Rehabilitation (Stuttg) 2019; 58(03): 150-152
DOI: 10.1055/a-0897-2463
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Cancer Survivorship – Die Versorgung von Krebsüberlebenden

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Publication Date:
18 June 2019 (online)

Das spät entdeckte Problem der Survivor

Die Überlebensraten nach einer Krebserkrankung haben sich vor Allem bedingt durch Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessert. Nach Schätzungen leben aktuell in Deutschland ca. 4.4 Millionen Menschen, die gegenwärtig oder zu einem früheren Zeitpunkt an Krebs erkrankt sind oder waren. Für diese Gruppe hat sich international der Begriff „Cancer Survivor“ durchgesetzt. Bei etwa 2 Dritteln der Survivor liegt die Diagnosestellung mehr als 5 Jahre zurück. Für diese Teilgruppe wird häufig die Bezeichnung „Langzeitüberlebende“ gewählt. Der Anteil der Frauen unter den Survivorn wird mit ca. 60% und der Anteil im erwerbsfähigen Alter auf ca. ein Drittel geschätzt [1].

Die bisherige Versorgungssituation von Survivorn und einzelne Reforminitiativen

Survivor erlebt eine Vielzahl erkrankungs- und behandlungsbedingter Spätfolgen im körperlichen, funktionellen, psychischen und sozialen Bereich (vgl. u. a. [2]). Neue Therapieverfahren insbesondere aus dem Bereich der Immunonkologie sind mit einem neuen Spektrum an Nebenwirkungen und möglichen Langzeitfolgen verbunden, die sich mittel- und langfristig auf die Situation der Survivor auswirken können (vgl. u. a. [3]). Entsprechend haben sie Bedarf an Versorgungsangeboten, die zum einen ganzheitlich die verschiedenen vorhandenen Spätfolgen und Problembereiche adressieren und zum anderen präventiv die Wahrscheinlichkeit der Entstehung weiterer Spätfolgen reduzieren.

Es gibt im deutschen Gesundheitsversorgungssystem bereits eine Vielzahl von potentiellen Versorgungsangeboten für Krebsüberlebende. Zu nennen sind hier u. a. die unterschiedlichen Angebote der Rehabilitation, psychoonkologische Versorgungsangebote oder therapeutische Angebote wie Physio- oder Ergotherapie. Diese verteilen sich über die verschiedenen Versorgungssektoren und werden in unterschiedlichen Settings und Rahmenbedingungen angeboten. Da bisher keine systematische Bedarfserfassung der Problemlagen und Bedürfnisse der Survivor stattfindet und weder eine Strukturierung, Bündelung oder Systematisierung der Angebote vorgenommen wird, noch die vielfältigen und diversen Angebote gleichermaßen flächendeckend vorhanden und erreichbar sind, ist eine bedarfsgerechte Versorgung der Betroffenen derzeit nicht sichergestellt.

Dieser kritischen Einschätzung Rechnung tragend hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) 2018 eine interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe „Langzeitüberleben nach Krebs“ (AG LONKO) eingesetzt, die im Rahmen des Nationalen Krebsplanes innovative Konzept für eine bedarfsgerechte Versorgung von Langzeitüberlebenden in Deutschland entwickeln soll. Auch einzelne der von der Deutschen Krebshilfe geförderten Onkologischen Spitzenzentren und Modellvorhaben des Innovationsfonds des G-BA haben die Thematik inzwischen aufgegriffen. Kurz skizziert sollen hier 2 aktuell erprobte Survivorprogramme:

Das Programm „Leben nach Krebs“ am Universitären Cancer Center Hamburg. Hier wird eine Tumornachsorge-Sprechstunde für Menschen nach einer Tumorerkrankung angeboten. Zielsetzungen sind die Entwicklung eines individuell abgestimmten Nachsorgeplans und umfassende Aufklärung der Betroffenen im Hinblick auf Symptome, auf die in Zukunft besonders geachtet werden muss und die Sicherstellung der weiteren medizinischen Nachsorge. Patientinnen und Patienten, deren Therapie schon längere Zeit abgeschlossen ist, werden zu körperlichen und psychischen Spät- und Langzeitfolgen der Erkrankung beraten und erhalten bedarfsorientierte Therapieempfehlungen. Bei Bedarf erfolgt eine Vermittlung zu weiteren Beratungsangeboten oder Angeboten beispielsweise zu den Themen Sport und Bewegung, Ernährung, Psychoonkologie oder Komplementärmedizin.

