Nervenheilkunde 2020; 39(05): 340-343
DOI: 10.1055/a-1094-9565
Gesellschaftsnachrichten
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kopfschmerz News der DMKG

Gudrun Goßrau
,
Torsten Kraya
,
Heike Israel-Willner
,
Franz Riederer
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 May 2020 (online)

 

Aktualisierte Praxisleitlinie: Pharmakologische Behandlung zur Prävention pädiatrischer Migräne

**** Oskoui M, Pringsheim T, Billinghurst L, et al. Practice guideline update summary: Pharmacologic treatment for pediatric migraine prevention. Neurology 2019; 93: 500–509

Zusammenfassung

In diesem Bericht des Unterkomitees der American Academy of Neurology und der American Headache Society werden aktualisierte evidenzbasierte Empfehlungen zur Prävention der Migräne im Kindes- und Jugendalter bereitgestellt. Insbesondere wird auf die pharmakologische Migräneprophylaxe mit oder ohne kognitive Verhaltenstherapie (KVT) eingegangen. Die Autoren überprüften und klassifizierten systematisch die Literatur von Januar 2003 bis August 2017. Placebokontrollierte Studien zu pharmakologischen Interventionen, auch unter zusätzlicher Anwendung von KVT als präventive Migränetherapien für Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 18 Jahren wurden in diese systematische Übersicht aufgenommen. 15 Studien der Klassen I bis III zur Migräneprävention bei Kindern und Jugendlichen erfüllten die Einschlusskriterien.

Es gibt keine ausreichende Evidenz dafür, dass Valproinsäure, Onabotulinumtoxin A, Amitriptylin, Nimodipin oder Flunarizin für Kinder und Jugendliche mit Migräne eine Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit wahrscheinlicher als Placebo bewirken. Bei Kindern mit Migräne, die Propranolol erhalten, ist die Wahrscheinlichkeit einer mindestens 50 %igen Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit möglicherweise höher als bei Kindern, die ein Placebo erhalten. Kinder und Jugendliche, die Topiramat oder Cinnarizin erhalten, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Kopfschmerzhäufigkeit abnimmt als diejenigen, die ein Placebo erhalten.

Bei Kindern mit Migräne, die Amitriptylin plus KVT erhalten, ist die Wahrscheinlichkeit einer Kopfschmerzreduktion höher als bei Kindern, die Amitriptylin plus Kopfschmerzedukation erhalten. Nach diesen Daten ist es möglich, dass die KVT allein effektiv in der Migräneprävention wirkt. Die Datenlage reicht zur Beurteilung eines unabhängigen migräneprophylaktischen Effektes von Amitriptylin bei Kindern und Jugendlichen nicht aus. Darüber hinaus existiert eine Warnung der FDA bezüglich des erhöhten Suizidrisikos nach Einsatz von Amitriptylin bei Kindern, Jugendlichen und junge Erwachsenen (www.fda.gov/drugs/postmarket-drug-safety-information-patients-and-providers/suicidality-children-and-adolescents-being-treated-antidepressant-medications). Die meisten Studien, die die Wirksamkeit von präventiven Medikamenten für pädiatrische Migräne untersuchen, können keine Überlegenheit gegenüber Placebo zeigen.

Zu den Praxisempfehlungen für die Prävention von Migräne bei Kindern und Jugendlichen gehören die Beratung zu Lebensstil- und Verhaltensfaktoren sowie die Beurteilung und Behandlung von komorbiden psychischen Erkrankungen, die einen Einfluss auf die Kopfschmerzhäufigkeit haben können. Kliniker sollten gemeinsam mit Patienten und Erziehungsberechtigten Entscheidungen über die Anwendung präventiver Migränebehandlungen treffen und dabei auch die Grenzen der Evidenz pharmakologischer Therapien berücksichtigen.


