Schlüsselwörter
Internet - Online-Fort- und Weiterbildung - Sexualberatung - sexuelle Kultur - sexuelles
Empowerment
Key words
internet - online professional training - sexual counseling - sexual culture - sexual
empowerment
Der vorliegende Praxisbeitrag beschließt die in Heft 1/2018 der „Zeitschrift für
Sexualforschung” gestartete fünfteilige Serie zur sexualbezogenen Online-Fortbildung
für Fachkräfte. Auf die Einführung ([Döring 2018a])
folgten bislang Artikel zu Webvideos ([Döring
2018b]), Webinaren and anderen E-Learning-Formaten ([Döring 2018c]) sowie Podcasts ([Döring 2018d]). Jetzt geht es um Weblogs. Im
Vergleich zu den vorgenannten Audio- und Video-Formaten wenden wir uns mit Weblogs
einem relativ alten (seit den frühen 1990er-Jahren genutzten) Online-Format zu, das
im Wesentlichen textbasiert arbeitet.
Weblogs
Es handelt sich bei einem klassischen Weblog um eine datierte und chronologisch
absteigend sortierte Folge von im Web veröffentlichten und formal einheitlich
gestalteten Textbeiträgen. Diese Textbeiträge (sog. Blogposts) sind zuweilen
auch mit Fotos oder anderem Bildmaterial sowie mit Verlinkungen auf andere Blogs und
sonstige Online-Quellen angereichert. Die Bezeichnung „Weblog” oder kurz „Blog” –
ein Kofferwort aus den Bestandteilen Web und Logbuch – verdeutlicht, dass es bei
einem Blog um eine chronologische Fortschreibung und Dokumentation von Ereignissen
und Gedanken geht. Neben den klassischen Textblogs haben sich weitere mediale
Varianten entwickelt: So wird das mehr oder minder regelmäßige Veröffentlichen von
Webvideos (z. B. auf YouTube) auch als Video-Blogging bezeichnet, das
Veröffentlichen von Podcasts (z. B. auf Podcast.de) als Audio-Blogging, das
Veröffentlichen von Fotos (z. B. auf Instagram) als Foto-Blogging und das
Veröffentlichen von Kurzbeiträgen etwa in Form von weitergeleiteten und
kommentierten Bildern oder Links (z. B. auf Twitter oder Tumblr) als
Micro-Blogging.
Für das traditionelle, primär textbasierte Bloggen stehen unterschiedliche
kostenfreie – etwa Blogger.com (https://www.blogger.com/) – sowie kostenpflichtige – beispielsweise
Wordpress.com (https://de.wordpress.com/), Typepad.com (http://www.typepad.com/) oder
Movabletype.org (https://movabletype.org/) – Blogging-Dienste zur Verfügung. Sie
erlauben es, die Blogbeiträge komfortabel in einheitlichem Design zu erstellen, zu
verwalten und zu veröffentlichen. Zum Betreiben eigener Weblogs existieren
zahlreiche Anleitungen online sowie in Buchform. Sie geben Tipps für das Verfassen
interessanter und gut lesbarer Blogposts sowie Anleitungen zu den technischen,
organisatorischen und ökonomischen Aspekten des Bloggens (z. B. [Diehm und Sintermann 2016]; [Digital Academy 2018]; [Kings 2017]).
Die historisch ersten Weblogs in den 1990er-Jahren waren Online-Tagebücher, in denen
Blogger_innen ihre alltäglichen und außeralltäglichen Erfahrungen teilen. Das
Publikum kann darauf mit öffentlichen Kommentaren und/oder privaten Mitteilungen
reagieren. Mit der Popularisierung von Weblogs sind mittlerweile zahlreiche weitere
Themenfelder hinzugekommen: So existieren heute unter anderem Koch-, Reise-, Mode-
und Fitnessblogs, aber auch Literatur-, Politik-, Religions-, Technik- und
Wissenschaftsblogs. Nicht alle Blogs werden von Einzelpersonen betrieben, es gibt
auch Team-Projekte sowie Unternehmensblogs.
Die Weblog-Community – auch Blogosphäre genannt – ist stark vernetzt: Zum
einen sind themenähnliche Weblogs häufig untereinander verlinkt (über die sog.
Blogroll). Zum anderen kennen sich Blogger_innen aus ähnlichen
Themenfeldern nicht selten persönlich und tauschen sich online wie offline
miteinander aus. Eine wichtige Plattform für diesen Austausch ist in Deutschland die
maßgeblich aus der Blogosphäre hevorgegangene jährliche Internet-Konferenz
„re:publica“ (https://re-publica.com/), die sich konstruktiv-kritisch mit der
Digitalisierung auseinandersetzt. Da die Blogosphäre wie fast alle alten und neuen
Medien in den reputationsreichen und ökonomisch lukrativen Top-Positionen stark
männlich dominiert ist ([Döring 2015]), wurde zur
Stärkung der Bloggerinnen im Jahr 2005 die jährliche „BlogHer“-Konferenzreihe in den
USA ins Leben gerufen (https://conferences.blogher.com/). In Deutschland werden seit über
zehn Jahren jährlich die „Goldenen Blogger” (https://die-goldenen-blogger.de/) verliehen, ein Preis von und für
die Blogging-Community.
