Frauenheilkunde up2date 2020; 14(03): 227-240
DOI: 10.1055/a-0858-0586
Gynäkologische Onkologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fertilitätserhalt – Möglichkeiten und Grenzen

Ralf Dittrich
,
Laura Lotz
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. rer. nat. Ralf Dittrich
Universitätsklinikum Erlangen
Frauenklinik
Universitätsstraße 21 – 23
91054 Erlangen

Publication History

Publication Date:
03 June 2020 (online)

 

Fertilitätsprotektive Maßnahmen stellen einen integralen Bestandteil onkologischer Behandlungen von präpubertären Mädchen und Jungen oder Patienten/-innen im reproduktiven Alter dar. Die verschiedenen fertilitätsprotektiven Techniken müssen dabei im Rahmen eines multimodalen Konzepts individuell mit den Betroffenen besprochen werden. Eine zügige und zeitparallele Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Zentrum ist dabei unerlässlich.


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Einleitung

Die Überlebensrate bei malignen Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren aufgrund von Fortschritten in den Therapiekonzepten signifikant verbessert. Krebserkrankungen stellen überwiegend eine Erkrankung des älteren Menschen dar, wohingegen Kinder und junge Erwachsene relativ selten davon betroffen sind.

Merke

In Deutschland erkranken derzeit pro Jahr etwa 15 000 Patienten im Alter zwischen 15 und 39 Jahren an einem Karzinom, bei 480 000 Neuerkrankungen insgesamt.

Viele von Krebs betroffene Patientinnen und Patienten haben ihre Familienplanung noch nicht abgeschlossen, jedoch führen die onkologischen Therapien häufig zu einer partiellen oder kompletten Schädigung der Gonadenfunktion mit dem möglichen Einhergehen eines Verlustes der Keimzellen. Es können infolgedessen Störungen der Pubertätsentwicklung, Menstruationsanomalien (Oligo-, Hypo- und Amenorrhö) bzw. Schädigung der Spermatogenese (passagere Azoospermie/passagere Reduktion der Spermienzahlen, dauerhafte Azoospermie), Infertilität sowie klimakterische Symptome auftreten. Des Weiteren müssen auch die Langzeitfolgen eines vorzeitigen Östrogenmangels und/oder Testosteronmangels beachtet werden wie genitale Atrophie, Osteoporose, Gynäkomastie, viszerale Fettleibigkeit und Zunahme kardiovaskulärer Erkrankungen [1].

Praxistipp

Die Sorge vor einer späteren therapierefraktären Infertilität stufen viele Betroffene, ebenso auch ihre Partner und häufig auch die nahen Angehörigen als eine sehr belastende Situation ein. Daher müssen Konzepte zum Erhalt der Fertilität und die Beratung darüber integraler Bestandteil onkologischer Behandlungen von präpubertären Mädchen und Jungen oder Patienten/-innen im reproduktiven Alter sein [1].

Die Beratung von Krebspatientinnen und -patienten hinsichtlich einer späteren Familienplanung muss möglichst zeitnah zur Diagnosestellung des Krebsleidens erfolgen, um eine individuelle Beratung und eine patientenspezifische Option des Fertilitätserhalts durchführen zu können. Die Grunderkrankung selbst, das Alter der Patienten, die onkologische Einschätzung der Prognose (Art der Primärerkrankung, Vorliegen einer metastasierten Situation, Chancen für ein rezidivfreies Überleben bzw. Gesamtüberleben), die Einschätzung des Risikos einer späteren Unfruchtbarkeit sind zentrale Faktoren, die bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind.

Merke

Vor allem bei betroffenen Frauen ist eine enge Kooperation zwischen Reproduktionsmedizinern und den onkologisch tätigen Ärzten in der Beratungssituation unerlässlich.

Des Weiteren gibt es auch eine Reihe von Erkrankungen außerhalb des Bereichs maligner Neoplasien, die einer zytotoxischen Behandlung bedürfen und so ebenfalls behandlungsbedingt zu einem Verlust an Keimzellen führen können. Aber auch genetische Erkrankungen (z. B. Ulrich-Turner-Syndrom oder Galaktosämie) kommen für eine Fertilitätsprotektion infrage.

Ziel dieses Beitrages ist es, grundlegende Informationen über fertilitätserhaltende Maßnahmen zu schaffen und darüber hinaus das Bewusstsein bei den medizinischen Vertrauenspersonen zu schärfen, diese Maßnahmen mit den Betroffenen zu besprechen und anzubieten.


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Fertilitätserhalt bei Frauen

Gonadotoxizität durch eine Chemotherapie

Chemotherapeutika können die ovarielle Reserve erheblich schädigen. Abhängig von der Größe des Schadens kann dies zu einem prämaturen Ovarialversagen mit vorzeitiger Menopause und einer permanenten Infertilität führen. Die gonadotoxische Wirkung ist dabei abhängig von deren Wirkmechanismus, der Dosierung, der Therapiedauer, der Applikationsform, der Begleitbehandlung wie einer simultanen Radiotherapie oder einer Ovar-destruierenden Operation und der individuellen Disposition ([Tab. 1]). Des Weiteren spielt das Alter der Patientin eine große Rolle für das Auftreten einer späteren Infertilität nach einer Chemotherapie (allgemein kann man sagen: je älter die Patientin, desto größer das Risiko).

Tab. 1 Ovartoxische Wirkung verschiedener Chemotherapeutika.

Höhe des Risikos

Art der Behandlung

CMF: Cyclophosphamid, Methotrexat, 5-Fluorouracil; CEF: Cyclophosphamid, Epirubicin, 5-Flourouracil; CAF: Cyclophosphamide, Adriamycin, 5-Fluorouracil; TAC: Paclitaxel (Taxol), Doxorubicin (Adriamycin), Cyclophosphamid; BEACOPP: Bleomycin, Etoposid, Doxorubicin, Cyclophophamid, Vincristin, Procarbazin, Prednison; AC: Doxorubicin, Cyclophosphamid; EC: Epirubicin, Cyclophosphamid; CHOP: Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednisolon; ABVD: Docorubicin, Bleomyccin, Vinblastin, Dacarbazin: CVP: Cyclophosphamid, Vincristin, Prednison; FOLFOX: Folinsäure (Leucovorin), 5-Fluorouracil, Oxaliplatin

hohes Risiko (> 80%iges Risiko für eine permanente Amenorrhö)

  • CMF, CEF, CAF, TAC × 6 bei Frauen ≥ 40 Jahre

  • Konditionierung für Stammzelltransplantation (insbesondere Alkylanzien-basierte myeloablative Konditionierung mit Busulfan, Cyclophosphamid, Melphalan)

