Nervenheilkunde 2020; 39(09): 582-585
DOI: 10.1055/a-1162-5435
Gesellschaftsnachrichten
Kopfschmerz News der DMKG
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erenumab wirksam bei chronischem posttraumatischem Kopfschmerz?

Further Information

Publication History

Publication Date:
24 August 2020 (online)

 

*** Ashina H, Iljazi A, Muhsen H et al. Efficacy, tolerability, and safety of erenumab for the preventive treatment of persistent post-traumatic headache attributed to mild traumatic brain injury: an open-label study. J Headache Pain 2020; 21: 62

Diese offene Studie mit Erenumab 140 mg zeigt einen kleinen Effekt, der aber in placebokontrollierten Studien bestätigt werden müsste.

Zusammenfassung

Diese Studie aus der Arbeitsgruppe in Kopenhagen widmet sich einem interessanten Thema, nämlich ob die CGRP-(Rezeptor)-Antikörper auch bei anderen Kopfschmerzen als bei der Migräne wirksam sind. Dazu wurde der posttraumatische Kopfschmerz gewählt, für den diese Arbeitsgruppe eine eigene Datenbank hat. Es handelt sich hier um eine nicht verblindete, nicht placebokontrollierte Studie über 3 Monate. Es wurden 100 Patienten mit einem chronischen posttraumatischen Kopfschmerz eingeschlossen. Diese Patienten erhielten offen über 3 Monate Erenumab 140 mg pro Monat. Auf Grundlage eines Tagebuchs wurden die Kopfschmerztage mit mittlerer und starker Intensität ermittelt, außerdem wurden Nebenwirkungen registriert. Der primäre Endpunkt war die Reduzierung dieser Kopfschmerztage im dritten Monat gegenüber der Baseline. Insgesamt konnten 89 Patienten ausgewertet werden. Von einem Ausgangswert von 15,7 mittelschweren bis schweren Kopfschmerztagen pro Monat reduzierte sich die Zahl dieser Kopfschmerztage im dritten Monat um 2,8. Erenumab wurde gut vertragen, nur 2 Patienten schieden wegen Nebenwirkungen aus. 30 Patienten berichteten über Obstipation als Nebenwirkung. Die Autoren schließen aus den Ergebnissen, dass Erenumab beim chronischen posttraumatischen Kopfschmerz wirksam sein kann und gut vertragen wird. Sie sehen die Notwendigkeit für eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie.


#

Kommentar

Grundsätzlich ist es von großem Interesse, ob die Antikörper auch bei anderen Kopfschmerzen als bei Migräne wirksam sind. Es ist jedoch fraglich, ob der posttraumatische Kopfschmerz dafür ein gutes Modell ist. Zwar sind die ICHD-3 Kriterien für diesen Kopfschmerz gut operationalisierbar, es ist aber fraglich, ob daraus ein einheitliches Kopfschmerzsyndrom resultiert. So muss die Familiengeschichte, die eigene Vorgeschichte und die individuelle Semiologie der Kopfschmerzen berücksichtigt werden. Es waren zwar in dieser Studie Patienten mit einer Migräne in der Vorgeschichte ausgeschlossen, es wäre aber interessant gewesen, ob die Patienten mit einer Migräne in der mit Familiengeschichte (n = 30) eine andere Response zeigten als die Patienten ohne eine solche Familiengeschichte. Die Patienten zeigten auch unterschiedliche Semiologie, daher wäre eine Analyse der Patienten, die migräneartige posttraumatische Kopfschmerzen hatten, gegenüber den 20 Patienten mit einem Spannungskopfschmerz als posttraumatischen Kopfschmerz interessant gewesen. Bemerkenswert ist auch, dass 11 % der Patienten eine Aura angaben, also eher eine Migräneveranlagung zeigten. Schließlich muss auch das Ergebnis einer Reduzierung um 2,8 Kopfschmerztage im dritten Monat kritisch hinterfragt werden, da dies ziemlich genau der Placeborate in den doppelblinden Studien zu den Antikörpern bei der Migräne entspricht. Üblicherweise zeigen offene Studien eher eine höhere Wirksamkeit als doppelblinde Studien, sodass eine echte Wirksamkeit von Erenumab mit dieser Studie nicht sicher angenommen werden kann. Es bleibt abzuwarten, ob eine der Firmen, die die CGRP-Antikörper entwickeln, zu einer solchen Studie bereit ist.