Das CARE for CAYA-Programm: Dieses multizentrische bundesweit durchgeführte und vom Innovationsfonds des G-BA geförderte Angebot wendet sich an Survivor im Alter von 15 bis 39 Jahren, die im Kindes-, Jugend- oder jungen Erwachsenenalter erkrankt waren und zielt auf häufig auftretende krankheits- oder therapiebedingte körperliche, psychische oder soziale Probleme. Bei bestehendem Bedarf erhalten die Patientinnen und Patienten Interventionsangebote in den Bereichen Ernährung, Sport/körperliche Aktivität und Psychoonkologie. Darüber hinaus kann bedarfsunabhängig auf Wunsch der Patientinnen und Patienten eine Basisversorgung als Einmalgespräch in Anspruch genommen werden. Nach 12 Monaten erfolgt ein Re-Assessment der medizinischen und psychosozialen Situation sowie des Lebensstils und ggf. bedarfsabhängig ein (ggf. erneutes) Interventionsangebot.

Die Rolle der Rehabilitation im Rahmen einer besseren Versorgung von Survivorn

Bei den bereits verfügbaren nationalen und internationalen Survivorship-Programmen kommt rehabilitativen Angeboten eine besondere Rolle zu (vgl. [4] [5]). Hier weist das deutsche Versorgungssystem gegenüber anderen Ländern einige Vorteile auf. Patientinnen und Patienten, bei denen ein Rehabilitationsbedarf besteht, haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine Rehabilitation. Diese soll die Patientinnen und Patienten bei der Bewältigung der Erkrankung und ihrer Folgen unterstützen und es ihnen ermöglichen, möglichst weitgehend und selbständig am normalen Leben in Familie, Beruf und Gesellschaft teilnehmen zu können. Die aus diesem Anspruch resultierenden Ziele sind mehrdimensional und beziehen sich in Übereinstimmung mit dem biopsychosozialen Modell der ICF der Weltgesundheitsorganisation sowohl auf die körperliche und psychische Ebene als auch den persönlichen Kontext der Patientinnen und Patienten und Umweltfaktoren. Insgesamt soll im Rahmen der onkologischen Rehabilitation die Anpassung der Lebensperspektiven an das Leistungsvermögen und den Krankheitsverlauf geleistet werden.

Die onkologische Rehabilitation wird im deutschen Gesundheitssystem vor allem in spezialisierten Fachkliniken realisiert. Dies sichert eine hohe Qualität der Versorgung. Während stationäre Angebote der Krebsrehabilitation sehr gut etabliert sind, gibt es für dieses Indikationsgebiet bislang kaum teilstationäre oder ambulante Angebote. Stationäre onkologische Rehabilitationsmaßnahmen sind im Regelfall auf eine Dauer von drei Wochen begrenzt, bei gegebener Indikation gibt es jedoch auch die Möglichkeit einer Verlängerung auf vier Wochen.

Aber entsprechen die gegenwärtigen rehabilitativen Angebote den durch die Survivor-Forschung identifizierten Bedarfen insbesondere der Langzeitüberlebenden? Diesbezüglich sind einige Zweifel anzumelden:

  • Die gegenwärtigen Angebote der (onkologischen) Rehabilitation sind überwiegend stationär und zeichnen sich durch einen hohen Formalisierungsgrad aus. Die onkologischen Kliniken liegen zudem in der Regel nicht in den Ballungszentren, d. h. die stationäre Orientierung bedeutet gleichzeitig, dass die Rehabilitation wohnortfern durchgeführt wird. Die Behandlung der Probleme von Survivorn verlangt jedoch ein eher zeitnahes, flexibles und wohnortnahes Angebot.