  • BEACOPP × 6 – 8 bei Frauen > 35 Jahre

intermediäres Risiko (40 – 60%iges Risiko für eine permanente Amenorrhö)

  • CMF, CEF, CAF, TAC × 6 bei Frauen 30 – 39 Jahre

  • AC × 4 bei Frauen ≥ 40 Jahre

  • AC oder EC × 4 → Taxan

  • BEACOPP × 6 – 8 bei Frauen 25 – 35 Jahre

  • CHOP × 6 bei Frauen ≥ 35 Jahre

niedriges Risiko

(< 20%iges Risiko für eine permanente Amenorrhö)

  • CMF, CEF, CAF, TAC × 6 bei Frauen ≤ 30 Jahre

  • AC × 4 bei Frauen ≤ 40 Jahre

  • BEACOPP × 6 – 8 bei Frauen < 25 Jahre

  • ABVD × 24

  • CHOP × 6 bei Frauen < 35 Jahre

  • CVP

  • FOLFOX bei Frauen ≤ 40 Jahre

sehr niedriges oder kein Risiko für eine permanente Amenorrhö

  • Methotrexat

  • Fluorouracil

  • Vincristin


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Gonadentoxizität durch eine Strahlentherapie

Fallbeispiel

Bei einer 36-jährigen Patientin (Gravida 0) wurde ein Mammakarzinom links unten/außen, cT1 cN0 cM0, diagnostiziert (Stanzbiopsie: NST, G2; Immunhistochemie: ER 95%, PR 40%, Ki-67 30%, HER2/neu negativ). Die Patientin stellte sich vor mit der Frage nach fertilitätsprotektiven Maßnahmen vor einer geplanten neoadjuvanten Chemotherapie mittels 4 Zyklen Epirubicin/Cyclophosphamid, gefolgt von 12 Zyklen Paclitaxel q7d.

Die Patientin ist nicht verheiratet, lebt aber seit Kurzem in einer festen Partnerschaft. Bisher hat die Patientin noch nicht versucht, schwanger zu werden. Die Patientin berichtet von einem regelmäßigen Zyklus. Mit der Patientin wurde das Risiko für eine Infertilität und die verschiedenen fertilitätsprotektiven Maßnahmen besprochen. Sie entschied sich für eine hormonelle Stimulationsbehandlung zur Kryokonservierung von unfertilisierten Oozyten. Es erfolgte eine hormonelle Stimulationsbehandlung im Antagonisten-Protokoll unter Einnahme von Letrozol 5 mg p. o. ab dem ersten Stimulationstag bis zur Ovulationsinduktion durch einen GnRH-Agonisten. Es konnten insgesamt 13 Metaphase-II-Eizellen gewonnen und kryokonserviert werden.

Aktuell stellte sich die Patientin erneut mit dem Wunsch nach einem Kind vor. Die Patientin ist jetzt 40 Jahre alt und nimmt seit 3 Jahren Tamoxifen ein. Mit der Patientin wurde eine Unterbrechung der Tamoxifen-Therapie zur Erfüllung des Kinderwunsches besprochen. Die gemessenen Hormonwerte zeigen einen hypergonadotropen Hypogonadismus mit zwei FSH-Werten von jeweils 70 IU/ml und einem Östradiolwert von 20 mmol/l sowie einen AMH-Wert von 0,1. Die Patientin berichtet, dass seit Beginn der Chemotherapie keine Periodenblutung mehr eingetreten ist.

Zur Erfüllung des Kinderwunsches werden die kryokonservierten Oozyten aufgetaut, mittels ICSI fertilisiert und anschließend zwei Embryonen transferiert. Nach dem zweiten Transfer tritt eine Schwangerschaft ein und in der 40. + 2 SSW wird ein gesundes Mädchen geboren.

Strahlenschäden am Ovar

Die Eizellen in den Ovarien sind besonderes strahlensensibel. Bereits ab einer Organdosis am Ovar von unter 2 Gray (Gy) kommt es zu einem Verlust an Eizellen [2]. Ab einer Dosis von 4 Gy am Ovar kommt es zu einer Beeinträchtigung der Hormonbildung, oberhalb einer Dosis von 20 Gy (auch wieder altersabhängig) wird diese irreversibel geschädigt. Das Ausmaß der Schädigung ist abhängig vom Alter zum Zeitpunkt der ovariellen Exposition sowie Dosis und Typ der Bestrahlung ([Tab. 2]). Bei Patientinnen mit einer Ganzkörperbestrahlung während der Kindheit wurden in 90% Ausfälle der ovariellen Funktion beschrieben. Eine abdominelle Bestrahlung von 20 – 30 Gy führte bei 97% der Mädchen zu einer primären Ovarialinsuffizienz.

Tab. 2 Effekt unterschiedlicher Strahlendosen auf die Gonaden.

Effekte

Strahlendosis

Frauen

keine relevanten Effekte

≤ 0,6 Gy

keine relevanten Effekte mit < 40 Jahren

≤ 1,5 Gy

Risiko einer Ovarialinsuffizienz: ca. 60% mit 15 – 40 Jahren

2,5 – 5 Gy

sterilisierende Dosis mit 0 Jahren

≥ 20 Gy

sterilisierende Dosis mit 10 Jahren

≥ 18 Gy

sterilisierende Dosis mit 20 Jahren

≥ 16 Gy

sterilisierende Dosis mit 30 Jahren

≥ 14 Gy

sterilisierende Dosis mit 40 Jahren

≥ 7 Gy

Reduktion des Follikelpools um ca. 50%

≥ 2 Gy

Männer

lang andauernde Azoospermie möglich

≥ 2 Gy total

permanente Azoospermie möglich

≥ 4 Gy total

permanente Azoospermie möglich

≥ 1,2 Gy fraktioniert


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Strahlenschäden am Uterus

Die Bestrahlung des Uterus kann zu einer uterinen Sterilität und zu erhöhten Schwangerschaftsrisiken führen, wie Frühgeburtlichkeit, Aborten und erniedrigtem Geburtsgewicht der Kinder. Während der Kindheit scheinen Strahlendosen am Uterus von > 25 Gy irreversible Schäden zu induzieren. Es ist jedoch unklar, ob es einen oberen Schwellenwert gibt, ab dem bei Exposition von 100% des Uterusvolumens eine Schwangerschaft unmöglich ist. Teh et al. haben vorgeschlagen, dass bei Patientinnen, die im Erwachsenenalter > 45 Gy und in der Kindheit > 25 Gy Organdosis ausgesetzt waren, eine Schwangerschaft vermieden werden sollte bzw. nicht möglich ist [3]. Rodriguez-Wallberg et al. berichteten 2015 von einer Schwangerschaft mit erfolgreicher Geburt bei einer Ewing-Sarkom-Patientin nach einer Bestrahlung des kleinen Beckens mit 54 Gy.


