Z Orthop Unfall 2019; 157(05): 480-482
DOI: 10.1055/a-0974-9317
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rauchverzicht rund um orthopädisch/unfallchirurgische Operationen: ein wesentlicher Faktor zur Ergebnisverbesserung

Nikolaus Boehler
,
Li Felländer-Tsai
Further Information

Korrespondenzadresse

Univ. Prof. Dr. Nikolaus Böhler
FA für Orthopädie und orthop. Chirurgie
Kepler Univ.Klinikum Linz + Efort Foundation
Univ. Prof.in Li Felländer-Tsai
FÄ für Orthopädie
Karolinska Univ.Hospital Stockholm + Efort Foundation

Publication History

Publication Date:
08 October 2019 (online)

 

Einführung

Technische Entwicklungen haben in den letzten Jahrzehnten die orthopädisch/unfallchirurgische Therapie extrem erfolgreich werden lassen. So wurde zum Beispiel die Implantation einer Hüftendoprothese zur erfolgreichsten Operation des Jahrhunderts in allen Bereichen erklärt. Eine regelmäßige Kontrolle z. B. durch Endoprothesenregister und Traumaregister sowie durch Abteilungszertifizierungen, wie Endocert, haben die Ergebnisse weiter verbessert und die Sicherheit bei diesen Operationen nochmals wesentlich erhöht.


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Es zeigt sich dabei allerdings auch, dass eine entscheidende weitere Verbesserung ganz wesentlich im Bereich der Prävention und des Patientenmanagements stattfinden wird.

Rauchen gilt als der Hauptgrund für Erkrankungen und Todesfälle im Bereich der Lunge, aber auch im Bereich der Herzkranzgefäße und Arterien. Viel weniger ist bekannt, dass Rauchen auch bei Erkrankungen des Bewegungsapparates eine wesentliche Rolle spielt. Gehäuft sieht man dies immer dann, wenn es zu Verletzungen kommt oder Operationen notwendig werden. Hier zeigen sich dann gravierende Unterschiede bei Rauchern und Nichtrauchern. Grund dafür ist die Tatsache, dass Rauchen neben den Nikotinschäden den Gehalt an Kohlenmonoxiden (CO) und Cyanwasserstoffen im Blut erhöht und damit zu einer reduzierten Sauerstoffversorgung des Gewebes führt [1], [2], [3], [4], [5].

Da diese sogenannte Oxygenierung in der Wund- und Knochenheilung eine wesentliche Rolle spielt, kommt es zu diesen negativen Einflüssen des Rauchens. Während allerdings die Nikotinschäden nur sehr langsam rückgängig gemacht werden können, sind die durch Rauchen bedingten CO-Schäden sehr rasch reversibel. Hier setzen nun auch die Projekte zum temporären Rauchverzicht an.

Österreich liegt beim Nikotinkonsum knapp oberhalb des EU-Durchschnitts, allerdings bei den weiblichen Raucherinnen im europäischen Spitzenfeld. Deutschland liegt im unteren Mittelfeld. Die Einführung von perioperativen Rauchverzichtprogrammen würde also sowohl in Deutschland als auch in Österreich wesentliche Vorteile bringen.

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Abb. 1 EU28 Raucher/Raucherinnen Daten – Eurostat Datas from European health interview survey (EHIS) [6].

Rauchen und postoperative Komplikationen

Dies soll an einigen Beispielen dargestellt werden. Die Ergebnisse zu diesem Thema sind in großen Sammelstudien und Metaanalysen belegt:

  • Bei Knie- und Hüftgelenksendoprothetik, aber auch Schulterendoprothetik zeigt die Literatur ein 2,2-fach erhöhtes Risiko für tiefe Infektionen und ein 1,7-faches Risiko für Prothesenwechsel bei Rauchern gegenüber Nichtrauchern [7], [8], [9], [10], [11].

  • Vorfußoperationen zeigen sogar eine 4,3-fach höhere Infektionsrate, und die bekannten Halluxoperationen weisen eine verlängerte Knochenheilung von bis zu 7 Wochen bei Rauchern auf [12], [13], [14].

  • Bei Sehnenoperationen im Schulterbereich ist eine bis zu 5-fach erhöhte Rerupturrate nachgewiesen. Das bedeutet, dass derartige Sehnen nach operativer Naht bei Rauchern gehäuft neuerlich reißen [15].

