Definition und Ätiologie
Der Myokardinfarkt (oder Herzinfarkt; engl.: Acute Myocardial Infarction) ist als
akute Minderdurchblutung des Herzens (Myokard, Herzmuskelgewebe) mit daraus folgendem
Absterben von Herzmuskelgewebe definiert. Ätiologisch wird der Myokardinfarkt in 5
Typen eingeteilt, von denen nur die Typen 1–3 präklinisch relevant sind ([Tab. 1]) [1].
Tab. 1
Klassifikation des Myokardinfarkts.
Typ
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Beschreibung
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1
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Ruptur einer atherosklerotischen Plaque, Einreißung oder Dissektion eines Koronargefäßes
mit konsekutiver Myokardischämie
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2
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Sauerstoffminderversorgung des Myokards infolge relativer Minderdurchblutung, z. B.
bei Tachyarrhythmie, Bradykardie, Koronarspasmen, Hypotonie, Hypertonie
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3
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hochgradiger Verdacht auf Myokardinfarkt (z. B. ST-Hebungen) mit Tod vor definitiver
Diagnostik
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4
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Myokardinfarkt während/nach Herzkatheteruntersuchung
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5
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Myokardinfarkt während/nach Bypass-Operation
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Atherosklerose ist bei Weitem die häufigste Ursache des Myokardinfarkts, die am Herzen
als koronare Herzkrankheit (KHK) bezeichnet wird. Die Atherosklerose führt durch Verkalkung
der herzversorgenden Arterien zu Gefäßengen (Plaques). Wenn die Plaques aufbrechen
und daraus folgend einen kompletten Verschluss der Herzarterie verursachen, führt
dies zu einem Myokardinfarkt. Der Typ-2-Myokardinfarkt, z. B. im Rahmen einer hypertensiven
Krise, ist ebenfalls häufig.
Die Arbeitsdiagnose ACS
Unter die Arbeitsdiagnose akutes Koronarsyndrom (engl.: Acute Coronary Syndrome, ACS)
fallen 3 Entitäten ([Tab. 2]):
Tab. 2
Einteilung des akuten Koronarsyndroms.
Leitsymptom: akuter Thoraxschmerz
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Arbeitsdiagnose
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ACS
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ACS
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ACS
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Angina pectoris
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ja
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ja
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ja
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ST-Hebungen im EKG
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ja
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nein
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nein
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Synonym
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STE-ACS
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NSTE-ACS
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NSTE-ACS
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Troponin T initial
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negativ
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negativ
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negativ
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Troponin T 3 h nach Beschwerden
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deutlich angestiegen
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deutlich angestiegen
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gleichbleibend
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finale Diagnose
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STEMI
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NSTEMI
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instabile Angina pectoris
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Herzkatheter
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< 120 min
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nach Risikoeinschätzung
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elektiv
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ACS: Acute Coronary Syndrome; EKG: Elektrokardiografie; NSTE: Non-ST-Elevation; NSTEMI:
Non-ST-Elevation Myocardial Infarction; STE: ST-Elevation; STEMI: ST-Elevation Myocardial
Infarction.
-
STEMI (ST-Elevation Myocardial Infarction)
-
NSTEMI (Non-ST-Elevation Myocardial Infarction)
-
instabile Angina pectoris (iAP)
Klinik
Hauptsymptom des akuten Myokardinfarkts ist die Angina pectoris (AP, lateinisch für
„enge Brust“). Als „typische“ Angina pectoris wird ein Engegefühl hinter dem Brustbein
(retrosternal) mit Ausstrahlung in den linken Arm (seltener beide Arme, Hals oder
Kinn) bezeichnet. Begleitende Symptome beim Herzinfarkt können unter anderem Luftnot,
Übelkeit, Kaltschweißigkeit, Bauchschmerzen oder Synkopen sein [1]. Eher atypische Symptome für einen Myokardinfarkt sind unter anderem ein reißender
oder stechender Schmerz („wie ein Messerstich“), isolierte Luftnot oder eine Atemabhängigkeit
der Schmerzen. Es präsentieren sich bis zu 30 % der Frauen mit Myokardinfarkt ohne
oder mit atypischen Beschwerden [2], was die Diagnostik des Herzinfarkts in der Präklinik bei Frauen erschwert. Auch
ältere Patienten, Patienten mit chronischer Nierenerkrankung, Diabetes oder Demenz
leiden häufig nur unter atypischen Beschwerden und bedürfen eines besonderen Augenmerks
[3]. Somit kann kein klinisches Symptom einen Myokardinfarkt ausschließen oder beweisen.