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Gonadentoxizität durch endokrine Therapien

Bei begrenzter Evidenz geht man aktuell eher von keiner oder einer sehr begrenzten Beeinträchtigung der ovariellen Reserve durch Tamoxifen und Aromatasehemmer aus. In den ASCO-Empfehlungen zur Fertilitätsprotektion wird Tamoxifen nicht als gonadotoxische Substanz aufgeführt. Eine internationale Expertenkommission hat Tamoxifen als ein Agens mit sehr niedrigem oder fehlendem Risiko für die ovarielle Reserve eingeordnet [4]. Der wichtigste fertilitätseinschränkende Einfluss einer endokrinen Therapie beim Mammakarzinom stellt die Dauer der Therapie über 5 – 10 Jahre da. Dies bedeutet für die Patientinnen eine erhebliche Verschiebung der gewünschten Schwangerschaft in eine Lebensphase mit eingeschränkter oder erloschener ovarieller Reserve.

Merke

Die lange Dauer einer endokrinen Brustkrebstherapie beeinflusst die Familienplanung junger Patientinnen enorm.

Zur Erfüllung des Kinderwunsches kann eine Unterbrechung der endokrinen Antitumortherapie (nach mindestens 2-jähriger Therapie) mit nachfolgender Wiederaufnahme erwogen werden. Daten der TAM-02 und der Wisconsin-Tamoxifen-Studie zeigten, dass die Tamoxifen-Anwendung 2 bzw. 8 Jahre ohne Einschränkung des therapeutischen Nutzens verzögert werden kann. Die prospektive POSITIVE-Studie (Pregnancy Outcome and Safety of Interrupting Therapy for women with endocrine responsIVE cancer) untersucht aktuell mögliche Risiken, die mit der Unterbrechung einer endokrinen Therapie für die Verwirklichung des Kinderwunsches einhergehen.


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Fertilitätsprotektive Maßnahmen bei Frauen

Für den Fertilitätserhalt bei Mädchen und Frauen ist es entscheidend, die Oozyten im Ovar vor der Chemo- oder der Strahlentherapie zu schützen. Dies kann innerhalb des Körpers durch medikamentöse Ruhigstellung der Ovarien oder Verlagerung der Ovarien aus dem Bestrahlungsfeld erfolgen oder außerhalb durch Kryokonservierung von befruchteten oder unbefruchteten Eizellen oder von Ovarialgewebe.

Bei der Wahl der Methode muss die individuelle klinische Situation der Patientin beachtet werden. Die für die Beratung und Entscheidungsfindung wichtigsten Parameter sind:

  • Alter der Patientin

  • Art und Stadium der Grunderkrankung

  • geplante Behandlung

  • die Zeit, die bis zum Beginn der zytotoxischen Behandlung verbleibt, ohne die onkologische Therapie zu beeinflussen

  • natürlich der Patientenwunsch

Im Folgenden werden die einzelnen Methoden genauer dargestellt:

GnRH-Agonisten (GnRHa) – medikamentöse Maßnahmen

Die Hypothese der Wirksamkeit einer Chemotherapie begleitenden Behandlung mit GnRH-Agonisten beruht auf der Initiierung eines Zyklusarrestes durch eine hypophysäre Down-Regulation und eine hierdurch reduzierte Sensitivität des Ovarialgewebes gegenüber zytotoxischen Effekten. Dieses Konzept fußt auf der Beobachtung, dass bei inaktiven Gonaden im präpubertären Alter die Fertilität durch Chemotherapeutika weniger beeinträchtigt wird als in der reproduktiven Lebensphase.

Merke

Die GnRH-Agonisten-Gabe stellt einen Off-Label-Use dar.

Aufgrund der initialen vermehrten Gonadotropinfreisetzung der Hypophyse (sogenannter „Flare-up“-Effekt) sollte spätestens 7 Tage vor Beginn der Chemotherapie mit der Applikation der GnRH-Agonisten begonnen werden und diese mindestens noch 1 – 2 Wochen nach der Gabe des letzten Chemotherapiezyklus anhalten.

Praxistipp

Ist das Zeitfenster bis zum Beginn der Chemotherapie deutlich kürzer als eine Woche, so besteht die Möglichkeit, die GnRH-Agonisten mit GnRH-Antagonisten zu kombinieren, um den Flare-up zu verringern.

Der Nutzen der Applikation von GnRHa wird seit Jahren international kontrovers diskutiert. Mehrere randomisierte Studien und Metaanalysen haben die Thematik untersucht. Die meisten dieser Metaanalysen zeigten nach der parallelen Chemotherapie/GnRHa-Gabe eine signifikant niedrigere Rate für das Auftreten einer prämaturen Ovarialinsuffizienz (premature ovarian insufficiency, POI). Bei heterogener Datenlage lässt sich das Risiko um etwa die Hälfte reduzieren. Ein signifikanter Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer späteren Schwangerschaft (also auf die Fertilität) wurde in den Metaanalysen bis 2014 allerdings nicht nachgewiesen. Eine prospektiv-randomisierte Studie [5] sowie eine Metaanalyse mit Einschluss von 5 prospektiv randomisierten Studien bei Mammakarzinompatientinnen zeigten in der GnRHa-Gruppe eine signifikant höhere Schwangerschaftsrate [6]. Demeestere et al. publizierten die erste Studie zum Langzeiteffekt von GnRHa und konnten einen Nutzen bei einem medianen Follow-up vom 5,3 Jahren nach Abschluss der Chemotherapie nicht nachweisen [7]. Aus diesen Gründen sollten GnRH-Agonisten auch nicht als alleinige Option zur Fertilitätsprotektion gegeben werden [1].

Merke

Die Datenlage bezüglich des Nutzens der Applikation von GnRH-Agonisten parallel zur Chemotherapie ist kontrovers.


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Transposition der Ovarien

Bei der ovariellen Transposition werden vor einer Radiatio im Bereich des Beckens eines oder beide Ovarien aus dem strahlentherapeutischen Feld herausverlagert, sodass die ovarielle Strahlenbelastung minimiert und das Risiko für eine radiogene Ovarialinsuffizienz reduziert wird. Die Ovarien werden laparoskopisch nach Durchtrennen der Lig. ovarii propriae mobilisiert und dann meist mit resorbierbarem Faden lateral außerhalb des Bestrahlungsfeldes fixiert. In einigen Fällen ist es notwendig, eine Durchtrennung der Tuben durchzuführen, um eine ausreichend hohe Aufhängung zu erreichen.