  • Nach Knochenbrüchen und nach Osteotomien ist eine verzögerte Heilungszeit von 4 – 8 Wochen beschrieben. Das Risiko einer Pseudarthrose ist um mehr als das 2-Fache erhöht, Infektionen ebenfalls um das 2-Fache und Osteomyelitis sogar um das 3,7-Fache. Dies zeigen u. a. die Daten des Lower Extremity Assessment Project (LEAP) [12], [16], [17], [18], [19], [20], [21], [22].

  • Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch nach Versteifungsoperationen. Speziell nach Wirbelsäulenversteifungen, aber auch nach Versteifungen im Fußbereich ist die Knochenheilungszeit um ca. 4 Wochen verzögert und die Pseudarthroserate doppelt so hoch. All diese Ergebnisse zeigen sehr eindrucksvoll, dass Rauchen die Wund- und Knochenheilung nach Operationen, aber auch nach Unfällen ganz wesentlich beeinflusst. Erfreulich ist allerdings, dass es sehr positive Möglichkeiten gibt, um dieses Risiko drastisch zu vermindern [14], [17].

  • Lumbago und degenerative Bandscheibenveränderungen fanden sich in einem systematischen Review bei Rauchern gehäuft in 1,7- bis 2,4-facher Höhe im Vergleich zu Nichtrauchern [17].


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Einfluss von zeitweisem Rauchstopp rund um Operationen und Unfälle

Rauchverzichtprogramme rund um orthopädische Operationen sind erwiesenermaßen hocheffektiv und vor allem in den skandinavischen Ländern mit Erfolg eingeführt.

Diese zeigen, dass schon eine Rauchpause von 4, besser 6 Wochen vor einer geplanten Operation und 6 Wochen nach der Operation all diese CO-bedingten Komplikationen um ca. 50% reduzieren.

Selbst nach Unfällen, bei denen naturgemäß eine präoperative Rauchpause nicht möglich ist, ermöglicht der unmittelbare Rauchstopp und ein Rauchverzicht für weitere 6 Wochen einen Rückgang der Komplikationen um 40% [3], [8], [18], [22], [23], [24], [25], [26], [27], [28].

Ein schöner Nebeneffekt liegt darin, dass Erfahrungen dieser Rauchverzichtprogramme eine sanfte Möglichkeit eines kompletten Rauchstopps in 20 – 30% gezeigt haben [28].


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Nikotinersatzprodukte

Erleichtert wird dieser Rauchverzicht auch dadurch, dass RaucherInnen mit starker Suchtkomponente, die sich naturgemäß mit einem derartigen Rauchstopp besonders schwer tun, auch Nikotinersatzprodukte, sogenannte NRTs, wie Nikotinpflaster, Nikotinkaugummi oder Nikotinsprays, aber auch E-Zigaretten verwenden können. Dies hängt damit zusammen, dass die schädigende Wirkung des Zigarettenkonsums rund um Operationen ja nicht durch Nikotin bewirkt wird, sondern die schon beschriebenen Kohlenmonoxide und Cyanwasserstoffe im Tabak für die erhöhte Komplikationsrate verantwortlich sind [27].


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Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Rauchen und Tabakkonsum neben den bekannten Lungen-, Herz- und Gefäßschäden auch einen stark negativen Effekt bei Operationen im Gelenk, Knochen und Sehnenbereich aufweisen. Dies betrifft sowohl elektive orthopädische Operationen als auch die Unfallversorgung, bei denen die Komplikationsrate von Rauchern und Raucherinnen um das 1,5-Fache bis 5-Fache, je nach Operationsart, erhöht werden.

Ein 6-wöchiger Rauchstopp vor einer Planoperation und 6 Wochen nach einer Operation bewirkt eine Reduzierung der Komplikationen um 50%, ein Rauchstopp von 6 Wochen unmittelbar nach dem Unfall verringert die Komplikationsrate um 40%.


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Korrespondenzadresse

Univ. Prof. Dr. Nikolaus Böhler
FA für Orthopädie und orthop. Chirurgie
Kepler Univ.Klinikum Linz + Efort Foundation
Univ. Prof.in Li Felländer-Tsai
FÄ für Orthopädie
Karolinska Univ.Hospital Stockholm + Efort Foundation


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Abb. 1 EU28 Raucher/Raucherinnen Daten – Eurostat Datas from European health interview survey (EHIS) [6].