Stefan Evers, Coppenbrügge


#

Die Cluster Headache Scales – Ein spezifischer Fragebogen für die Erfassung psychosozialer Faktoren bei Clusterkopfschmerz

**** Klan T, Bräscher A-K, Vales A, Liesering-Latta E, Witthöft M, Gaul C. Determination of psychosocial factors in cluster headache – construction and psychometric properties of the Cluster Headache Scales (CHS) Cephalalgia 2020; doi: 10.1177/0333102420928076

Hintergrund

Patienten mit Clusterkopfschmerz weisen eine hohe psychosoziale Beeinträchtigung auf. Leider mangelt es an Fragebögen, die diese spezifisch erfassen. Deshalb haben die Autoren einen entsprechenden Fragebogen entwickelt, der dies leisten soll.


#

Zusammenfassung

Der Clusterkopfschmerz hat bestimmte Charakteristika, die ihn deutlich von den anderen Kopfschmerzarten unterscheiden. Gebräuchliche Fragebögen, wie beispielsweise der Headache Impact Test (HIT-6) oder das Migraine Disability Assessment (MIDAS), die psychosoziale Faktoren erfassen, lassen sich nicht direkt übertragen. So neigen Patienten mit Clusterkopfschmerz während ihrer Attacken beispielsweise eher zu Agitiertheit und Ruhelosigkeit, während Migränepatienten in der Regel ein Rückzugs- und Ruhebedürfnis haben. Patienten mit Clusterkopfschmerz haben oft mehrere Attacken am Tag, eine Frage nach der Anzahl an Kopfschmerztagen im Monat ist nicht sinnvoll. Die 2 verfügbaren Clusterkopfschmerzfragebögen (Cluster Headache Severity Scale (CHSS), Cluster Headache Quality of life scale (CHQ)) erfassen entweder nur die Schwere der Attacken oder nur einen sehr umgrenzten Bereich an Beeinträchtigung.

Die Autoren haben in einem aufwändigen Prozess über intensive Literaturrecherchen sowie über die Befragung von Kopfschmerzexperten, Patienten und Vertretern der Clusterkopfschmerzselbsthilfegruppen eine umfassende Fragenliste erstellt (darunter 95 Fragen zu psychosozialen Beeinträchtigungen), welche dann in einem nachfolgenden Schritt von einer Stichprobe von 342 Clusterkopfschmerzpatienten online ausgefüllt wurde. Die Patienten waren zu 63 % männlich, im Durchschnitt 48 Jahre alt, jeweils die Hälfte hatte episodischen bzw. chronischen Clusterkopfschmerz. Die Diagnose basierte auf der Selbstauskunft der Teilnehmer, diese gaben jedoch an, dass die Diagnose in ca. 80 % von einem Neurologen oder Schmerzspezialisten gestellt wurde. Was in den Angaben fehlt, sind die Kopfschmerzcharakteristika (z. B. Anzahl der Attacken, episodischer Clusterkopfschmerz aktiv vs. inaktiv) bzw. die Rohwerte der anderen Fragebögen.

Die Anzahl an Fragen wurden aufgrund bestimmter Itemstatistiken reduziert, d. h. redundante Fragen, nicht gut differenzierende Fragen, nicht von allen beantwortete Fragen, etc. wurden herausgenommen. Die verbleibenden 36 Fragen wurden einer Faktorenanalyse unterzogen, welche insgesamt 8 inhaltlich gut interpretierbare Faktoren (d. h. Skalen) der psychosozialen Beeinträchtigung ergab. Dies waren: medizinische Versorgung (Bezeichnung im englischen Artikel: medical care), medikamentöse Nebenwirkungen (medication side effects), Attackenangst (fear of attacks), Beeinträchtigung (disability), (Auto-)Aggression ((auto)aggression), Coping (coping), körperliche Aktivität (physical activity) und finanzielle Belastung (financial burden). Weitergehende Analysen und Korrelationen mit etablierten Instrumenten weisen auf eine gute Reliabilität und Validität der einzelnen Skalen hin. So korrelierten alle Skalen mit dem Inventar zur Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen (IBK) und den Depressions-Angst-Stress-Skalen (DASS). Der Fragebogen zum Kopfschmerzmanagement und zur Selbstwirksamkeit zeigt die höchste Korrelation mit der Skala „Coping“. Darüber fanden sich Korrelationen der Skala „Beeinträchtigung“ mit der Dauer sowie der mittleren Anzahl der Attacken. Was darüber hinaus für die Validität spricht, ist das Ergebnis, dass Patienten mit chronischem Clusterkopfschmerz in fast allen Skalen höhere Werte aufweisen als Patienten mit episodischem Clusterkopfschmerz (zu finden im Supplement). Die Durchführungsdauer liegt meist unter 25 Minuten; anhand der Rohwerte lassen sich Prozentränge in Bezug auf die hier untersuchte Stichprobe angeben.


