ergopraxis 2019; 12(06): 43-45
DOI: 10.1055/a-0883-2474
Perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Gemeinsam geht’s besser – Unbeliebte Aufgaben verteilen

Barbara Freitag-Herse

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Publication Date:
07 June 2019 (online)

 

Nicht immer findet sich für jede Aufgabe bereitwillig jemand aus dem Team, der sie übernimmt. Was nun? Als Chefin entscheiden? Es selbst übernehmen? Es gibt noch einen anderen Weg, bei dem alle mit der Entscheidung zufrieden sein werden, wie unattraktiv die Aufgabe auch sein mag – versprochen!


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Barbara Freitag-Herse ist selbstständige Ergotherapeutin, Coach, Dozentin und Kommunikationstrainerin. Seit vielen Jahren begleitet sie therapeutische und pädagogische Teams in Findungs- und Konfliktsituationen. Hier und auch in den Familiencoachings liegt ihr be-sonders der wertschätzende und gleichwürdige Umgang miteinander am Herzen. „Gemeinsam zu Begeisterung, Lachen und Entwicklung“ ist ihr Grundthema bei Workshops und Seminaren.

Die Königsklasse der Führung ist sicher das Treffen unliebsamer Entscheidungen. Es ist komfortabel, wenn sich die verschiedenen Aufgaben im Einvernehmen aufteilen und es immer ein Teammitglied gibt, das das bestimmte Pflegeheim, die Station mit dem unfreundlichen Oberarzt oder den Brückentag übernimmt. Macht die Therapeutin dies wirklich gern oder verdreht sie innerlich die Augen, fühlt sie sich als Opfer und sammelt insgeheim „Payback“-Punkte, die zu Missmut und innerer Kündigung führen? In diesen Situationen braucht die Aufgabenverteilung unser genaues Augenmerk. Noch dringlicher wird es, wenn es mal niemanden gibt, der eine Aufgabe gern tut, und auch keinen, der sie einigermaßen freiwillig übernimmt.

Bestimmt kennen Sie solche Situationen: Durch das Ausscheiden eines Mitarbeiters ist ein Pflegeheim, das ohnehin wegen seiner chaotischen Organisation nicht sonderlich beliebt ist, ohne therapeutische Betreuung. Sie haben mehrere laufende Verordnungen, doch bei der Frage in der Teamsitzung, wer das denn nun übernehmen könnte, werden fünf von sechs Therapeuten unsichtbar und die letzte muss dringend ans Telefon – tja, dann stehen Sie da und sind in einer unangenehmen Situation.

Nach alter Führungstradition würde ein Chef jetzt auf den Tisch hauen und jemanden zu dieser Tätigkeit verdonnern: „Krüger, ab sofort fahren Sie Dienstag und Donnerstag nach Posemuckel – ist jetzt so!“ Dieser hierarchische Zwang hat mehrere Konsequenzen:

  • Für denjenigen, auf den die Entscheidung gefallen ist, ist es völlig unverständlich, warum ausgerechnet er dies tun muss. Er ist damit nicht einverstanden und kann nun entweder rebellieren oder aufgeben – beides keine guten Zustände, um miteinander zu arbeiten. Auch wenn Sie jetzt noch ein paar Euro drauflegen, ist die Compliance dahin, die können Sie nämlich gar nicht kaufen. Mit zusätzlichen Vergütungen können wir eine vorhandene Compliance ein wenig verstärken oder kurzfristig ausleihen, aber niemals erschaffen.

  • Die restlichen Teammitglieder befinden sich auf einer Gratwanderung zwischen Erleichterung, dass dieser Kelch an ihnen vorübergegangen ist, und Mitleid gegenüber dem Kollegen. Manche werden sich mit „Krüger“ solidarisieren und heimlich in der Pause darüber schimpfen, dass Sie unfair entschieden haben, es hätte Frau Müller machen müssen. Andere Teammitglieder werden sich solidarisch auf Ihre Seite schlagen, froh darüber, nicht selbst nach Posemuckel fahren zu müssen.

Wie auch immer – es spaltet Ihr Team, sorgt für Tuschelpotenzial und für eine ungesunde Anspannung, denn man weiß ja nie, wen es als nächsten trifft …

Müssen wir bei einer Teamsitzung wirklich warten, bis das Schweigen und Wegschauen so unangenehm werden, dass Sie entnervt den Raum verlassen und überlegen, es dann eben sonntags selbst zu tun? Muss es so sein, dass diejenige, die sowieso immer spült und die Blumen gießt, das dann auch noch macht? Sie kennen doch sicher diese eine bestimmte Person, die, wenn es eng wird, kurz seufzt, die Ärmel hochkrempelt und sich bereit erklärt – wofür auch immer. Diese eine, die auch auf Elternabenden mit dem nächsten Amt davonschleicht, weil sich keiner gemeldet hat und „irgendjemand muss es ja tun“. Natürlich ist es wunderbar, so jemanden im Team zu haben. Diese von Loyalität und Pflichtgefühl durchdrungene Mitarbeiterin ist aber nicht nur praktisch, sondern auch extrem schützenswert. Es ist Ihre „last line of defense“, die letzte Verteidigungslinie, die Sie nicht einsetzen sollten, wenn es noch anders geht. Solange wir jedoch auf einem Elternabend sitzen und wissen „ach, da gibt es ja noch Claudia …“, werden wir uns nicht bewegen, nicht denken, nicht kreativ werden. Der Mensch ist da gern … – ich nenne es mal energiesparend.

