Pneumologie 2019; 73(06): 336-337
DOI: 10.1055/a-0869-2208
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Raucherentwöhnung: E-Zigarette besser als klassische Nikotinersatzpräparate?

Hajek P. et al.
Randomized Trial of E-Cigarettes versus Nicotine-Replacement Therapy.

N Engl J Med 2019;
DOI: 10.1056/NEJMoa1808779.
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Publication Date:
08 July 2019 (online)

 

E-Zigaretten sind heute weit verbreitet und sollen u. a. die Raucherentwöhnung erleichtern. Ob sie allerdings klassischen Nikotinersatzpräparaten wie Pflastern oder Kaugummis hinsichtlich Abstinenz überlegen sind, ist bis heute unklar. Hajek und Team haben in ihrer randomisierten klinischen Studie beide Therapiestrategien miteinander verglichen und kommen dabei zu einem überraschenden Ergebnis.


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Wieder befüllbare E-Zigaretten sind heute weit verbreitet und sollen eine Alternative zum klassischen Rauchen bieten. Ob sie sich aber auch im Rahmen einer Raucherentwöhnung mit dem Ziel der Abstinenz eignen, ist bis heute unklar. In bislang publizierten Studien wurden sie häufig mit klassischen Nikotinersatzpräparaten wie Kaugummis oder Pflastern verglichen und waren dabei überwiegend unterlegen. Hayek und seine Kollegen haben nun noch einmal eine prospektive randomisierte Studie durchgeführt und die Effektivität von E-Zigaretten verglichen mit klassischen Ersatzpräparaten in Hinblick auf die 1-Jahres-Abstinenz untersucht.

Die Studie fand dabei zwischen Mai 2015 bis Februar 2018 im Rahmen eines in Großbritannien etablierten Raucherentwöhnungsprogramm statt, das die Bevölkerung freiwillig in Anspruch nehmen kann und in den ersten 4 Wochen durch eine regelmäßige Beratung und Unterstützung begleitet wird. Alle erwachsenen Raucher, die an dem Programm teilnehmen wollten, konnten zunächst eingeschlossen werden. Als wichtigste Ausschlusskriterien definierten die Studienautoren

  • Schwangerschaft,

  • Stillzeit,

  • Gebrauch von E-Zigaretten oder Nikotinersatzpräparaten vor Studienbeginn

  • sowie starke Präferenz gegenüber einer der beiden Therapievarianten.

Nach Rekrutierung der Teilnehmer bildeten Hayek und Team 2 Studiengruppen:

  • Gruppe 1: Starter-Kit mit einer wieder befüllbaren E-Zigarette und 30 ml eines Liquids mit 18 mg Nikotin pro Milliliter

  • Gruppe 2: klassische Nikotinersatzpräparate nach Wahl für 3 Monate.

Vor Studienbeginn, 4 und 52 Wochen später wurden alle Teilnehmer hinsichtlich der Abstinenz, Anwenderfreundlichkeit der Produkte, Nebenwirkungen und respiratorischer Symptome befragt. Als primären klinischen Endpunkt definierten die Autoren die 1-Jahres-Abstinenz.

Alle Teilnehmer, die vor Ablauf der 52 Wochen die Teilnahme beendeten oder aus anderen Gründen ausschieden, werteten die Forscher als nicht abstinent. Nach 1 Jahr wurde die Abstinenz durch biochemische Analysen gegebenenfalls verifiziert. Sekundäre Endpunkte waren verschiedene Abstinenzphasen, z. B. zwischen der 26. und 52. Woche oder nach der 4. Woche sowie Häufigkeit und Zeitpunkt von möglichen Rückfällen.