Sexblogs
Sexualbezogene Weblogs – kurz: Sexblogs – stellen eine nicht unbedeutende Teilgruppe
von Blogs innerhalb der Blogosphäre dar. Aus der Tradition der Online-Tagebücher
kommend, war es schließlich naheliegend, in Weblogs neben anderen persönlichen
Erfahrungen auch über sexuelle Erlebnisse zu berichten, typischerweise anonym bzw.
pseudonym. Genau wie Sexpodcasts zu den beliebtesten Podcasts gehören ([Döring 2018d]), zählen Sexblogs zu den populärsten
Weblogs. Und genau wie in der Sexpodcast-Szene sind auch in der Sexblog-Szene Frauen
weit überproportional stark vertreten: Die große Mehrzahl der Sexblogs
(schätzungsweise rund 80 % gemäß dem im nächsten Abschnitt genannten
Sexblog-Verzeichnis) stammt von Frauen und richtet sich auch oft gezielt an Frauen
([Attwood 2009]). Ebenso wie Sexpodcasts nutzen
Sexblogs unterschiedliche Finanzierungsquellen: Einige werden nichtkommerziell
allein auf Kosten der Blogger_innen organisiert, andere basieren auf Spenden,
Werbung und Sponsoring sowie Marketing eigener Dienste und Produkte.
Man findet Sexblogs offline über Tipps in Zeitungen und Zeitschriften, online über
Suchmaschinen sowie über Sexblog-Verzeichnisse wie etwa die gut aufbereitete „Top
Sex Blogs“-Liste (https://www.kinkly.com/top-sex-bloggers) der Erotik-Plattform
„Kinkly“. Die Sexblogs sind dabei in thematische Untergruppen eingeteilt, denn
manche Blogs sind eben persönliche Tagebücher („Personal“) aus sexuellen Mainstream-
und/oder Spezialkulturen (z. B. „BDSM“; „Kinky Sex“; „Swing Lifestyle“; „Queer“),
andere bieten Rezensionen von Sexspielzeugen („Sex Toy Reviews“) oder
veröffentlichen erotische Geschichten („Erotica“). Zudem lassen sich Sexblogs bzw.
Sexblogger_innen anhand ihrer Social-Media-Metriken, das sind Indikatoren ihrer
Verbreitung und Beliebtheit in Sozialen Medien (z. B. Alexa Rank; Facebook
Likes; Twitter Follower), sortieren.
Der vorliegende Praxisbeitrag geht zunächst auf den Stand der Sexblog-Forschung ein.
Anschließend präsentiert er – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ausgewählte
deutsch- und englischsprachige Beispiele aus sechs verschiedenen Gruppen von
Sexblogs: Sexblogs von Unternehmen, Sexblogs zu Sexspielzeugen, Sexblogs mit
erotischen Geschichten, persönliche Sexblogs, Sexblogs zur sexuellen Aufklärung und
Beratung sowie sexualwissenschaftliche Sexblogs. Manche Sexblogs sind Mischformen
und bieten ganz verschiedene Inhalte, andere fallen recht eindeutig in nur eine der
genannten Gruppen.
Sexblog-Forschung
Die ersten akademischen Beiträge zu Sexblogs wurden vor mehr als zehn Jahren
veröffentlicht. Sie stammen fast ausschließlich von Autorinnen und gehen anhand von
Inhaltsanalysen der Blogs und Befragungen von Bloggerinnen der Frage nach, ob und
inwiefern Sexblogs von und für Frauen einen positiven Beitrag zum sexuellen
Empowerment leisten können ([Attwood
2009]; [Barker 2012]; [Barker und Gill 2012]; [Blower 2016]; [Downing 2012]; [Eichenberg und Döring 2006]; [Handyside 2012]; [Harris
2005]; [Mitchell 2012]; [Muise 2011]; [Page
2010]; [Wood 2008]). Die Chancen von
persönlichen Sexblogs werden dabei aus sexpositiver, feministischer Perspektive vor
allem darin gesehen, dass Frauen mit dem öffentlichen und offenen Schreiben über
Sexualität in ihren Blogs neue Begriffe und Ausdrucksweisen für sexuelles Begehren
schaffen, sich unter anderem autobiografisch, humorvoll, literarisch anspruchsvoll
und auch gesellschaftskritisch äußern, sexuelle Doppelmoral und hemmende
Schamgefühle bekämpfen, tradierte Geschlechterrollen und Normierungen weiblicher
Sexualität überwinden, die Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit der Sexualitäten
von Frauen aufzeigen, sexuelle Informationen teilen und neue soziale Gemeinschaften
bilden.
