Anatomie und Klinik
Der N. trigeminus entsteht mit 3 somatosensiblen und einem viszeromotorischen Kern
im Gebiet von Pons, Medulla oblongata, Medulla spinalis und Mesenzephalon. Die Nervenfasern
bilden zusammen im Bereich des Proc. mastoideus das Ganglion trigeminale (Ganglion
von Gasseri) ([Abb. 1]). Von dort teilt sich der N. trigeminus in 3 Hauptäste: N. ophthalmicus (V1), N. maxillaris (V2) und N. mandibularis (V3) [2]. Der N. trigeminus ist ein gemischt sensibler und motorischer Nerv. Sensibel versorgt er das Periost der Schädelgrube, die kraniale Dura mater, das gesamte Gesicht
sowie die Mund- und Nasenschleimhaut. Motorisch versorgt er die Kaumuskulatur [3].
Abb. 1 Verlauf der 3 Hauptäste des N. trigeminus. (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher
U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen
von M. Voll und K. Wesker. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)
Die TN ist ein chronisches Schmerzsyndrom, bei dem wiederholt Anfälle von Gesichtsschmerzen
im Dermatomgebiet des Trigeminusnervs auftreten [1]. Sie ist das am häufigsten vorkommende Schmerzsyndrom des Gesichts mit einer Inzidenz
von 4 – 13/100 000 Personen im Jahr [1], [4]. Frauen sind häufiger betroffen als Männer (1 : 1,5) [4].
Der Schmerz bei der TN wird als anfallsartig, stechend, brennend oder reißend charakterisiert [5]. Die Schmerzen treten meist einseitig und sporadisch auf und wiederholen sich häufig mehrmals am Tag
[6]. Allein eine Berührung der Haut, Zähneputzen, Rasieren, Essen oder Sprechen können
die Schmerzen auslösen [5], [7]. Die Schmerzattacken werden häufig durch Reize auf den 2. oder 3. Ast des N. trigeminus
verursacht. Sie strahlen in den Unterkiefer und/oder Oberkiefer und die Nebenhöhlen
aus. Seltener ist eine Schmerzausstrahlung in Stirn, Augen und Nase durch den 1. Ast
des N. trigeminus [7]. Während der Schmerzattacke können verschiedene vegetative Symptome auf derselben
Seite des Gesichts auftreten, u. a. Tränen des Auges, Miosis, Ptosis und vermehrtes
Schwitzen [6]. Die länger andauernden Schmerzen können zu einer starken Depression führen [8].
Die Diagnose einer TN wird i. d. R. klinisch gestellt und ist eine Ausschlussdiagnose
[9]. Sie basiert auf der internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen,
welche die TN in klassisch, sekundär oder idiopathisch einteilt [10].
Da es eine Vielzahl von Ursachen für eine Trigeminusneuralgie gibt, ist eine ärztliche Abklärung und ggf. Behandlung
unabdingbar [3]. Die Haupttheorie für die Pathophysiologie geht von einer Kompression der Nervenwurzel
an der Cisterna pontocerebellaris aus [1]. Diese kann entweder primär (ohne erkennbare Ursache) oder sekundär (durch Hirntumoren,
Aneurysmen, arteriovenöse Missbildungen, Zysten) bedingt sein [1]. Chronische Sinusitis, multiple Sklerose und Diabetes mellitus sind mit einem erhöhten
Risiko für eine TN verbunden [1].
Die Leitlinien empfehlen bei einer TN zuerst eine medikamentöse Therapie mit Carbamazepin und Oxcarbazepin [11]. Allerdings können als Nebenwirkungen Schwindel, Gangunsicherheit, Probleme beim
Lesen, ein Anstieg der Leberwerte, eine Knochenmarksdepression und Hyponatriämie auftreten
[11]. Falls die medikamentöse Therapie nicht anspricht oder die Nebenwirkungen zu stark
sind, wird eine Operation empfohlen [11]. In der Literatur finden sich keine Studien über die Wirksamkeit der Osteopathie
bei TN. Es ist aber bekannt, dass eine venöse Stauung auf Höhe des Sinus cavernosus
eine Irritation des N. ophthalmicus hervorrufen kann [3]. Es wird beschrieben, dass bei einer Sinusitis oder Abflussstörungen des Tränenkanals
der N. ophthalmicus osteopathisch behandelt werden sollte. Zudem werden zahlreiche
Indikationen für eine osteopathische Behandlung des N. trigeminus genannt [12].
