Notaufnahme up2date 2020; 2(03): 198-199
DOI: 10.1055/a-1143-6102
Editorial

Covid-19 in der Notaufnahme – die Metaebene

Sylvia Schacher
,
Michael Bernhard
,
Frank Eifinger
,
Ingo Gräff
,
Thomas Henke
,
Christian Künstler
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Bernhard Kumle
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Dominik Michalski
,
Benjamin Ondruschka
,
Martin Pin

Zum Zeitpunkt, an dem Sie dieses Heft in Händen halten, ist der Beginn der Covid-19-Pandemie in Deutschland mehr als ein halbes Jahr her – seit Anfang Februar 2020 bestimmt Covid-19 zunehmend den Alltag und unser Leben in Deutschland. Eigentlich haben wir alle seither genug von Covid-19 gehört, in den Medien und Fachzeitschriften, in der Familie und am Arbeitsplatz. Jetzt also noch ein Editorial in Notaufnahme up2date zu Covid-19? Muss das wirklich sein?

Ja, denn Covid-19 war die Krankheit für die Notaufnahme und in der Notaufnahme im Jahr 2020!

Die Berichterstattung und die öffentliche Wahrnehmung wurde thematisch vom Hochfahren der Intensivbettenkapazitäten und der Schaffung weiterer Beatmungsplätze bestimmt. Aber: die meisten Patienten kamen nicht bereits beatmet, intubiert und mit klarer Diagnose in Begleitung des Notarztes im Krankenhaus an. Vielmehr war es die Herausforderung der vergangenen Monate

  • Patienten mit unterschiedlichster Symptomatik als möglichen Covid-19-Fall direkt in den Zentralen Notaufnahmen herauszufiltern und dabei nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige, Patienten zu isolieren,

  • die Wegeführung und Abläufe so zu organisieren, dass potenziell infektiös, sicher infektiös und nicht-infektiös getrennt werden,

  • zu entscheiden, wen kann man ambulant lassen, wer muss stationär bleiben, mit dem Wissen um eine rasche Verschlechterungsmöglichkeit, wenn Patienten erstmal symptomatisch sind.

Diese Herausforderungen galten es bundesweit sowohl in den Universitätskliniken der Großstädte als auch bei Grund- und Regelversorgern im ganzen Land zu bewältigen. Dies ist innerklinische Notfallmedizin in reinster Ausprägung, hier sind gute Prozessabläufe in der Notaufnahme gefordert – und mit großem Engagement von allen Beteiligten umgesetzt worden.

Covid-19, das war Abstrichkapazitäten und Maskenpflicht, das Zelt vorm Krankenhaus und knappe Schutzausrüstung, Krankenhauseinsatzleitung, kritische Infrastruktur (KRITIS) und Kontaktpersonenmanagement. Covid-19 war medial intensiv begleitetes Forschen, Lernen, Verstehen und Nachbessern – in rasantem Tempo und ohne die sonst üblichen Verzögerungen zwischen Forschungserkenntnis und praktischer Anwendung.

So kam es zu einem unglaublich raschen und umfassenden Wissenstransfer, der auch durch die Open Access-Zugänge vieler Fachverlage ermöglicht wurde. Den Fachverlagen sei an dieser Stelle dafür herzlich gedankt. Es gab Webinare der Fachgesellschaften, die die verschiedenen Behandlungsalgorithmen, Isolations- und Beatmungsstrategien niederschwellig allen zugänglich machten. Die Möglichkeiten der Lungensonografie bei Covid-19 sind rasch erkannt und dank guten Bildmaterials und Tutorials insbesondere online vielen Anwendern vermittelt worden. Es ist eine Premiere, dass eine solche Menge an Wissen so schnell so vielen Anwendern zur Verfügung stand.