In der Literatur sind verschiedene operative Techniken wie kraniale, laterale, mediale und auch anteriore Transpositionen beschrieben worden. Ein Vergleich der verschieden operativen Techniken ist aufgrund der Inhomogenität der Kollektive und dem Fehlen prospektiv randomisierter Studien nicht möglich.

Die Erfolgsrate einer erhaltenen Ovarialfunktion wurde in einer Metaanalyse von 2015 mit 32 Publikationen und insgesamt 1189 Patientinnen mit 80,8% (min. 17%, max. 95%) angegeben [8]. Man vermutet jedoch einen erheblichen Publikationsbias, da viele Fälle bzw. Studien mit schlechter Erfolgsrate nicht veröffentlicht sein dürften.

Obwohl die Effektivität der Ovartransposition zum Erhalt der Ovarialfunktion insgesamt als hoch einzustufen ist, sind Schwangerschaften z. B. nach bestrahltem Zervixkarzinom selten. Hierbei spielt es eine Rolle, ob nach Beendigung der onkologischen Therapie noch Kinderwunsch besteht und ggf. auch reproduktionsmedizinische Maßnahmen erwogen werden.

Merke

Auch die Bestrahlung der Gebärmutter an sich reduziert erheblich die Schwangerschaftschancen.

Die onkologische Sicherheit wird durch die Ovariopexie nicht wesentlich beeinflusst. Metastasen an den Trokareinstichstellen („port site metastasis“) betragen < 1%. Das Risiko einer ovariellen Ischämie, das unabhängig von der Bestrahlung zu einer Amenorrhö bei 4% der Patientinnen führen kann, ist in Relation zum Nutzen dieser Therapie als begrenzt relevant anzusehen.


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Kryokonservierung von Pronukleusstadien und fertilisierten Oozyten

Die Kryokonservierung von Pronukleusstadien und unfertilisierten Oozyten zählen zu den etablierten Verfahren des Fertilitätserhalts bei Frauen und postpubertären Mädchen. Analog dem Vorgehen bei einer In-vitro-Fertilisation (IVF) lassen sich durch eine ovarielle Stimulation und Follikelpunktion Oozyten gewinnen, die unfertilisiert oder im Pronukleusstadium kryokonserviert werden können.

Merke

Für die hormonelle Stimulation zur Eizellgewinnung ist ein Zeitfenster bis zum Beginn der zytotoxischen Therapie von ca. 2 Wochen erforderlich.

Grundsätzlich kann die hormonelle Stimulation unabhängig vom Zyklustag der Patientin gestartet werden (sogenannte „Random-Start-Stimulation“) [9]. Die Stimulationsschemata unterscheiden sich, je nachdem ob die Stimulation in der frühen Follikelphase, der späten Follikelphase oder der Lutealphase gestartet werden. Im Vergleich zu konventionellen Stimulationen (d. h. Stimulationsbeginn in der frühen Follikelphase mit Periodenbeginn) können mit den Random-Start-Stimulationen eine ähnliche Anzahl an Oozyten gewonnen und auch vergleichbare Schwangerschaftsergebnisse erzielt werden.

In Deutschland, das die geplante Kryokonservierung von menschlichen Embryonen per Gesetz untersagt, ist das Einfrieren von in Fertilisation befindlichen Oozyten mit 2 Vorkernen (Pronukleusstadium), d. h. einen Tag nach der Eizellgewinnung, ein wesentlicher Bestandteil von assistierten reproduktionsmedizinischen Techniken. Zu berücksichtigen ist, dass Pronukleusstadien nur nach Zustimmung beider Partner der Frau übertragen werden können, weshalb selbst bei einer festen Partnerschaft erwogen werden sollte, zumindest einen Teil der Oozyten unfertilisiert zu konservieren [1]. Die Kryokonservierung der Pronukleusstadien und unfertilisierten Oozyten erfolgt per Vitrifikation.

Die spätere Erfolgsrate für eine Schwangerschaft ist abhängig von dem Alter der Patientin zum Zeitpunkt der Kryokonservierung und der zugrunde liegenden individuellen Ovarialreserve. Gemäß Register-basierter Kalkulationen und erster Fallserien beträgt die Geburtenchance pro Stimulation und Kryokonservierung bei Frauen < 35 Jahre ca. 30 – 40%, nimmt aber bei älteren Frauen ab. Da die Anzahl der eingefrorenen Oozyten maßgeblich ist für die spätere Konzeptionschance, könnten Doppelstimulationen die Zahl der Zellen erhöhen. Bisher sind diese jedoch überwiegend bei Patienten mit niedriger Eizellreserve durchgeführt worden, um die Zahl der möglichen Transfers zu erhöhen.

Die Risiken bei einer ovariellen Stimulation sind insgesamt gering. Durch die Verwendung von Antagonisten-Protokollen und die Ovulationsinduktion mit GnRH-Agoniosten können ovarielle Überstimulationen vermieden werden, die sonst zu einer Verschiebung der Chemotherapie führen könnten.

Merke

Die Fehlbildungsrate von Kindern, die durch kryokonservierte Oozyten geboren wurden, unterscheidet sich nicht von denen nach spontaner Konzeption.

Obwohl es nur wenige Studien gibt, die die Sicherheit einer hormonellen Stimulation bei hormonrezeptorpositiven Tumoren untersuchten, gibt es einige Studien bei Brustkrebspatientinnen mit mehr als 10 Jahren Folgeuntersuchungen, die keine Veränderung des krankheitsfreien Überlebens nahelegen [6]. In diesen Studien wurden neben den Gonadotropinen auch Antiöstrogene (wie Tamoxifen) oder Aromatasehemmer (z. B. Letrozol) während der ovariellen Stimulation verabreicht, um den unerwünschten Östradiolanstieg zu senken.

Auf einen Blick

Die Kryokonservierung von Pronukleusstadien und unfertilisierten Oozyten

  • sind etablierte fertilitätsprotektive Maßnahmen,

  • benötigen ein Zeitfenster für die ovarielle Stimulationsbehandlung von 2 Wochen vor Beginn der onkologischen Behandlung und

  • bieten eine gute Chance auf eine spätere Schwangerschaft, aber die Geburtenraten sind abhängig vom Alter zum Zeitpunkt der Kryokonservierung.