#

Kommentar

Hier sei bzgl. Interessenkonflikte meinerseits anzumerken, dass ich mit 3 der Autoren gemeinsame Artikel publiziert habe; allerdings habe ich bei dem hier besprochenen Artikel keinerlei Anteil gehabt.

Mit den entwickelten Cluster Headache Scales (CHS) konnten Klan und Kollegen einen wichtigen Beitrag leisten, die spezifischen psychosozialen Beeinträchtigungen von Clusterkopfschmerzpatienten mit einem Instrument umfassend zu erfassen. Die Notwendigkeit war gegeben, ein solcher Fragebogen wurde von der wissenschaftlichen Gemeinschaft seit langem gefordert. Die Autoren haben sich in einem methodisch anspruchsvollen Unterfangen diesem Problem endlich angenommen. Es werden mit den CHS deutlich mehr Bereiche abgedeckt als mit den bisherigen Fragebögen, wobei die Autoren auch darlegen, dass sich Schlafqualität nicht als Faktor identifizieren ließ. Das mag an den in die Analyse eingegangenen Fragen liegen, die Autoren schlagen für die weitergehende Diagnostik die Verwendung eines Schlafqualitätsfragebogens vor.

Der Einwand könnte aufkommen, dass die Stichprobenerhebung über eine Onlinebefragung über eine Selbsthilfegruppe die Repräsentativität der Ergebnisse einschränkt. Eine höhere psychosoziale Beeinträchtigung in dieser Gruppe von Patienten im Vergleich zu anderen Clusterkopfschmerzpatienten ist nicht unwahrscheinlich. Dennoch ist der Zugang über eine Onlineerhebung ziemlich elegant. So konnten alle Daten innerhalb von nur 2 Monaten erhoben werden, was sich anderweitig kaum realisieren lässt. In der Studie wurde die moderne Informationstechnologie also äußerst sinnvoll eingesetzt und nicht nur zum Selbstzweck.

Die CHS müssen sich natürlich noch in weiteren wissenschaftlichen und klinischen Forschungsstudien bewähren, ebenso in der therapeutischen Anwendung. Durch die umfassende Beschreibung sind verschiedene Möglichkeiten gegeben. Die Ausprägung einzelner Skalen kann beispielsweise genutzt werden, individuelle Beeinträchtigungsmuster darzustellen und daraus entsprechende therapeutische Schritte abzuleiten. Therapieerfolge lassen sich in Zukunft hoffentlich nicht nur über die Kopfschmerzaktivität, sondern auch über die Veränderung in den psychosozialen Beeinträchtigungen beurteilen. Dazu muss allerdings noch eine Analyse der Änderungssensitivität erfolgen.

Thomas Dresler, Tübingen


#
#

Ein Vergleich von Patienten mit Migräne, die gut bzw. unzureichend auf Triptane ansprechen

*** Lombard L, Farrar M, Ye W, et al. A global real-world assessment of the impact on health-related quality of life and work productivity of migraine in patients with insufficient versus good response to triptan medication. Journal of Headache and Pain 2020; doi: 10.1186/s10194-020-01110-9

Patienten mit schlechterem Ansprechen auf Triptane sind schwerer betroffen, haben häufiger eingeschränkte Lebensqualität und reduzierte Arbeitsproduktivität.