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Kommentar

Diese Arbeit fasst die begrenzte Datenlage zur medikamentösen Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen zusammen. Die wenigen, qualitativ wertigen placebokontrollierten Studien zur medikamentösen Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen fallen mehrheitlich negativ aus. Hauptgrund dafür ist die hohe Placeborate von 30–60 % bei Kindern und Jugendlichen, weshalb Effekte der Verumpräparate sich nicht mehr abheben. Die explizite Empfehlung zur Einschätzung komorbider psychischer Erkrankungen als Risikofaktor einer Kopfschmerzchronifizierung im Kindes- und Jugendalter ist sehr wichtig. In diesem Kontext wird der Stellenwert von verhaltenstherapeutischen Interventionen zur Migräneprophylaxe herausgearbeitet. Es bleibt die Notwendigkeit, die Wirksamkeit von KVT als Migräneprophylaxe zukünftig durch gut konzipierte Studien weiter zu unterlegen. Insgesamt unterstreicht diese Übersicht erneut die Notwendigkeit einer komplexen interdisziplinären Behandlung junger Migränepatienten, wo neben Edukation zu Erkrankung und Lebensstil auch die Einschätzung psychischer Komorbiditäten und deren Therapie erfolgen muss. Die vorhandene Evidenz für Topiramat, Cinnarizin und Propranolol zur Prophylaxe der Migräne bei Kindern und Jugendlichen bildet die Rationale für Therapieversuche bei jenen Patienten, die trotz nicht medikamentöser Migräneprophylaxen weiterhin unter häufigen Migräneattacken leiden und massive Alltagseinschränkungen zeigen.

Für diese Patienten können medikamentöse Migräneprophylaxen wie Topiramat und Amitriptylin bei differenziertem Einsatz eine deutliche Verbesserung der Alltagsfunktion bewirken. Wichtig ist, die medikamentöse Behandlung in ein interdisziplinäres Therapiekonzept zu integrieren und Therapiesicherheit sowie Therapieeffekte regelmäßig zu prüfen, z. B. Kopfschmerztagebuch.

Gudrun Goßrau, Dresden


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Kopfschmerzen nach Schlaganfall – Review und Metaanalyse

**** Harriot AM, Karakaya F, Ayata C. Headache after ischemic stroke – A systematic review and meta-analysis. Neurology 2020; 94: e75-86

Kopfschmerzen im Zusammenhang mit einem Schlaganfall sind ein häufiges Phänomen und können die Morbidität im Verlauf beeinflussen. Es sind weitere Daten notwendig, um diesen Zusammenhang noch genauer beschreiben zu können.

Zusammenfassung

Es wurden in einer Literaturrecherche in Medline und Pubmed 1812 Arbeiten zu den Stichworten „Kopfschmerz nach Schlaganfall“, „Post-Schlaganfall Kopfschmerz“, „Neuer Kopfschmerz und Schlaganfall“ und „Kopfschmerz und Schlaganfall“ identifiziert. Für das systematische Review wurden 50 Arbeiten ausgewählt, davon 38 prospektive Kohortenstudien und 11 retrospektive Analysen. Nach den folgenden Ein- und Ausschlusskriterien wurden 20 Studien für die Metaanalyse ausgewählt, Einschlusskriterien: Patienten > 18 Jahren mit ischämischem Schlaganfall und Prävalenzdaten für die gesamte Schlaganfall-Studienpopulation. Ausgeschlossen wurden Arbeiten, die nur einen Schlaganfall-Subtyp oder eine Schlaganfall-Lokalisation oder nur Patienten mit Schlaganfall und Kopfschmerzen ausgewertet hatten. Die verbleibenden 20 Studien (8 single-center, 9 multicenter, 3 community based) wurden einem elaborierten Verfahren zur Analyse der Prävalenz des Kopfschmerzes beim Schlaganfall sowie der Risikofaktoren unterzogen. Das Inverse-Varianz-Heterogenitätsmodel ergab eine Prävalenz von 0,14 (entsprechend 14 %) (95 % CI 0,07–0,23), das Random-Effects-Model ergab eine höhere Prävalenz von 0,22 (0,17–0,27). Die gepoolte Prävalenzrate für alle Studien aus Europa lag bei 0,22 (0,14–0,30), für Nordamerika bei 0,15 (CI 0,05–0,26) und für Asien und den Mittleren Osten bei 0,08 (CI 0,01–0,08). Hinsichtlich der Risikofaktoren zeigte sich ein 2-fach (pooled OR 1,92) höheres Risiko für Kopfschmerzen bei Lokalisation des Schlaganfall im posterioren Stromgebiet sowie ein moderat erhöhtes Risiko bei Frauen (pooled OR 1,25).