Die Gewinnung von unreifen Oozyten zur Verringerung des Zeitbedarfs bei Stimulationsbehandlungen mit anschließender In-vitro-Maturation kann zukünftig eine klinische Alternativmethode zur konventionellen Stimulationsbehandlung darstellen. Dies ist aber kein Routineverfahren, sondern aktuell als experimentell einzustufen. Mit dieser Technik kann man unreife Oozyten ohne oder mit nur einem verkürzten niedrigdosierten Stimulationsprotokoll (3 – 5 Tage) gewinnen und nach erfolgreicher In-vitro-Reifung befruchtet oder unbefruchtet einfrieren. Auch bei der Aufbereitung von entnommenem Ovarialgewebe kann man versuchen, unreife Oozyten zu gewinnen.

Die In-vitro-Maturation von Oozyten im Zuge einer Kryokonservierung von Ovarialgewebe bietet eine additive Option des Fertilitätserhalts – ohne zusätzliches Risiko und Mehraufwand für die Patientin. Die Schwangerschaftsraten dieses Verfahrens sind aber bis auf die Daten weniger Gruppen noch sehr limitiert und das Verfahren als experimentell anzusehen.


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Kryokonservierung von Ovargewebe

Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe ist ebenfalls eine etablierte Methode, um die Fertilität nach einer onkologischen Behandlung wiederherzustellen [1]. Entwickelt wurde die Technik hauptsächlich für präpubertäre Mädchen und für Frauen, die den Beginn ihrer onkologischen Therapie nicht aufschieben können, um sich einer ovariellen Stimulation und Eizellenentnahme zu unterziehen.

Merke

Das Verfahren kann unabhängig vom Zyklus erfolgen und führt somit zu keiner Verzögerung der onkologischen Therapie.

Die Gewinnung ovariellen Gewebes kann minimalinvasiv im Rahmen einer Laparoskopie durch eine partielle Ovarektomie oder eine unilaterale Ovarektomie erfolgen oder per Laparotomie, wenn diese im Rahmen der onkologischen Grunderkrankungen notwendig sein sollte. Dies ermöglicht die Gewinnung von theoretisch Tausenden von Primordialfollikeln. Das ovarielle Gewebe wird entweder direkt nach der Entnahme kryokonserviert oder es kann zu einem auf die Kryokonservierung von Ovargewebe spezialisierten Zentrum mit angeschlossener Kryobank überführt werden. Eine Transportdauer von 4 – 5 Stunden vor der Kryokonservierung ist dabei bedenkenlos möglich, und auch bei längeren Zeitspannen (Transport über Nacht) bleibt die Vitalität des Gewebes erhalten [10].

Eine Transplantation von Ovarialgewebe sollte nach erfolgreicher onkologischer Therapie bei Patientinnen mit manifestem Kinderwunsch und bei Versagen der Ovarialfunktion zur Wiederaufnahme der Follikulogenese und Generierung einer Schwangerschaft erfolgen.

Cave

Die Risiken zur Entnahme und Transplantation von Ovarialgewebe sind gering. Bei Hodgkin-Patientinnen mit mediastinalem Befall muss jedoch ein erhöhtes Narkoserisiko berücksichtigt werden.

Eine Transplantation erfolgt meist in loco typico (orthotope) entweder in oder an das verbliebene Ovar oder in die Beckenwand kaudodorsal der Ovarien. International werden unterschiedliche orthotope Transplantationstechniken beschrieben. Welche der Techniken und welche Lokalisationen zu den höchsten Schwangerschaftschancen führen, ist noch unklar. Die Operationsrisiken sind gering (unter 1%) und vergleichbar mit den Risiken bei anderen laparoskopischen Eingriffen. Bei den orthotopen Transplantationsstellen ist prinzipiell eine natürliche Konzeption möglich, ggf. müssen ART-Maßnahmen (ICSI) angewandt werden.

Merke

Durch die Transplantationen des ovariellen Gewebes lässt sich die ovarielle Funktion in 60 – 95% der Fälle wiederherstellen.

Es dauert zwischen 60 und 249 Tage, bis das transplantierte Ovarialgewebe Zeichen der Wiederaufnahme seiner Funktion aufweist (FSH-Abfall, E-2-Anstieg, Einsetzen von Menstruationsblutungen). Aktuellen Studien zufolge bleibt das Gewebe etwa ein halbes bis mehr als 7 Jahre aktiv [11].

International sind bisher über 130 Geburten veröffentlicht wurden. Die Technik wurde erfolgreich angewandt bei Patientinnen mit einer Vielzahl von malignen und nicht malignen Erkrankungen, die einer gonadotoxischen Therapie bedurften. Schwangerschafts- und Lebendgeburtenraten wurden von diversen Zentren und Netzwerken ausgewertet und veröffentlicht. Die Erfolgsraten bei der Kryokonservierung von Ovarialgewebe betragen für die Lebendgeburten und laufende Schwangerschaftsraten laut Metaanalysen 37,7% [12], [13]. In Deutschland erbrachte eine Subanalyse von 30 Frauen, bei denen eine Erst-Transplantation bei einer nachgewiesenen prämaturen Ovarialinsuffizienz, also ohne erkennbare Ovarrestfunktion durchgeführt wurde, eine Schwangerschaft- und Geburtenrate von 46,7% und 43,3% [14].

Ein Fallbericht wurde publiziert, der über eine Geburt nach der Kryokonservierung von Ovargewebe im Alter von 9 Jahren berichtet [15]. Dieser Fallbericht zeigt, dass eine Transplantation auch nach einer präpubertären Kryokonservierung von Ovargewebe zu Schwangerschaften führen kann. Unterstützt wird dies auch durch 2 Fallberichte, die eine Induktion der Pubertät durch die Transplantation von präpubertär kryokonserviertem Ovargewebe nachgewiesen haben.

Ein Risiko, das mit der Patientin vor der Entnahme des Gewebes diskutiert werden muss, ist das mögliche Vorhandensein von malignen Zellen im kryokonserviertem Gewebe, das theoretisch durch die Transplantation zu einem Rezidiv führen könnte [16]. Obwohl viele Krebsarten praktisch nie in die Ovarien metastasieren, sind z. B. Leukämien systemische Erkrankungen und stellen daher ein hohes Risiko dar. Bei einem hohen Risiko ist die Kryokonservierung von Ovargewebe als experimentell zu erachten und die Patientin darüber zu informieren, dass das Gewebe möglicherweise nicht oder nur für zukünftige Techniken verwendet werden kann.