Eine sichere Diagnose des Myokardinfarkts ist erst in der Klinik nach ausführlicher
Diagnostik möglich (s. u.).
Frauen mit Herzinfarkt stellen sich häufig ohne die typischen Symptome wie retrosternales
Engegefühl mit Ausstrahlung in den linken Arm vor.
Diagnostik
Anamnese und Untersuchung
Teil 1
Ein Rettungswagen wird notfallmäßig zu einem Einsatz (Stichwort „Übelkeit“) gerufen.
Bei Eintreffen am Einsatzort findet das Einsatzteam einen kardiorespiratorisch stabilen
adipösen 62-jährigen Patienten (AF 15/min, HF 100/min, RR 160/80 mmHg) vor. Er gibt
an, dass er vorhin plötzlich unter starkem Erbrechen gelitten habe, außerdem sei ihm
der Schweiß ausgebrochen, es sei mittlerweile jedoch wieder besser. Bis auf Probleme
mit dem Blutzucker sei es ihm bisher immer gut gegangen. Der verantwortliche Notfallsanitäter
entschließt sich zur Durchführung eines 12-Kanal-EKGs.
Bei Erstkontakt mit dem Patienten sollte eine gezielte Anamnese erfolgen und besonders
nach herzinfarkttypischen Symptomen (s. u.) gefragt werden. Das Erfragen der kardiovaskulären
Risikofaktoren (siehe folgende Übersicht) oder typischer Medikamente kann helfen,
Risikopatienten zu identifizieren. Eine gezielte körperliche Untersuchung, auch zur
Differenzialdiagnostik, insbesondere Aortendissektion, Lungenarterienembolie, Spannungspneumothorax
und Ösophagusperforation (für eine unvollständige Übersicht s. [Tab. 3]), ist unerlässlich.
Tab. 3
Differenzialdiagnosen des Myokardinfarkts.
Diagnose
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Mögliche klinische Präsentation
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Aortendissektion
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stärkster, reißender Thoraxschmerz, evtl. Blutdruckseitendifferenz, bekannte schwere
art. Hypertonie, bekannte bikuspide Aortenklappe
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Perikarditis
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stechender retrosternaler Schmerz, verstärkt im Liegen/Inspiration, konkave ST-Hebungen
ohne spez. Lokalisation
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Lungenembolie
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Dyspnoe, Tachykardie, Thoraxschmerz, Hämoptysen, Reiseanamnese, Umfangsvermehrung
der Beine
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(Spannungs-)Pneumothorax
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Anamnese, Dyspnoe, Einflussstauung, Auskultation
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Ösophagusruptur
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Vernichtungsschmerz, meist nach Erbrechen beginnend, Dyspnoe, evtl. Hämatemesis, Hautemphysem
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Pankreatitis
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gürtelförmiger epigastrischer Schmerz, Übelkeit, Erbrechen
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Gallenkolik
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kolikartiger Schmerz, primär im rechten Oberbauch, gelegentlich Ausstrahlung in rechte
Schulter
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Kardiovaskuläre Risikofaktoren
EKG
Teil 2
Es zeigt sich das in [Abb. 1, ]A, dargestellte EKG. Bei STEMI wird der Notarzt nachgefordert, ein venöser Zugang
sowie eine kontinuierliche Monitorüberwachung werden etabliert. Der Notarzt ist rasch
vor Ort. Es erfolgt die Gabe von 300 mg ASS + 5000 IE Heparin i. v. Mittlerweile klagt
der Patient über progredienten Thoraxschmerz, sodass eine fraktionierte Gabe von Morphin
(kumulativ 5 mg i. v.) sowie eines Antiemetikums erfolgt. Parallel dazu telefoniert
der Notarzt bereits mit der nächsten Klinik mit Herzkatheterlabor und vereinbart,
diese direkt anzufahren.
Abb. 1 12-Kanal-EKG mit STEMI. A: Hinterwandinfarkt; B: Vorderwandinfarkt; C: STEMI-äquivalent:
ST-Senkungen > 1 mm in 8 oder mehr Ableitungen + ST-Hebung in aVR.
Die Differenzierung zwischen STEMI und NSTEMI/iAP hat größte Relevanz für die präklinische
Versorgung, da beim STEMI jede Minute zählt.
Das EKG ist das wichtigste Werkzeug bei dem Verdacht auf einen Myokardinfarkt.
