Erfahrungsheilkunde 2019; 68(03): 113
DOI: 10.1055/a-0898-2138
Editorial
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„Das Leben ist wie Fahrrad fahren. Um die Balance zu halten, musst du in Bewegung bleiben.“

Albert Einstein
Peter W. Gündling
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Publication Date:
05 July 2019 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Leserinnen, liebe Leser,

„in Bewegung bleiben“. Wenn das immer so einfach wäre. Bei den einen scheitert es daran, dass sie ausgelaugt und müde von der Hektik des Tages aufs Sofa fallen und sich dann nicht mehr dazu aufraffen können. Die anderen würden gern, können aber nicht mehr, da ihnen die Gelenke, Muskeln und Bindegewebe wehtun. – Jetzt, nachdem sie jahrelang ihren Bewegungsapparat vernachlässigt haben.

Andererseits gibt es Menschen, die sich derart viel und schnell bewegen, dass man von Hyperaktivität oder auch blindem Aktionismus sprechen könnte. Einer von diesen ist unser Gesundheitsminister. Nahezu wöchentlich bringt er ein neues Thema auf den Tisch oder einen Gesetzesentwurf ins Parlament. Und aus diesem Aktionismus heraus erscheinen alle anderen natürlich ziemlich träge. Zu träge in der Umsetzung der hochgelobten Digitalisierung, zu träge 100 %ige Durchimpfungsraten zu gewährleisten. Offensichtlich auch zu träge, die Patienten ausreichend zu versorgen, weshalb nun die „25-Stunden-Pflicht-Sprechstundenzeit“ eingeführt wurde. Trotz seiner enormen Aktivität hat er es jedoch noch nicht geschafft, sich einmal den Alltag einer Ärztin oder eines Arztes anzusehen oder sich mit dem Thema „Der Patient als Individuum“ zu beschäftigen. Dabei könnte er möglicherweise Aktivitäten erkennen, die seinen Bewegungsdrang etwas bremsen oder in eine andere Richtung lenken. – Vielleicht etwas mehr in Richtung körperlicher Bewegung.

Doch zurück zum Bewegungsapparat: Patienten mit Beschwerden am Bewegungsapparat füllen unsere Wartezimmer. Laut Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind Erkrankungen des Muskel-, Skelett- und Bindegewebssystems die häufigsten Diagnosen in deutschen Arztpraxen. 36,7 Mio. Patienten haben wegen Beschwerden aus dieser Gruppe 2015 eine Arztpraxis aufgesucht. Bei der Frühverrentung stehen chronische Rückenschmerzen mittlerweile „nur noch“ an zweiter Stelle, überrundet von psychischen Erkrankungen.

Durch die Komplexität seiner Strukturen und Aufgaben sowie seiner zunehmenden Vernachlässigung oder Überlastung durch unsere moderne Lebensweise bietet der Bewegungsapparat natürlich auch viele Ansätze für Beschwerden und Störungen. Infolge unserer überwiegend sitzenden Tätigkeiten verspannen sich die Rückenmuskeln und führen zu Bandscheibenvorfällen. Und was Bewegungsmangel und einseitige Belastung nicht schaffen, machen Stress, Ängste und Sorgen. Durch Fehler in der Ernährung und zu wenig Bewegung kommt es zu mangelnder Versorgung der Gelenkknorpel und damit zu degenerativen Gelenkerkrankungen. Als Folge führen Operationen für künstliche Knie- und Hüftprothesen die Statistiken der chirurgisch-orthopädischen Kliniken an.

Jede unserer Körperfunktionen steht und fällt mit ihrem regelmäßigen bestimmungsgemäßen Gebrauch. Muskeln wollen trainiert werden. Sie sorgen für stabile Knochen, stabile und gleichzeitig flexible Bindegewebsstrukturen, eine gute Durchblutung und fördern den venösen Rücktransport und die Versorgung der Gewebe.

Der Bewegungsapparat ist weit mehr als nur Ausführungsorgan für unsere Bewegung. Über Reflexzonen stehen Myotome und Sklerotome nicht nur in Verbindung mit dem ZNS und dem vegetativen NS, sondern auch mit den inneren Organen. Durch die Akupunktur, Neuraltherapie, Osteopathie, Kinesiologie und die verschiedenen Reflexzonentherapien der Mikrosysteme haben wir gelernt, dass sich Funktionsstörungen innerer Organe hier bemerkbar machen – und hierüber auch therapiert werden – können. Und nicht nur diese. Auch die Seele kann sich im Bewegungsapparat manifestieren. „Myogelosen sind eingefrorene Gefühle“. Bei aller Wichtigkeit, den Bewegungsapparat selbst zu behandeln, dürfen wir diese Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren.

Herzlichst Ihr

Peter W. Gündling