Z Orthop Unfall 2021; 159(01): 25-31
DOI: 10.1055/a-1208-0182
Review/Übersicht

Coronavirus-Pandemie – SARS-CoV-2 in Orthopädie und Unfallchirurgie

Article in several languages: English | deutsch
Michael Müller
1   Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie Charité – Universitätsmedizin Berlin
,
Ulrich Stöckle
1   Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie Charité – Universitätsmedizin Berlin
,
Andrej Trampuz
1   Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie Charité – Universitätsmedizin Berlin
,
Stephan Felix
2   Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie/Infektiologie und Intensivmedizin, Universitätsmedizin Greifswald
,
3   Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Universitätsmedizin Greifswald
,
Georgi Wassilew
4   Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Universitätsmedizin Greifswald
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Das Coronavirus hat sich seit dem ersten Auftreten in China weltweit verbreitet und stellt eine Pandemie von bisher nicht gekanntem Ausmaß dar. Die Pandemie hat nicht nur gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen, sondern erst recht eindrückliche Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. Bei einer unkontrollierten und raschen Ausbreitung des Virus besteht die Gefahr eines unvorhersehbaren Anstiegs von Patienten mit einer behandlungsbedürftigen COVID-19-Erkrankung. Die Kapazitäten eines Krankenhauses können dadurch rasch an das Limit kommen und Patienten nicht mehr adäquat behandelt werden. Deshalb ist es in der akuten Phase der Pandemie notwendig, jegliche Ressourcen eines Krankenhauses für die Behandlung von COVID-19-Patienten freizugeben. Ebenfalls müssen strenge Hygienevorschriften eingehalten werden, um gerade im Krankenhaus eine unvorhergesehene Virusverbreitung zu verhindern, um damit Patienten und Krankenhauspersonal zu schützen. Elektivoperationen und Ambulanzsprechstunden müssen in der akuten Phase abgesagt werden. Für dringliche und nicht verschiebbare Operationen sind spezielle Hygienemaßnahmen einzuhalten. Diese beziehen sich auf die Aufnahme der Patienten, die Unterbringung auf Station und die operative Versorgung im OP. In der postakuten Phase kann schrittweise ein normales OP-Programm wieder aufgenommen werden. In dieser Phase sind aber auch klare Hygienevorschriften einzuhalten. Regelmäßige Besprechungen unter Berücksichtigung der aktuellen Pandemielage und des Auftretens von Neuinfektionen sind im Krankenhaus vorzunehmen und entsprechend die Auslastung von Station und OP anzupassen. Inwieweit sich die Lage für die Behandlung von Patienten in Orthopädie und Unfallchirurgie wieder normalisieren wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vorhersagen.


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Einführung

Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 hat sich als globale Pandemie mit beeindruckender Dynamik und bedrohlichem Ausmaß mit nachhaltigen Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und das Gesundheitssystem ausgebreitet. Die Infektionszahlen steigen weiter und damit auch die Wahrscheinlichkeit, in Fachbereichen wie der Orthopädie und Unfallchirurgie mit Patienten, die SARS-CoV-2-Träger oder an diesem erkrankt sind, konfrontiert zu werden.

Die Verbreitung des Virus erfolgt überwiegend über Tröpfchen und Aerosole aus dem Respirationstrakt, wobei kleine Aerosolpartikel für mehrere Stunden in der Luft schweben können, aber auch über direkten Personenkontakt oder über Kontaktflächen [1], [2], [3], [4]. Damit ist das behandelnde Krankenhauspersonal bei der Aufnahme, in der Ambulanz, auf der Station und im OP hochgradig gefährdet, sich bei Trägern anzustecken und damit selbst zu erkranken oder zumindest das Virus unbewusst weiterzuverbreiten [5]. Epidemiologische Aufarbeitungen aus China bestätigen ein äußerst hohes Infektionsrisiko für Krankenhausmitarbeiter mit Mortalitätsraten bis über 3% [6], [7], [8]. Der nationale italienische Berufsverband von Ärzten und Zahnärzten berichtet, dass bis zum 17.4.2020 bereits über 131 ärztliche Kollegen an COVID-19 in Italien verstorben sind (FNOMCeO.it). Es ist darauf hinzuweisen, dass ein hohes Infektionsrisiko nicht nur von symptomatischen COVID-19-Patienten ausgeht, sondern auch von asymptomatischen SARS-CoV-2-positiven Trägern. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Viruslast in Nasen- und Rachenabstrichen von asymptomatischen Patienten ähnlich der von symptomatischen Patienten ist, was gerade darauf hinweist, dass infizierte Personen ohne Symptome das Virus mit derselben Infektiosität übertragen können [1]. Daher ist ein strenges hygienisches Vorgehen bei der Behandlung von Patienten während einer SARS-CoV-2-Pandemie notwendig.