Zusätzlich kann das initiale EKG-Monitoring lebensbedrohliche Arrhythmien identifizieren,
weswegen dieses umgehend etabliert und bis zur Patientenübergabe in der Klinik erfolgen
sollte [4]. Laut Leitlinie darf die Zeit zwischen medizinischem Erstkontakt und Befundung des
12-Kanal-EKGs maximal 10 min betragen [4]
[5].
Ein 12-Kanal-EKG sollte bei Verdacht auf einen Myokardinfarkt innerhalb von 10 min
nach Eintreffen des Rettungsdienstes geschrieben und interpretiert sein.
Liegt eine entsprechende Klinik vor (und nur dann), wird ein STEMI anhand der in der
folgenden Übersicht genannten EKG-Kriterien diagnostiziert ([Abb. 1]) [4]. EKG-Veränderungen sind häufig dynamisch und treten manchmal erst ca. 20 min nach
Symptombeginn auf (initial zeigt sich dann oft eine T-Überhöhung, das „Erstickungs-T“).
Dann können sequenzielle EKG-Kontrollen sinnvoll sein [4]. Eine telemetrische Übertragung des EKGs an die Zielklinik kann hilfreich sein.
Eine initiale Labordiagnostik wird präklinisch nicht empfohlen.
EKG-Kriterien eines STEMI
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ST-Hebung in 2 angrenzenden Ableitungen: V2–V3 > 2,5 mm (m < 40 Jahre), > 2 mm (m
> 40 Jahre), > 1,5 mm (w) und/oder > 1 mm in anderen Ableitungen ohne Nachweis eines
Linksschenkelblocks (LSB); (10 mm entsprechen 1 mV)
-
Bei inferiorem Infarkt sollten rechts präkordiale Ableitungen (V3 R und V4 R) zur
Diagnostik eines rechtsventrikulären Infarkts erfolgen.
-
Bei ST-Senkungen in V1–V3 sollten posteriore Ableitungen (V7–V9) erfolgen, Hebungen
> 0,5 mm bestätigen einen posterioren STEMI.
-
Bei LSB sind konkordante ST-Hebungen gute Indikatoren für einen STEMI (Sgarbossa-Kriterien).
-
Patienten mit LSB und klinischer Symptomatik sollten als STEMI-äquivalent behandelt
werden, unabhängig davon, ob der LSB bekannt ist.
-
Bei Patienten mit Herzschrittmacher mit ventrikulärer Stimulation oder bei Patienten
mit Rechtsschenkelblock sollte eine Behandlung als STEMI-äquivalent erwogen werden.
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ST-Senkungen > 1 mm in 8 oder mehr Ableitungen + ST-Hebung in aVR und/oder V1 sollten
ebenfalls als STEMI-äquivalent behandelt werden (V. a. Hauptstammstenose).
Therapie
Abarbeiten nach ABCDE-Schema
Nach Eintreffen bei einem Patienten mit Verdacht auf Myokardinfarkt sollte eine fokussierte
Erhebung des Patientenstatus nach dem ABCDE-Schema erfolgen (Airway, Breathing, Circulation,
Disability, Environment, Exposure). Erst wenn sich nach Abarbeitung des ABCDE-Schemas
keine lebensbedrohlichen Diagnosen ergeben oder diese adressiert wurden, wird die
spezifische Diagnostik des Myokardinfarkts durchgeführt.
In den ersten 60–90 s nach Patientenkontakt sollte das ABCDE-Schema abgearbeitet werden.
Ein engmaschiges Monitoring und die kontinuierliche Überwachung des Patienten sind
obligat.
Blutverdünnung
Da bei einem Herzinfarkt die Blutversorgung meist durch einen Thrombus im Herzkranzgefäß
unterbrochen ist, stellt die Blutverdünnung einen wichtigen Baustein der Therapie
dar. Aktuelle Leitlinien empfehlen die Gabe sowohl von Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin®, 150–300 mg intravenös) als auch von Heparin (UFH, 70–100 IE/kg KG, max. 5000 IE
i. v.). Es konnte gezeigt werden, dass eine höhere Dosis von ASS, wie früher üblich,
bei akutem Koronarsyndrom keinen Überlebensvorteil bringt [6]. Wichtig ist, dass vor Gabe der Medikamente auf Allergien und auf Kontraindikationen
(wie Hirnblutung, kürzlich durchgemachter Schlaganfall oder aber große OP bzw. Magenblutung
in der Anamnese) geachtet werden muss. Im Zweifelsfall muss die Gabe als Einzelfallentscheidung
von dem behandelnden Arzt indiziert werden.