Durch Covid-19 wurde uns auch etwas anderes geschenkt: neben neuen fachlichen Erkenntnissen insbesondere die Erfahrung, wie wir in Zukunft bei transsektoralen Großschadensereignissen Abläufe strukturieren. Es war wie eine bundesweite Großübung für Rettungsdienst und Krankenhäuser – ein „Slow-MANI“ – ein „Massenanfall von Infizierten“ in Zeitlupe. Quasi ein Marathon und kein Sprint. Vieles, was zuvor bei Arbeitskreisen der Krankenhausalarm- und Einsatzplanung noch kontrovers diskutiert wurde, war nun Realität:

  • Wie schaffen wir es keine Besucher ins Krankenhaus zu lassen?

  • Welche Eingänge ins Krankenhaus lassen wir offen?

  • Wie schaffen wir verschiedene Behandlungsbereiche?

  • Wie schaffen wir das Runterfahren von Elektivprogramm und Umstellen auf Notfallbetrieb umzusetzen?

  • Wie gehen wir mit Neugeborenen infizierter Mütter um?

Wir haben es geschafft in der Pandemie all dieses umzusetzen – und es hat funktioniert. Weil wir hier in Deutschland – anders als Italien, Frankreich und Spanien – den Luxus von einigen Tagen Vorlauf hatten. Und wenn das nächste Mal der Massenanfall von Verletzten (MANV) oder der MANI ins Haus steht ist die Losung: „Wir machen’s wie bei Corona“ – und dank dieses Wissens und dieser Vorkenntnisse, also der erworbenen Erfahrung im Realeinsatz, wird es dann auch ohne mehrere Tage Vorlauf gelingen.

Darüber hinaus traf die Pandemie zu einem günstigen Zeitpunkt auf die Notaufnahmen: Dank des Beschlusses des Gemeinsamen Bundeausschusses (G-BA) von 2018 zur gestuften Notfallversorgung in Krankenhäusern gibt es viel mehr „professionelle“ Notaufnahmen. Deren eigenständige ärztliche und pflegerische Leitungen konnten so eine Herausforderung besser bewältigen als die Notfall-Ambulanzen alter Prägung. Die Erkennung und die differenzierte Behandlung respiratorischer Insuffizienzen, die ein Kernelement bei Covid-19 darstellte, ist mittlerweile auch eine Kompetenz der Notaufnahme und nicht mehr allein Sache der Intensivstationen und der Anästhesie. Zudem gibt es immer mehr Pflegepersonal mit der Fachweiterbildung „Notfallpflege“.

Des Weiteren haben die Terrorereignisse der letzten Jahre dazu geführt, dass sich Krankenhäuser intensiver mit Notfallszenarien aller Art auseinandersetzten und sich zumindest mental besser auf Ereignisse außerhalb des Regelbetriebs vorbereiteten. Daneben haben die heutigen Möglichkeiten des Internets und der IT die Lage erleichtert: Das Fachpersonal hatte zunehmend Zugriff auf Informationen wie nie zuvor und die Patienten konnten in gewissem Umfang dank WhatsApp, Skype und Facetime trotz Besuchsverbot noch Kontakt zu ihren Angehörigen halten. Es ist sicher nicht zu gewagt zu behaupten, dass Covid-19 vor 8 oder 10 Jahren anders abgelaufen wäre als im Jahre 2020.

Die Covid-19-Pandemie hat Notaufnahmen weltweit einer Belastungsprobe unterzogen. In Deutschland haben Notaufnahmen trotz zeitweise holpriger Materialversorgung diese Herausforderung bisher gut bewältigt und viel für die Zukunft gelernt.

Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter in der Notaufnahme darf stolz auf sich sein – und hat dafür mehr als Applaus verdient. Die Notaufnahmen sind das Tor zum Krankenhaus und der dort durchgeführten stationären sowie ambulanten Versorgung. Je besser die Notaufnahmen aufgestellt sind, desto sicherer sind Patienten, Mitarbeiter und Bevölkerung. Diese Erkenntnis sollte auf allen Ebenen, auch und gerade in der Politik, ankommen und berücksichtigt werden. Denn: „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie“.

Ihre
Sylvia Schacher | Michael Bernhard l Frank Eifinger l Ingo Gräff l Thomas Henke l Christian Künstler l Bernhard Kumle l Dominik Michalski l Benjamin Ondruschka l Martin Pin



Publication History

Article published online:
16 July 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York