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Vorgehen in der akuten Pandemie

In einer akuten pandemischen Lage ist es notwendig, Kontakt- und Übertragungsmöglichkeiten zu reduzieren, um das Risiko der unkontrollierten Ausbreitung und die Ansteckung von Personal und anderen Patienten auf ein Minimum zu reduzieren. Deshalb ist es in dieser Phase der akuten Ausbreitung zwingend erforderlich, in einem Krankenhaus alle nicht dringlich notwendigen elektiven Operationen zu verschieben, die einen relevanten Anteil vor allem in der Orthopädie ausmachen (https://dgou.de/news/covid-19-spezial). Somit werden wichtige Ressourcen, insbesondere gebundenes Personal, die für die mögliche Versorgung von COVID-19-Erkrankten dringend gebraucht werden, frei. Ebenfalls wird dadurch das reguläre Patientenaufkommen reduziert und damit auch das Risiko der unkontrollierten Ausbreitung von SARS-CoV-2 im Krankenhaus. Die freiwerdenden Stations- und Bettenkapazitäten sind für die räumliche Trennung in Bereiche für an COVID-19 erkrankte bzw. für SARS-CoV-2-positiv getestete Patienten, für abzuklärende Patienten und in Normalbereiche für nicht Infizierte notwendig. Auch in Sprechstunden in Ambulanzen sollte die Vorstellung von Patienten nur auf die dringlich notwendigen Indikationen und Nachuntersuchungen reduziert werden oder im Falle einer hoch akuten Phase u. U. sogar aufgehoben werden.

Selbstverständlich gibt es in der Orthopädie und Unfallchirurgie OP-Indikationen, die keine Verschiebung zulassen und eine akute oder zeitnahe Versorgung erfordern. Hierzu zählen vor allem dislozierte und instabile Frakturen, lebensbedrohliche Verletzungen/Traumata, Tumorerkrankungen, Verletzungen oder Erkrankungen mit einhergehender Immobilität oder mit einer neurologischen Komponente sowie Infektionen von Gelenken, Implantaten und Weichteilen [9].

Tragen von Mund-Nasen-Schutz

Nachweislich wird durch den Mund-Nasen-Schutz (MNS) die Freisetzung von Tröpfchen durch abgehustete oder ausgeatmete kontaminierte Luft reduziert und die Ausbreitungsdistanz reduziert [10]. Deshalb empfiehlt die CDC (Center for Disease Control and Prevention) in ihrer neuen Richtlinie das Tragen von MNS vor allem in Bereichen mit erhöhtem Übertragungsrisiko (https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/prevent-getting-sick/prevention.html).

Prinzipiell ist in der gegenwärtigen pandemischen Situation jeder Patient bei Aufnahme in das Krankenhaus als potenzieller Träger des SARS-CoV-2-Virus anzusehen und sollte bei der Aufnahme in das Krankenhaus einen MNS erhalten. Ein MNS ist auch vom gesamten Personal im Krankenhaus zu tragen [10]. Gleiches gilt bei unerlässlicher ambulanter Versorgung.


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Händehygiene

Zusätzlich zu den Händedesinfektionsmittelspendern in jedem Patientenzimmer sind am Eingang zum Krankenhaus (gilt auch für Ambulanzen) und ebenso vor der Station Händedesinfektionsmittelspender bereitzustellen. Alle alkoholbasierten Händedesinfektionsmittel mit der Deklarierung „begrenzt viruzid“ sind gegen Coronaviren wirksam [3].