Hintergrund

Ein Großteil der Patienten mit Migräne zeigt neben schweren Kopfschmerzen eine starke Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten. Triptane als Medikament für die Behandlung eines akuten Migräneanfalls sind bei einem Teil der Patienten nicht wirksam, mit Nebenwirkungen verbunden oder sogar kontraindiziert. In der vorliegenden Studie sollte untersucht werden, inwiefern sich ein unzureichendes Ansprechen auf Triptane auf die Lebensqualität und Arbeitsproduktivität auswirkt.


#

Zusammenfassung

Die Autoren griffen auf Daten aus dem Adelphi Migraine Disease Specific Programme zurück, einem Querschnittsurvey von Hausärzten, Neurologen und Kopfschmerzspezialisten und deren Patienten mit Migräne aus sechs Ländern (USA, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Vereinigtes Königreich). 1413 Migränepatienten bildeten die Stichprobe, wobei 71 % den Hausarzt konsultierten; alle nahmen (abgesehen von frei verkäuflicher Medikation) nur Triptane als Akutmedikation ein. Knapp zwei Drittel sprachen gut auf Triptane an (schmerzfrei innerhalb von 2 Stunden in wenigstens 4 von 5 Attacken), ein Drittel eher schlecht (hier maximal 3 von 5 Attacken).

Was unterschied diese Gruppen im Vergleich voneinander? Die schlecht ansprechenden Patienten waren zu einem größeren Prozentsatz weiblich, waren ca. 2 Jahre älter und wiesen mit 7 gegenüber 4,4 Kopfschmerztagen im Monat knapp 2,5 mehr auf als Patienten, die gut auf die Triptane ansprachen. Außerdem hatten die schlecht ansprechenden Patienten die Diagnose einer Migräne über ein Jahr länger. Bezüglich komorbider Symptome hatten diejenigen, die schlecht ansprachen, höhere Angst-, Stress-, Schlafstörungs- und Depressionswerte. Schlecht ansprechende Patienten hatten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit bereits mehr als ein Triptan verschrieben bekommen. Schlecht ansprechende Patienten nahmen zu einem höheren Anteil eine medikamentöse Prophylaxe, v. a. Metropolol, Topiramat und Propanolol. Die monoklonalen Antikörper waren zur Zeit des Surveys noch nicht auf dem Markt. Patienten, die schlecht ansprachen, nahmen auch mehr freiverkäufliche Schmerzmittel ein. Auch berichteten sie über verschiedene Skalen hinweg eine geringere Lebensqualität und höhere Beeinträchtigung sowie geringere Arbeitsproduktivität (z. B. Absentismus, Presentismus, Arbeitsbeeinträchtigung).

In einer logistischen Regression ermittelten die Autoren abschließend alle Faktoren, die unabhängig und signifikant mit einem schlechteren Ansprechen auf Triptane zusammenhingen: das gegenwärtige Einnehmen von freiverkäuflichen Schmerzmitteln, Einnahme mit Beginn des Schmerzes im Vergleich zu ersten Anzeichen einer Attacke (Prodromalphase), höhere Anzahl an Kopfschmerztagen und höhere Schmerzintensität pro Monat im letzten Vierteljahr, sowie eine geringere gesundheitsbezogene Lebensqualität.


#

Kommentar

Zunächst sollte bzgl. möglicher Interessenkonflikte erwähnt werden, dass alle Autoren Mitarbeiter bzw. Anteilseigner bei Eli Lilly bzw. Adelphi Real World sind bzw. waren. Hervorzuheben ist, dass die Studie eine große Stichprobe an Migränepatienten umfasst, welche somit einerseits repräsentativer für die allgemeine Migränepopulation zu sein scheint (real world data) als beispielsweise Stichproben in randomisiert-kontrollierten Studien. Andererseits könnte die Repräsentativität jedoch auch eingeschränkt sein, da die Patienten aktiv Behandlung suchten und die im Rahmen des Surveys befragten Ärzte erfahren im Umgang mit Kopfschmerzpatienten waren. Zu beachten ist auch ein Selektionsbias, dadurch dass nur Patienten mit aktueller Triptaneinnahme eingeschlossen wurden. Ein Teil der Patienten mit schlechtem Ansprechen auf Triptane hört vermutlich mit der Einnahme auf und kommen in der Stichprobe gar nicht erst vor. Auch Patienten, die auf frei verkäufliche Schmerzmittel gut ansprechen und deswegen kein Triptan einnehmen, erscheinen nicht.