Grenzen und Probleme von Sexblogs wurden in der Fachliteratur ebenfalls reflektiert:
Dass Frauen in der in den Top-Positionen männlich dominierten Blogosphäre vor allem
mit den Themen Sex (sog. Sexblogs) einerseits und Mutterschaft (sog. „Mommy Blogs”;
[Lopez 2009]) andererseits reüssieren, birgt
zwar Chancen der stärkeren Definitionsmacht und Validierung auf diesen
existenziellen Gebieten, verweist aber gleichzeitig auf die anhaltend unzureichende
Partizipation in anderen Themenfeldern der Blogosphäre (Politik, Technik etc.). Auch
die Inhalte der Sexblogs von und für Frauen bekräftigen teilweise tradierte
Normierungen von Feminität ([Blower 2016]) und
beteiligen sich an der Kommerzialisierung und Objektifizierung weiblicher
Sexualitäten, etwa wenn Sexblogs später als Bücher für den Massenmarkt bewusst
reißerisch aufbereitet und vermarktet werden ([Mitchell
2012]). Nicht vergessen werden darf auch, dass insbesondere
Sexbloggerinnen, die sich autobiografisch und ausdrücklich feministisch äußern,
teilweise starken Anfeindungen ausgesetzt sind, auf die im weiteren Text noch
genauer eingegangen wird.
Sexblogs von Unternehmen
Es sind vor allem Unternehmen aus der Erotik-Branche, die Sexblogs anbieten. So
findet sich auf Eis.de, einem der in Deutschland führenden Online-Sexshops,
ein Blog, das regelmäßig Sextipps gibt und dabei natürlich die eigenen Produkte in
den Mittelpunkt rückt (https://www.eis.de/blog). Deutlich informativer für Fachleute ist
das Blog der weltweit führenden Online-Pornografie-Plattform PornHub: Das
Blog „PornHub Insights“ (https://www.pornhub.com/insights/) offeriert zu PR-Zwecken
regelmäßig statistische Nutzungsdaten der Plattform, die immer wieder von der Presse
aufgegriffen werden. Besonders aussagekräftig sind die Jahresanalysen, die Auskunft
geben über die Zusammensetzung der Nutzerschaft von PornHub und deren typische
Nutzungsmuster und Suchanfragen (z. B. Jahresanalyse 2018: https://www.pornhub.com/insights/2018-year-in-review): So wird die
Pornoplattform vor allem nachmittags und nachts genutzt, im Schnitt zehn Minuten
lang. Gut ein Viertel der Seitenbesuche (29 %) weltweit stammen von Frauen
(Deutschland: 24 %), die deutlich öfter als Männer nach Frauenpornografie, aber auch
nach lesbischen Szenen, „Dreiern“ und „Gangbang“ suchen.
Sexblogs zu Sexspielzeugen
Sexblogs zu Sexspielzeugen
Eine Fülle von Sexblogs widmet sich in ihren Beiträgen ausschließlich oder
überwiegend der Rezension von Sexspielzeugen. Zum einen scheint hier ein großer
Informationsbedarf zu bestehen. Zum anderen können Sexblogger_innen durch
Kooperationen mit der Sexspielzeug-Branche Geld verdienen und ihrem Publikum Rabatte
vermitteln. Dabei legen Blogger_innen Wert darauf, dass sie trotz der Bezahlung
durch Unternehmen frei darin sind, auch negative Urteile auszusprechen. Die
US-amerikanische Bloggerin Kara Sutra begann im Jahr 2007 mit ihrem
Sextoy-Blog „Sex Ed 102“ (http://karasutrareviews.com/product-reviews/every-sex-toy-reviewed/),
das die Eigenschaften der Toys detailliert behandelt und die Texte teilweise auch
durch Videos ergänzt. Die verschiedenen, mehr oder minder intuitiv verständlichen
Toys sind auf einer Übersichtsseite gruppiert und durch Fotos dargestellt.
Ein anderes sehr populäres Sextoy-Review-Blog ist „Hey Epiphora“ (https://heyepiphora.com/new-here/). Betrieben wird es seit 2008 von
Epiphora, die sich als „queer, cat-loving, pink-hating feminist“ beschreibt. Ihre
Reviews sind ausführlich. Die Bloggerin legt Wert darauf, auch hinter die Kulissen
der Industrie zu schauen, kritisiert etwa fragwürdige Marketing-Strategien und
gesundheitsschädliche Sextoy-Materialien.
Das bekannteste Sextoy-Review-Blog heißt „Oh Joy, Sex Toy“ (https://www.ohjoysextoy.com/) und
stammt von der Cartoonistin Erika Moen. Neben Sextoys rezensiert sie auch
Pornoplattformen und Bücher – alles in Comic-Form mit ihrer einzigartig warmherzigen
und lustvollen Bildsprache. Äußerst amüsant und treffend ist beispielsweise ihre
Comic-Rezension von „Fifty Shades of Grey“ (https://www.ohjoysextoy.com/50shadesofgrey/).
Noch größer als bei Sextoys dürfte der Informationsbedarf bei Sexmaschinen sein, da
sie technisch komplexer und deutlich teurer sind. „Joannes Sex Machine Reviews“
(http://www.sexmachinereviews.co.uk/browse-reviews/by-type/sex-or-fucking-machines.html)
schafft hier Abhilfe. Die britische Bloggerin Joanne steht nach eigenen Angaben auf
„mechanical sex“ und liefert ausführliche Besprechungen der Maschinen mit ihren
jeweiligen Vor- und Nachteilen und vielen Fotos. Neben Sexmaschinen testet sie auch
andere Sexspielzeuge.
