B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2020; 36(02): 84-85
DOI: 10.1055/a-1120-5960
Journal Club

Einfluss von Ausdauertraining auf die Kognition junger Erwachsener

Eine randomisierte, klinische Studie OriginalpublikationContributor(s):
Philipp Zimmer
Stern Y, MacKay-Brandt A, Lee S, McKinley P, McIntyre K, Razlighi Q, Agarunov E, Bartels M, Sloan RP.
Effect of aerobic exercise on cognition in younger adults – a randomized clinical trial.

Neurology 2019;
26 92(9): e905-e916.
DOI: 10.1212 / WNL.0000000000007003..
 

Was ist zu dem Thema bereits bekannt?

Zahlreiche Studien beschreiben positive Effekte von Trainingsinterventionen auf die kognitive Leistungsfähigkeit von diversen klinischen Populationen und gesunden, vorwiegend sehr alten oder sehr jungen Menschen. Die größten Effekte werden hierbei für Exekutivfunktionen gezeigt. Aus Tiermodellen weiß man, dass v. a. Ausdauertraining zu diversen neurobiologischen Anpassungen führt, die in einem direkten Zusammenhang mit der kognitiven Leistungsfähigkeit stehen. Das wohl prominenteste Beispiel ist eine belastungsinduzierte Erhöhung neurotropher Faktoren, die ihrerseits u. a. die Neurogenese stimulieren und direkt für eine Volumenzunahme der Hippocampusformation verantwortlich gemacht werden. Als funktionelle Konsequenz zeigt sich in Tiermodellen in aller Regel eine verbesserte (räumliche) Gedächtnisleistung.

In Humanstudien ist die o. g. neurobiologische Komponente aufgrund der schlechten Zugänglichkeit des zentralen Nervensystems nur schwer zu untersuchen. Darüber hinaus weisen die allermeisten Humanstudien zahlreiche methodische Limitationen auf. Neben viel zu kleinen Stichproben sowie einer fehlenden Verblindung und Randomisierung werden relevante konfundierende Variablen außer Acht gelassen. Zu guter Letzt werden häufig passive Kontrollgruppen gewählt, womit nicht auszuschließen ist, dass supervidierte Interventionsgruppen hinsichtlich ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit viel mehr von Placebo-Effekten oder sozialen Interaktionen profitieren als vom Sport selbst.

Auch wenn einige Querschnitts- und Interventionsstudien erste Hinweise liefern, ist unklar, ob (junge) gesunde Menschen, deren kognitive Leistungsfähigkeit ohnehin nicht eingeschränkt ist, tatsächlich eine Verbesserung dergleichen erzielen können.


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Was wurde gemacht?

Für die Studie wurden 132 unsportliche, rechtshändige, kognitiv gesunde Erwachsene im Alter von 20–67 Jahren rekrutiert. Nach einer initialen Testung der Ausdauerleistungsfähigkeit, der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie der kortikalen Dicke (als Maß für neuroanatomische Adaptationen) und des APOE ε4 Status (genetische Variante des Apolipoproteins E, welches mit einer Prädisposition für kognitive Einschränkungen und Alzheimer assoziiert ist; positiv: bei Existenz mindestens eines positiven Allels) wurden die Proband*innen in eine Ausdauertrainings- (IG) und eine Kontrollgruppe (KG) randomisiert. Beide Gruppen trainierten über einen Zeitraum von 6 Monaten, 4x / Woche für je 40–55 Minuten. Während die IG ein progressives, Herzfrequenz-kontrolliertes und dokumentiertes Ausdauertraining absolvierte (55–75 % der HFmax), nahm die KG an einem ebenfalls supervidierten Stretching- und Kräftigungsprogramm teil. Alle kognitiven Endpunkte wurden 12 und 24 Wochen nach der Eingangsmessung erneut erhoben. MRT-Aufnahmen wurden zu Beginn und nach 24 Wochen aufgenommen.


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Was war gut?

Zunächst bietet die Studie eine hohe methodische Qualität. Wenngleich die Fallzahlkalkulation etwas lapidar beschrieben wird, ist die untersuchte Stichprobe mit n = 132 vergleichsweise groß. Für die Zwischen- und Endauswertung standen noch 96 bzw. 94 Proband*innen zur Verfügung, wobei sich die Studienabbruchraten zwischen den Gruppen nicht unterschieden. Im Gegensatz zu vielen anderen Studien begnügt sich die vorgestellte Untersuchung nicht mit einer passiven Kontrollgruppe, um Placebo- und soziale Interaktionseffekte auszuschließen. Neben einer sauberen Randomisierung waren die Untersucher gegenüber der Gruppenzugehörigkeit der Proband*innen verblindet, und das untersuchte Kollektiv war hinsichtlich seiner sportlichen Vorerfahrung homogen als „unsportlich“ zu bezeichnen. Das solide, im Vordergrund stehende kognitive Assessment zur Erhebung der kognitiven Leistungsfähigkeit wurde sinnvoll durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) zur Beurteilung der kortikalen Dicke und durch einen Test auf eine genetische Prädisposition für kognitive Einschränkungen (APOE ε4, s. o.) ergänzt.

