Einleitung
Die Beurteilung der lymphatischen Metastasierung ist ein essenzieller Bestandteil
des Stagings solider Tumoren. Historisch erfolgt diese Beurteilung mittels systematischer
Lymphonodektomie, die aufgrund ihrer Invasivität mit hoher Morbidität für die Patienten
einhergeht. Mit der Sentinel-Lymphknoten-(SLN-)Biopsie steht ein minimalinvasives
Verfahren zur Verfügung, das durch selektive Untersuchung des Wächterlymphknotens
eine Einschätzung über den regionären Tumorbefall von Lymphknoten erlaubt. Dieses
Konzept basiert auf der Annahme, dass die lymphatische Metastasierung von Tumoren
einer anatomischen Systematik folgt und somit vorhersehbar ist [1].
Die Darstellung und histologische Untersuchung des SLN, das sogenannte „Mapping“,
ist heute bereits als standardisiertes Verfahren beim Mammakarzinom und malignen Melanom
etabliert [2], [3]. Innerhalb der Gruppe der Genitalkarzinome wird der diagnostische Stellenwert des
SLN-Verfahrens unterschiedlich bewertet.
Für selektierte Patientinnen mit Vulvakarzinom im Frühstadium, definiert als unifokaler
Primärtumor mit < 4 cm Durchmesser und klinisch negativen Leistenlymphknoten, ist
die SLN-Technik bereits als Verfahren in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft
für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)/Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und den
Empfehlungen der European Society of Gynecological Oncology (ESGO) etabliert [4], Für das Zervixkarzinom ist das alleinige SLN-Verfahren noch nicht endgültig standardisiert
und sollte lediglich im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt werden [5], [6].
Für diese Übersichtsarbeit wurde eine an den aktuellen Leitlinien der DGGG/DKG und
ESMO orientierte Literaturrecherche in der Datenbank der National Library of Medicine
(PubMed/MEDLINE) durchgeführt. Eingeschlossen wurden retrospektive Beobachtungsstudien
und randomisierte Interventionsstudien mit einem Schwerpunkt auf großen Kohortenstudien
seit 2010. Zusätzlich wurden Kongressbeiträge der Jahrestagungen der American Society
of Clinical Oncology (ASCO), ESGO und DGGG aus den Jahren 2019 und 2020 berücksichtigt.
Übersicht
Vulvakarzinom
Mit einer Inzidenz von 3300 Frauen in Deutschland im Jahr 2016 und einem Anteil von
~ 5% an allen gynäkologischen Tumoren stellt das Vulvakarzinom eine insgesamt seltene
Tumorentität dar [7], [8]. Die Diagnosestellung der invasiven Karzinome erfolgt überwiegend im frühen Stadium
(FIGO I – II). Das Standardvorgehen beinhaltet die Versorgung mittels Tumorexzision
(local wide excision) und Staging der inguinofemoralen Lymphknoten (ab Stadium FIGO
IB) [4]. Jede 5. Frau weist zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits eine lymphatische
Metastasierung auf [4]. Dieser lymphatische Befall stellt den größten prognostischen Risikofaktor für das
Gesamtüberleben dar und erfordert eine operative Lymphknotenentfernung [9]. Laut S2k-Leitlinie der DGGG/DKG aus dem Jahr 2015 bleibt dabei zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch unklar, ob
grundsätzlich eine systematische inguinofemorale Lymphonodektomie (ILND) erfolgen
sollte oder lediglich die Entfernung aller metastasierten Lymphknoten im Rahmen eines
multimodalen Therapiekonzepts ausreichend ist [4], [10].
Aufgrund seiner anatomischen Zugänglichkeit und lymphatischen Drainierung war das
Vulvakarzinom der erste weibliche Genitaltumor, für den das SLN-Verfahren untersucht
wurde [11]. Die 2008 erstmals veröffentlichten Ergebnisse der GROningen International Study
on Sentinel node in Vulva cancer (GROINSS-V) zeigten, dass für eine Subgruppe von
Patientinnen ein negativer SLN-Befund die invasivere ILND bei gleichwertigem prognostischem
Outcome ersetzen kann [12].
Aktuelle Praxis
In den Leitlinien der ESGO aus dem Jahr 2017 sowie den gemeinsamen S2k-Leitlinien
der DGGG/DKG aus dem Jahr 2015 wird die SLN-Biopsie bei Patientinnen mit unifokalem
Primärtumor < 4 cm und gleichzeitig unauffälligem Leistenlymphknoten-Befund empfohlen
[4], [13]. Eine diagnostische Abklärung mittels SLN-Technik ist grundsätzlich dann sinnvoll,
wenn
-
weder klinisch noch bildmorphologisch malignomsuspekte Lymphknoten vorliegen (cN0)
und
-
keinerlei Voroperationen in der betroffenen Lymphabflussregion bestehen.