Blogs mit Sextoy-Rezensionen helfen, die rasante technische Entwicklung im Feld der
Sexspielzeuge und Sexmaschinen mitzuverfolgen. Eigenbewegliche Sexmaschinen können
neben dem generellen Novitätseffekt und Lustfaktor unter anderem für Menschen mit
motorischen Einschränkungen eine nützliche Hilfe darstellen. Die Forschung und
Entwicklung zu Sexprodukten für Menschen mit Behinderungen steht noch am Anfang
([Döring und Pöschl 2018]; [Morales et al. 2018]).
Sexblogs mit erotischen Geschichten
Sexblogs mit erotischen Geschichten
Wenn es um sexuell explizites Online-Material geht, steht oft die Video-Pornografie
im Fokus. Diese wird zunehmend auch von Frauen genutzt und für sie produziert ([Attwood 2018]; [Döring
2013]). Darüber hinaus zeigen Frauen ein besonders starkes Interesse an
erotischen Geschichten, um sich sexuell stimulieren und inspirieren zu lassen: Rund
doppelt so hoch ist der Anteil der internetnutzenden Frauen im Vergleich zu Männern,
die sexuelle Geschichten online lesen (Frauen: 59.0 %, Männer: 32.4 %) und selbst
welche schreiben (Frauen 6.4 %, Männer: 2.4 %; [Anisimowicz und O’Sullivan 2018]). Neben Portalen und Foren sind Weblogs
ein Online-Format, das dem Veröffentlichen und Teilen erotischer Storys gewidmet
ist. Ein Beispiel ist das Blog „Girl on the Net“ (https://www.girlonthenet.com/).
Die in London lebende Bloggerin, die ihre Privatsphäre schützt, teilt selbst
geschriebene fiktionale (aber auch autobiografische) Sex-Storys in Textform sowie
in
vorgelesener Form als Audioporn. Ihr Anliegen ist es, sexuelles Verlangen
wirklich frei äußern zu können: „Women can have a healthy appetite for sex, but they
can’t be perverts. I’d like to show you that they can.“ Ihre Philosophie erklärt sie
im Blogbeitrag „Should I Stop Talking about ‚Filthy‘ Sex?“ (https://www.girlonthenet.com/2018/07/31/filthy-sex-word/). Sie ist
Mitorganisatorin von „Eroticon“ (https://eroticon.co/), einer jährlichen Konferenz zum erotischen
Schreiben, und hat ihre sexuellen Memoiren als Buch veröffentlicht ([Girl on the Net 2016]).
Ein anderes populäres und mehrfach preisgekröntes Story-Blog ist „Sugarbutch
Chronicles“ (http://www.sugarbutch.net/) von Sinclair Sexsmith. Das Blog bietet
„Dirty Stories“, aber auch Gedichte und Essays rund um „BDSM, kink, gender
explorations, and explicit queer sex“. Auch zu diesem Blog existiert ein Buch ([Sexsmith 2015]), in dessen Einführung noch einmal
ausführlich erklärt und gerechtfertigt wird, dass erotische Geschichten, die
gewaltsame oder Unsafe-Sex-Fantasien erzählen, keineswegs bedeuten, dass die
Notwendigkeit von Konsens und Safer-Sex-Maßnahmen bei realem Sex infrage gestellt
würde. Fantasien und fiktionale Sex-Geschichten seien eben keine
Handlungsanleitungen und definitionsgemäß nicht real. „I am explaining all of this
to you because I don’t want my erotic fantasies to discourage you from being
responsible in reality“, erklärt Sinclair Sexsmith (2015: iii) mit einer
Betulichkeit, die rührend, beruhigend oder auch paternalistisch wirken mag. Braucht
(Text-)Pornografie als fiktionale Mediengattung solche pädagogischen Rahmungen, um
ethisch vertretbar zu sein ([Döring 2011])?
Der Hype um die Romantrilogie „Fifty Shades of Grey“ ([James 2012]) sowie empirische Studien zur Nutzung von Erotika deuten
darauf hin, dass fiktionale Geschichten mit BDSM-Themen bei nicht wenigen Frauen auf
Interesse stoßen und ihnen dabei helfen, ihr sexuelles Repertoire in der
Paarbeziehung zu erweitern, insbesondere durch offenere Kommunikation über sexuelle
Fantasien ([Kimberly et al. 2018]).
