Drug Res (Stuttg) 2020; 70(S 01): S27-S28
DOI: 10.1055/a-1119-2805
Extended Abstract

Klimawandel und Gesundheit – wird die Tsunami-Welle allergischer Erkrankungen in Zukunft noch höher?

Claudia Traidl-Hoffmann
 

Das Klima der Erde verändert sich – das war schon immer so. In den letzten Jahrzehnten aber ändert es sich in einem nie da gewesenen Tempo. Natur und Mensch kämpfen mit der Anpassung. Die Auswirkungen des Klimawandels sind gravierend und in ihren Ausmaßen zum Teil noch nicht verstanden. Insbesondere die Reaktionsweisen eines komplexen Systems, wie dem des Klimas, sind uns nicht ausreichend bewusst. Viele der (oft unbewusst getroffenen) Schlussfolgerungen beruhen auf der Annahme, dass kontinuierliche Änderungen der Rahmenbedingungen eine allmähliche Reaktion des Systems hervorrufen, dass es also einen konstanten Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung gibt. Demzufolge könnten mit der Zeit Lösungen für auftretende Probleme gefunden werden. Das Klima und die Folgen seiner Veränderung für den Menschen verhalten sich jedoch nichtlinear. Natürliche Resilienz schützt uns und federt Veränderungen ab, bis zu jenem Punkt, an dem alles kippt. Positive Rückkopplungsmechanismen führen zu unvorhersehbaren Folgen. Wissenschaftler sprechen von sogenannten Tipping Points, den Kipppunkten, deren Erreichen und Überschreiten drastische Folgen für unser gesamtes, global vernetztes System nach sich zieht. In anfälligen Regionen wird es zu plötzlichen und drastischen Klimaveränderungen kommen. Klimakatastrophen können so die Welt, wie wir sie nun kennen, komplett aus dem Gleichgewicht bringen und stellen eine reelle Gefahr für Gesundheit, Gesellschaft, Wirtschaft und Sicherheit dar. Die aktuelle SARS-CoV2-Pandemie gibt uns einen fahlen Vorgeschmack von dem bislang Unvorstellbaren, das dann passieren könnte.

Gehören wir Mitteleuropäer in Bezug auf den Klimawandel nicht zu den am stärksten betroffenen Regionen der Erde, so sind die Folgen für unser Leben und unseren Lebenswandel und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, dennoch gravierend. Auch bei uns verursacht die erhöhte CO2-Konzentration in der Atmosphäre und die daraus resultierende höhere Erdoberflächentemperatur komplexe Veränderungen, die bedrohliche Folgen für unsere Gesundheit haben.

Allergien sind nach wie vor auf dem Vormarsch, und der Klimawandel wird diesen Vormarsch antreiben. Mittlerweile leiden rund 30 Prozent der europäischen Bevölkerung an Allergien.

Das komplexe, interaktive Barrieresystem der Haut und der Atemwege schützt den Körper vor vielen Umweltreizen. Deswegen äußern sich auch viele durch die Umwelt getriggerten Erkrankungen an der Haut, der Nase, den Augen und der Lunge: Es entstehen z. B. unter anderem Neurodermitis, allergische Rhinitis, Konjunktivitis oder Asthma. Allergien und Asthma gehören zu den sogenannten NCDs (non-communicable diseases). Der Einfluss der Klimaveränderungen auf die NCDs gilt mittlerweile als sicher. NCDs werden von der WHO als diejenige Erkrankungsgruppe eingestuft, die in den kommenden Jahren die größte medizinische Herausforderung darstellen wird. Ihnen gemeinsam ist, dass an ihnen durchweg entzündliche Prozesse beteiligt sind, auf die die Änderung der Temperaturen beispielsweise eine nicht zu vernachlässigende Wirkung zeigt.