Die Standardtherapie bei Patienten mit Verdacht auf einen Myokardinfarkt besteht aus
ASS 150–300 mg i. v. und unfraktioniertem Heparin 5000 IE i. v.
Bezüglich der Gabe des zweiten Thrombozytenaggregationshemmers ist die Datenlage nicht
eindeutig, sodass von den aktuellen Leitlinien keine Empfehlung bezüglich des genauen
Einnahmezeitpunkts gegeben wird [1]
[4]
[7]. Im Rahmen der Herzkatheteruntersuchung erfolgt aber immer eine duale Thrombozytenaggregationshemmung
mit Aspirin und einem weiteren P2Y12-Hemmer (Clopidogrel, Ticagrelor, Prasugrel).
Dabei sollten lokale Protokolle beachtet werden.
Ist eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) bekannt, wird Bivalirudin (0,75 mg/kg
KG als Bolus empfohlen, gefolgt von einer Infusion mit 1,75 mg/kg KG/h).
Kreislauf
Manche Patienten mit Herzinfarkt präsentieren sich mit stark hypertensiven Blutdruckwerten,
die einerseits häufig chronisch sind und andererseits durch Aufregung, Angst und Schmerzen
bedingt sein können. Fraktionierte Opiat- und bei starker Angst auch Benzodiazepingabe
sollten dann erwogen werden. Wenn nach Symptomlinderung weiterhin stark hypertensive
Blutdruckwerte zu messen sind, empfehlen sich Nitrate (z. B. 2 Hübe Nitro s. l. bei
einem systolischen Blutdruck > 180 mmHg.
Nitrate (Nitroglyzerin, TNS) werden von den aktuellen Leitlinien nur zur Symptomkontrolle
empfohlen und haben keinen Einfluss auf das Überleben [8]. Relevante Kontraindikation (z. B. Einnahme von PDE-5-Hemmern) müssen beachtet werden.
Eine Reduktion der Symptomatik nach Gabe von Nitroglyzerin kann zu Fehlinterpretationen
führen, sodass dies nicht als Diagnostikmethode empfohlen wird.
Sind die Patienten nicht nur hypertensiv, sondern auch noch tachykard, kann eine vorsichtige
Gabe eines intravenösen Betablockers (z. B. Metoprolol 1 mg i. v. fraktioniert) erfolgen.
Eine routinemäßige Gabe eines Betablockers, wie früher empfohlen, sollte nicht mehr
durchgeführt werden.
Betablocker und Nitroglyzerin nur zur Behandlung einer deutlichen Hypertonie einsetzen.
Schmerztherapie
Angst und Schmerz führen zu Sympathikusaktivierung und damit zur Vasokonstriktion
der peripheren Gefäße, was die Herzarbeit erhöht. Aus diesem Grund sowie zur Entspannung
der Atmosphäre sind Angst- und Schmerztherapie essenziell. Am häufigsten wird Morphin
verwendet. Auf eine zu liberale Gabe sollte jedoch verzichtet werden, da Morphin die
Wirkung von Thrombozytenaggregationshemmern reduziert [9].
Sauerstoff
Früher war die Gabe von Sauerstoff bei Patienten mit Herzinfarkt Standard. Heute wissen
wir aber, dass auch Sauerstoff als Medikament anzusehen ist, und eine Gabe eines Medikaments
an Patienten, die es nicht benötigen, diesen schaden kann. So ergeben sich Hinweise,
dass eine liberale Sauerstoffgabe die Myokardinfarktnarbe sogar vergrößern kann [10]. Sauerstoff sollte deshalb nur bei einer peripheren Sauerstoffsättigung von < 90 %
oder Symptomatik (Hypoxie, Luftnot, Herzinsuffizienzzeichen) gegeben werden (Zielsättigung
94–98 %, keinesfalls 100 %).
Die Sauerstoffgabe gehört nicht mehr zur Standardtherapie des akuten Myokardinfarkts.
Herzkatheteruntersuchung
Da die Ursache des Herzinfarkts eine Minderdurchblutung des Herzens ist, ist die Wiedereröffnung
der Herzkranzarterie die einzige kausale Therapie. Ziel sollte deshalb die rasche
Reperfusion des minderdurchbluteten Myokards sein – was mittels perkutaner transluminaler
Koronarangioplastie (PTCA) im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung erfolgen kann.