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Aufnahmescreening, klinische Bewertung und sich daraus ergebender Ablauf

Um eine Infektion des Klinikpersonals zu verhindern und eine unkontrollierte Virusausbreitung im Krankenhaus zu vermeiden, ist bei allen Patienten ein bestimmtes Aufnahmeprozedere strikt einzuhalten. Dabei ist zu empfehlen, dass jeder Patient, der stationär aufgenommen wird, auch abgestrichen wird [11]. Die Aufnahme sollte – sofern sich keine anamnestischen oder klinischen Hinweise auf COVID-19 ergeben (s. u.) – entsprechend auf einer separierten Abklärungsstation erfolgen (sog. unsicherer Bereich). Erst nach dem Testergebnis ist, wenn vertretbar, die OP durchzuführen und eine Verlegung auf eine Normalstation oder bei Bedarf eine SARS-COV-2-/COVID-19-Station vorzunehmen ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Flowchart zur Organisation und Aufnahme von Patienten in eine orthopädische/unfallchirurgische Abteilung/Klinik.

Ein Abstrich sollte nach Möglichkeit auch dann erfolgen, wenn eine akute OP-Indikation besteht und der Patient direkt aus der Rettungsstelle in den OP verlegt werden muss. Das behandelnde Personal ist auf eine vertretbar kleine Anzahl zu reduzieren, genauso wie die Dauer und die Häufigkeit der Personal-Patienten-Kontakte. Die Operation sollte, wenn es die Dringlichkeit zulässt, erst dann durchgeführt werden, wenn das Ergebnis des Abstrichs vorliegt. Es ist darauf hinzuweisen, dass ein nicht positiver Abstrich eine Infektion mit SARS-CoV-2 nicht sicher ausschließt, da eine Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen angenommen wird [12]. Daher kann der Patient auch nach OP und nach negativem Aufnahmetest im weiteren stationären Verlauf noch positiv auf SARS-CoV-2 getestet werden und Symptome zeigen. Die Sensitivität und Spezifität der aktuellen Tests sind aufgrund der eingeschränkten Studien gegenwärtig noch nicht abschließend mit Sicherheit zu bestimmen. Erste Ergebnisse weisen jedoch auf eine Sensitivität, je nach Testsystem, von ca. 75 – 95% hin [12], [13].

Neben dem Test ist stets auf klinische Symptome einer Infektion zu achten. Dabei sind Fieber in 82 – 87%, Husten in 36,5 – 44% und Anosmie 19 – 59,4% die häufigsten Symptome, in jeweils etwa 10% Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Halsentzündung, Rhinorrhö, Schwäche, Müdigkeit, aber auch gastrointestinale Beschwerden [14], [15]. In dem ersten systematischen Review fanden sich keine Unterschiede im Vorkommen dieser Symptome zwischen Erkrankten mit schweren oder milden bzw. moderaten Verläufen [16]. Lediglich Dyspnoe kam häufiger in schweren Fällen vor [15], [16], [17]. Nach dem Schweregrad werden folgende Verläufe unterschieden:


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Klassifikation COVID-19 nach WHO [18]

Milde Fälle

Die klinischen Symptome sind mild und es können in der Bildgebung keine Lungenentzündungsmanifestationen gefunden werden.


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Moderate Fälle

Patienten mit klinischen Anzeichen einer Lungenentzündung (Fieber, Husten, Dyspnoe, schnelles Atmen), aber keine Anzeichen einer schweren Lungenentzündung, einschl. SpO2 ≥ 90% bei Raumluft, Lungenentzündungsmanifestationen können in der Bildgebung gesehen werden.


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Schwere Fälle

Erwachsene mit klinischen Anzeichen einer Lungenentzündung (Fieber, Husten, Atemnot, schnelles Atmen) plus eines der folgenden Kriterien:

  • Atemfrequenz > 30 Atemzüge/min

  • Sauerstoffsättigung < 90% im Ruhezustand

  • arterieller Partialdruck von Sauerstoff (PaO2)/Sauerstoffkonzentration (FiO2) < 300 mmHg

  • Patienten mit > 50% Läsionsprogression innerhalb von 24 – 48 h in der Lungenbildgebung sollten als schwere Fälle behandelt werden.