Gelingt die Darstellung des SLN nicht oder kommt eine SLN-Metastasierung zur Darstellung,
sollte der Patientin entsprechend den ESGO-Leitlinien eine ILND angeraten werden.
Einen Sonderfall stellen Primärtumoren mit Mittellinienüberschreitung dar. In diesen
Fällen wird eine beidseitige SLN-Biopsie empfohlen [13]. Kann der SLN nur einseitig dargestellt werden, sollte auf der kontralateralen Seite
eine ILND erfolgen.
Methodik
Entsprechend den aktuellen ESGO-Leitlinien sollte der SLN mittels radioaktivem Tracer
(99mTechnetium-Nanokolloid) dargestellt werden [13]. Präoperativ wird an 4 peritumoral gelegenen Lokalisationen Tracer-haltige Flüssigkeit
subkutan injiziert und szintigrafisch nachverfolgt. Eine Detektion mittels Gammasonde
gelingt in 94% der Fälle bei gleichzeitiger Sensitivität von 91%. Die diagnostische
Aussagekraft kann durch den zusätzlichen Einsatz von Patentblau weiter gesteigert
werden (Detektionsrate 95%, Sensitivität 95%) [14]. Kritisch ist dabei die korrekte Indikationsstellung, da für das SLN-Verfahren in
fortgeschrittenen Stadien (> FIGO I) eine deutlich höhere Rate falsch negativer Befunde
beschrieben wurde [15]. Der Einsatz von Indocyaningrün (ICG) ermöglicht eine strahlungsfreie SLN-Darstellung
bei generell günstigerem Nebenwirkungsprofil, insbesondere
hinsichtlich des Auftretens anaphylaktischer Reaktionen [16], [17], [18]. Mittels Lymphoszintigramm oder Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (SPECT)
können im Einzelfall Anzahl und SLN-Lokalisierung exakter bestimmt werden [4]. Eine 2. operative Intervention kann durch intraoperative Schnellschnittuntersuchungen
vermieden werden. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass diese Schnellschnittanalysen
in ihrer Aussagekraft einer vollständigen histopathologischen Untersuchung unterlegen
sind (mangelnde Sensitivität hinsichtlich der Detektion von Mikrometastasen) [19]. Die pathologische Aufarbeitung umfasst die Untersuchung von vollständig eingebetteten
SLN-Präparaten mittels Hämatoxylin-Eosin-(HE-)Morphologie. Bei negativem Ergebnis
in dieser primären Färbung sollte eine weiterführende Analyse und Anfertigung
von seriellen Stufenschnitten (Maximalabstand 200 – 400 µM, [Tab. 1]) erfolgen [12], [15], [20], [21], [22], [23], [24]. Dieses sogenannte „Ultrastaging“ kann ergänzt werden durch eine sekundäre Analyse
mittels Immunhistochemie (IHC) auf die Pan-Zytokeratinantikörper AE1 und/oder AE3
[25]. Auf diese Weise kann die Detektionsrate von Mikrometastasen (< 2 mm) erhöht werden,
deren prognostische Relevanz beim Vulvakarzinom zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch
noch ungeklärt bleibt [26], [27].
Tab. 1 SLN-Mapping und Stellenwert des Ultrastagings beim Vulvakarzinom.