Klima, Wetter und Umweltbedingungen haben zum Beispiel einen indirekten Einfluss auf Allergien, indem sie die Konzentration, das allergene Potenzial und die Art der vorhandenen Pollen beeinflussen. Ein allgemeiner Temperaturanstieg verlängert die Pollensaison und kann auch zu neuen Pollenquellen durch neue invasive Arten führen. Umweltverschmutzung erhöht die Anfälligkeit für atopische Krankheiten, z. B. durch eine Störung der Hautbarriere [1], und verschlimmert die Symptome von Allergien [2]. Verschmutzungs- und Klimaszenarien wie Dürre oder hoher CO2-Gehalt können ebenfalls einen direkten Einfluss auf die Allergenität von Pollen [3] haben. Zudem könnten bisherige Refugien wie die höheren Lagen der Alpen bei nachhaltig veränderten klimatischen Bedingungen für die Therapie von Allergien an Bedeutung verlieren.

Die lokale Zunahme extremer Wetterereignisse ist eine weitere Folge des Klimawandels. Hierzulande ist insbesondere mit einer Zunahme der Gewitterhäufigkeit zu rechnen. Schwere Gewitter wiederum verschlimmern nachweislich Asthmaanfälle [4], [5]. Umweltverschmutzung als Begleitfaktor stellt einen weiteren Triggerfaktor dar, der zu einer Verschlimmerung von Asthma und anderen Atemwegserkrankungen führt. Waldbrände, wie die jüngsten Buschbrände in Australien, führen nicht nur zu unmittelbaren Todesfällen durch die Brände selbst; der entstehende Buschfeuerrauch hat auch schwerwiegende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Im Dezember 2019 überschritten die PM 2,5-Werte in Sydney die Werte der Empfehlungen der WHO-Richtlinien um das Vierfache. Der Trend zu häufigen und großen Buschfeuern wird sich mit dem Klimawandel noch verstärken [6].

Somit befeuert der Klimawandel eine der häufigsten Erkrankungen des Kindes- und Erwachsenenalters, die Allergien [7]. Dieser Effekt des Klimawandels auf unsere Gesundheit ist spürbar, global und in Deutschland, in Europa, bereits heute.

Gleichzeitig sind die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen der Klimaveränderungen in ihren konkreten Auswirkungen noch nicht ausreichend erforscht. Es bedarf vermehrter, kooperativer Forschungsanstrengungen, um in der Grundlagenforschung Zusammenhänge aufzudecken und in der translationalen Forschung Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die Entwicklung von Klimaresilienz ist eine Notwendigkeit, um einen hohen Gesundheitsstandard auch in Zukunft wahren zu können. Ein wichtiger Aspekt, wenn man über Klimawandel und Gesundheit im Allgemeinen spricht, ist die Tatsache, dass der Gesundheitssektor selbst einen großen ökologischen Fußabdruck verursacht und sich somit auch der Frage stellen muss, inwiefern er selbst zu einer Reduktion der Treibhausgasproduktion beitragen kann.

Politische Weichenstellungen sind nun dringend notwendig. Und gleichzeitig kommt der umfassenden Information über Dinge, die jeder Einzelne, jede Gemeinde, jedes Unternehmen tun kann, eine Schlüsselrolle zu. Auch hier spielt der medizinische Bereich eine zentrale Rolle und hat die einmalige Gelegenheit, Vorbild und Multiplikator zu sein. Nicht zuletzt die Corona-Krise zeigt uns, zu wieviel Anpassungsleistungen unsere Gesellschaft in der Lage ist. Der Impuls und die wissenschaftliche Evidenz für Maßnahmen kam aus der Medizin. Und genauso verhält es sich auch beim Klimawandel. Allergische Erkrankungen sind ein schlagkräftiges Argument und gutes Beispiel, dass der Klimawandel auch uns Europäer trifft, auch unsere Gesundheit gefährdet. 128 Millionen Europäer leiden an einer Allergie, und dies verursacht sozioökonomische Schäden in Höhe von 151 Billionen Euro pro Jahr – ich finde, dass uns diese Zahlen ein schlagkräftiges Argument für eine durchgreifende Präventionsstrategie aufdrängen. Die Eindämmung des Klimawandels steht hier als eine effektive Möglichkeit zur Verfügung, diese Prävention umzusetzen. Dafür müssen wir eine Gesellschaft transformieren – eine Menschheitsaufgabe, die wir Ärzte tatkräftig unterstützen sollten.