Anschließend wurde mit den 50 Studien das Systematische Review zur Frage der Charakteristika der schlaganfallassoziierten Kopfschmerzen durchgeführt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die meisten Patienten ihre Kopfschmerzen am Tag der Manifestation des Schlaganfalls berichten und der Kopfschmerz für Monate und in einzelnen Fällen sogar Jahre anhalten kann. Die Kopfschmerzen ähneln am ehesten einem Spannungskopfschmerz, die Intensität neigt dazu schwer zu sein. Weiterhin haben jüngere Patienten (< 50 Jahre), Patienten mit einem Schlaganfall im Posteriorstromgebiet, Patienten mit einem kortikalen Infarkt, einer Beteiligung von Strukturen der Schmerzmatrix und kardioembolischer oder arteriosklerotischer Genese ein höheres Risiko einen Kopfschmerz beim Schlaganfall zu bekommen.


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Kommentar

Es handelt sich um die erste Metaanalyse zur Prävalenz von Kopfschmerz beim Schlaganfall und Analyse der Risikofaktoren. Diese sehr wichtige Arbeit konnte zeigen, dass Kopfschmerzen bei Patienten im Zusammenhang mit dem Schlaganfall häufig sind und damit ein relevantes Problem darstellen. Die Prävalenz liegt bei allen Studien bei 14 %, wenn nur die Daten aus Europa berücksichtigt werden sogar bei 22 %. Deutlich wurde auch, dass sich der Kopfschmerz in engem zeitlichem Zusammenhang zum Schlaganfall entwickelt und bei einigen Patienten bis zu Jahren anhalten kann. Risikofaktoren sind junges Alter, weibliches Geschlecht, nicht lakunärer kortikaler Infarkt sowie Infarkte im Posteriorstromgebiet. Die Autoren geben auch eine Reihe Limitationen an, u. a. wurde oft nicht angegeben welche ICHD-Kriterien verwendet wurden und damit blieb unklar, wann und wie die Kopfschmerzen diagnostiziert wurden. Es wurde zudem oft nicht nach vorbestehenden Kopfschmerzen gefragt und damit blieb die Frage offen, inwieweit solche Patienten ein erhöhtes Risiko haben. Zukünftige Studien sollten mindestens folgende Kriterien erfüllen: klare Ein- und Ausschlusskriterien, Nutzung der ICHD-3-Kriterien, Analyse der vorbestehenden Kopfschmerzen nach ICHD-3, Analyse der Charakteristika der Kopfschmerzen und der Ätiologie und Begleiterkrankungen des Schlaganfalls und schließlich Quality-of-life-Daten. Unter diesen Voraussetzungen sollten noch genauere Aussagen zum Kopfschmerz beim Schlaganfall möglich sein.

Torsten Kraya, Leipzig


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Interiktale Beeinträchtigung bei Cluster-Kopfschmerzen – Ergebnisse des EUROLIGHT Cluster-Kopfschmerz-Projektes

*** Pohl H, Gantenbein A, Sandor P, et al. Interictal Burden of Cluster Headache – Results of the EUROLIGHT Cluster Headache Project, an Internet-Based, Cross-Sectional Study of People with Cluster Headache. Headache 2020; 60: 360–369

Cluster-Kopfschmerzattacken haben anhaltende und kumulative Auswirkungen auf verschiedene Bereiche des Lebens.

Hintergrund

Cluster-Kopfschmerzen sind durch episodisch auftretende Schmerzattacken gekennzeichnet und eine der schwersten Schmerzerkrankungen überhaupt. Klinische Studien zur Beeinträchtigung haben dabei hauptsächlich das Symptom Schmerz oder einen kurzen postiktalen Zeitraum von max. 2 Stunden untersucht. Neben dem Schmerz an sich, treten jedoch weitere Symptome auf und persistieren über diesen hinaus. In dieser Studie werden verschiedene Bereiche der Beeinträchtigung außerhalb von Schmerzattacken bei Patienten mit Cluster-Kopfschmerz untersucht.