|
n
|
Stufendicke
|
falsch negativ
|
LK-Metastasen
|
Upstaging durch Ultrastaging
|
Referenz
|
|
70
|
400 µM
|
0%
|
33%
|
–
|
Vidal-Sicart et al. 2007 [15]
|
|
125
|
200 µM
|
2%
|
31%
|
–
|
Hampl et al. 2008 [16]
|
|
403
|
~ 333 µM
|
–
|
32%
|
42%
|
Van der Zee et al. 2008 [11]
|
|
46
|
200 µM
|
0%
|
21%
|
–
|
Achimus-Cadariu et al. 2009 [17]
|
|
60
|
400 µM
|
0%
|
35%
|
12%
|
Devaja et al. 2011 [18]
|
|
418
|
40 µM
|
4%
|
32%
|
23%
|
Levenback et al. 2012 [19]
|
|
133
|
40 µM
|
0,1%
|
17%
|
9%
|
Euscher et al. 2018 and 2020 [20]
|
Vorteile der Sentinel-Lymphonodektomie
Für ausgewählte Patientenkollektive bietet die gezielte Darstellung und Biopsie des
SLN ein diagnostisches Verfahren mit hoher Sensitivität hinsichtlich der Detektion
lymphatischer Metastasierung. Im Vergleich zur ILND stellt das SLN-Verfahren eine
komplikationsärmere Methodik dar, mit der iatrogene Verletzungen und das Risiko von
Lymphödemen signifikant reduziert werden können ([Tab. 2]) [28]. Patientinnenbefragungen innerhalb der GROINSS-V-I-Studie zeigten, dass die subjektive
Zufriedenheit mit der SLN-Technik im Vergleich zur ILND deutlich erhöht ist [29]. Signifikante, durch ILND verursachte Morbidität wurde insbesondere aufgrund von
Lymphödemen (p = 0,01), Schmerzen im Operationsgebiet (p = 0,03) und Tragen von Kompressionsstrümpfen
(p = 0,003) berichtet. Keinen Einfluss hatte das gewählte Verfahren auf die sexuelle
Aktivität der befragten Patientinnen. Aus
sozioökonomischer Sicht ist das SLN-Verfahren deutlich kosteneffizienter und
mit einer kürzeren Operations- und stationären Verweildauer assoziiert ([Tab. 2]) [12], [30], [31]. Abschließend ist zu erwähnen, dass der diagnostische Erfolg der SLN-Technik maßgeblich
durch die bestehende operative Expertise am behandelnden Zentrum beeinflusst wird.
Auf Basis dieser Erkenntnisse empfiehlt die GROINSS-V-I-Studie die SLN-Durchführung
an ausschließlich ausgewiesenen Zentren, definiert als Mindestanzahl von ≥ 10 nachgewiesenen
SLN-Eingriffen bei Patientinnen mit Vulvakarzinom pro Behandler pro Jahr [12].
Tab. 2 Klinische Vergleichsanalyse von SLN-Biopsie und ILND beim Vulvakarzinom.
|
n
|
SLN-B
|
ILND
|
p-Wert
|
Referenz
|
|
Abkürzungen: SLN-B = Sentinel-Lymphknoten-Biopsie, ILND = Inguinal Lymph Node Dissection,
NA = nicht angezeigt
* Metaanalyse
|
|
Dauer des operativen Eingriffs
|
|
128
|
76 min
|
103 min
|
< 0,001
|
Brammen et al. 2014 [26]
|
|
75
|
86 min
|
121 min
|
0,002
|
Hefler et al. 2008 [27]
|
|
stationäre Aufenthaltsdauer
|
|
128
|
13,3 Tage
|
18,1 Tage
|
0,006
|
Brammen et al. 2014 [26]
|
|
75
|
12,6 Tage
|
22,9 Tage
|
< 0,001
|
Hefler et al. 2008 [27]
|
|
403
|
8,4 Tage
|
13,7 Tage
|
< 0,0001
|
van der Zee et al. 2008 [11]
|
|
inguinale Drainage
|
|
128
|
4 Tage
|
7 Tage
|
< 0,001
|
Brammen et al. 2015 [26]
|
|
75
|
3 Tage
|
7 Tage
|
< 0,001
|
Hefler et al. 2008 [27]
|
|
Wundinfektion
|
|
2667*
|
4,4%
|
30,7%
|
NA
|
Reade et al. 2012 [24]
|
|
Lymphozyste
|
|
2667*
|
3,8%
|
15,5%
|
NA
|
Reade et al. 2012 [24]
|
|
Lymphödem
|
|
2667*
|
1,5%
|
22,9%
|
NA
|
Reade et al. 2012 [24]
|
Studienlage
Die SLN-Technik ist ein zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch relativ junges diagnostisches
Verfahren, das insbesondere hinsichtlich
-
der Aussagekraft von Schnellschnittuntersuchungen,
-
der prognostischen Relevanz von Mikrometastasen und
-
der prognostischen Bedeutung im Vergleich zu etablierten Verfahren
Gegenstand intensiver klinischer Forschung ist.