Dabei kommt das EKG ins Spiel. Zeigen sich ST-Hebungen im EKG, dann zählt jede Minute.
Patienten müssen umgehend direkt ins nächste Herzkatheterlabor gebracht werden – ein
Umweg über die Notaufnahme oder die Intensivstation kostet Menschenleben. Daher ist
es sinnvoll, das medizinische Personal des Herzkatheterlabors frühzeitig zu informieren.
Die aktuellen Leitlinien geben dazu eine Obergrenze von 120 min zwischen Diagnosestellung
des STEMI (sollte innerhalb von 10 min nach medizinischem Erstkontakt erfolgen) und
Durchführung der Herzkatheteruntersuchung an, wobei die kürzestmögliche Zeit angestrebt
wird.
STEMI = umgehende Anfahrt in ein Herzkatheterlabor zur PTCA
Ein STEMI ist ein äußerst zeitkritischer Notfall; daher sollte ein direkter Transport
in ein Herzkatheterlabor erfolgen.
Lysetherapie
In Einzelfällen gelingt es nicht, die Herzkatheteruntersuchung innerhalb von 120 min
durchzuführen (z. B. bei widrigem Wetter). Sollte dieser Sonderfall eintreten und
sollten die Beschwerden des Patienten sicher < 12 h bestehen, wird, sofern nicht kontraindiziert,
eine intravenöse fibrinolytische Therapie (Lysetherapie) empfohlen [4]. Wichtig zu verstehen ist, dass die Lysetherapie besonders gut bei frischen Thromben
wirkt, während die Blutungsgefahr (bis hin zu tödlichen Hirnblutungen) unabhängig
von der Beschaffenheit des Thrombus in der Herzkranzarterie ist. Aktuelle Leitlinien
sehen für die Indikationsstellung der Lysetherapie die ersten 10 min nach Diagnosestellung
STEMI vor. In beiden Fällen sollte ein Zentrum mit Herzkatheter angefahren werden,
da auch Patienten mit primärer Lysetherapie eine zeitnahe Herzkatheteruntersuchung
erhalten sollten.
STEMI und Transportzeit und Herzkatheterlabor > 120 min. Sofortige Lyse, sofern nicht
kontraindiziert.
Transport: Wohin mit Patienten ohne ST-Hebungen im EKG?
Oft lässt sich präklinisch ein Myokardinfarkt nicht sicher diagnostizieren, wenn sich
im EKG kein STEMI zeigt. Diese Patienten müssen aber natürlich dennoch in ein Akutkrankenhaus
aufgenommen und weiter abgeklärt werden. Aktuelle Leitlinien empfehlen in solchen
Fällen eine Risikostratifizierung der Patienten mit Verdacht auf ACS ([Abb. 2]).
Abb. 2 Evaluation des Transportziels bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom. ACS: Acute
Coronary Syndrome; AP: Angina pectoris; EKG: Elektrokardiografie; GRACE: Global Registry
of Acute Coronary Events (Punktwert zur Risikoabschätzung: siehe Internet); KI: Kontraindikation;
NSTE: Non-ST-Elevation; PCI: Perkutane koronare Intervention; STE: ST-Elevation; STEMI:
ST-Elevation Myocardial Infarction.
Komplikationsmanagement
Teil 3
Kurz nach Transportbeginn verdreht der Patient plötzlich die Augen und verliert das
Bewusstsein, ein rascher Blick auf den Monitor zeigt eine HF von 180/min mit breiten
QRS-Komplexen, das Einsatzteam diagnostiziert eine VT und kardiovertiert den Patienten,
was primär erfolgreich ist und zu raschem Wiedererlangen des Bewusstseins führt. Nach
ca. 5 min kommt es zu einer erneuten VT, diesmal jedoch ohne hämodynamische Relevanz.
Der Notarzt entschließt sich zur Gabe von 300 mg Amiodaron in 100 ml G5 % als Kurzinfusion
über 20–60 min. Nach erneut ca. 5 min kommt es zur Konversion in einen stabilen Sinusrhythmus.
Im Anschluss ist der Patient kardiorespiratorisch stabil.
Komplikationen im Rahmen eines akuten Myokardinfarkts sind häufig und individuell
verschieden. Dazu kann nur ein kurzer, unvollständiger Überblick gegeben werden.
