Aktuelle Dermatologie 2019; 45(12): 585-587
DOI: 10.1055/a-1010-3614
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Blaschkolinearer akantholytischer dyskeratotischer epidermaler Nävus bei einem Säugling

Differenzialdiagnostische Überlegungen und LiteraturreviewAcantholytic Dyskeratotic Epidermal Nevus in an InfantDifferential Diagnostic Considerations and Review of the Literature
C. S. L. Müller
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
T. Vogt
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Cornelia S. L. Müller
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes
Kirrbergerstr. 100
66421 Homburg/Saar

Publication History

Publication Date:
12 December 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Vorgestellt wird ein 3 Monate alter Säugling mit seit Geburt bestehenden linearen Hautveränderungen am Bein, welche sich histologisch als akantholytischer dyskeratotischer epidermaler Nävus (ADEN) bestätigen ließen. Zusammenfassend ist der ADEN eine seltene Malformation, welche unmittelbar nach Geburt klinisch auffällt und sich ausschließlich durch den histologischen Befund einer fokalen akantholytischen Dyskeratose beweisen lässt bzw. die übrigen histologischen Differenzialdiagnosen einer akantholytischen Dyskeratose durch die klinische Umfeldbefundung auszuschließen sind.


Abstract

We present a 3-month-old infant with linear lesions at the leg since birth, which could be confirmed histologically as acantholytic dyskeratotic epidermal nevus (ADEN). In summary, ADEN is a rare malformation, clinically striking immediately after birth and can be demonstrated only by the histological findings of focal acantholytic dyskeratosis and exclusion of other histological differential diagnoses of acantholytic dyskeratosis by the clinical findings.


Zur dermatologischen Vorstellung kam ein 3 Monate alter weiblicher Säugling mit seit Geburt bestehenden linearen, roten und schuppenden, teils verrukösen und ekzematisierten Hautveränderungen am dorsalen linken Bein ([Abb. 1 a, b]). Die Läsionen zeigten seit der Geburt die Tendenz zur Abheilung. Die dermatologische Eigen- und Fremdanamnese war leer. Andere Organerkrankungen oder syndromale Befunde waren nicht vorhanden. Unter den klinischen Differenzialdiagnosen eines inflammatorischen linearen epidermalen Nävus (ILVEN) bzw. einer Incontinentia pigmenti wurde die Läsion biopsiert. Histologisch zeigte sich eine Akanthose der Epidermis mit fokaler Parakeratose und Serumeinlagerungen. Auffallend waren streckenweise Akantholyseareale in allen Schichten der Epidermis mit diskreten Dyskeratosen, betont subkorneal ([Abb. 2 a, b]). Abschließend wurde in Zusammenschau mit dem klinischen Befund ein akantholytischer dyskeratotischer epidermaler Nävus (ADEN) in blaschkolinearer Ausbreitung diagnostiziert.

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Abb. 1 Klinischer Befund des Kindes. a Fotografie des Vaters unmittelbar nach Geburt. Floride, ekzematöse, lineare Läsionen an der Rückseite des linken Beins. b Befundpräsentation bei Erstvorstellung in der dermatologischen Ambulanz. Die Läsionen sind zwischenzeitlich deutlich abgeheilt und ohne die initialen honiggelben Krusten.
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Abb. 2 Hautbiopsie aus läsionaler Haut. Hämatoxilin-Eosin-Färbung. a Originalvergrößerung 200 ×. Fokal suprabasale Akantholyse mit diskreter Dyskeratose. b Originalvergrößerung 400 ×. Schlotförmige Akantholyse mit subkornealen dyskeratotischen Keratinozyten.

Der ADEN ist eine histologische Variante des epidermalen Nävus (EN), eine kongenitale epitheliale Malformation, wobei eine Akantholyse nur sehr selten innerhalb eines EN beobachtet wird [1]. In einer Studie an 167 Biopsien von 160 Patienten mit epidermalen Nävi konnte eine Akantholyse nur in 1,2 % der Fälle gesehen werden [2]. Die definierenden Kriterien des epidermalen Nävus umfassen eine epidermale Hyperplasie und Hyperkeratose. Weitere fakultative Merkmale der Psoriasis vulgaris, epidermolytischen Hyperkeratose, Viruswarzen, seborrhoischen Keratosen, Porokeratose, Akanthosis nigricans sowie Nävus comedonicus werden in variablem Ausmaß innerhalb der EN beobachtet [2]. Ein Fall eines ADEN mit zusätzlich ekkriner Differenzierung wurde durch Shaffer et al. publiziert und stellt eine weitere morphologische Variante des ADEN dar [3]. Bis dato sind ca. 12 Fälle eines ADEN sind in der Literatur dokumentiert [1] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13]. Die überwiegende Zahl dieser Nävi wurden in (blaschko-)linearer Anordnung beobachtet, teils beschrieben im Sinne einer zosteriformen, also Dermatom-gebundenen Ausbreitung [5] [6] [7] [8] [10] [11] [14]. Begriffliche Uneinigkeiten und die teils regellose Durchmischung der Begriffe „zosteriform“ vs. „blaschkolinear“ wurden vielfach kritisiert [13] [14]. Ursächlich für die lineare Ausdehnung ist ein genetischer Mosaizismus. Als krankheitsursächliche Mutation konnte kürzlich eine somatische p.Phe29del-Mutation von Connexin 26 nachgewiesen werden [10]. Connexin 26-Mutationen alterieren die interzelluläre Kommunikation und Adhäsion. Syndromale Erkrankungen wie das palmoplantare Keratoderm mit Taubheit, das Vohwinkel-Syndrom sowie das KID-Syndrom (Keratitis-Ichthyosis-Taubheits-Syndrom) sind mit Mutationen des Connexin 26-Gens assoziiert [15] [16] [17] [18].