Nach aktueller Datenlage ist die Sensitivität von intraoperativen Schnellschnittuntersuchungen
zur Erkennung von SLN mitunter eingeschränkt. In der GROINSS-V-I-Studie (n = 403)
zeigte sich für alleinige Schnellschnittanalysen beispielsweise bei ausgezeichneter
Spezifität (100%) eine deutlich reduzierte Sensitivität von lediglich 48% [19]. Durch ergänzende IHC-Untersuchung kann die Aussagekraft der SLN-Technik im Vergleich
zur alleinigen HE-Färbung gesteigert werden. In der GROINSS-V-I-Studie konnte in 12%
der SLN-Präparate auf diese Weise eine Mikrometastasierung im zuvor HE-negativen Präparat
detektiert werden. In der amerikanischen GOG-173-Studie (n = 234) lag die Rate falsch
negativer Ergebnisse in der HE-Färbung, die durch zusätzliche IHC korrigiert werden
konnte, bei 23% [32]. Die prognostische Relevanz solcher Mikrometastasen bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt
weiterhin unklar. So zeigten in der
GROINSS-V-I-Studie 27% der Patientinnen mit HE-positivem SLN, jedoch lediglich
5% der Patientinnen mit HE-negativem/Ultrastaging-positivem SLN-Befund eine lymphatische
Metastasierung [19]. Patientinnen mit HE-positivem SLN wiesen dabei ein signifikant reduziertes 5-Jahres-Überleben
von 65% auf. Das 5-Jahres-Überleben von Patientinnen mit isolierter Mikrometastasierung
im Ultrastaging bei zuvor unauffälligem HE-Befund war in der GROINSS-V-I-Studie demgegenüber
mit 92% nahezu uneingeschränkt (p < 0,0001).
Während die klinische Relevanz von Mikrometastasen im SLN-Befund nicht determiniert
werden kann, ist eine eindeutige SLN-Positivität grundsätzlich mit einer eingeschränkten
klinischen Prognose assoziiert. Die Autoren beobachteten eine allgemeine Korrelation
zwischen der Ausdehnung der SLN-Metastase mit der Wahrscheinlichkeit eines weiteren
Lymphknotenbefalls. Ein prognostisch valider Cut-off für die Größe von SLN-Metastasen
konnte bislang noch nicht festgelegt werden [19].
In einer aktualisierten Analyse der GROINSS-V-I-Studie (medianes Follow-up: 105 Monate)
lag die 5-Jahres-Rezidivrate für SLN-negative Patientinnen bei 25% (36% nach 10 Jahren)
im Vergleich zu 33% (46% nach 10 Jahren) bei initialer SLN-Positivität [33]. Weiterhin war das krankheitsspezifische 10-Jahres-Gesamtüberleben von SLN-negativen
im Vergleich zu SLN-positiven Patientinnen signifikant erhöht (91 vs. 65%, p < 0,0001).
Erste Daten der Nachfolgestudie GROINSS-V-II (n = 1552) wurden im Rahmen der Best-Oral-Abstract-Session
der ESGO-Jahrestagung 2019 vorgestellt [34]. In dieser prospektiven Arbeit wurde untersucht, ob eine adjuvante Strahlentherapie
eine sichere und wirksame therapeutische Alternative für Patientinnen mit kleineren
SLN-Metastasen darstellen könnte. In lediglich 2 von 129 (1,6%) Patientinnen mit positivem
SLN-Befund < 2 mm traten im Beobachtungszeitraum (≥ 2 Jahre) nach alleiniger Strahlentherapie
inguinale Rezidive auf. Die Autoren der Studie folgern dementsprechend, dass für Patientinnen
mit SLN-Metastasen < 2 mm die Strahlentherapie eine wirksame und schonende Alternative
zur ILND darstellen kann.
Eine entscheidende Bedeutung bei der Lokalisation des SLN spielt die Lage des Primärtumors
zur anatomischen Mittellinie. Aktuelle Studien belegen, dass die lymphatische Drainage
im Einzelfall jedoch von der erwarteten Anatomie abweichen kann [35], [36]. Die GOG-173-Studie zeigte mittels präoperativer Lymphoszintigrafie, dass 22% der
Patientinnen mit lateral lokalisiertem Primärtumor (> 2 cm zur Mittellinie) einen
bilateralen Abfluss aufwiesen. Gleichzeitig wurde in 30% der Patientinnen mit Mittellinientumor
(< 2 cm zur Mittellinie) eine unilaterale Drainage festgestellt [32]. Zusammenfassend stellt die zusätzliche lymphoszintigrafische Untersuchung eine
weitere Hilfe dar, um bei Patientinnen mit Mittellinientumoren die exakte SLN-Lokalisation
zu detektieren.
Die Notwendigkeit einer bilateralen ILND bei einseitigem Metastasennachweis und kontralateral
negativem SLN ist noch nicht abschließend geklärt [4]. Die SLN-Technik könnte insbesondere bei klinisch unauffälligen Patientinnen mit
kontralateral metastasenfreiem SLN-Befund einen Ansatz darstellen, um eine kontralaterale
ILND zu vermeiden [37].