Die allermeisten Studien im Kontext von Trainingsinterventionen und der kognitiven Leistungsfähigkeit untersuchen spezifische Zielgruppen (Kranke, Kinder, Jugendliche oder alte Menschen). Für das Alter wird in diesen Untersuchungen allenfalls adjustiert. Eine wesentliche Stärke der vorgestellten Studie ist, dass die Teilnehmer*innen ein breites Altersspektrum (20–67 Jahre) aufwiesen, das als Faktor in die statistischen Modelle aufgenommen wurde und somit erstmalig untersucht werden konnte, ob potenzielle Trainingseffekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit altersabhängig sind. Die aerobe Leistungsfähigkeit in der IG stieg bereits nach 12 Wochen signifikant an und blieb bis zur 24-Wochen-Messung erhöht. Im Gegensatz dazu war in der KG keine Veränderung zu verzeichnen, was eine erfolgreiche Manipulation durch das Ausdauertraining belegt.

Erwähnenswert ist auch, dass die gesamte Darstellung der Arbeit sich bis auf eine fehlende Beschreibung der APOE ε4 Analysen im Methodenteil strickt an die CONSORT Richtlinien hält, was leider bei sportwissenschaftlichen Manuskripten bislang eher die Ausnahme ist.


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Was ist neu?

Ein zentraler Befund der Studie ist, dass sich durch die Ausdauertrainingsintervention die Exekutivfunktionen nach 24 Wochen verbesserten und dass diese Verbesserung abhängig von der Altersgruppe war. Je älter die Proband*innen waren, desto ausgeprägter war der beschriebene Effekt. Pro Lebensjahr ergab sich innerhalb der untersuchten Altersspanne eine statistische Verbesserung um 0,0184 Standardabweichungs-Einheiten (SD-Einheiten). So war eine Verbesserung der Exekutivfunktionen bei einem 50-Jährigen im Vergleich zu einem 30-Jährigen um 20 x 0,0184 SD-Einheiten, sprich 0,368 SD-Einheiten erhöht. Der Zuwachs der Ausdauerleistungsfähigkeit (angegeben als maximale Sauerstoffaufnahme) in der IG war unabhängig vom Alter. Eine Mediationsanalyse zeigte, dass der Zuwachs der Ausdauerleistungsfähigkeit den positiven Effekt auf die Exekutivfunktionen vermittelte. Diese Befunde sind insofern besonders bemerkenswert, als dass sie erstmalig im Rahmen einer Sportinterventionsstudie den Einfluss des Alters auf die kognitive Leistungsfähigkeit genauer beleuchten. Die bisherige Annahme, dass ältere Menschen hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit stärker profitieren, wird durch die Ergebnisse untermauert. Trotzdem ist anzumerken, dass auch junge Erwachsene einen Benefit hinsichtlich der Exekutivfunktionen haben. Eine Veränderung der kortikalen Dicke wurde in der IG lediglich für den kaudalen medialen frontalen Kortex der linken Hemisphäre beschrieben, wobei das Alter bei diesen Veränderungen keine Rolle spielte. Die beobachteten neuroanatomischen Adaptionen standen in keinem Zusammenhang zu kognitiven Veränderungen. Für den APOE ε4 Status konnte gezeigt werden, dass innerhalb der Ausdauergruppe Träger*innen mindestens eines positiven Allels weniger stark von der Intervention hinsichtlich einer Verbesserung der Exekutivfunktionen profitierten.


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Limitationen

Wie jedes Forschungsprojekt hat auch die hier vorgestellte Studie Schwächen. Formal ist der Titel irreführend, da er vermuten lässt, dass sich die Studie auf junge Erwachsene konzentriert.

Hinsichtlich des Studiendesigns kann man die fehlende Doppelverblindung kritisieren, wobei fraglich ist, ob diese wirklich etwas bringen würde (1); formal in jedem Fall.