Osteopathische Untersuchung
Bei der Inspektion des Gesichts findet man Schwellungen der Augenlider, Tränensacke
und/oder ein Gesichtsödem ([Abb. 2]). Zu beachten ist, dass insbesondere Herz-, Nieren- und Schilddrüsenerkrankungen
Lidschwellungen und Gesichtsödeme auslösen können [13]. Außerdem findet man bei einer stauungsbedingten TN relativ sicher Dysfunktionen
in den Strukturen des zervikothorakalen Diaphragmas, die häufig für eine Stauung im
Kranium ursächlich sind.
Abb. 2 Auffällig sind die Schwellung des rechten Tränensacks und der rechten Wange. (Quelle:
Kristina Meng)
Osteopathische Behandlung
Bei einer stauungsbedingten TN ist das osteopathische Behandlungsziel, den venolymphatischen
Abfluss des Schädels zu verbessern. Dies funktioniert erfolgreich mit den folgenden
4 Schritten.
Behandlung des Diaphragma cervicothoracale
Die Strukturen des Diaphragma cervicothoracale, die in Dysfunktion sind, werden behandelt.
Der Truncus jugularis ist ein paariges Lymphgefäß, der die Lymphe aus dem Kopf- und
Halsbereich in den Ductus thoracicus (links) und den Ductus lymphaticus dexter (rechts)
transportiert. Beide münden in die V. brachiocephalica sinistra bzw. dextra, die im
Bereich des zervikothorakalen Diaphragmas liegen. Dies ist meiner Meinung nach der
wichtigste Punkt bei der Behandlung einer stauungsbedingten TN, weil die Drainage
aus dem Kranium nur erfolgen kann, wenn die Strukturen des Diaphragma cervicothoracale
frei sind [14].
Die Patientin von [Abb. 2] hatte eine Dysfunktion der rechten Klavikula und der rechten 1. Rippe. Eine Möglichkeit,
Dysfunktionen des zervikothorakalen Diaphragmas zu behandeln, ist über Sutherland-Techniken.
Behandlung der Klavikula nach Sutherland
Bei dieser Technik werden die sternalen und akromialen Gelenkverbindungen gelöst.
Man steht direkt vor dem sitzenden Patienten und nimmt mit seinen Daumen inferior
an den beiden Enden der Klavikula knöchernen Kontakt auf ([Abb. 3]). Der Patient legt seine homolaterale Hand auf die Schulter des Osteopathen und
beugt sich etwas nach vorne, bis man akromioklavikulär ein Disengagement spürt. Als
nächstes soll der Patient die heterolaterale Schulter ein wenig nach posterior bringen,
bis man sternoklavikulär ein Disengagement spürt. Dann bringt man die Klavikula in
einen Point of Balanced Ligamentous Tension (PBLT). Gleichzeitig führt der Patient
eine Apnoe in Inspiration durch, wodurch die Korrektur stattfindet. Am Ende bringt
er seine Schulter langsam wieder zurück in die Normale, neigt sich langsam wieder
zurück und man bringt den Arm des Patienten wieder von der eigenen Schulter passiv
zurück zum Patienten [15].