Rezeptionsweisen und positive Effekte von unterschiedlichen Erotika auf Menschen
diverser Geschlechter, Altersgruppen und sexuellen Identitäten sind noch
unzureichend untersucht. Story-Blogs können hier Forschungszugänge bieten
(Blogbeiträge, Blogkommentare, Kontakte zu Blog-Nutzenden). Neben der
Text-Pornografie widmen sich einige Blogs der Audio-Pornografie (vorgelesene Storys
oder auch authentische Sexgeräusche) sowie der Foto-Pornografie. Das preisgekrönte
Blog „Ladycheeky“ (http://ladycheeky.tumblr.com/) von Elle Chase bietet eine
handverlesene Sammlung sexuell expliziter GIF-Animationen, mit „focus on sensuality,
positive body image, sexual pleasure and beautiful photos that depict desire and
passion“, die eine von der Mainstream-Pornografie abweichende explizite Bildsprache
offerieren. Für eine umfassende sexualwissenschaftliche Betrachtung von Pornografie
ist es wichtig, die ständige Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung dieser
Mediengattung zu verfolgen und jenseits der Video-Pornografie auch Text-, Audio- und
Foto-Formate einzubeziehen ([Döring 2012], [2013]), wie sie insbesondere durch Blogs sichtbar
werden.
In der Blogosphäre sehr kritisch diskutiert werden die Bestrebungen von diversen
Plattform-Betreibenden, erotische Inhalte zu verbannen. So verbietet die
Blogging-Plattform Tumblr, auf der sich viele sexpositive feministische, trans* und
queer Communitys organisiert hatten, seit Dezember 2018 sexuell expliziten Content.
Auch das Blog von Elle Chase ist betroffen ([Chase
2019]). Die technischen, rechtlichen und ökonomischen Möglichkeiten und
Grenzen sexuellen Selbstausdrucks in digitalen Medien und digitalen Öffentlichkeiten
sind deswegen ebenfalls ein wichtiges Forschungsthema.
Persönliche Sexblogs
Die Journalistin Theresa Lachner ist die Betreiberin des größten deutschsprachige
Sexblogs „Lvstprinzip“ (https://www.lvstprinzip.de/). Das Blog, zu dem auch Gastbeiträge
angenommen werden, will „Freiraum für sexuelle Gedanken“ bieten und dabei nicht
„über Sex“ sondern „mit Sex“ sprechen. Ihre Philosophie erklärt Theresa Lachner in
Blogbeiträgen („Yes, it’s fucking political“: https://www.lvstprinzip.de/yes-its-fucking-political/; „8 Dinge, die
ich als Gründerin von Deutschlands größtem Sexblog gelernt habe“: https://www.lvstprinzip.de/drei-jahre-lvstprinzip/) und Vorträgen
(z. B. „Schnitzel oder Blowjob“: https://www.youtube.com/watch?v=dWGdcwNR-IM). Dabei betont sie immer
wieder, dass der ehrliche Austausch über eigene sexuelle Gedanken, Gefühle und
Erfahrungen auch im 21. Jahrhundert noch immer keineswegs selbstverständlich sei.
Sie merke das an den erleichterten und begeisterten Publikumsrückmeldungen und auch
daran, dass es üblicherweise als sehr „mutig“ wahrgenommen wird, dass sie „als Frau“
und „mit realem Namen“ über authentische sexuelle Erfahrungen bloggt.
Tatsächlich ist die Geschichte der persönlichen Sexblogs geprägt von Bloggerinnen,
die weltberühmt wurden und deren Werke Gegenstand der oben beschriebenen
Sexblog-Forschung sind, die aber gleichzeitig massiven Angriffen ausgesetzt
waren:
-
Als die chinesische Journalistin Mu Zimei (bürgerlicher Name: Li Li;
Wikipedia-Eintrag: https://en.wikipedia.org/wiki/Muzi_Mei) im Jahr 2003 begann,
über ihre Beziehungen und ihr freizügiges Sexualleben in Peking zu bloggen,
widersprach das völlig dem tradierten Frauenbild in der chinesischen
Gesellschaft. Sie und andere chinesische Sexbloggerinnen wurden von der
jungen, auf sexuelle Liberalisierung drängenden Generation in China gefeiert
und weltweit beachtet, gleichzeitig von konservativen Kräften in den
chinesischen Medien verunglimpft, für „geisteskrank“ und zu Staatsfeindinnen
erklärt ([Farrer 2007]; [O’Connor 2014]). Mu Zimei verlor ihren
Arbeitsplatz bei einer Zeitung, ihr Blog wurde zensiert und gelöscht, ihr
Buch zum Blog in China verboten. Es liegt heute aber u. a. in deutscher
Sprache vor ([Zimei 2007]).
-
Das Weblog „Girl With a One-Track Mind” (http://girlwithaonetrackmind.com/2004_01_01_archive.html)
wurde 2004 bis 2010 von der Bloggerin Zoe Margolis (Pseudonym) betrieben.
Die Bloggerin lebte als junger Single in London, arbeitete in der
Filmbranche und beschrieb ihre hungrige Suche nach befriedigendem Sex,
einschließlich der zugehörigen Pannen und Rückschläge. Sie kritisierte
sexuelle Doppelmoral und nahm für sich in Anspruch, ihrem Vergnügen
nachgehen zu dürfen, genau wie es Männern zugestanden wird. Das Blog
erreichte ein großes Publikum, wurde für seinen Humor gewürdigt, gewann
Blogger-Preise. Die 2006 veröffentlichte Buchfassung stand auf der
Bestsellerliste. Gegen ihren Willen enthüllte die „Sunday Times“ dann das
Pseudonym der Bloggerin, die in Wirklichkeit Abby Lee heißt
(Wikipedia-Eintrag: https://en.wikipedia.org/wiki/Girl_with_a_One-Track_Mind).