E-Zigaretten deutlich überlegen

2045 Klienten des Raucherentwöhnungsprogrammes erfüllten die Einschlusskriterien, 886 von ihnen nahmen schließlich an der Studie teil, 439 in Gruppe 1 und 447 in Gruppe 2. Die Teilnehmer waren durchschnittlich 41 Jahre alt mit einer Spannweite zwischen 33 und 52 Jahren, 48 % weiblich. 78,8 % aller Studienteilnehmer beendeten die komplette Untersuchung nach 52 Wochen. Die 1-Jahres-Abstinenz konnte für Gruppe 1 auf 18 % und für Gruppe 2 mit klassischen Ersatz-Präparaten auf 9,9 % beziffert werden. Dieser Gruppenunterschied war dabei hochsignifikant. Die Abstinenzrate lag damit bei Verwendung der E-Zigarette deutlich höher.

Teilnehmer aus Gruppe 1 waren vergleichsweise deutlich zufriedener mit ihrem Entwöhnungsprodukt, die Adhärenz beider Gruppen war allerdings vergleichbar. 80 % aller abstinenten Teilnehmer aus Gruppe 1 verwendeten auch nach Ablauf der 52 Wochen immer noch regelmäßig E-Zigaretten, in Gruppe 2 Griffen nur noch 9 % auf Ersatzpräparate zurück. Die Autoren stellten 27 ernsthafte Zwischenfälle in Gruppe 1 und 22 in Gruppe 2 fest. Diese konnten aber nicht unmittelbar mit den Interventionen in Zusammenhang gebracht werden.

Unter den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren Übelkeit in Gruppe 2 und Mundtrockenheit und Irritationen in Gruppe 1. Respiratorische Symptome wie Husten oder Auswurf bildeten sich bei Nutzern der E-Zigaretten deutlich schneller und stärker zurück als bei Probanden aus Gruppe 2. Hayek und Coautoren bewerten die E-Zigarette damit als wirksam, führen die überraschend hohen Abstinenzraten aber unter anderem auch auf die therapeutische Begleitung in den ersten 4 Wochen des Programmes zurück.

Fazit

In dieser prospektiven Studie waren wieder befüllbare E-Zigaretten bei der Raucherentwöhnung klassischen Ersatzpräparaten wie Nikotinpflastern in Hinblick auf die 1-Jahres-Abstinenz deutlich überlegen. Da sich in der Gruppe mit E-Zigaretten zudem respiratorische Symptome schneller und stärker zurückbildeten und die Patienten eine vergleichsweise höhere Zufriedenheit äußersten, halten die Studienautoren die E-Zigarette für eine wirksame Alternative zu klassischen Entwöhnungsprodukten.

Dipl.-Psych. Annika Simon, Hannover

Kommentar

Diese methodisch gut angelegte klinische Studie liefert einen Beleg dafür, dass E-Zigaretten in Kombination mit einer 4-wöchigen Verhaltenstherapie effektiver im Hinblick auf das Einstellen des Rauchens konventioneller Tabakprodukte sein können als Nikotinersatzprodukte.


Die Studienergebnisse müssen vor dem Hintergrund interpretiert werden, dass die allermeisten Konsumenten E-Zigaretten nicht im Rahmen einer klinischen Studie mit intensiver Begleitung nutzen. Von daher widersprechen die Untersuchungsbefunde nicht den Ergebnissen einer kürzlich publizierten Metaanalyse von 27 Studien, die zu dem Schluss kommt, dass die Nutzung von E-Zigaretten in der Allgemeinbevölkerung die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Rauchstopps um 28 Prozent verringert [1].


Hajek et al. berichten, dass 80 % der Personen der E-Zigaretten-Gruppe, die es geschafft hatten, auf Tabakzigaretten zu verzichten, nach einem Jahr noch regelmäßige Konsumenten von E-Zigaretten waren, im Vergleich zu lediglich 9 % der Probanden der Nikotinersatzgruppe, die nach einem Jahr noch Nikotinersatzprodukte nutzten. Dieser Befund ist insofern beunruhigend, als dass das hohe Suchtpotenzial der E-Zigarette deutlich wird. Nimmt man die vollständige Nikotinabstinenz als primären Endpunkt der Studie, drehen sich die Ergebnisse komplett um: Von den Teilnehmern, die Nikotinersatzprodukte erhalten hatten, waren ein Jahr später 9 % vollständig nikotinfrei, aber lediglich 3,7 % der E-Zigaretten-Gruppe. Bedenklich ist ferner, dass bei 25,2 % der E-Zigaretten-Gruppe Dual Use, d. h. der gleichzeitige Gebrauch von Tabak und E-Zigaretten, welcher als besonders gesundheitsgefährdend eingestuft werden muss, initiiert wurde.