Zervixkarzinom
In Deutschland erkrankten im Jahr 2016 ~ 4400 Frauen an einem Zervixkarzinom. Dies
entspricht einem Anteil von ~ 2% an allen weiblichen Tumorerkrankungen [38]. In > 85% der Fälle erfolgt die Diagnosestellung im Frühstadium (T1, T2) [39]. Die Therapie des Zervixkarzinoms verläuft in Abhängigkeit der FIGO-Klassifikation
entweder operativ oder mittels kombinierter Radiochemotherapie. Eine lymphatische
Metastasierung liegt bei ungefähr jeder 4. Patientin im Frühstadium (≤ FIGO IB) vor
[40]. Das Staging erfolgt typischerweise mittels systematischer pelviner Lymphonodektomie
(PLND). Das amerikanische National Comprehensive Cancer Network (NCCN) empfiehlt eine
Anwendung für ausgewählte Patientinnen im Frühstadium (Tumordurchmesser ≤ 2 cm) [41]. Der prognostische Stellenwert der SLN-Biopsie im Vergleich zur PLND wird aktuell
im Rahmen von 2
prospektiven klinischen Studien (SENTIX [NCT02494063] und SENTICOL-3 [NCT03386734])
untersucht.
Aktuelle Praxis
Während das SLN-Verfahren in vielen soliden Tumorentitäten bereits als Teil der diagnostischen
Praxis etabliert ist, bleibt sein Stellenwert für das Staging des Zervixkarzinoms
weiterhin unklar [24]. Gemäß der gemeinsamen S3-Leitlinie der DGGG/DKG aus dem Jahr 2014 ist die SLN-Technik
nicht ausreichend standardisiert (Hinweis: die Leitlinie wird aktuell diesbezüglich
überarbeitet). Gleichzeitig scheint seine Anwendung vertretbar, sofern die SLN beidseits
mittels präoperativer Szintigrafie sowie intraoperativ dargestellt werden können und
das Verfahren bei Patientinnen ohne Risikofaktoren mit einer Primärtumorgröße < 2 cm
zum Einsatz kommt [5]. Ursächlich hierfür ist die anatomische Einstufung des Zervixkarzinoms als sogenannter
„Mittellinientumor“, der eine beidseitige SLN-Diagnostik erforderlich macht [5]. Gemäß der S3-Leitlinie der DGGG/DKG sollte bei positivem
Tumornachweis im SLN ein operatives Staging mittels paraaortaler Lymphonodektomie
erfolgen. Weiterhin sollten alle dargestellten SLN entfernt werden. Gelingt auf einer
Seite die SLN-Darstellung nicht, sollte auf der betroffenen Seite eine pelvine Lymphonodektomie
zum weiteren Staging erfolgen.
Methodik
Die Durchführung des SLN-Verfahrens beim Zervixkarzinom erfolgt derzeit noch nicht
einem einheitlichen Vorgehen ([Tab. 3]). Präoperativ wird an 4 bzw. 2 Punkten eine radioaktive Tracer-Substanz in die Zervix
injiziert ([Abb. 1]). Zum Einsatz kommt typischerweise 99mTechnetium-Nanokolloid kombiniert mit Patentblau. Alternativ kann gemäß ESGO-Leitlinie
auch Indocyaningrün (ICG) als nebenwirkungsarme und strahlungsfreie Tracer-Substanz
angewendet werden [18], [42], [43], [44] ([Abb. 2]). Eine eindeutige Empfehlung diesbezüglich ist in der aktuellen S3-Leitlinie nicht
enthalten. In einer Studie aus dem Jahr 2016 zeigte sich ICG hinsichtlich der Detektionsrate
von SLN (100%) und der bilateralen Darstellung der Lymphabflusswege (99%)
gegenüber 99mTechnetium-Nanokolloid und Patentblau überlegen (Detektionsrate 96%, bilaterale Darstellung
76%) [45].
Tab. 3 SLN-Mapping und Stellenwert des Ultrastagings beim Zervixkarzinom.
|
n
|
Stufendicke
|
falsch negativ
|
LK-Metastasen
|
Upstaging durch Ultrastaging
|
Referenz
|
|
* bei bilateral positivem SLN-Befund, ** Follow-up-Analyse mit sekundärem Ultrastaging
|
|
48
|
40 µM
|
6%
|
31%
|
19%
|
Euscher et al. 2008 [36]
|
|
139
|
200 µM
|
8%/0%*
|
18%
|
–
|
Lécuru et al. 2011 [49]
|
|
211
|
40 µM
|
0%*
|
16%
|
33%
|
Roy et al. 2011 [40]
|
|
645
|
250 µM
|
3%
|
33%*
|
11%
|
Cibula et al. 2012 [59]
|
|
188
|
250 µM
|
4%
|
19%
|
22%
|
Salvo et al. 2017 [51]
|
|
139**
|
200 µM
|
1%
|
17%
|
–
|
Mathevet et al. 2020 [64]
|
Abb. 1 Präoperative Injektion von Patentblau (intrazervikal).