Wegweisend für die Diagnosestellung des ADEN ist die nachweisbare fokale akantholytische Dyskeratose (FAD), welche ebenso unspezifisch in benignen und melanozytären Tumoren, Narben und inflammatorischen Läsionen beobachtet werden kann. Sie tritt sowohl in der unmittelbaren Umgebung oder in der läsionalen Haut selbst auf [19]. Nach wie vor ist die Pathogenese der FAD unklar [2]. Die morphologischen Kriterien der FAD umfassen akantholytische und dyskeratotische Zellen in allen Etagen der Epidermis, Spaltbildung der suprabasalen Epidermis bei erhaltenen Papillen sowie eine variable Hyperparakeratose. Klinischerseits werden der sog. „non-apparente“ Typ vom papulösen und nodulären Typ unterschieden [2]. Weitere essentielle Differenzialdiagnosen umfassen die akantholytischen Dermatosen sui generis: Morbus Darier, Morbus Grover, Morbus Hailey-Hailey nebst ihren verwandten Variationen. Alle diese genannten Dermatosen können selbst auch in blaschkolinearer Ausbreitung auftreten, welche dann bspw. im Falle des segmentalen Morbus Darier und auch beim Morbus Hailey-Hailey durch Mosaizismus der krankheitsursächlichen ATP2A2-Genmutation bzw. differentielle Expression des kodierten SERCA2-Proteins im läsionalen Gewebe erklärbar ist [10] [20]. Dieser Mutationsnachweis kann differenzialdiagnostisch wiederum zur Abgrenzung eines Morbus Grover genutzt werden, der keine Mutation des ATPA2-Gens aufweist [21]. Rein auf Basis der histologischen morphologischen Befunde ist eine Abgrenzung eines ADEN von einem linearen/segmentalen Morbus Darier schwierig und nur durch eine enge klinisch-pathologische Korrelation aller übrigen Befunde möglich [6] [8]. Im vorliegenden Fall wurden zur Differenzierung eines linearen Morbus Darier das Alter bei Erstmanifestation, das Fehlen von Corps ronds oder Grains sowie bislang fehlende Darier-typische Zusatzbefunde (Nagelpathologien, palmoplantare Pits etc.) verwendet. Familiär gehäufte ADEN-Manifestationen sind bislang nicht berichtet worden, und bisher traten auch in keinem betroffenem publizierten Patienten ein Morbus Darier sowie ADEN gleichzeitig auf [5]. Berichte über eine rezidivierende UV-assoziierte Induktion eines ADEN in loco sind zum einen begrifflich unsicher definiert als auch pathogenetisch nicht sicher zuzuordnen, und wahrscheinlich handelt es sich in diesem publizierten Fall nicht um einen ADEN sui generis, sondern eine fotoaggravierte/-induzierte Dermatose mit FAD [13].

Ein anderer Subtyp des epidermalen Nävus ist der epidermolytische Nävus (ELN), der sich durch den feingeweblichen Nachweis einer epidermolytischen Hyperkeratose (EHK) definiert und v. a. begrifflich vom ADEN abgrenzt werden muss. Hier handelt es sich um einen Mosaizismus, der auch die Keimbahn betreffen kann und mit einer kongenitalen ichthyosiformen Erythrodermie assoziiert ist [22]. Histologisch stehen eine epidermale Reifungsstörung sowie granuläre und vakuoläre Degeneration im Vordergrund. Analog zur FAD wird auch die EHK inzidentell bei einer Vielzahl von neoplastischen und auch inflammatorischen Dermatosen beobachtet sowie in normaler Haut und Schleimhaut [23].

Therapeutisch sollten die Patienten mit ADEN fachdermatologisch engmaschig betreut werden, um zum einen kosmetisch störende Nävi im Verlauf mittels Exzision oder Lasertherapie behandeln zu können und zum anderen die Entwicklung von epithelialen Neoplasien innerhalb epidermaler Nävi erkennen und behandeln zu können [24].

Zusammenfassend ist der ADEN eine seltene Malformation, welche unmittelbar nach Geburt klinisch auffällt und sich ausschließlich durch den histologischen Befund einer fokalen akantholytischen Dyskeratose beweisen lässt bzw. die übrigen histologischen Differenzialdiagnosen einer akantholytischen Dyskeratose durch die klinische Umfeldbefundung auszuschließen sind.


Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Cornelia S. L. Müller
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes
Kirrbergerstr. 100
66421 Homburg/Saar


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Abb. 1 Klinischer Befund des Kindes. a Fotografie des Vaters unmittelbar nach Geburt. Floride, ekzematöse, lineare Läsionen an der Rückseite des linken Beins. b Befundpräsentation bei Erstvorstellung in der dermatologischen Ambulanz. Die Läsionen sind zwischenzeitlich deutlich abgeheilt und ohne die initialen honiggelben Krusten.
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Abb. 2 Hautbiopsie aus läsionaler Haut. Hämatoxilin-Eosin-Färbung. a Originalvergrößerung 200 ×. Fokal suprabasale Akantholyse mit diskreter Dyskeratose. b Originalvergrößerung 400 ×. Schlotförmige Akantholyse mit subkornealen dyskeratotischen Keratinozyten.