Unterschiedliche Untersuchungsbefunde in Abhängigkeit des primären Endpunkts der Studie – Tabak- oder vollständige Nikotinfreiheit – erschweren ein Gesamtfazit. Klar ist aber auf jeden Fall, dass sich eine unmittelbare Ableitung für die Praxis der Raucherentwöhnung in Deutschland allein schon aus der wenig realitätsnahen intensiven therapeutischen Betreuung der Patienten verbietet.


Wenn weitere methodisch rigorose, randomisiert-kontrollierte Studien ein ähnliches Ergebnis vorweisen können, sollten die E-Zigaretten-Hersteller die Zulassung als Medikament in Kombination mit intensiver Beratung beantragen. Leider sind derartige Bestrebungen bislang nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Ende 2018 hat Altria, der Mutterkonzern von Philip Morris („Marlboro“), für 12,8 Milliarden US Dollar 35 % der E-Zigarettenfirma „Juul“ erworben. Sicherlich nicht mit dem Ziel, den Rauchstopp in der Bevölkerung zu befördern.


E-Zigaretten sind mitnichten harmlose Lifestyleprodukte, sondern es mehren sich die Hinweise auf ernste Gesundheitsgefahren, sofern die Studien industrieunabhängig durchgeführt worden sind [2]. Über langfristige gesundheitliche Auswirkungen des E-Zigaretten-Konsums können derzeit keine validen Aussagen getroffen werden, da die Produkte zu kurz auf dem Markt sind. Zahlreiche In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen legen allerdings nahe, dass E-Zigaretten potentielle gesundheitsschädigende Auswirkungen auf die Lungen haben [3, 4] und auch als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen angesehen werden können [5].


Bei einer Gesamtbewertung der Auswirkungen der E-Zigarette auf die Gesundheit der Bevölkerung darf zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass E-Zigaretten einer Re-Normalisierung des Rauchens Vorschub leisten könnten und mehr als ein Dutzend Kohortenstudien, darunter auch eine Studie aus Deutschland [6], übereinstimmend zu dem Ergebnis kommen, dass E-Zigaretten Jugendliche zum Experimentieren mit Tabakzigaretten verführen können.


Autorinnen/Autor

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Prof. Dr. Reiner Hanewinkel, Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord, Kiel

Literatur


[1] Glantz SA, Bareham DW. E-Cigarettes: Use, Effects on Smoking, Risks, and Policy Implications. Annu Rev Public Health 2018; 39: 215 – 235. doi:10.1146/annurev-publhealth-040617-013757


[2] Pisinger C, Godtfredsen N, Bender AM. A conflict of interest is strongly associated with tobacco industry-favourable results, indicating no harm of e-cigarettes. Prev Med 2019; 119: 124 – 131. doi:10.1016/j.ypmed.2018.12.011


[3] Bals R, Boyd J, Esposito S et al. Electronic cigarettes: a task force report from the European Respiratory Society. Eur Respir J 2019; 53: 1801151. doi:10.1183/13993003.01151-2018


[4] Chun LF, Moazed F, Calfee CS et al. Pulmonary toxicity of e-cigarettes. Am J Physiol Lung Cell Mol Physiol 2017; 313: L193 – L206. doi:10.1152/ajplung.00071.2017


[5] Alzahrani T, Pena I, Temesgen N et al. Association Between Electronic Cigarette Use and Myocardial Infarction. Am J Prev Med 2018; 55: 455 – 461. doi:10.1016/j.amepre.2018.05.004


[6] Morgenstern M, Nies A, Goecke M et al. E-Cigarettes and the Use of Conventional Cigarettes. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 243 – 248. doi:10.3238/arztebl.2018.0243


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Prof. Dr. Reiner Hanewinkel, Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord, Kiel