Abb. 2 Sentinel-Darstellung beim Zervixkarzinom mittels Indocyaningrün (ICG). Markierung:
Blick auf die Beckenwand links mit Weißlicht (a) bzw. Fluoreszenztechnik (b).
Identifizierte Lymphknoten sollten vollständig entlang ihrer Längsachse in ca. 0,2 cm
starke Lamellen eingebettet werden, um im nachfolgenden Schritt Mikrometastasen und
isolierte Tumorzellen (ITC) besser identifizieren zu können [40], [46]. Da die Detektion eines positiven SLN eine direkte therapeutische Konsequenz nach
sich zieht (paraaortale Lymphonodektomie, Therapieabbruch und indizierte Radiotherapie),
empfehlen einige Autoren die intraoperative Analyse mittels Schnellschnitt [46], [47]. Die Schnellschnittuntersuchung ist jedoch insbesondere für die Detektion von Mikrometastasen
nicht ausreichend sensitiv. In einer kanadischen Studie mit insgesamt 211 Patientinnen
blieb in > 40% der intraoperativ bewerteten Biopsate eine Mikrometastasierung unerkannt
[46]. In einer gemeinsamen Auswertung der
französischen SENTICOL-1- und SENTICOL-2-Studie (n = 313) lag die Sensitivität
der intraoperativen Schnellschnittuntersuchung bei lediglich 42% [48]. Gewebsmaterial, das für Gefrierschnitte verwendet wurde, ist zudem artefaktreich
und steht nicht mehr für eine weitere definitive pathologische Untersuchung zur Verfügung
[24]. Um eine ausreichende Diagnostik zu gewährleisten, sollte daher auf eine Schnellschnittuntersuchung
verzichtet werden, wenn das SLN-Verfahren als alleinige Stagingmethode angewendet
wird [24]. Für die Detektion von Mikrometastasen außerhalb der intraoperativen Schnellschnittuntersuchung
stehen unterschiedliche, bislang nicht standardisierte Ultrastaging-Protokolle zur
Verfügung ([Tab. 3]). Typischerweise werden aus den Paraffinblöcken mindestens 3 Stufenschnitte in einem
Abstand von 40 – 250 µm angefertigt und mit HE
gefärbt ([Tab. 1]). Bei negativem Befund in der HE-Färbung, erfolgt eine zusätzliche Untersuchung
mittels IHC unter Verwendung der Pan-Zytokeratinantikörpern AE1 und/oder AE3. Auf
diese Weise werden Metastasen bis zu einer Größe von nur 100 µM mit einer Sensitivität
von 70% detektiert [40]. Als indirekte Marker für eine HPV-Ätiologie können ergänzende Antikörper auf p16
eingesetzt werden [5].
Vorteile der Sentinel-Lymphonodektomie
Die SLN-Biopsie bietet ein minimalinvasives Verfahren zur standardmäßigen Erfassung
von Mikrometastasen, die insbesondere bei jungen Patientinnen ein häufiges Metastasierungsmuster
darstellen [5]. In einer Metaanalyse mit insgesamt 72 Studien und 5042 Patientinnen wurde die diagnostische
Aussagekraft des SLN-Verfahrens im Vergleich zur bildgebenden Diagnostik untersucht
[49]. Die SLN-Technik zeigte sich dabei in der Sensitivität (91%) und Spezifität (100%)
der CT-Untersuchung (58%/92%), dem MRT (56%/93%) und dem PET-CT (75%/98%) überlegen.
Das Risiko für eine lymphatische Metastasierung liegt beim Zervixkarzinom im Frühstadium
(FIGO IA) bei < 20% und steigt im Stadium FIGO IB auf 31% an [40]. Da Patientinnen im Frühstadium ohne Risikofaktoren somit meist keine lymphatische
Metastasierung aufweisen, könnte für den Großteil dieser Patientinnen ein nicht erforderliches
Staging mittels PLND durch das SLN-Verfahren ersetzt werden. Zusätzlich ist das SLN-Verfahren
im Vergleich zum operativen Staging mit einer deutlich niedrigeren Rate an intra-
und postoperativen Komplikationen assoziiert [50], [51].