In der Folge verlor sie ihren Arbeitsplatz in der Filmindustrie. Zudem
musste sie juristisch dagegen vorgehen, in der Presse als „Hure“ bezeichnet
zu werden. Sie gewann den Fall gegen „The Independent on Sunday“ (http://girlwithaonetrackmind.com/2010_05_01_archive.html).
Die öffentliche Bloßstellung und Herabwürdigung beschreibt sie als
„Alptraum“. Vergleicht man das Blog (http://girlwithaonetrackmind.com/2004_01_01_archive.html)
mit der deutschen Buchform ([Lee 2007]), so
wird die reißerische Rekontextualisierung deutlich.
-
Im Jahr 2004 startete Jessica Cutler anonym das Blog „Washingtonienne“, das
ihr aktives Sexleben in Washington schildert. Gegen ihren Willen
veröffentlichte das Online-Klatschmagazin „Wonkette“ ihren bürgerlichen
Namen. In der Folge verlor sie ihre Anstellung als Kongressmitarbeiterin. Da
sie im Blog und dessen fiktionalisierter Buchfassung ([Cutler 2005]) vereinzelt transaktionalen Sex
beschreibt, wurde sie in der Presse moralisch verurteilt und als „Hure“
dargestellt (Wikipedia-Eintrag: https://en.wikipedia.org/wiki/Jessica_Cutler).
-
Lena Chen betrieb als Harvard-Studentin unter ihrem realen Namen seit 2006
das Blog „Sex and the Ivy“, in dem sie mit feministischem und künstlerischem
Anspruch neben anderen Aspekten des Studierendenlebens auch offen über ihr
Sexualleben schrieb. Die Reaktionen waren wie üblich gespalten: Während die
einen den offenen sexuellen Diskurs würdigten, wurde ihr Werk von vielen
anderen als unmoralisch und ekelerregend abgelehnt (Wikipedia-Eintrag:
https://en.wikipedia.org/wiki/Lena_Chen). Ihr Ex-Freund
veröffentlichte 2007 intime Fotos im Sinne von Rache-Pornografie und ein
anonymer Stalker terrorisierte jahrelang sie und ihre Angehörigen,
veröffentlichte deren private Daten und verbreitete Verleumdungen im
Internet. Durch ihre Bekanntheit wurden diese Angriffe amplifiziert: Der
Stalker attackierte neben direkten Angehörigen alle möglichen Personen aus
ihrem Umfeld, die ihren – in seinen Worten – „Pornblog“ genutzt hatten oder
die für sie eintraten ([Gordon 2013]). Lena
Chen musste ihr Studium unterbrechen, erlitt einen Nervenzusammenbruch,
verließ die USA und lebte in Europa jahrelang unter neuer Identität
(https://www.lenachen.com/about/).
-
Die in London ansässige Medizinstudentin Brooke Magnanti finanzierte ihre
Promotionsphase 2003 und 2004 teilweise als Escort und bloggte anonym
darüber. Das Blog fand ein Millionenpublikum und wurde – ebenfalls anonym –
in Buchform veröffentlicht, wo es auf den Bestsellerlisten stand ([Belle de Jour 2006]). Das Werk wurde zudem
verfilmt. Die britische Presse spekulierte jahrelang über die Identität der
Bloggerin und setzte alles daran, sie gegen ihren Willen zu outen. Die
„Sunday Times“ veröffentlichte schließlich 2009 ihren bürgerlichen Namen.
Trotz Anfeindungen behielt Dr. Magnanti ihren damaligen Arbeitsplatz an der
University of Bristol. Heute setzt sich die Wissenschaftlerin für
die Rechte von Sexarbeiterinnen ein und veröffentlicht
sexualwissenschaftliche Bücher, in denen sie sexuelle Mythen mit empirischen
Daten konfrontiert (z. B. [Magnanti 2012],
[2017]). Sie tritt zudem für das Recht
auf Anonymität im Netz ein (z. B. in diesem TED Talk: http://www.tedxeastend.com/in-defence-of-anonymity-brooke-magnanti-at-tedxeastend-2014/).
-
Das von 2007 bis 2010 geführte Blog „Bitchy Jones’ Diary“ (https://bitchyjones.wordpress.com/) ist eines der wenigen
weltberühmten Sextagebücher, bei denen es der Bloggerin gelungen ist, ihre
gewollte Anonymität tatsächlich zu wahren (Wikipedia-Eintrag: https://en.wikipedia.org/wiki/Bitchy_Jones%27s_Diary). Das
Blog behandelt sexuelle Erfahrungen in der BDSM-Szene aus der Perspektive
einer dominanten Frau und setzt sich dabei sehr kritisch mit gängigen
Stereotypisierungen und Objektifizierungen von Dominas auseinander.