Experimentelle Optionen fokussieren auf die Reifung von Eizellen im Ovarialgewebe ohne Transplantation.

In-vitro-Maturation

Eine Option an der intensiv geforscht wird, ist die In-vitro-Maturation von Ovarialgewebe. Die Möglichkeit aus den primordialen Follikeln des Ovarialgewebes durch eine vollständige In-vitro-Maturation reife, befruchtungsfähige Eizellen zu gewinnen, gelang bisher nur im tierexperimentellen Bereich. Beim Menschen wurden bisher zwar Metaphase-II-Eizellen gewonnen, eine Fertilisierung und Transfer fand noch nicht statt. Eine weitere Möglichkeit stellt die Xenotransplantation von humanem Ovarialgewebe dar. Ovarialgewebe wird in immundefiziente Mäuse (z. B. SCID-Mäuse) transplantiert, die keine Abstoßungsreaktion gegen Fremdgewebe zeigen, wo Follikel heranreifen und zur Gewinnung der Oozyten punktiert werden können.

Des Weiteren wird an der Entwicklung von künstlichem Ovarialgewebe geforscht. Aufgrund der vorhandenen Fortschritte auf diesem Gebiet ist es durchaus vorstellbar, dass in den nächsten Jahren diese Verfahren auch bei Menschen erfolgreich sein könnten.

Auf einen Blick

Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe

  • ist eine etablierte fertilitätsprotektive Maßnahme,

  • führt in der Regel zu keiner Verschiebung der onkologischen Behandlung,

  • ist auch bei präpubertären Mädchen möglich.


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Kombination von verschiedenen fertilitätserhaltenden Techniken

Die etablierten fertilitätsprotektiven Techniken können zur Steigerung der Effektivität miteinander kombiniert werden. Dies sollte im Besonderen mit Patientinnen diskutiert werden, wenn ein hohes Risiko für eine spätere primäre Ovarialinsuffizienz gegeben ist, z. B. vor einer Induktionschemotherapie für eine Stammzelltransplantation. Hierbei wäre es zum Beispiel möglich, Ovarialgewebe zu entnehmen und zu kryokonservieren, direkt gefolgt von einer ovariellen Stimulation zur Kryokonservierung von Oozyten und parallel zur Chemotherapie GnRH-Agonisten zu applizieren. Durch die Kombination der fertilitätserhaltenden Maßnahmen lässt sich theoretisch die Chance auf eine zukünftige Schwangerschaft erhöhen, jedoch liegen bezüglich der Effizienz dieser additiven Maßnahme noch keine suffizienten Daten vor [17].


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Fertilitätserhalt bei Männern

Fallbeispiel

Bei Herrn Müller wurde im Alter von 31 Jahren ein klassisches Hodgkin-Lymphom vom nodulär-sklerosierendem Typ, Stadium IIB diagnostiziert. Es erfolgte eine Chemotherapie mit 2 Zyklen BEACOPP eskaliert, gefolgt von 2 Zyklen ABVD. Im Vorfeld waren zur Fertilitätsprotektion Spermien kryokonserviert wurden. Aktuell stellte sich Herr Müller, nun 36 Jahre alt, zusammen mit seiner 34-jährigen Frau aufgrund eines unerfüllten Kinderwunschs vor. Die Spermiogramm-Analyse zeigte eine Azoospermie. Die Sterilitätsabklärung der Frau war unauffällig. Mit dem Paar wurde die Durchführung einer hormonellen Stimulationsbehandlung für eine In-vitro-Behandlung mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion mithilfe der kryokonservierten Spermien besprochen. Es konnten 16 Metaphase-II-Eizellen durch die transvaginale Follikelpunktion gewonnen werden, von denen 11 Eizellen nach Durchführung der ICSI befruchtet waren. Es erfolgte ein Transfer von 2 Blastozysten am Tag 5 nach Punktion. Zwei Wochen später zeigte sich ein positiver hCG-Nachweis im Urin. Der Schwangerschaftsverlauf war unauffällig und es wurde in der 39 + 2 SSW ein gesunder Junge geboren.

Gonadotoxizität durch eine Chemotherapie

Auch bei Männern weisen viele Chemotherapeutika eine Gonadotoxizität auf und können zur Sterilität führen. Bereits in den ersten beiden Monaten nach Therapiebeginn, in Abhängigkeit von der applizierten Chemotherapie, kann eine deutliche Verminderung der Spermienkonzentration vorliegen; eine Azoospermie wird frühestens nach 2 Monaten beobachtet. Die Erholung der Spermatogenese hängt vom Überleben der spermatogonialen Stammzellen ab, ihrer Zahl und ihrem Differenzierungspotenzial. Alkylierende Substanzen können auch die spermatogonialen Stammzellen vernichten und daher kann hierbei eine Erholung ausbleiben oder zeitlich erheblich verzögert eintreten ([Tab. 3]) [18].

Tab. 3 Zytostatika, die permanent oder passager eine Azoospermie oder Reduktion der Spermienzahlen verursachen (modifiziert nach [1], [18], [19]).

Effekt

Therapie

kumulative Dosis

prolongierte Azoospermie

Radiotherapie

2,5 Gy

Cyclophosphamid

19 g/m2

Chlorambucil

1,4 g/m2

Cisplatin

500 mg/m2

Melphalan

140 mg/m2

Procarbazin

4 g/m2

Azoospermie nach Krebserkrankung im Kindesalter

BCNU

1 g/m2

CCNU

500 mg/m2

als Kombinationstherapeutika eingesetzte Präparate, die zur prolongierten Azoospermie führen

Busulphan

600 mg/kg

Ifosfamid

42 g/m2

Actinomycin D

Nitrogen mustard

nur in Kombination mit obigen Präparaten dauerhafte Azoospermie, alleinige Gabe nur passagere Azoospermie

Adriamycin

770 mg/m2

Thiotepa

400 mg/m2

Cytosin Arabinosid

1 g/m2

Vinblastin

50 mg/m2

passagere Azoospermie/passagere Reduktion der Spermienzahlen

Methotrexat

Mercaptopurin

Vincristin

Vinblastin

Bleomycin

Dactinomysin

ungeklärter Langzeiteffekt

Carboplatin


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Gonadotoxizität durch eine Strahlentherapie

Bereits Organdosen von 0,1 Gy am Hoden können zu einer Störung der Spermienproduktion führen und höhere Dosen abhängig von der Zeitdauer zu einem kompletten Verlust der Spermienproduktion. Circa 10 Wochen nach Beginn einer Radiatio kommt es zu einer deutlichen Verminderung der Spermienkonzentration, eine Azoospermie wird im Mittel nach 18 Wochen beobachtet. Die Erholung der Spermatogenese ist davon abhängig, ob auch die spermatogonialen Stammzellen zerstört wurden und in welchem Ausmaß. Mit einer permanenten Azoospermie muss bei einer Dosis von 1,2 Gy fraktionierten und 4 Gy total gerechnet werden ([Tab. 2]). Die Sexualfunktion ist im Gegensatz zur Fertilität üblicherweise unbeeinträchtigt, da die Hormonproduktion mit einer Schwellendosis im Bereich von 14 – 35 Gy deutlich weniger strahlempfindlich ist.