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Zusammenfassung

Im Rahmen des EUROLIGHT Cluster-Projektes füllten 1514 Individuen anonym einen internetbasierten Fragebogen aus. Bei 1165 Teilnehmern aus 17 europäischen Ländern konnte anhand der Angaben zu den Kriterien der ICHD-3 beta die Diagnose Cluster-Kopfschmerz verifiziert werden. 69,9 % der Teilnehmer waren männlich und im Durchschnitt 42,2 ± 10,7 Jahre alt. 21 % der Teilnehmer erfüllten formal die Kriterien für einen chronischen Cluster-Kopfschmerz. Unter den episodischen Cluster-Kopfschmerz-Patienten waren 60,8 % nach den Kriterien (mind. 1 Attacke in den letzten 30 Tagen) aktuell in einer Episode. 58,1 % der Patienten gaben interiktale Symptome an. Diese Patienten hatten eine höhere Attackenfrequenz in den letzten 30 Tagen oder litten unter chronischem Cluster-Kopfschmerz.

Hinsichtlich emotionaler Aspekte gaben 69,2 % der Patienten an, auch interiktal besorgt oder ängstlich bezüglich des erneuten Auftretens einer Attacke zu sein, 47,8 % gaben Vermeidungsverhalten potenzieller Trigger an. Diese Häufigkeit war unabhängig von der Attackenfrequenz, Krankheitsdauer oder chronischem Verlauf. Patienten, die sich mehr sorgten, gaben auch häufiger Vermeidungsverhalten an.

50,5 % gaben an, dass sie es vermeiden, gegenüber Dritten über ihre Erkrankung zu sprechen. Diese Einstellung war bei Patienten mit chronischem Cluster, höherer Attackenfrequenz und eher besorgten Patienten häufiger. Eine längere Krankheitsdauer und eine feste Partnerschaft hatten darauf keinen Einfluss. 77,5 % gaben an, dass sie sich von Freunden und Familienmitgliedern verstanden fühlten, aber 45,6 % gaben an, von Arbeitskollegen nicht verstanden oder akzeptiert zu werden. Hinsichtlich der kumulativen Beeinträchtigung gaben 74,7 % der Patienten an, dass ihre Ausbildung nicht durch den Cluster-Kopfschmerz beeinträchtigt wurde. 57,6 % gaben einen negativen Einfluss auf ihre Karriere und 42,3 % gaben an, dass sie aufgrund der Erkrankung geringere Einkünfte haben.

Insgesamt zeigten Patienten mit chronischem Cluster häufiger persistierende interiktale Symptome, Sorgen hinsichtlich weiterer Attacken mit Vermeidungsverhalten, Beeinträchtigung der Ausbildung, reduziertes Einkommen, weniger oder keine Kinder und mehr gescheiterte Beziehungen. Für alle Items zeigte sich kein Unterschied, ob die Patienten mit episodischem Cluster innerhalb oder außerhalb einer Episode waren.


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Kommentar

Das ist die erste Studie, die verschiedene Aspekte der interiktalen Beeinträchtigung an einer sehr großen und multinationalen Kohorte untersucht. Die Ergebnisse unterstreichen, dass Clusterpatienten nicht nur durch den Schmerz innerhalb der Attacke, sondern auch durch anhaltende Symptome und kurzfristige und langfristige soziale Aspekte beeinträchtigt sind. Chronische Clusterpatienten sind dabei in besonderem Maße betroffen. Anhand der bekannten Prävalenzen zeigt sich jedoch in der untersuchten Kohorte eine leichte Überpräsentation von Frauen und chronischen Clusterpatienten. Limitierungen der Studie sind fernerhin, dass Daten retrospektiv mit entsprechendem Recall Bias erhoben wurden, die Diagnosen nur bedingt validiert werden konnten und die Untersuchung nicht populationsbasiert ist. Daher können keine Inzidenzen oder Prävalenzen angegeben werden.

Interiktale Symptome waren häufig, wurden aber leider nicht detailliert erfragt bzw. klassifiziert. Hier wäre die Häufigkeit von neuropsychologischen Defiziten (Aufmerksamkeit, Gedächtnis- und Exekutivfunktionen), Schlafstörungen, psychomotorischer Unruhe, Fatigue, autonomen Begleitsymptomen oder andere Schmerzen interessant zu erfragen. Die Tatsache, dass sich keine Unterschiede darin fanden, ob Patienten mit episodischem Clusterkopfschmerz innerhalb oder außerhalb der Episode waren, deutet darauf hin, dass die Definition von Episode nicht ausreichend Trennschärfe hatte. Der Abstand zur letzten Attacke wäre ein sensitiverer Parameter.

Insgesamt sind diese Ergebnisse wichtig, um eine anhaltende und kumulative Beeinträchtigung bzw. Behinderung im Rahmen der Erkrankung darzustellen. Prospektive Kohortenstudien sind notwendig, um diese Ergebnisse zu untermauern.