Ihre Entscheidung soll wirtschaftlich gut und trotzdem fair sein

Nun ist die große Frage, vor der viele Teamleiter und Arbeitgeber stehen, wie man hier eine wirtschaftlich gute Entscheidung treffen und trotzdem zu einer fairen Lösung kommen kann. Da ich selbst mit verschiedenen Teams immer wieder vor exakt dieser Situation stand, habe ich eine Strategie entwickelt, mit deren Hilfe man hier ansetzen kann: die ENTHEOS-Teamstrategie.

Die Ausgangssituation

Wie beschrieben stehen Sie als Chef, Teamleiter usw. vor der Situation, eine Aufgabe vergeben zu müssen, zu der es keinen Freiwilligen gibt, die auch noch ziemlich belastend oder eher unbeliebt ist. Sie haben jedoch entschieden, dass es diese Aufgabe weiterhin geben wird. Sie haben also nicht bei der PDL und dem Arzt angerufen und verkündet, dass dieses spezielle Heim zukünftig nicht mehr von Ihrer Praxis betreut wird, sondern Sie wollen/müssen dies weiterhin versorgen. Also muss auch jemand aus Ihrem Team dorthin. Aber wer? Keiner will, keiner kann, da die Pläne voll sind etc.


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Die Grundwerte

Um die Strategie möglichst erfolgreich durchführen zu können, schenke ich Ihnen hier meine Grundwerte zu diesem Thema (Sie müssen sie nicht übernehmen, es erleichtert die Arbeit aber ungemein): Wie Sie bestimmt aus den vergangenen Beiträgen herauslesen konnten, bin ich eine feurige Vertreterin der Gleichwürdigkeit, was jedoch keineswegs Gleichberechtigung bedeutet. Es besagt, dass wir alle die gleichen Rechte auf Bedürfnisse, Grenzen und Integrität haben. Dass ich mit meinen Mitarbeitern auf Augenhöhe spreche, auch wenn wir natürlich nicht gleichberechtigt sind. So gebe ich keine Entscheidungen ab, ich beziehe ein. Die Entscheidung liegt letztendlich immer noch bei mir als Arbeitgeberin. Vertrauen ist für mich ein Grundpfeiler der gleichwürdigen Führung.


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Das Ziel

Das Ziel ist eine kollegial getragene Entscheidung, die für alle nachvollziehbar, transparent und fair ist. Ein wahrhaft hehres Ziel, jedoch auch ein erreichbares, wie Sie sehen werden.


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Das Setting

Um hier eine langfristige und gute Entwicklungsmöglichkeit für sich selbst und das Team zu erschaffen, nehmen Sie sich bitte Zeit. Sorgen Sie dafür, dass Sie etwa eine bis drei Stunden gemeinsam mit Ihrem Team nicht gestört werden. Das ist hervorragend investierte Zeit, zeigt es doch Ihrem Team, dass Sie an der besten Lösung für alle Beteiligten interessiert sind.


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Der Ablauf

Bleiben wir mal bei dem Beispiel, dass es ein Heim zu versorgen gilt, das eher unbeliebt ist, und dass die Therapeuten nicht gerade freudig auf diese zusätzliche Aufgabe reagieren.

Formulieren Sie Ihre Zielstellung sauber und eindeutig. Ein Ausspruch wie „Na ja, dann wollen wir mal sehen, wer es dann irgendwie machen kann – wer zuckt, verliert, hahaha …“ kontaminiert den kompletten Prozess. Alternative: „Das Heim in Posemuckel soll auch weiterhin von uns therapeutisch betreut werden. Ich weiß, dass dies eine große Herausforderung ist. Daher will ich euch in den Entscheidungsprozess mit einbeziehen. Lasst uns gemeinsam die bestmögliche Lösung finden.“ Bedanken Sie sich für die Bereitschaft Ihres Teams, denn es ist für keinen leicht, weiß doch jeder, dass „es“ ihn treffen könnte.