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Fertilitätsprotektive Maßnahmen

Kryokonservierung von Spermien

Merke

Die Kryokonservierung von Spermien vor Einleitung einer gonadotoxischen Therapie ist für Männer und Jugendliche ab der Pubertät ein etabliertes und sicheres Standardverfahren zum Erhalt der Fertilität.

Das Verfahren führt zu keiner Therapieverzögerung, da die Kryokonservierung von Spermien jederzeit durchgeführt werden kann. Die Gewinnung der Probe mittels Masturbation führt bei über 80% der Patienten zur erfolgreichen Anlage eines Kryodepots. Die Anlage eines zweiten Depots sollte bei reduzierter Samenqualität mit dem Patienten diskutiert und ermöglicht werden. Die Kryokonservierung und das spätere Wiederauftauen führen zu einem signifikanten Verlust vitaler Spermien.

Praxistipp

Es wird empfohlen, dass die eingefrorene Menge für 10 oder mehr ICSI-Behandlungen ausreichend ist. Dies ist mit den Standardsets für die Ejakulatkryokonservierung, die 36 „Straws“ à 300 µl Ejakulat enthalten, in den meisten Fällen ausreichend.

Eine transrektale Elektroejakulation unter Allgemeinanästhesie stellt eine Alternative zur Gewinnung einer Samenprobe für Patienten da, die aufgrund ihres jungen Alters, psychosexueller oder religiöser Faktoren oder aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen keine Spermien durch Masturbation gewinnen können. Das Verfahren der transrektalen Elektroejakulation bietet sich auch als eine Möglichkeit bei frühpubertären Jugendlichen an, da das Tanner-Stadium bzw. die Hormonlevel nicht unbedingt mit der Spermatogenese korrelieren.

Die Kryokonservierung von Spermien ist ein sicheres Verfahren ohne nennenswerte Risiken für den Patienten und die Verwendung kryokonservierter Samenproben onkologisch erkrankter Patienten führt nicht zu einem erhöhten Missbildungsrisiko der Nachkommen [1].

Merke

Die Kryokonservierung von Spermien kann ohne Zeitverzögerung vor der onkologischen Therapie erfolgen.


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Kryokonservierung von Hodengewebe

Bei einer Azoospermie oder bei Patienten, die nicht in der Lage sind zu ejakulieren, besteht die Möglichkeit der Gewinnung und Kryokonservierung von Hodengewebe zum Zweck der testikulären Spermienextraktion (TESE). Dies betrifft schätzungsweise rund 20% aller Tumorpatienten. Mithilfe der Kryokonservierung von Hodengewebe gelingt es bei 60 – 70% der Patienten, fertilisierungsfähige Spermien einzufrieren [20]. Die TESE ist ebenfalls ein etabliertes Verfahren. Bei späterem Kinderwunsch können die Spermien aus dem Hodengewebe für eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) verwendet werden. Die Entnahme des Hodengewebes erfolgt üblicherweise in Allgemeinanästhesie nach Eröffnung der Skrotalhaut und Freilegung der Hoden beidseits. Optimal ist die Entnahme in mikrochirurgischer bzw. mikroskopisch assistierter Technik (Mikro-TESE, mTESE), alternativ multilokulär aus verschiedenen Arealen des Hodens (Standard-TESE). Die operativen Risiken, wie Nachblutungen, Infektionen und Wundheilungsstörungen, liegen in erfahrenen Händen bei < 5% über alle Patientengruppen. Die Feinnadelpunktion ist weniger effektiv und wird daher nicht mehr empfohlen.

Merke

Die Kryokonservierung von Hodengewebe zum Zweck der testikulären Spermienextraktion (TESE) ist eine etablierte Methode bei Männern ab der Pubertät, die eine Azoospermie aufweisen.


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Sonstige protektive Maßnahmen

Im klinischen Alltag stellt bei einer Radiatio die Abschirmung des Hodens vor der Strahlung oder die Entfernung aus dem Strahlenfeld eine effektive und weit verbreitete Maßnahme da, um unerwünschten Schädigungen vorzubeugen.

Weitere Maßnahmen, wie eine hormonelle Suppression der Spermatogenese bei zytostatischer Chemotherapie, z. B. mit GnRH-Analoga, wurde zwar versucht, liefert aber bis dato keinen ausreichenden gonadalen Schutz.


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Fertilitätsprotektive Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen

Fallbeispiel

Die 9-jährige Lena wird zusammen mit ihren Eltern in der Sprechstunde für Fertilitätserhalt vorgestellt. Bei der jungen Patientin besteht ein Rezidiv einer akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL). Es soll zeitnah mit der Induktionstherapie im Rahmen einer Stammzelltransplantation (SZT) begonnen werden. Mit den Eltern und Lena wird über das hohe Risiko einer Beeinträchtigung der Chemotherapie bei SZT gesprochen. Aufgrund des Alters der Patientin kommt nur die Entnahme und Kryokonservierung von Ovarialgewebe infrage. Allerdings besteht bei ALL ein erhöhtes Risiko für einen malignen Befall des Ovarialgewebes. Experimentelle Optionen, die auf die Reifung von Eizellen im Ovarialgewebe ohne Transplantation abzielen, werden besprochen. Die Eltern und Lena entscheiden sich für die Kryokonservierung von Ovarialgewebe. Es erfolgt eine Laparoskopie mit einer partiellen Ovarektomie. Komplikationen treten keine auf.

Bei Mädchen ist das präpubertäre Ovar weniger empfindlich für chemotherapeutische Schädigungen als das postpubertäre Ovar. Dagegen ist beim Jungen das präpubertäre Keimepithel für die gonadotoxische Schädigung sehr empfindlich. Im Kasten sind wichtige Behandlungsmodalitäten aufgelistet, die im Kindes- und Jugendalter ein hohes Risiko für eine spätere Fruchtbarkeitsbeeinträchtigung aufweisen.

