ergopraxis 2019; 12(10): 14-16
DOI: 10.1055/a-0957-9323
Wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
04 October 2019 (online)

Weiterleben nach dem Drogentod des eigenen Kindes – Erfahrungen betroffener Eltern

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Das Kawa-Modell nutzt die Metapher eines Flusses, um die Lebensgeschichte eines Menschen abbildbar zu machen. Dazu gehören Wasser (Lebensenergie, Lebensfluss), Flussufer und Flussboden (soziale und physische Umwelt), Steine (Bedingungen, die den Energiefluss erschweren) und Treibhölzer (persönliche Eigenschaften und Ressourcen). Ergotherapeuten können das Modell in allen Settings einsetzen und dazu nutzen, Interventionen zu planen.
Abb.: Thieme Gruppe

Wie können Eltern mit der schmerzlichen Erfahrung umgehen, ihr erwachsenes Kind durch eine Überdosis Drogen verloren zu haben? Dieser Frage ging ein Forschungsteam um die Ergotherapeutin Jessica Nicole de Brun an der Loma Linda University in Kalifornien, USA, nach.

Die Forscher führten semistrukturierte Interviews mit elf betroffenen Eltern, die ihre Erfahrungen zuvor mithilfe des Kawa-Modells aufgezeichnet hatten. In den Interviews gingen die Mütter und Väter näher auf die Zeichnungen ein, welche ihre Lebenssituation vor und nach dem Schicksalsschlag illustrierten. Aus dem Datenmaterial gewannen die Forscher Kategorien, die sie mithilfe eines Concept Mapping zu fünf übergeordneten Themen verdichteten. Diese ordneten sie den Elementen des Kawa-Modells zu, um die Erfahrungen der Eltern rund um den Verlust ihrer Kinder zu beschreiben:

  1. Die unberechenbare Natur des Lebensflusses: Zehn der elf Elternpaare beschreiben ihren Lebensfluss am Tag des schmerzlichen Verlustes als flut- oder tsumaniartig, rau, mit Wellen und Böen. Während sich der Fluss bei einigen im Laufe der Zeit etwas beruhigen konnte, bezeichnen andere ihn weiterhin als rau oder betonen, dass sie diese schmerzhafte Erfahrung nie gänzlich überwinden können.

  2. Mit dem Boden und den Ufern des Flusses assoziieren die Eltern jene Unterstützung, die sie durch ihr soziales oder physisches Umfeld erfahren (haben), etwa durch Angehörige, Freunde, Interessengruppen oder Tiere.

  3. Als Steine stellen die Eltern verschiedene Gefühle und Emotionen dar wie Depressionen, Trauer, Angst oder das Erleben von Einsamkeit. Bei den meisten Teilnehmern haben diese Gefühle ihre täglichen Rollen und Routinen negativ beeinflusst. Eine Mutter beschreibt, dass nach dem Schicksalsschlag alle Tätigkeiten zur Herausforderung wurden: sich anziehen, das Haus verlassen, kochen. Außerdem stehen die Steine aus Sicht einiger Eltern für die fehlende Unterstützung durch Angehörige oder Freunde.

  4. Mit Treibholz im Sinne von unterstützenden Faktoren verbinden die Teilnehmer vor allem persönliche Eigenschaften wie ihre positive Lebenseinstellung oder ihre guten wirtschaftlichen Verhältnisse.

  5. Außerdem beschreiben die Eltern verschiedene Möglichkeiten, den Lebensfluss zu verbessern. Hierzu gehören neben den bereits genannten positiven Lebenseinstellungen auch die Unterstützung durch andere und die Teilhabe an bedeutsamen Betätigungen.

Die Forscher hoffen, dass die Ergebnisse für Ergotherapeuten insofern nützlich sind, als dass sie dadurch die Verlusterfahrungen der Eltern besser verstehen. Aus ihrer Sicht sind Ergotherapeuten besonders qualifiziert, betroffene Eltern darin zu unterstützen, ihren Lebensfluss zu normalisieren, Bewältigungsstrategien zu entwickeln und sich in bedeutsamen Rollen und Betätigungen zu engagieren. Das Kawa-Modell kann ihnen dabei helfen, gemeinsam mit den Eltern die Verlusterfahrungen und damit verbundene Barrieren, Förderfaktoren sowie Bewältigungsstrategien vor dem Hintergrund ihres Lebensflusses zu reflektieren, zu verstehen und für die Therapiegestaltung zu nutzen.

fk

Open J Occup Ther 2019; 7: 1–14

Es war wie eine große Welle, die immer wieder und wieder über mich hereinbrach.

Zitat eines Teilnehmers, Open J Occup Ther 2019; 7: 1–14