Der primäre Endpunkt der Studie wird mehrfach mit „kognitiver Leistungsfähigkeit“ angegeben und ist damit nicht klar definiert. Vor dem Hintergrund, dass zahlreiche kognitive Domänen getestet wurden, erscheint die zunächst große Stichprobe wieder sehr klein, da bei der Fallzahlberechnung vermutlich keine alpha-Fehler-Korrektur vorgenommen wurde. Die Autoren hätten diese Schwäche, die letztlich auch die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt, umgehen können, indem sie von vornherein die Exekutivfunktionen als primäre Zielgröße definiert hätten. Alle anderen getesteten Domänen hätten als sekundäre Zielgrößen dargelegt werden können. Die Rationale für ein solches Vorgehen liefern die Autoren eigentlich selbst, indem sie zu Recht in der Einleitung darauf hinweisen, dass Exekutivfunktionen vermutlich die belastungssensitivste kognitive Domäne darstellen. Gleichzeitig wirft das Vorgehen ein klassisches Dilemma sportwissenschaftlicher Kognitionsforschung auf. Populärer wäre es natürlich zu zeigen, dass sich die positiven Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit eher global äußern. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre eine höhere Auflösung einer einzelnen kognitiven Domäne zunächst aussagekräftiger. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Exekutivfunktionen auch einen Sammelbegriff darstellen, welcher mehrere kognitive Subdomänen umfasst.

Die statistischen Analysen sind nicht nur sinnvoll gewählt gewesen, sondern ergänzen viele andere Studien um einen wichtigen Punkt. Die Autoren führten bei positiven Befunden (hier der Einfluss des Ausdauertrainings auf die Exekutivfunktionen) Mediationsanalysen durch, um neben den Kovarianzanalysen auch eine direkte Vermittlung der beschriebenen Effekte nachzuweisen. Ein kleines Manko der korrekt durchgeführten „intention to treat“-Analyse ist, dass die Autoren nicht transparent darlegen, wie mit fehlenden Werten (von denen es durchaus einige gab; Baseline: n = 132, Baseline + 12 Wochen: n = 96, Baseline + 24 Wochen: n = 94) umgegangen wurde. Zu Recht weisen die Autoren darauf hin, dass die Studie hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Ergebnisse von einer Follow-up-Messung profitiert hätte.

Letztlich bleibt anzumerken, dass die Autoren sehr viele methodische Aspekte berücksichtigt haben. Eine Kovariate, die allerdings in kaum einer Studie eingebracht wird und die auch hier fehlt, ist eine Messgröße zur (sozialen) Eingebundenheit der Proband*innen. Im Tiermodell würde man von einem „enriched evironment“ sprechen, von dem bekannt ist, dass es sich ähnlich wie Sport positiv auf die Hirngesundheit und die kognitive Leistungsfähigkeit auswirkt. Ein potenzielles Instrument zur Erhebung stellten Berkman et al. (2) vor.


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Fazit

Die vorgestellte Arbeit von Stern und Kolleg*innen wurde aufgrund ihrer hohen methodischen Qualität und guten Darstellung zu Recht hoch publiziert. Die Einordnung der Untersuchung der Herausgeber des Journals Neurology in die Kategorie „Class of Evidence“ unterstreicht dessen Aussagekraft. (Ausdauer-)Sport verbessert über die gesamte Lebensspanne Exekutivfunktionen – auch bei Gesunden!


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  • Literatur

  • 1 Oberste M, Hartig P, Bloch W, Elsner B, Predel HG, Ernst B, Zimmer P. Control group paradigms in studies investigating acute effects of exercise on cognitive performance – An experiment on expectation-driven placebo effects. Frontiers of Human Neuroscience 2017; 11: 600
  • 2 Berkman LF. Social integration and mortality: A Prospective Study of French Employees of Electricity of France-Gas of France: The GAZEL Cohort. Am. J. Epidemiol 2004; 159: 167-174. DOI: 10.1093 / aje / kwh020.

Korrespondenzadresse

Univ. Jun-Prof. habil. Dr. Dr. Philipp Zimmer
Technische Universität Dortmund
Institut für Sport und Sportwissenschaft
Abteilung „Leistung und Gesundheit“
Otto-Hahn-Straße 3
44227 Dortmund

Publication History

Article published online:
14 April 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York

  • Literatur

  • 1 Oberste M, Hartig P, Bloch W, Elsner B, Predel HG, Ernst B, Zimmer P. Control group paradigms in studies investigating acute effects of exercise on cognitive performance – An experiment on expectation-driven placebo effects. Frontiers of Human Neuroscience 2017; 11: 600
  • 2 Berkman LF. Social integration and mortality: A Prospective Study of French Employees of Electricity of France-Gas of France: The GAZEL Cohort. Am. J. Epidemiol 2004; 159: 167-174. DOI: 10.1093 / aje / kwh020.

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