Fast alle genannten persönlichen Sexblogs sind heute noch online oder in Buchform
verfügbar. Was jedoch neben einer Analyse der Bloginhalte bislang eine
Forschungslücke darstellt, sind die hochgradig ambivalenten (medien-)öffentlichen
Reaktionen samt der Folgen für die Bloggerinnen. Die gängige Behauptung, es sei doch
heutzutage völlig normal und banal, offen über Sexualität zu sprechen, ist
offensichtlich unzutreffend. Bei Bloggerinnen und anderen Autorinnen werden
autobiografische sexuelle Äußerungen keineswegs in einem Normalitätsrahmen
wahrgenommen, sondern stets skandalisiert: Entweder werden sie als erstaunlich
mutige und befreiende Selbstoffenbarung gefeiert oder als peinliche, unglaubwürdige
und unmoralische Selbstobjektifierung verdammt. Insofern gilt es weiter zu
verfolgen, inwiefern es der am Anfang dieses Abschnitts erwähnten Bloggerin Theresa
Lachner mit ihrem Blog Lvstprinzip (https://www.lvstprinzip.de/) gelingt, die Vielfalt der Sexualitäten
von Frauen tatsächlich in dem von ihr angemahnten Normalitätsrahmen zu verhandeln
und dies auch auf die Medienöffentlichkeit in Deutschland zu übertragen.
Neben persönlichen Sexblogs, die ein breites Online- und Offline-Publikum erreichen,
existieren in großer Fülle und Vielfalt kleinerer Blogs, die autobiografische
sexuelle Erfahrungen aus den Perspektiven unterschiedlicher sexueller,
geschlechtlicher, religiöser und kultureller Identitäten behandeln. Auch hier sind
überwiegend Bloggerinnen aktiv, allerdings auch einige Blogger (siehe den
Blogbeitrag „Male Sex Blogs: Where Are They?“ von „Girl on the Net“: https://www.girlonthenet.com/2016/03/04/male-sex-blogs/): Beispiele
sind „My Name Is Not Jack“ (https://www.jackdaddy.blog/), ein Blog aus schwuler Perspektive, das
Blog von C. P. McClennan (http://www.strandedintoronto.com/) mit Fokus auf Polyamorie sowie
„Become Her Slave“ (https://becomeherslave.blogspot.com/), ein Blog über weibliche
Dominanz aus Sicht eines submissiven Mannes – zwischen Hingabe-Wünschen,
Domina-Klischees und Tipps für die Rollenaushandlung in der Partnerschaft oder
Ehe.
Sexblogs zur sexuellen Aufklärung und Beratung
Sexblogs zur sexuellen Aufklärung und Beratung
Zahlreiche Blogs von Fachleuten auf dem Gebiet der sexuellen Gesundheit wollen zur
Sexualaufklärung und sexuellen Bildung beitragen, indem sie Ratschläge geben und
Publikumsfragen beantworten. Die Sexualwissenschaftlerin Dr. Debby Herbernick vom
Kinsey-Institut an der Indiana University beantwortet seit 2013
Publikumsfragen, ihr Blog heißt „Kinsey Confidential“ (https://kinseyconfidential.org/author/debby/). Die Sexologin Dr.
Lanae St. John gibt im ihrem Blog „Mama Sutra“ (http://www.themamasutra.net/blogs/) Tipps zur sexuellen Gesundheit
(z. B. zur genitalen Selbstuntersuchung) sowie zur Sexualerziehung der eigenen
Kinder. Die klinischen Sexologinnen Kelly McDonnell-Arnold und Joanne Z. Flannery
betreiben auf ihrer Website „Sexology International“ ein Blog (https://sexologyinternational.com/blog/), in dem sie zusammen mit
Gastautorinnen Tipps für ein lustvolles Sexualleben geben (z. B. zur
Beckenbodengesundheit oder zum Umgang mit Fetischen). Als Fachautorin für
„Senioren-Sex“ wendet sich Joan Price in ihrem Blog (http://betterthanieverexpected.blogspot.com/) gegen negative
Altersstereotype und zeigt Möglichkeiten für Lust im höheren Lebensalter auf.
Der Autor, Schauspieler und Psychotherapeut Raoul Biltgen erklärt seit 2010 in seinem
Beratungsblog „Adam spricht“ (https://www.adamspricht.com/) „als Mann“ weitgehend unironisch „den
lieben Frauen“, was es mit Sex, Männern, Körpern und Penissen auf sich hat. Wer
Mansplaining mag und an strikt geschlechterbinären heteronormativen
Perspektiven Interesse hat, mag hier gut aufgehoben sein. Medial ist das Blog
ansprechend aufbereitet mit eigenen Zeichnungen des Bloggers.
Neben Beratungsblogs, die zur konkreten Verbesserung des Sexuallebens beitragen
wollen, gibt es auch Aufklärungsblogs, die eher kulturell und politisch ausgerichtet
sind, etwa das Blog „Tiny Nibbles“ (https://www.tinynibbles.com/) der Journalistin und Autorin Violet
Blue, das wöchentliche „Sex News“ aus den USA bringt und Einblicke in die
alternative Porno-Branche bietet. In seinem „Sexual Intelligence Blog“ (https://www.martyklein.com/category/sexual-intelligence-blog/)
kommentiert der Ehe-, Familien- und Sexualtherapeut Dr. Marty Klein kritisch die Art
und Weise, wie wir in der Mainstream-Kultur mit Sex umgehen, seien es irrationale
Ängste vor Pornografie oder Sexrobotern, die falsche Vorstellung, man „brauche“ Sex,
oder die irrige Idee, sexlose Paare sollten ihr Liebesleben einfach mit „Exotica“
aufpeppen.