Abb. 3 Behandlung der Klavikula nach Sutherland. Die Daumen nehmen knöchernen Kontakt an
den beiden Enden der Klavikula auf. (Quelle: Kristina Meng)
Behandlung der 1. Rippe nach Sutherland
Der Patient sitzt auf der Liege und legt seine homolaterale Hand auf seine heterolaterale
Schulter. Man steht hinter dem Patienten und nimmt mit dem rechten Daumen auf der
1. Rippe von dorsal (durch den M. trapezius hindurch) Kontakt auf. Den linken Daumen
legt man auf die linke Seite des Proc. spinosus von Th1 ([Abb. 4]). Die restlichen Finger liegen auf den Schultern des Patienten. Dieser dreht nun
den Kopf langsam nach links, bis man merkt, dass sich die rechte 1. Rippe nach anterior
bewegen möchte, und gleichzeitig begleitet man den Wirbel mit seinem linken Daumen
in die freie Richtung (Proc. spinosus dreht sich nach rechts). An dieser Stelle positioniert
man die 1. Rippe in PBLT. Dabei führt der Patient eine Apnoe in Inspiration durch,
wodurch die Rippe den Drang hat, sich in die korrektive Richtung zu bewegen. Am Ende
dreht der Patient den Kopf langsam wieder zurück in die Normale.
Abb. 4 Behandlung der 1. Rippe nach Sutherland. Der linke Daumen hakt von links an den Proc.
spinosus an und der rechte Daumen nimmt Kontakt mit der 1. Rippe unterhalb des M. trapezius
auf. (Quelle: Kristina Meng)
Behandlungstechnik zur Kuppelbildung des Diaphragma abdominale
Während der Inspiration heben sich die Rippen in einer Henkel- und Pumpbewegung. Somit
vergrößern sich der transversale und sagittale Durchmesser des Thorax. Gleichzeitig
senkt sich das Diaphragma bei Inspiration, und die Lungen, die an Rippen und Diaphragma
haften, werden mit Luft gefüllt. Dadurch entsteht thorakal ein Unterdruck, der dafür
verantwortlich ist, dass venöses Blut und Lymphflüssigkeit aus der kranialen und abdominalen
Region angesaugt werden. Bei normaler (Pump-)Funktion des Diaphragma abdominale werden
also permanent die Blut- und Lymphzirkulation stimuliert.
Der Patient befindet sich in Rückenlage, die Arme sind in Richtung Kopfteil der Liege
ausgestreckt, die Beine sind angewinkelt oder ausgestreckt (um noch mehr Spannung
auf das Diaphragma abdominale zu bringen). Man nimmt mit beiden Händen am Rippenbogen
Kontakt auf; die Daumen dringen langsam unter die Rippen nach posterior und kranial
([Abb. 5]). Der Patient atmet tief ein und aus. Während der Ausatmung zieht man die Rippen
stark mit in Exspirationsstellung nach kaudal-medial. Beim nächsten Einatmen hält
man die Rippen in Exspirationsposition, bei der nächsten Ausatmung begleitet man die
Rippen weiter in Exspirationsstellung. Am Ende der Ausatmung lässt man den Patienten
eine Apnoe durchführen. Dabei soll er seinen Bauch einziehen. Dadurch drückt seine
abdominale Masse das Centrum tendineum nach oben und dehnt das Diaphragma abdominale
noch mehr.
Abb. 5 Behandlungstechnik zur Kuppelbildung des Diaphragma abdominale. Der Thorax wird in
Exspirationsposition begleitet. (Quelle: Kristina Meng)
Jede andere Technik, die die Spannung des Diaphragma abdominale normalisiert, kann
auch durchgeführt werden.
Lymphpumpe (Recoil-Technik für den oberen Thoraxbereich)
Ziel dieser Technik ist es, den Lymphabfluss im oberen Thoraxbereich zu verbessern
[14]. Kontraindikationen sind ein nicht behandelter maligner Tumor, akute Entzündungen
mit Fieber, eine Thrombose, fortgeschrittene Osteoporose, Frakturen der Rippen oder
des Sternums, fortgeschrittene Herzerkrankungen oder ein Herzschrittmacher [14].
Der Patient befindet sich in Rückenlage, man steht am Kopfende und nimmt mit beiden
Händen übereinander Kontakt auf dem Sternum auf ([Abb. 6]). Der Patient atmet tief durch den Mund ein und aus. Man folgt der Ausatmung mit
seinen Händen am Sternum nach posterior-inferior. Bei der Einatmung gibt man einen
Widerstand gegen die Inspiration am Brustbein. Nach 1 – 3 Zyklen wird der Kontakt
am Sternum zu Beginn der Einatmung plötzlich gelöst. Der Patient atmet unerwartet
viel Luft ein und durch den Unterdruck im Thorax klingt es wie ein Japsen nach Luft.