Studienlage
Trotz seiner sozioökonomischen und diagnostischen Vorteile ist das SLN-Verfahren in
vielen relevanten Aspekten noch nicht ausreichend standardisiert, um seine alleinige
Anwendung für Patientinnen mit Zervixkarzinom im Frühstadium zu empfehlen. Zu diesen
ungeklärten Fragen zählt
-
die anatomische Lokalisierung von SLN im Einzelfall,
-
die diagnostische Güte von intraoperativen Schnellschnittuntersuchungen,
-
die Einführung einheitlicher Ultrastaging-Analysen,
-
die prädiktive Relevanz von SLN-Mikrometastasen im Hinblick auf weiteren pelvinen
Lymphknotenbefall,
-
die prognostische Bedeutung von Mikrometastasen für das Langzeitüberleben sowie
-
die therapeutische Gleichwertigkeit von SLN-Biopsie und PLND für selektierte Patientenkollektive.
Die lymphatische Drainage des Zervixkarzinoms ist aufgrund seiner anatomischen Lokalisation
nicht immer eindeutig zu determinieren [52]. Mittels Lymphoszintigrafie kann im Einzelfall eine exaktere Lokalisation erfolgen.
In einer Subanalyse der französischen SENTICOL-1-Studie (n = 133) konnten so 88% der
SLN detektiert werden [53]. Circa 40% dieser präoperativ identifizierten SLN befanden sich außerhalb der interiliakalen
Abflusswege entlang der A. iliaca communis (20%), paraaortal (11%) sowie im Parametrium
(6%). Eine ähnlich große Variabilität zeigte sich in einer retrospektiven Untersuchung
der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO, n = 151) [54]. Vor diesem Hintergrund stellt die präoperative Lymphoszintigrafie ein entscheidendes
diagnostisches Instrumentarium dar, um SLN auch bei abweichenden anatomischen Verhältnissen
zu detektieren und die Rate falsch
negativer Befunde zu reduzieren [53].
Mehrere Studien haben für die SLN-Technik eine hohe Sensitivität bei niedriger Rate
falsch negativer Ergebnisse bestätigt [46], [55], [56]. So konnte in der SENTICOL-1-Studie aus dem Jahr 2011 durch zusätzliches Ultrastaging
von SLN-Biopsien eine Sensitivität von 100% und eine falsch negative Rate von 0% für
Patientinnen mit bilateraler SLN-Detektion erreicht werden [55]. Eine ähnlich hohe Sensitivität (97%) und niedrige Rate falsch negativer Ergebnisse
(2,3%) wurde in einer multinationalen Studie von Cibula und Kollegen bestätigt (n = 645)
[56]. Ohne ergänzendes Ultrastaging lag die Sensitivität der alleinigen SLN-Biopsie in
dieser Studie bei lediglich 80%. Dies verdeutlicht den Stellenwert des Ultrastagings
für die diagnostische Aussagekraft der SLN-Technik. Die Rate falsch negativer Ergebnisse
ist abhängig
von der Metastasengröße im SLN. Je nach Studie wird diese mit < 4 cm [57] bzw. < 2 cm angegeben [41]. In einer multizentrischen Analyse der AGO-Studiengruppe konnte gezeigt werden,
dass bei Tumoren < 2 cm eine Sensitivität > 90% und ein negativer Vorhersagewert von
99% erreicht werden kann [58]. In dieser Studie wurde jedoch erst nachträglich eine Stratifizierung in Tumoren
< 2 cm und > 2 cm vorgenommen, sodass eine prospektive Validierung weiterhin aussteht.
Eine aktuelle Arbeit der französischen Studiengruppe zeigt, dass die Detektierbarkeit
von bilateralen SLN mit zunehmendem Alter (> 70 Jahre), Körpergewicht (≥ 30 kg/m2) und Tumorgröße (≥ 20 mm) abnimmt [59].
Die Definition der TNM-Klassifikation für das Zervixkarzinom unterscheidet Makrometastasen
(> 2 mm, pN1), Mikrometastasen (0,2 – 2 mm, pN1[mi]) und ITC (pN0) [60]. Einer Abstufung dieser unterschiedlichen Lymphknotenmetastasen wird in aktuellen
Studien noch keine Rechnung getragen. Die Mehrzahl der Studien, welche die Relevanz
von SLN-Mikrometastasen im Hinblick auf eine Metastasierung weiterer pelviner Lymphknoten
untersuchen, weist methodische Schwächen auf. Ursächlich hierfür ist, dass an den
meisten Zentren lediglich die SLN-Biopsien mittels Ultrastaging befundet werden. In
Zusammenschau der Studien, die auch zusätzlich pelvine Lymphknoten mittels Ultrastaging
analysiert haben, bleibt festzuhalten, dass Mikrometasen im SLN sowohl mit einer Makro-
als auch Mikrometastasierung pelviner Lymphknoten einhergehen [61], [62], [63], [64].