  • Insbesondere in der onkologischen Rehabilitation fehlen in Deutschland ambulante Angebotsformen. Wenn sie zur Verfügung stehen, orientieren sie sich konzeptuell an dem von der Deutschen Rentenversicherung favorisierten tagesklinischen Ansatz, der im Wesentlichen dem stationären Rehabilitationskonzept entspricht. Weniger formalisierte und weniger aufwendige, dafür problemorientierte und flexible ambulante rehabilitative Angebote, wie sie in einigen europäischen Ländern vorgehalten werden, fehlen bisher in Deutschland. Genau für diese dürfte in der Versorgung von Survivorn ein erheblicher Bedarf bestehen.

  • In den letzten Jahren hat die DRV dem Thema Reha-Nachsorge mehr Bedeutung eingeräumt. So wurde das Fachkonzept „T-RENA“ eingeführt [6]. Die Nachsorgeprogramme zielen auf die Verstetigung des während der Reha-Maßnahme erreichten Erfolges und sollen Verbesserungen im Umgang mit der Erkrankung und von Verhaltens- und Erlebensveränderungen bewirken. Die Bedarfsfeststellung erfolgt durch einen Arzt oder eine Ärztin der Reha-Einrichtung. Die in der Regel als Gruppenbehandlung durchgeführten Maßnahmen sind zeitlich eng an die Rehabilitationsmaßnahme gebunden, auf 6 bzw. maximal 12 Monate begrenzt und betreffen vor allem Muskeltraining, ADL-Training und Kompensationstechniken. Zusätzlich können auch Ernährungsberatung und ambulante Psychotherapie (Psychoonkologie) verordnet werden. Diese Entwicklungen stellen sicher in Richtung auf die Survivorversorgung einen Fortschritt dar.

  • Zeitliche Platzierung: Die Rehabilitationsmaßnahmen können entweder im Anschluss an die Primärbehandlung als Anschlussrehabilitation (AHB-Maßnahme) oder mit einem größeren zeitlichen Abstand zur Primärbehandlung als allgemeines Heilverfahren in Anspruch genommen werden. In den letzten 10 Jahren hat sich die Relation zwischen diesen beiden Angebotsformen deutlich hin zu den AHB-Maßnahmen verschoben. Auch gab es in den letzten Jahren Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass die Zahl der früher häufiger gewährten Wiederholungsmaßnahmen erheblich zurückgegangen ist. Damit hat die (onkologische) Rehabilitation die für die Survivorversorgung erforderliche Langzeitorientierung zumindest tendenziell verlassen.

  • Ein anderer nicht nur für die Onkologie geltender Kritikpunkt an der Rehabilitation in Deutschland ist die fehlende oder unzureichende Vernetzung mit anderen Hilfsangeboten wie bspw. ambulante psychologische und psychotherapeutische Versorgung, Ergotherapie, Sport- und Bewegungstherapie und Ernährungsberatung. Genau dies ist aber eine wichtige Voraussetzung für eine wirksame Survivorversorgung.

Erforderliche Weiterentwicklungen für eine bedarfsgerechte Survivorversorgung

Die internationale Survivorshipforschung, aber auch die bisherigen Diskussionsergebnisse im Rahmen der AG LONKO und die Erfahrungen in einzelnen deutschen Modellprojekten verdeutlichen, dass der Schwerpunkt bei der Schaffung einer bedarfsgerechten Versorgung für Survivor weniger in der Entwicklung neuer Behandlungsgebote, sondern vielmehr in einer besseren Vernetzung der bereits verfügbaren und evtl. weiter spezifizierten Angebote liegt. Zentrale Elemente für eine Survivorversorgung sind neben der Bereitstellung notwendiger vermutlich zusätzlicher Ressourcen ein multidisziplinäres Verständnis und eine phasenübergreifende Planung der Nachsorge, ein regelmäßiges Bedarfsscreening und eine Instanz, die die Vielfalt der Angebote und Versorgungsmöglichkeiten für die Survivor koordiniert.