Auch wenn einige der Ergebnisse eher trivial erscheinen mögen (z. B. schlechteres Ansprechen assoziiert mit mehr Kopfschmerztagen, mehr Depressivität), ist es wichtig, solche Ergebnisse zu bestätigen und zu berichten. Auch weisen die Autoren darauf hin, dass im Rahmen einer Querschnittsuntersuchung kausale Aussagen (d. h. schlechteres Ansprechen, deshalb mehr Depressivität bzw. umgekehrt) nicht möglich sind. Für die Praxis ist jedoch relevant, dass diese Zusammenhänge bestehen, unabhängig von ihrer zugrunde liegenden Einflussrichtung. Wenn ein Patient über wiederholt schlechtes Ansprechen klagt, sollte auch nach Depressivität, Lebensqualität, usw. gefragt werden. Hier könnten kurze Fragebögen eingesetzt werden, um ein umfassenderes Bild zu erhalten. Fragen Sie immer auch, wie viel freiverkäufliche Schmerzmittel zusätzlich eingenommen werden. Dass Patienten bei schlechtem Ansprechen auf Selbstmedikation ausweichen, scheint plausibel; hier sollte immer auch an die Gefahr eines Kopfschmerzes durch Medikamentenübergebrauch gedacht werden. Ein erstaunlich hoher Anteil (zwei Drittel) der Patienten in der vorliegenden Studie gab an, Triptane bereits bei den ersten Anzeichen einer Attacke (in der Prodromalphase) einzunehmen und nicht erst wenn die Schmerzen beginnen; und dies war bei Patienten mit gutem Ansprechen auf ein Triptan häufiger der Fall. Es ist bekannt, dass Triptane besser wirken, wenn sie frühzeitig eingenommen werden, aber zumindest in Deutschland ist die übliche Empfehlung, auch weil Prodromalsymptome oft unspezifisch sind, Medikamente erst zu Beginn der Schmerzphase einzunehmen. Leider wird in der Arbeit nicht beschrieben, wie die entsprechende Frage dazu tatsächlich gestellt wurde. Sicher ist es sinnvoll, Patienten darauf hinzuweisen, ihre Schmerzmedikation rechtzeitig in der Attacke einzunehmen, wobei allerdings auch auf die Gefahr einer zu häufigen Einnahme mit Entwicklung eines Medikamentenübergebrauchs geachtet werden muss.

Thomas Dresler, Tübingen


#
#

Behandlung des Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch – Medikamentenpause, Prophylaxe oder beides?

**** Carlsen LN, Munksgaard SB, Nielsen M, Engelstoft IMS, Westergaard ML, Bendtsen L, Jensen RH. Comparison of 3 Treatment Strategies for Medication Overuse Headache: A Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol 2020: e201179; doi: 10.1001/jamaneurol.2020.1179