Heike Israel-Willner, Berlin


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Ubrogepant ist wirksam zur Akuttherapie der Migräne

**** Dodick DW, Lipton RB, Ailani J, et al. Ubrogepant for the Treatment of Migraine. N Engl J Med 2019; 381: 2230–2241

Zusammenfassung

Es handelt sich um eine randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studie, in welcher Ubrogepant, ein Antagonist gegen das Calcitonin-gene related peptide (CGRP) aus der Gruppe der kleinen Moleküle, zur Akuttherapie der Migräne untersucht wurde. Es wurden Patienten mit episodischer Migräne mit und ohne Aura eingeschlossen. Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren konnten eingeschlossen werden, nicht jedoch solche mit signifikanten zerbrovaskulären oder kardiovaskulären Krankheiten. Weitere Ausschlusskriterien waren erhöhte Transaminasen (> das 1,5-Fache des Normalbereichs) oder erhöhtes Bilirubin, Medikamentenübergebrauch sowie frühere Teilnahme an Studien mit monoklonalen CGRP-Antikörpern. Die Patienten wurden in 3 Gruppen randomisiert: Ubrogepant 50 mg, Ubrogepant 100 mg oder Placebo. Die Patienten konnten innert 2–48 h nach Einnahme der Studienmedikation optional eine zweite Dosis Studienmedikation oder ihre eigene Rescue-Medikation einnehmen. Bei der zweiten Dosis wurde erneut randomisiert, sodass die Patienten in der Ubrogepant-Gruppe entweder dieselbe Dosis Ubrogepant wie bei der ersten Einnahme erhielten oder Placebo. Patienten in der Placebo-Gruppe erhielten erneut Placebo. Es gab 2 primäre Endpunkte: Schmerzfreiheit 2 h nach der Einnahme der Studienmedikation und Abwesenheit des am meisten beeinträchtigenden Symptoms (Photophobie, Phonophobie oder Übelkeit) nach 2 h. Sekundäre Endpunkte waren: Schmerzlinderung nach 2 h, anhaltende Schmerzlinderung (2–24 h) und das Fehlen von Begleitsymptomen nach 2 Stunden.

Es wurden 1672 Patienten eingeschlossen: 559 wurden in die Placebo-Gruppe randomisiert, 556 in die Ubrogepant-50-mg-Gruppe und 557 in die Ubrogepant-100-mg-Gruppe. In der Placebo-Gruppe waren 11,8 % nach 2 h schmerzfrei, in der 50-mg-Ubrogepant-Gruppe 19,2 % und in der 100-mg-Ubrogepant-Gruppe 21.2 %.

Vom am meisten beeinträchtigenden Symptom waren nach 2 h 27,8 % in der Placebo-Gruppe, 38,6 % in der Ubrogepant-50-mg-Gruppe und 37,7 in der Ubrogepant 100 mg befreit. Die Unterschiede zu Placebo waren für die primären Endpunkte deutlich signifikant. Auch die Schmerzlinderung nach 2 h (61 % in den Ubrogepant-Gruppen versus 49 % unter Placebo) und die anhaltende Schmerzlinderung waren in den beiden Ubrogepant-Gruppen signifikant besser. Es nahmen 38,6 % der Patienten die optionale zweite Dosis. Eine Rescue-Medikation wurde von 28,7 % der Patienten in der Placebo-Gruppe, von 16,3 % in der Ubrogepant-50-mg-Gruppe und von 15,2 % in der Ubrogepant-100-mg-Gruppe genommen. Häufigste Nebenwirkungen waren Übelkeit, Müdigkeit und Mundtrockenheit. Bei 6 Teilnehmern wurden erhöhte Leberwerte beobachtet: Bei einem Patienten in der Placebo-Gruppe, bei 2 in der 50-mg-Ubrogepant-Gruppe und bei 3 in 100-mg-Ubrogepant-Gruppe. Von einem unabhängigen Komitee wurden 2 dieser Fälle in einen möglichen Zusammenhang mit der Studienmedikation gebracht: 1 in der Placebo-Gruppe und 1 in der Ubrogepant-100-mg-Gruppe. Die anderen 4 Fälle von Leberwerterhöhungen wurden nicht mit der Studienmedikation in Zusammenhang gebracht. Die Autoren schlussfolgern, dass Ubrogepant in der Akuttherapie der Migräne wirksam ist, wobei kein direkter Vergleich mit anderen effektiven Substanzen erfolgte.