Der Nachweis von Mikrometastasen und ITC für die langfristige Gesamtprognose von Patientinnen
mit Zervixkarzinom wird kontrovers diskutiert. Cibula und Kollegen konnten die Mikrometastasierung
im SLN als unabhängigen Risikofaktor für das Gesamtüberleben identifizieren (HR 6,86,
p = 0,002) [65]. Für das progressionsfreie Überleben stellte die Mikrometastasierung in dieser Studie
keinen negativen prognostischen Faktor dar. Demgegenüber identifizierte eine brasilianische
Studie (n = 83) den Nachweis von lymphatischen Mikrometastasen als stärksten prognostischen
Faktor für das progressionsfreie Überleben (OR 11,73, p = 0,017) [66]. Die Detektion von Mikrometastasen erfolgte hierbei retrospektiv, indem zuvor negative
pelvine Lymphknoten einer sekundären Nachuntersuchung mittels Ultrastaging unterzogen
wurden. Sowohl in der SENTICOL-1- als auch in der SENTICOL-2-Studie konnte weder für
Mikrometastasen noch für
ITC im SLN ein negativer prognostischer Einfluss hinsichtlich des progressionsfreien
Überlebens festgestellt werden [67], [68].
Im Rahmen der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2020 wurde
eine Subanalyse der SENTICOL-1- und SENTICOL-2-Studien vorgestellt, in der das prognostische
Outcome nach bilateraler SLN-Biopsie und PLND in Patientinnen mit negativem SLN-Befund
(n = 259) verglichen wurde [69]. Bei einem medianen Follow-up von 47 Monaten zeigte sich kein klinisch relevanter
Unterschied im progressionsfreien Überleben (94 bzw. 98%, p = 0,14). Die Autoren folgern,
dass die bilaterale SLN-Biopsie die PLND in ausgewählten Patientinnen mit Zervixkarzinom
im Frühstadium ersetzen könnte. Ergebnisse der SENTIX- (NCT02494063) und SENTICOL-3-Studie
(NCT03386734), in denen das prognostische Outcome nach alleiniger SLN-Biopsie mit
dem nach systematischer PLND prospektiv verglichen wird, werden frühestens in den
Jahren 2020 und 2025 erwartet.
Schlussfolgerung
Die Biopsie des SLN stellt ein gezieltes Verfahren dar, das durch Untersuchung des
Wächterlymphknotens ein minimalinvasives Staging der lymphatischen Tumorausbreitung
ermöglicht. Damit bietet es eine komplikationsärmere und kosteneffizientere Alternative
zur systematischen Lymphonodektomie bei gleichwertiger diagnostischer Sensitivität.
Während für selektierte Patientinnen mit Vulvakarzinom im Frühstadium die SLN-Technik
bereits als Verfahren in den Leitlinien der DGGG/DKG und ESGO enthalten ist, ist für
das Zervixkarzinom eine solche Empfehlung noch ausstehend. Aktuelle Studien in beiden
Entitäten zielen darauf ab, die SLN-Technik insbesondere hinsichtlich
-
der Aussagekraft von intraoperativen Schnellschnittuntersuchungen,
-
der Anwendung einheitlicher Ultrastaging-Protokolle,
-
der prognostischen Relevanz von Mikrometastasen und
-
ihrer therapeutischen Wertigkeit im Vergleich zur systematischen Lymphonodektomie
weiter zu untersuchen und zu standardisieren. Für den behandelnden Arzt im klinischen
Alltag werden künftige Leitlinien und aktuelle Studien genauer definieren müssen,
welche Patientengruppen von der SLN-Technik als geeignetes diagnostisches und therapeutisches
Verfahren profitieren könnten.
Für das Vulvakarzinom überprüft die prospektive GROINSS-V-II-Studie zum gegenwärtigen
Zeitpunkt, in welchem Tumorstadium eine adjuvante Strahlentherapie eine sichere und
wirksame therapeutische Alternative zur ILND darstellen könnte.
Für das Zervixkarzinom untersuchen die SENTIX- (NCT02494063) und SENTICOL-3-Studie
(NCT03386734) das prognostische Outcome nach alleiniger SLN-Biopsie im Vergleich zur
PLND. Erste Ergebnisse dieser prospektiven Studien werden frühestens in den Jahren
2020 und 2025 erwartet.
Im deutschen Sprachraum steht eine Überarbeitung der auslaufenden S2k-Leitlinie für
das Vulvakarzinom (gültig bis 31.10.2020) und der S3-Leitlinie für das Zervixkarzinom
(gültig bis 31.10.2019) bevor. Diese Aktualisierungen werden zu einer weiteren Standardisierung
des SLN-Verfahrens in der klinischen Anwendung beitragen.