Manchmal tritt auch Husten oder Pfeifen während dieser Technik auf.
Abb. 6 Lymphpumpe. Während der Exspiration begleitet man das Sternum nach posterior-inferior,
um es dann plötzlich loszulassen. (Quelle: Kristina Meng)
Vomer-Pumpe
Die Übertreibung der Flexion oder Extension der Synchondrosis sphenobasilaris über
den Vomer ist bei vielen Stauungsproblemen eine nützliche Technik [16]. Der Patient befindet sich in Rückenlage. Man steht seitlich am Kopf des Patienten.
Mit der kranialen Hand nimmt man mit Daumen und Mittelfinger (wenn möglich) Kontakt
an den Alae majores auf ([Abb. 7]). Der Zeigefinger der kaudalen Hand wird intraoral auf die Sutura cruciformis (Schnittpunkt
der Sutura palatina mediana und palatina transversa) gelegt.
Abb. 7 Vomer-Pumpe. Aus hygienischen Gründen muss ein Handschuh oder Fingerling verwendet
werden. (Quelle: Kristina Meng)
Übertreiben der Extension des Vomers
Während der Extensionsphase übt der Zeigefinger einen leichten Druck auf den posterioren
Teil der Sutura palatina mediana aus. Gleichzeitig werden die Alae majores mit Daumen
und Mittelfinger in Extensionsrichtung nach kranial geführt. Der Osteopath hält Vomer
und Os sphenoidale in Extension und der Patient wird aufgefordert, eine Apnoe in Exspiration
so lange wie möglich durchzuführen. Während der nächsten Inspiration verhindert er
die Flexion der Strukturen und beim Ausatmen begleitet er diese weiter in Extension.
Am Ende der Exspiration wird wieder eine Apnoe durchgeführt. Dieser Vorgang wird so
lange wiederholt, bis die Strukturen nicht weiter in Extension gehen.
Übertreiben der Flexion des Vomers
Während der Flexionsphase übt der Zeigefinger einen leichten Druck auf den anterioren
Teil der Sutura palatina mediana aus. Gleichzeitig werden die Alae majores in Flexionsrichtung
nach kaudal geführt. Man hält Vomer und Os sphenoidale in Flexion und fordert den
Patienten auf, eine Apnoe in Inspiration so lange wie möglich zu halten. Während der
nächsten Exspiration verhindert man die Extension der Strukturen und begleitet diese
beim Einatmen weiter in Flexion. Am Ende der Inspiration wird wieder eine Apnoe durchgeführt.
Dieser Vorgang wird so lange wiederholt, bis die Strukturen nicht weiter in Flexion
gehen.
Pumpbewegungen des Vomers gegen die physiologischen Bewegungen
Während der Flexionsphase bringen Daumen und Mittelfinger die Alae majores nach kaudal
(Flexionsbewegung des Sphenoids), während der Zeigefinger auf dem posterioren Teil
der Sutura palatina mediana einen Impuls (Extensionsbewegung des Vomers) gibt. Dann
dreht es sich um: Während der Extensionsphase bringen Daumen und Mittelfinger die
Alae majores nach kranial (Extensionsbewegung des Sphenoids), während der Zeigefinger
auf dem anterioren Teil der Sutura palatina mediana einen Impuls (Flexionsbewegung
des Vomers) gibt. Dies wird so lange kontinuierlich durchgeführt, bis eine Entspannung
am Gaumen wahrgenommen wird.
Schlusswort
Am Ende möchte ich darauf hinweisen, dass wir grundsätzlich die primäre(n) Dysfunktion(en)
behandeln, die wir bei der osteopathischen Untersuchung gefunden haben. Ich möchte
betonen, dass dieses Behandlungsprotokoll nur für eine stauungsbedingte Trigeminusneuralgie
gilt und bei genau dieser sehr gut funktioniert. Bei anderen Ursachen einer Trigeminusneuralgie
muss man ggf. andere Dysfunktionen behandeln.