nicht-Industrieländern ist die Tuberkulose jetzt
wieder aktuell – darüber werden wir in dieser Highlight-Sitzung fallbasiert sprechen.
Also: Kommen Sie nach Leipzig, erleben und feiern Sie mit uns diesen einzigartigen
Jubiläumskongress. Einen 100. Deutschen Röntgenkongress gibt es nur einmal! Wir haben
alles getan und tun weiterhin alles dafür, dass es ein interessanter und erfolgreicher
Kongress wird. Wir freuen uns darauf, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Leipzig
begrüßen zu dürfen!
Der 100. Deutsche Röntgenkongress findet vom 29. Mai bis 1. Juni 2019 im Congress
Center Leipzig statt. Weitere Informationen unter https://www.roentgenkongress.de .
Univ.-Professorin Dr. med. Gundula Staatz, Kongresspräsidentin des 100. Deutschen
Röntgenkongresses, spricht im Kurzfilm über die Zukunft der Kinderradiologie und das
Kongress-Thema „Jung und Alt“. Den Film finden Sie online unter https://youtu.be/1k0JE7hNong
Einen Kurzfilm mit dem Kongresspräsidenten Professor Dr. med. Walter Heindel finden
Sie online unter https://youtu.be/f_jzhOnO7h0 . In diesem geht es um Früherkennung und ihre wachsende Bedeutung in der medizinischen
Bildgebung.
Professor Dr. med. Michael Forsting, ebenfalls Kongresspräsident des 100. Deutschen
Röntgenkongresses, spricht im Kurzfilm über das Kongress-Thema „Radiologie 4.0“ und
die Bedeutung der Digitalisierung für das Fach. Den Film finden Sie online unter https://youtu.be/FPQRFCRM5Jg .