Hintergrundwissen

Faktoren, die ein hohes Risiko für eine spätere Fruchtbarkeitsbeeinträchtigung bedingen

  • Beckenbestrahlung und Ganzkörperbestrahlung

  • ovarielle Bestrahlungsdosis ≥ 10 Gy (altersabhängig! postpubertäres Organ ist strahlensensibler, Bestrahlung unterhalb LWK 5 ist bedenklich: iliakale Bestrahlung ist gonadotoxisch, inguinale Bestrahlung ist individuell zu untersuchen)

  • testikuläre Bestrahlungsdosis ≥ 4 Gy (Hodenkapsel schützt bei inguinaler und iliakaler Bestrahlung. Wenn der Hoden im Bestrahlungsfeld liegt, kann Kapsel jedoch verstärkend wirken!)

  • bei Mädchen: Busulfan ≥ 14 mg/kgKG kumulative Dosis

  • bei Jungen: Procarbazin ≥ 6 g/m2

  • Therapiebeginn > 13. Lebensjahr

Bei präpubertären Mädchen und Jungen können einige etablierte Techniken des Fertilitätserhalts aufgrund des pubertären Reifezustandes nicht angewandt werden. Auch bleibt häufig nur ein kurzes Zeitfenster für Beratung und Einleitung der fertilitätserhaltenden Maßnahmen, da meist hämatologische Erkrankungen im Vordergrund stehen, die eines zeitnahen Therapiebeginns bedürfen. Rahmenbedingungen und ethische Überlegungen sind mit dem Patienten und den Eltern zu besprechen.

Praxistipp

Auch bei Kindern sollte vor einer zytotoxischen Behandlung an fertilitätserhaltende Maßnahmen gedacht werden und die Kinder sollten zusammen mit ihren Eltern über diese Möglichkeiten informiert werden.

Für präpubertäre Mädchen stellt die Kryokonservierung von Ovarialgewebe die einzige Option zum Erhalt der Fertilität vor einer Chemotherapie da. Allerdings ist die Indikation zur Kryokonservierung von Ovarialgewebe bei prä- und peripubertären Mädchen derzeit unklar. Sie erfordert eine individuelle Abwägung von der Art der Therapie und der gonadotoxischen Dosis.

Merke

Bei Mädchen sollte vor der Pubertät keine GnRH-Agonisten-Behandlung stattfinden.

Postpubertär kann nach Stimulationsbehandlung eine Kryokonservierung von Oozyten erfolgen. Jedoch müssen die mit einer Stimulationsbehandlung verbundenen psychischen Belastungen gerade bei Jugendlichen berücksichtigt werden: medikamentöse Applikationen, (vaginale) Ultraschalluntersuchungen, (minimal-)invasiver Eingriff.

Jungen nach der Pubertät sind die Kryokonservierung von Spermien (Ejakulation, Elektrostimulation, Hodenbiopsie mit testikulärer Spermienextraktion [TESE]) sowie die Kryokonservierung von Hodengewebe als Fertilitätsreserve für spätere Maßnahmen der assistierten Reproduktion möglich. Die Kryokonservierung von immaturem Hodengewebe vor der Pubertät stellt einen experimentellen Ansatz dar. Die erforderliche, anschließende Spermienreifung aus den spermatogonialen Stammzellen ist beim Menschen aktuell noch nicht, aber bei Primaten bereits mit der Geburt eines gesunden Rhesusäffchens erfolgreich durchgeführt worden.


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Kernaussagen
  • Chemo- und Strahlentherapien wirkt sich häufig negativ auf die Fertilität aus.

  • Die Beratung über Konzepte zum Erhalt der Fertilität sollten unter Berücksichtigung der Lebensumstände, der empfohlenen onkologischen Therapien und des individuellen Risikoprofils ein integraler Bestandteil onkologischer Behandlungen von Patientinnen und Patienten sein.

  • Die Einschätzung des Risikos einer möglichen Unfruchtbarkeit und die Auswahl der Methode(n) des Fertilitätserhalts sollen interdisziplinär und rechtzeitig vor der onkologischen Therapie mit den Patienten besprochen werden. Die Grunderkrankung selbst, das Alter der Patienten und die onkologische Einschätzung spielen hierbei eine entscheidende Rolle.

  • Bei Männern und Jugendlichen ab der Pubertät stellen die Kryokonservierung von Spermien und Hodengewebe etablierte Methoden der Fertilitätsprotektion da.

  • Bei Frauen können, vor Beginn einer Radio-(Chemo-)Therapie, die Ovarien operativ aus dem Bestrahlungsgebiet verlagert werden.

  • Die Kryokonservierung von Pronukleusstadien und unfertilisierten Oozyten ist etabliert und bedarf eines Zeitfensters von ca. 2 Wochen vor Beginn der onkologischen Therapien.

  • Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe stellt bei Frauen ebenfalls eine etablierte Technik des Fertilitätserhalts dar und kann zeitnah erfolgen.

  • Es gibt Hinweise darauf, dass GnRH-Agonisten das Ovar schützen können, allerdings bei insgesamt kontroverser Datenlage.

  • Handlungsempfehlungen für die Beratung und den Einsatz von fertilitätserhaltenden Maßnahmen in Deutschland können der S2k-Leitlinie „Fertilitätserhalt bei onkologischen Erkrankungen“ entnommen werden.

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Ralf Dittrich, Erlangen.


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Autorinnen/Autoren

Ralf Dittrich

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Prof. Dr. rer. nat. Professur für experimentelle Reproduktionsmedizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Leiter des IVF- und Endokrinologischen Labors an der Universitätsfrauenklinik Erlangen.

Laura Lotz

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Dr. med. Jahrgang 1987. 2006 – 2012 Studium der Humanmedizin an der FAU Erlangen. Seit 02/2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen.

Interessenkonflikt

Erklärung zu finanziellen Interessen
Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: ja, von einer anderen Institution (Pharma- oder Medizintechnikfirma usw.); Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an im Bereich der Medizin aktiven Firma: ja, an einer im Bereich der Medizin aktiven Firma, die aber nicht zu den Sponsoren dieser Fortbildung gehört bzw. deren Geschäftsinteressen nicht vom Thema dieser Fortbildung berührt werden; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an zu Sponsoren dieser Fortbildung bzw. durch die Fortbildung in ihren Geschäftsinteressen berührten Firma: nein.
Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen
DGGG, BGGF, BRB, AgRBM, FertiPROTEKT


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. rer. nat. Ralf Dittrich
Universitätsklinikum Erlangen
Frauenklinik
Universitätsstraße 21 – 23
91054 Erlangen


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