Nehmen Sie sich genug Zeit, um die beste Lösung für alle zu finden

Im zweiten Schritt sammeln Sie an einem Flipchart die Bedürfnisse und Wünsche, die Sie und die Mitarbeiter für dieses spezielle Heim und seine Bewohner haben. „Was möchten wir für das Heim? Braucht es dort jemand Erfahrenen? Fröhlichkeit? Spezielle Fortbildungen? Einen besonders stressresistenten Therapeuten? Brauchen die Bewohner jetzt ganz dringend irgendjemanden übergangsweise, bis es einen neuen Mitarbeiter gibt, oder ist es wichtig, dass dort jemand langfristig therapeutisch wirksam wird?“ Sammeln Sie alle genannten Bedürfnisse – und bewerten Sie diese nicht. Alles darf genannt werden, auch neue Vorhänge oder mehr Pflegepersonal, wenn das auch nicht in unserem Handlungsbereich liegt.

Priorisieren Sie die gefundenen Bedürfnisse. Meist kristallisieren sich allein schon durch Mehrfachnennungen ein bis drei wichtigste Kriterien aus. Daraus entsteht dann das „Teamziel“, dieses kann zum Beispiel so aussehen wie bei einem Team aus Hannover: „Dieses Heim braucht einen langfristigen Therapeuten und keine weitere Interimslösung. Der Therapeut muss nicht sehr erfahren sein.“ Nun haben Sie ein vom Team definiertes Ziel. Es ist von allen getragen, hat die höchste Zustimmung und den größten Sinn.

Sammeln Sie nun alle möglichen, verrückten, illusorischen und realistischen Möglichkeiten, wie die Aufgabe zu besetzen ist. Zum Beispiel so, wie auf der Tafel rechts oben.

Um Ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen und gleichzeitig die Compliance Ihres Teams zu erhalten, werden jetzt die Varianten weggestrichen, durch die am meisten Leid entsteht. Bitte lassen Sie auch hier Ihr Team mitdenken und entscheiden. „Ganz klar, Sophie wird sofort von der Liste gestrichen, denn an dem freien Dienstag versorgt sie ihre pflegedürftige Mutter. Niemand möchte, dass sie dies verändert oder aufgeben muss.“

Als nächstes werden alle Lösungsmöglichkeiten gestrichen, die nicht dem oben genannten Teamziel entsprechen: „Mia ist keine langfristige Besetzung, da sie aufgrund ihrer Schwangerschaft in zwei Monaten in Elternzeit gehen wird. Laura arbeitet nicht samstags, denn auch das wäre nur eine kurzfristige Notfalllösung.“ Nach diesem Ausschlussprozess bleibt letztendlich eine Handvoll Lösungsmöglichkeiten übrig, die dem gemeinsam erarbeiteten Ziel entsprechen.

Der Auserwählte kann auf die Unterstützung des Teams bauen

Nun müssen die so ermittelten Kandidaten zu Wort kommen: Wie geht es mir mit dieser Lösung? Bekomme ich Magenkrämpfe, wenn ich daran denke? Was brauche ich, um die Aufgabe zu übernehmen? Kann ich mir vorstellen, das Heim langfristig zu betreuen, wenn ich dafür den Kindergarten abgeben kann, um nicht jeden Tag auf Hausbesuchen unterwegs zu sein?

Ich erlebe jedes Mal, dass sich nun sehr spannende Lösungen und Varianten aus dem Team heraus entwickeln. Auch, dass jemand einen anderen aus der „Schussbahn“ nimmt. „Ok, ich habe dazu auch keine Lust, aber mir geht es damit nicht so schlecht wie dir. Also könnt ihr mich auf der Liste lassen.“ Wundervoll – das ist wahre Teamfähigkeit.

Wenn sich dann eine Variante herauskristallisiert, geht es nur noch darum, welche Unterstützung derjenige vom Team braucht: „Was brauchst du von uns, um diese Aufgabe anzunehmen? Was können wir tun, um dir dies zu erleichtern?“ Kann es hilfreich sein, für ihn bestimmte Arbeiten vorzubereiten, sehr anstrengende Patienten an andere Therapeuten abzugeben, einen Tag später zu beginnen?


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Zum Schluss geht ein Dank an alle

Wenn Sie zu einer Lösung gekommen sind, danken Sie Ihrem Team und dem Therapeuten, der diese Aufgabe übernimmt. Wenn Sie noch ein „Bonbon“ drauflegen wollen, freut sich der Therapeut, aber auch das Team kann dies gönnen und nachvollziehen. Sie haben denjenigen nicht eingekauft, sondern schenken ihm Anerkennung und Dankbarkeit.

Puh, ja, das war Arbeit. Und zwar großartige und anstrengende Führungsarbeit, wenn Sie an diesem Punkt angekommen sind und Ihr Team hierher geführt haben. Aber nun haben Sie eine Lösung erarbeitet, die kollegial getragen ist und bei der niemand unfair behandelt wird. Sie haben eine transparente Vorgehensweise geschaffen, die nicht abhängig ist von Ihrem Goodwill. Sie haben Ihr Team darin bestärkt, fair miteinander umzugehen und sich gegenseitig ernst zu nehmen. Sie haben wertvolle Führungsstärke und Ethos bewiesen. Das alles schafft eine große Zufriedenheit, viel Unternehmensbindung und Respekt. Bravo!


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