Hands on - Manuelle und Physikalische Therapien in der Tiermedizin 2020; 2(03): 52
DOI: 10.1055/a-1197-8768
Die letzte Seite
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Qual der Wahl

Further Information

Publication History

Publication Date:
30 September 2020 (online)

Zoom Image
Große Auswahl = große Unzufriedenheit? Mit der Auswahl wächst oft die Unzufriedenheit. Sich dieses Dilemmas bewusst zu sein hilft bei so mancher Wahl und dem eigenen Vertrauen in seine Entscheidungen. Quelle: Thieme Gruppe

Ein kleiner Stadtbummel, die Sonne lacht und dann ein eigentlich ganz einfacher Gedanke: Jetzt eine kleine Pause machen, sich irgendwo hinsetzen und einen Kaffee trinken. Aber einfach ist daran oft nichts mehr, denn da ist sie – die Qual der Wahl. Milchkaffee mit normaler Milch, Soja- oder doch lieber Hafermilch? Fettarm oder nicht? Oder doch lieber nur einen Tee? Aromatisiert? Großer oder kleiner Becher?

Ob in einem Lokal, bei Mobilfunkverträge, Joghurt-Sorten oder Therapiemöglichkeiten in der Medizin: Wer meint, dass große Auswahl immer anzustreben sei, da diese mit maximaler individueller Freiheit gleichzusetzen ist, der hat die Rechnung ohne das Gehirn gemacht.

Das Dilemma der vielen Möglichkeiten

„Paradox of choice“ nennt sich das Dilemma, wenn (zu) viele Auswahlmöglichkeiten bestehen. Statt eine Auswahl als positiven Ausdruck von Freiheit zu betrachten, kann diese Freiheit zur Paralyse und Unzufriedenheit führen. Schließlich ist da immer die Sorge, dass man doch nicht „das Richtige“ gewählt hat und im Nachhinein seine Wahl vielleicht bereuen könnte, weil man die Optionen nicht ausreichend verglichen hat.

Manchmal ist die Frustration dann so groß, dass überhaupt keine Wahl mehr getroffen wird.

Je mehr Optionen vorhanden sind, desto mehr steigt dazu der Anspruch an die Perfektion. Denn wenn man seine Erwartungen erstmal haushoch geschraubt hat, ist es sehr unwahrscheinlich, dass man noch angenehme Überraschungen erlebt. Ganz im Gegenteil: Sollte auch nur die kleinste Unstimmigkeit auftreten, erwischt man sich schnell bei dem Gedanken, dass eine andere Wahl besser gewesen wäre.

Entscheiden ist anstrengend

Entscheiden ist einfach anstrengend. Dazu kommt, dass man bei einer großen Auswahl selbst für seine Wahl verantwortlich ist. Ist die Auswahl klein oder besteht gar keine Wahlmöglichkeit, trägt man selbst keine „Schuld“ mehr an der Situation.

Vor diesem Dilemma stehen auch wir als Therapeuten jeden Tag. Ebenso aber auch die Patientenbesitzer, denn sie möchten für ihr geliebtes Tier ja die richtige Wahl treffen. Die Beliebtheit von Internet-Foren ist darum nachvollziehbar, aber meist der direkte Weg zu noch mehr Verunsicherung.

Jede Entscheidung kostet. Da die Anzahl von zukünftigen Möglichkeiten, wie den potentiellen Verläufen einer Therapie, allerdings unendlich ist, ist ein ebenso endloses abwägen der „opportunity costs“ jedoch auch der direkte Weg zur Unzufriedenheit.

Niemand kann an zwei Orten gleichzeitig sein. Und eine „Was-wäre-wenn?“-Maschine besitzt nur Futurama Professor Farnsworth. Der wird allerdings erst im Jahre 2841 geboren werden.

Es bringt also nichts, Handlungen und Entscheidungen ständig in Frage zu stellen. Sinnvoll ist es, sich selbst und die Patientenbesitzer an die Hand zu nehmen, sicherzustellen, dass Entscheidungen und die daraus entstehenden Konsequenzen bewusst getroffen worden sind, und diesen Entscheidungen dann auch zu vertrauen.

Dr. Doris Börner