Der kardiogene Schock wird definiert als systolischer Blutdruck < 90 mmHg mit Hypoperfusionszeichen und
ist eine häufige Komplikation des Myokardinfarkts. Primäres Ziel sollte der schnellstmögliche
Transport ins Herzkatheterlabor zur Ursachenbehandlung sein. Sofern es nicht bereits
zum Rückwärtsversagen mit Lungenödem gekommen ist (ggf. auch dann), kann ein Volumenversuch
erfolgen. Zur Aufrechterhaltung des Kreislaufs muss, falls notwendig, eine Katecholamintherapie
erfolgen (Dobutamin/Noradrenalin).
Deutlich häufiger als der kardiogene Schock sind ventrikuläre Arrhythmien (ventrikuläre Tachykardie, VT, und Kammerflimmern, VF), die auch Haupttodesursache
beim akuten Myokardinfarkt sind [11]. Aus diesem Grund muss immer eine Reanimationsbereitschaft bestehen. Auch dann gilt
es eine schnellstmögliche Ursachenbehandlung, d. h. Reperfusion, anzustreben. Liegt
eine VT vor, kann bei fehlender hämodynamischer Relevanz Amiodaron gegeben werden
(z. B. 300 mg Amiodaron in Glukose 5 % 100 ml als Kurzinfusion über 20–60 min). Bei
hämodynamischer Relevanz muss kardiovertiert werden. Bei Bradykardien mit hämodynamischer
Relevanz kann ein medikamentöser Therapieversuch (z. B. Adrenalin, Atropin) erfolgen,
ggf. muss extern stimuliert werden.
Bei Patienten mit Kreislaufstillstand erfolgt die kardiopulmonale Reanimation entsprechend den aktuellen Leitlinien [12]. Nach ROSC (Return of Spontaneous Circulation) muss umgehend ein 12-Kanal-EKG geschrieben
werden. Bei STEMI sollte das Herzkatheterlabor als Zielstruktur angefahren werden.
Bei sonstigem hochgradigem Verdacht auf einen ursächlichen Myokardinfarkt (z. B. zuvor
angegebener Brustschmerz, bekannter KHK, erster Rhythmus VF) sollte das Herzkatheterlabor
als Zielstruktur erwogen werden [4].
Innerklinisches Prozedere
Teil 4
Im Herzkatheterlabor zeigt sich der in [Abb. 3] gezeigte Befund. Nach PCI wird der Patient auf die Intensivstation gebracht. Der
postinterventionelle Verlauf gestaltet sich komplikationslos und der Patient kann
nach 5 Tagen entlassen werden.
Abb. 3 Herzkatheterbefund bei einem Patienten mit STEMI der Hinterwand und hochgradigen
Stenosen der rechten Koronararterie (Pfeile) vor (links) und nach PCI (rechts).
Nach Erreichen der Zielstruktur wird der Patient an das dortige Behandlungsteam übergeben.
Nach der Herzkatheteruntersuchung ([Abb. 3]) wird der Patient üblicherweise auf der Intensivstation überwacht. Die weitere stationäre
Therapie gilt der Überwachung von Herzrhythmusstörungen, der medikamentösen Therapie
einer ggf. auftretenden Herzinsuffizienz und der Einstellung der kardiovaskulären
Risikofaktoren. Die typische Krankenhausverweildauer von Patienten mit Herzinfarkt
beträgt 3–7 Tage. Eine Anschlussheilbehandlung für mehrere Wochen wird nach Entlassung
empfohlen.
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Die präklinische Mortalität beim akuten Myokardinfarkt ist weiterhin hoch.
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Hauptsymptom des akuten Myokardinfarkts ist die Angina pectoris. Insbesondere bei
Frauen, Diabetikern und älteren Patienten ist die klinische Präsentation jedoch häufig
atypisch.
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Zur Diagnostik muss ein 12-Kanal-EKG erfolgen. Aufgrund von lebensbedrohlichen Arrhythmien
muss ein kontinuierliches EKG-Monitoring durchgeführt werden.
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Die Auswahl der richtigen Zielklinik und die damit verbundenen lokalen Protokolle
sollten jedem Rettungsdienstmitarbeiter und Notarzt bekannt sein.
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Aspirin und Heparin sind die einzigen therapeutisch wichtigen präklinischen Medikamente.
Sauerstoff verbessert die Prognose nicht und sollte nur bei Hypoxie, Luftnot und Herzinsuffizienzsymptomatik
gegeben werden.
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Haupttodesursache sind Arrhythmien wie Kammerflimmern und ventrikuläre Tachykardien.
Eine andere häufige Komplikation ist der kardiogene Schock mit Vorwärts- und/oder
Rückwärtsversagen.