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Kommentar

Ubrogepant ist ein CGRP Antagonist aus der Gruppe der kleinen Moleküle (Substanzgruppe der Gepants), der zu nur zu einem geringen Anteil die Blut-Hirnschranke überwindet und zusätzlich zum CGRP-Rezeptor auch am Amylin-1-Rezeptor (AMY1-Rezeptor) bindet [1]. Es ist in den USA seit Dezember 2019 unter dem Namen Ubrelvy® zugelassen. Verglichen mit Triptanen oder Lasmiditan [2], [3] scheint der Anteil der schmerzfreien Patienten nach 2 Stunden etwas geringer [4]. Während die anhaltende Schmerzlinderung 2–24 h nach Ubrogepant 50 und 100 mg signifikant wurde, war die anhaltende Schmerzfreiheit 2–24 h nach Ubrogepant 50 mg gegenüber Placebo nach Korrektur für multiple Vergleiche nicht signifikant, was auf ein eingeschränktes Anhalten der Wirkung hindeuten könnte.

In der vorliegenden Studie waren Patienten, die an Studien mit monoklonalen CGRP-Antikörpern zur Migräneprophylaxe teilgenommen hatten, ausgeschlossen. Während der Studienperiode war diese Substanzgruppe zur Migräneprophylaxe noch nicht zugelassen, sodass eine gemeinsame Anwendung von CGRP-Antikörpern und CGRP-Antagonisten aus der Gruppe der kleinen Moleküle hier nicht untersucht wurde. Die Kombinierbarkeit von neuen Akuttherapeutika mit CGRP-Antikörpern ist relevant, da letztere zunehmend zur Migräneprophylaxe eingesetzt werden. Bei 2 Patienten wurde in einem Abstract eine problemlose Kombination von Rimegepant, einem weiteren Gepant, und Erenumab, einem monoklonalen Antikörper gegen den CGRP-rezeptorkomplex beschrieben [5] wobei natürlich mehr Daten notwendig sind. Die mögliche Rolle der Gepants in der Migränetherapie muss noch näher etabliert werden, wobei natürlich jede Erweiterung des therapeutischen Repertoires zu begrüßen ist. Ein Vorteil könnte die Anwendbarkeit bei Patienten mit vaskulären Risikofaktoren sein, wobei dies auch noch näher untersucht werden sollte (CGRP hat eine vaskuläre Schutzfunktion). Bemerkenswert ist auch, dass der CGRP-Pathway sowohl für die Akuttherapie als auch für die Prophylaxe der Migräne relevant ist. Es ergibt sich somit die interessante Frage, ob unter häufigem Gebrauch von Gepants vielleicht kein Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch entsteht, da dann eine prophylaktische Wirkung zum Tragen kommen könnte.

Franz Riederer, Wien


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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  • Literatur

  • 1 Moore E, Fraley ME, Bell IM. et al The Journal of pharmacology and experimental therapeutics. 2020 doi 10.1124/jpet.119.261065
  • 2 Goadsby PJ, Wietecha LA, Dennehy EB. et al Brain. 2019; 142: 1894-1904
  • 3 Kuca B, Silberstein SD, Wietecha L. et al Neurology. 2018; 91: e2222-e2232
  • 4 Cameron C, Kelly S, Hsieh SC. et al Headache. 2015; 55 (Suppl. 04) 221-235
  • 5 Mullin K, Croop R. et al International Headache Conference. 2019 IHC-PO-132

  • Literatur

  • 1 Moore E, Fraley ME, Bell IM. et al The Journal of pharmacology and experimental therapeutics. 2020 doi 10.1124/jpet.119.261065
  • 2 Goadsby PJ, Wietecha LA, Dennehy EB. et al Brain. 2019; 142: 1894-1904
  • 3 Kuca B, Silberstein SD, Wietecha L. et al Neurology. 2018; 91: e2222-e2232
  • 4 Cameron C, Kelly S, Hsieh SC. et al Headache. 2015; 55 (Suppl. 04) 221-235
  • 5 Mullin K, Croop R. et al International Headache Conference. 2019 IHC-PO-132