Die Rehabilitation könnte mit ihrem ganzheitlichen und multimodalen Ansatz und mit der in den Einrichtungen vorhandenen Kompetenz einen Startpunkt für ein bedarfsgerechtes Survivorprogramm darstellen. So wäre denkbar, dass am Ende einer onkologischen Rehabilitation über die Nachsorgeempfehlungen hinausgehend ein konkreter Survivorshipplan für das erste Jahr nach Reha erstellt wird. Dieser sollte die bereits für die gegenwärtige Versorgung von Survivorn grundsätzlich verfügbaren Angebote berücksichtigen. Dies sind neben einer Betreuung durch Haus- und Fachärztinnen und -ärzte und ambulant verfügbare therapeutische Angebote wie bspw. Physiotherapie, Ergotherapie oder Reha-Sport u. a.

  • für individuelle soziale, sozialrechtliche, psychoonkologische Beratung und Gruppenangebote die bundesweit verfügbaren Krebsberatungsstellen

  • für die psychoonkologische Versorgung die vorhandenen (aber noch wenigen) Spezialambulanzen und auf Psychoonkologie spezialisierte niedergelassene Psychotherapeutinnen und -therapeuten,

  • die Beratung und Begleitung durch Selbsthilfeorganisationen,

  • Telefon- und Onlineberatung durch professionelle Organisationen wie den Krebsinformationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg, das INFONETZ KREBS der Deutschen Krebshilfe, die Unabhängige Patientenberatung Deutschland sowie das Junge Krebsportal der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs.

Darüber hinaus ergeben sich für Survivor altersabhängig spezifische Herausforderungen und Problemlagen. So spielen für Survivor im erwerbsfähigen Alter die Themen Rückkehr zur Arbeit bzw. Erhalt oder Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit eine zentrale Rolle. Auch hier kann die Rehabilitation – insbesondere vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren verstärkten Fokussierung auf das Thema Erwerbstätigkeit und Beruf vor dem Hintergrund der Etablierung der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) – eine Schlüsselfunktion wahrnehmen, indem die berufliche Orientierung weiter verstärkt wird und im Rahmen eines Survivorshipplanes bspw. die Themen stufenweise Wiedereingliederung und berufsbezogene Beratungs- und Unterstützungsangebote in der Nachsorge und im ambulanten Sektor spezifisch adressiert werden.

 
  • Literatur

  • 1 Arndt V. „Cancer Survivorship“ in Deutschland-Epidemiologie und Definitionen. Forum 2019; 34: 158-164
  • 2 Aaronson NK, Mattioli V, Minton O. et al. Beyond treatment-Psychosocial and behavioral issues in cancer survivorship research and practice. Eur J Cancer Suppl 2014; 12: 54-64
  • 3 Shapiro CL. Cancer Survivorship. N Eng J Med 2018; 379: 2438-2450
  • 4 Mehnert-Theuerkauf A. Cancer Survivorship: Herausforderungen für Klinik, Wissenschaft, Gesundheitspolitik und Patienten. Forum 2019; 2: 123-124
  • 5 Rik R. Onkologische Rehabilitation – Basis für die Qualität des Langzeitüberlebens. Im Fokus 2018; 21: 65-68
  • 6 Deutsche Rentenversicherung. Fachkonzept „T-RENA“ 2017 . Verfügbar unter: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/2_Rente_Reha/02_reha/05_fachinformationen/infos_fuer_rehaeinrichtungen/_ downloads/fachkonzept_t_rena.pdf?__blob=publicationFileamp;&v=2. Abgerufen am9.5.2019