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Autorin

Claudia Traidl-Hoffmann

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Prof. Dr. med., Lehrstuhl und Institut für Umweltmedizin, Technische Universität München und Helmholtz-Zentrum München; Hochschulambulanz für Umweltmedizin, Universitätsklinikum Augsburg; Christine Kühne Center for Allergy Research and Education (CK-CARE), Davos, Schweiz

Interessenkonflikt

Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Heuson C, Traidl-Hoffmann C. The significance of climate and environment protection for health under special consideration of skin barrier damages and allergic sequelae. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 2018; 61: 684-696
  • 2 Eguiluz-Gracia I, Mathioudakis AG, Bartel S. et al. The need for clean air: the way air pollution and climate change affect allergic rhinitis and asthma. Allergy 2020; 75: 2170-2184
  • 3 Helander ML, Savolainen J, Ahlholm J. Effects of air pollution and other environmental factors on birch pollen. Allergy 1997; 52: 1207-1214
  • 4 DʼAmato G, Annesi-Maersano I, Cecchi L. et al. Latest news on relationship between thunderstorms and respiratory allergy, severe asthma, and deaths for asthma. Allergy 2019; 74: 9-11
  • 5 Damialis A, Bayr D, Kolek F. et al. Thunderstorm Asthma: In Search For Relationships With Airborne Pollen And Fungal Spores From 23 Sites In Bavaria, Germany. A Rare Incident Or A Common Threat?. J Allergy Clin Immunol 2020; 145: AB336
  • 6 Yu P, Xu R, Abramson MJ. et al. Bushfires in Australia: a serious health emergency under climate change. Lancet Planet Health 2020; 4: e7-e8
  • 7 Ring J, Akdis C, Behrendt H. et al. Davos declaration: allergy as a global problem. Allergy 2012; 67: 141-143

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann
Lehrstuhl und Institut für Umweltmedizin
Technische Universität München und Helmholtzzentrum München
Neusässer Straße 47
86156 Augsburg
Deutschland   

Publication History

Article published online:
17 November 2020

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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Heuson C, Traidl-Hoffmann C. The significance of climate and environment protection for health under special consideration of skin barrier damages and allergic sequelae. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 2018; 61: 684-696
  • 2 Eguiluz-Gracia I, Mathioudakis AG, Bartel S. et al. The need for clean air: the way air pollution and climate change affect allergic rhinitis and asthma. Allergy 2020; 75: 2170-2184
  • 3 Helander ML, Savolainen J, Ahlholm J. Effects of air pollution and other environmental factors on birch pollen. Allergy 1997; 52: 1207-1214
  • 4 DʼAmato G, Annesi-Maersano I, Cecchi L. et al. Latest news on relationship between thunderstorms and respiratory allergy, severe asthma, and deaths for asthma. Allergy 2019; 74: 9-11
  • 5 Damialis A, Bayr D, Kolek F. et al. Thunderstorm Asthma: In Search For Relationships With Airborne Pollen And Fungal Spores From 23 Sites In Bavaria, Germany. A Rare Incident Or A Common Threat?. J Allergy Clin Immunol 2020; 145: AB336
  • 6 Yu P, Xu R, Abramson MJ. et al. Bushfires in Australia: a serious health emergency under climate change. Lancet Planet Health 2020; 4: e7-e8
  • 7 Ring J, Akdis C, Behrendt H. et al. Davos declaration: allergy as a global problem. Allergy 2012; 67: 141-143

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