Zusammenfassung

Die dänischen Autoren untersuchten erneut die Behandlungsstrategien beim Kopfschmerz durch Medikamentenübergerbrauch (Medication Overuse Headache; MOH). In einer offenen, randomisierten Studie wurden 1:1:1 die a) Medikamentenpause mit direktem Beginn einer medikamentösen Prophylaxe mit b) der Beginn einer Prophylaxe ohne Medikamentenpause und c) eine Medikamentenpause mit optionalem Begin einer Prophylaxe nach 2 Monaten mit einander verglichen. Die dänischen Leitlinien und das Studienprotokoll sehen eine komplette Medikamentenpause für die Dauer von 2 Monaten vor. Die Medikamentenpause erfolgte ambulant. Patienten, die Opioide einnahmen, weitere schwere Schmerzerkrankungen, erhebliche somatische Komorbidität oder relevante psychische Komorbiditäten (psychiatrische Behandlung und/oder Einnahme von Antidepressiva) aufwiesen oder bei denen eine Sprachbarriere bestand, waren ausgeschlossen. 120 Patienten konnten in die Studie eingeschlossen werden, 102 schlossen die 6 Monate dauernde Beobachtung ab. Das mittlere Alter der Studienteilnehmer betrug 43,9 Jahre, 79,4 % waren Frauen. Die Studienteilnehmer führten ein Kopfschmerztagebuch, Studienvisiten erfolgten telefonisch nach einem und nach 4 Monaten. Erlaubte Medikation in der Medikamentenpause waren Levomepromazin, Promethazin, Metoclopramid und Domperidon. Zur Prophylaxe wurden Standardprophylaxen (Metoprolol, Candesartan, Amitriptylin, Topiramat, Lisinopril, Mirtazapin) eingesetzt, zum Zeitpunkt der Studiendurchführung waren monoklonale Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor noch nicht verfügbar. Die Kopfschmerztage reduzierten sich (nach 6 Monaten) um –12,3 Tage bei Medikamentenpause und direktem Prophylaxebeginn a), um –9,9 Tage bei alleinigem Beginn einer Prophylaxe b) und um –8,5 Tage bei Medikamentenpause und optionaler Prophylaxe nach 2 Monaten c). Auch hinsichtlich der Rückkehr in einen episodischen Verlauf der Erkrankung (< 15 Kopfschmerztage) zeigte sich die gleiche Rangfolge in der Effektivität, dies gelang 74,2 % a), 60 % b) und 41,7 % c) der Patienten. Der Bedarf an Bedarfsmedikation war in der Gruppe mit alleiniger Medikamentenpause erheblich höher als in den beiden anderen Behandlungsarmen. Alle Behandlungsstrategien waren also wirksam, die Unterschiede erreichten keine statistische Signifikanz, bei numerisch klarer Rangfolge. Die Diagnosekriterien eines MOH waren nicht mehr erfüllt bei 96,8 % a), 74,3 % b) und 88,9 % c) der Patienten. Keine Unterschiede fanden sich in den Parametern Kopfschmerzintensität, Reduktion monatlicher Migränetage und Einsatz kurzzeitiger Medikation. Die Autoren schlussfolgern, dass die effektivste Strategie die Kombination aus Medikamentenpause und unmittelbarem Beginn einer Prophylaxe ist.


#

Kommentar

Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem MOH, die Studie ist gut gemacht und verdient hochrangig publiziert. Das Ergebnis der Studie überrascht erfahrene Kliniker nicht, die dem Konzept, eine Medikamentenpause durchzuführen und dann erst zeitverzögert eine Prophylaxe einzusetzen, wie es aus Kopenhagen propagiert wurde, etwas skeptisch gegenüberstanden. Auch das scheinbar einfache Konzept eine Prophylaxe zu beginnen und dann würde sich das Thema MOH bei vielen Patienten erledigen, ohne dass eine Medikamentenpause durchgeführt werden müsse, hat sich im Alltag nicht durchgesetzt, obgleich die Effektivität für einen Teil der Patienten für Topiramat, Botulinumtoxin und monoklonale Antikörper belegt ist. Wäre die Anzahl der Studienteilnehmer größer gewesen, wäre höchstwahrscheinlich bezüglich aller Endpunkte auch eine statistische Signifikanz erreicht worden. Die Autoren achteten bei der Patientenrekrutierung darauf, motivierte Patienten einzuschließen, die keine schwere Komorbidität aufwiesen, eine Klientel also, bei der eine erfolgreiche ambulante Behandlung möglich ist. Der alleinige Ansatz einer Medikamentenpause wird für diese Gruppe in der Diskussion von den Autoren nicht empfohlen, darauf dass bei alleiniger Medikamentenpause noch größerer Wert auf Edukation und Begleitung gelegt werden muss, wird hingewiesen. Stationär betreute Patienten dürften sowohl eine relevante psychische als auch somatische Komorbidität aufweisen, es ist anzunehmen, dass sich die Ergebnisse auf diese Patientengruppe ebenfalls übertragen lassen und auch bei ihnen eine Prophylaxe direkt während der Medikamentenpause begonnen werden sollte. In Deutschland sind wohl eher trizyklische Antidepressiva (Doxepin, Amitriptylin) als Bedarfsmedikation verbreitet als niederpotente Neuroleptika, einen Unterschied im Ergebnis der Studie dürfte auch mit dieser Medikation nicht zu erwarten sein.

Charly Gaul, Königstein


#

INFORMATION

*****

Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

****

Gute experimentelle oder klinische Studie

***

Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

**

Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

*

Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


#
#
#