Sexualwissenschaftliche Sexblogs
Sexualwissenschaftliche Sexblogs
Als Psychologe und Sexualforscher am Kinsey-Institut an der Indiana University tätig,
betreibt Dr. Justin Lehmann mit „Sex & Psychology“ (https://www.lehmiller.com/) einen
der reichweitenstärksten sexualwissenschaftlichen Blogs. Er behandelt
allgemeinverständlich ein breites Spektrum an Themen, geht etwa der Frage nach, ob
junge Männer heutzutage tatsächlich aufgrund von Pornografienutzung verstärkt unter
Erektionsproblemen leiden, was es angesichts wachsender Sensibilierung für sexuelle
Gewalt mit erotischen Gewaltfantasien auf sich hat, welche sexuellen Fantasien
Menschen haben, die sich nicht als Frauen oder Männer identifizieren oder welche
Hintergründe das sexuelle Interesse an Tieren hat. Dabei verweist er auf
wissenschaftliche Studien und auf seine eigenen Publikationen.
Die Sexualforscherin und Lehrbeauftragte für Psychologie an der New York
University Dr. Zhana Vrangalova bietet seit 2013 ein hochprofessionell
designtes sexualwissenschaftliches Blog (https://drzhana.com/blog/), in dem sie diverse sexualbezogene Themen
aufgreift und anhand aktueller Studienergebnisse sowie mit Verweisen auf eigene
Veröffentlichungen behandelt: Das Sexualleben von Narzisst_innen, Vorurteile
gegenüber Bisexualität, sexuelle Identitäten von Trans*Personen oder die Folgen von
Prostitutionsgesetzen.
Fazit
Für den fachlichen wie privaten Austausch über sexualbezogene Themen stellen Weblogs
seit Anfang der 1990er-Jahre ein wichtiges Online-Format dar: Ein breites Spektrum
an Themen und Darstellungsformen sowie an Autor_innen sind vertreten, darunter viele
Weblogs von Frauen sowie aus sexuellen Spezialkulturen. Die Entwicklung hat
ambivalente Züge: Einerseits werden über Weblogs neue sexuelle Kommunikationsräume
eröffnet, denen hilfreiche und regelrecht emanzipatorische Funktionen zugeschrieben
werden. Andererseits laufen gerade Frauen offensichtlich nach wie vor Gefahr, für
persönlichen sexuellen Selbstausdruck sanktioniert zu werden. Das zeigen die
aufgeführten Beispiele derjenigen Sexbloggerinnen, die mit ihren zunächst pseudonym
veröffentlichten authentischen Erfahrungsberichten weltberühmt wurden, dann aber
Zwangsouting, öffentliche Abwertung und Arbeitsplatzverlust erleben mussten. Zudem
werden sexuelle Diskurse auf populären Online-Plattformen teilweise aus
unternehmenspolitischen Gründen unterbunden, wie das für die Sexblog-Szene besonders
relevante Beispiel Tumblr zeigt ([Chase 2019]).
Aktuelle Studien zu Sexblogs untersuchen anhand von Interviews deren Funktionen in
polyamourösen Beziehungen ([Tiidenberg 2014]) oder
anhand von ethnografischer Forschung deren Bedeutung für Queer- und Trans*-Kulturen
([Fink und Miller 2014]). Andere beschäftigen
sich mit dem sexuellen Sexualausdruck mittels NSFW („Not Safe for Work“) Selfies in
Tumblr-Blogs ([Hart 2018a], [2018b]). Auch wird das Verfassen von Sexblogs mit
anderen Formen des sexuellen Schreibens wie Cybersex und Erotika verglichen ([Wheaton 2016]). Nicht zuletzt können sogar Weblogs,
die keine dezidierten Sexblogs sind, für die Sexualforschung von Bedeutung sein: So
bieten Infertility-Blogs authentische Einblicke in das (Körper-)Erleben von
Frauen, die ungewollt kinderlos sind und reproduktionsmedizinische Maßnahmen
durchlaufen ([Hepworth 2015]), während die Analyse
von religiösen Mommy-Blogs sehr spannende Befunde zur Rezeption von „Fifty
Shades of Grey” bietet: So wird diese Erotik-Trilogie mit BDSM-Elementen in
evangelikalen und mormonischen Mütter-Blogs teils strikt abgelehnt, teils
ausdrücklich begrüßt ([Whitehead 2013]).
Die Beschäftigung mit Sexblogs aller aufgeführten sechs Rubriken kann Fachleuten
Material und Kontakte für empirische Studien und/oder für die praktische Arbeit mit
Klient_innen und Patient_innen liefern, Einblicke in unterschiedliche sexuelle
Erfahrungswelten und Szenen sowie sexualwissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln
und zu eigenen Blogging-Aktivitäten anregen.