PPH 2019; 25(05): 257
DOI: 10.1055/a-0964-2334
Rund um die Psychiatrie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Für Sie gelesen: Aktuelle Studien: Elaad E. Plausible lies and implausible truths: Police investigators’ preferences while portraying the role of innocent suspects. Legal and Criminological Psychology 2019; DOI:10.1111/lcrp.12155

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Publication Date:
24 September 2019 (online)

Hintergrund: Für Polizeiermittler ist das Erstverhör einer verdächtigen Person oftmals mit dem Dilemma der Falschbeurteilung verbunden. Im ungünstigen Fall kann dies zur Freilassung eines schuldigen Verdächtigen (falsch-negatives Ergebnis) führen. Dieses Szenario wird von den Ermittlern sogar mehr gefürchtet als die Festnahme eines unschuldigen Verdächtigen (falsch-positives Ergebnis). Um zu entscheiden, ob sie die Befragung eines Verdächtigen fortsetzen sollen, stützen sich Ermittler häufig auf ihre Berufserfahrung und die Überzeugung, Lügen identifizieren zu können. In einer anderen Studie wurde tatsächlich festgestellt, dass Ermittler grundsätzlich mit einer höheren Treffersicherheit Lügen identifizieren können als Laien.

Die vorliegende Studie untersuchte, ob es Unterschiede zwischen Ermittlern der Polizei und Laien gibt, plausible Lügen und unplausible Wahrheiten einzuschätzen. Dazu wurden Ermittlungsszenarien simuliert, in denen die Probanden in der Rolle unschuldiger Verdächtiger den Vernehmer von ihrer Unschuld überzeugen sollten.

Methode: Insgesamt 30 Ermittler der Polizei und 30 Laien sollten in dem Experiment berichten, wie sie sich angesichts ihrer Rolle als unschuldige Verdächtige in 4 imaginären und unplausiblen Krimiszenarien verhalten würden. Die Probanden antworteten, indem sie für jedes Szenario eine der folgenden 4 alternativen Verhaltensweisen auswählten: unplausible Wahrheit, Verschleierung, Teillüge oder vollständige Lüge.

Die 60 Probanden der Studie wurden zunächst gebeten, einen kurzen Fragebogen zu Geschlecht, Alter, Religiosität, Bildung und Vernehmungserfahrung auszufüllen. Dann sollten sie beurteilen, wie ihre Fähigkeiten sind, eigene Lügen zu erzählen, Lügen bei anderen Menschen zu entdecken, selber die Wahrheit zu sagen und bei Dritten die Wahrheit identifizieren zu können.

Ergebnis: Die Ergebnisse zeigten, dass die Ermittler der Polizei eher plausiblen Lügen als weniger plausiblen Wahrheiten Glauben schenken. Laien hingegen hielten an weniger plausiblen Wahrheiten fest. Die Ergebnisse wurden durch eine falsche, voreingenommene Selbsteinschätzung der Polizeiermittler hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Lügen und Wahrheit zu erkennen, erklärt.

Fazit: Wenn Unschuldige verdächtigt werden, eine Straftat verübt zu haben, sollte dem Ideal, dass sich die Wahrheit am Ende durchsetzt, nicht vertraut werden. Dies gilt vor allem für wahre Aussagen, die mit einer vermeintlich unplausiblen Erklärung für Dritte einhergehen. Betroffene sollten auf eine fundierte Beweislage und juristische Beratung bestehen.

Jörg Kußmaul