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Kritische Fälle

Erfüllung eines der folgenden Kriterien:

  • Auftreten eines Atemversagens (ARDS), das mechanische oder extrakorporale Beatmung erfordert

  • Vorhandensein eines Schocks

  • anderes Organversagen

Neben den Symptomen sind auch die Risikoanamnese, wie Aufenthalt in Risikogebieten oder -orten, Kontakt zu positiven Personen, Tätigkeit in der medizinischen Betreuung oder in Pflegeheimen zu berücksichtigen. Bei klinischen Auffälligkeiten kann zusätzlich zum Nasen-Rachen-Abstrich auch die Durchführung einer Low-Dose-CT des Thorax sinnvoll sein [19].

Im Ergebnis ist die Unterbringung der Patienten im Normalbereich oder im Isolierbereich für COVID-19 zu veranlassen ([Abb. 1]).


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Persönliche Schutzausrüstung (PSA)

Bei nicht verschiebbaren OPs sollte jeder Patient als SARS-CoV-2-positiv angesehen werden und das Tragen der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) ist zu empfehlen. Das gilt genauso bei bereits anamnestischem oder klinischem Verdacht einer COVID-19-Infektion. Die persönliche Schutzausrüstung besteht im OP aus Isolierkittel (high performance), Handschuhen, Brille/Gesichtsschutz und partikelfiltrierende Halbmaske (bei Verdacht FFP2, bei Erkrankung FFP3).

Die PSA ist unerlässlich und effizient, um sich vor einer Infektion zu schützen. Wichtig ist, darauf zu achten, dass das An- und Auskleiden korrekt durchgeführt wird. Beim Ebola-Ausbruch ist es offenkundig geworden, wie wichtig das korrekte An- und Ausziehen der PSA ist, um eine Infektion – vor allem beim Ablegen der PSA – zu verhindern [20]. Es empfiehlt sich, entsprechend den Erfahrungen aus der Ebola-Epidemie, dass die Mitarbeiter/-innen vom Hygieneteam zum An- und Ablegen der PSA trainiert werden [21].


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Vorgehen im OP

Wie bereits erwähnt, wird das SARS-CoV-2-Virus überwiegend über Aerosole und Kontaktflächen übertragen. Somit besteht im OP eine Infektionsgefahr für alle im OP befindlichen Personen. Das Virus befindet sich im Rachen und in den Lungen sowie in der Mukosa. Es gibt aber auch Hinweise, dass bei einigen Patienten mit SARS-CoV-2 eine Virämie vorliegen kann, wodurch das Risiko einer Übertragung des Virus auch über das Blut nicht auszuschließen ist [22], [23]. Da bei größeren Operationen in der Orthopädie und Unfallchirurgie nicht nur Blut, Knochenanteile oder andere Gewebereste verspritzt werden können, sondern durch z. B. Hammerschläge auch Blutstäube entstehen, die sich ähnlich wie ein Aerosol verhalten, ist insgesamt von einer erhöhten Infektionsgefahr für das gesamte OP-Team auszugehen. Dementsprechend sollten auch im OP relevante Vorkehrungen zum Schutz des Personals vorgenommen werden. Die Rolle der Dämpfe eines Elektrokauters sind noch nicht geklärt. Daher ist entweder darauf zu verzichten oder eine zusätzliche Rauchabsaugung zu verwenden. Es ist zu empfehlen, dass ein OP ausschließlich für SARS-CoV-2-Patienten vorgehalten wird und nur diese Patienten darin operiert werden sollten. Insgesamt gibt es hierfür aber noch keine klare Evidenz. Darauf zu achten ist, dass Patienten in geschlossenen Systemen beatmet werden, um dadurch eine Aerosolfreisetzung zu vermeiden.

Chirurgische Operationen bei verdächtigen oder bestätigten SARS-CoV-2-positiven Patienten

Anforderungen an Operationssäle und PSA des Personals, raumlufttechnische Anlagen (RLTA)

Für die nachfolgenden Überlegungen gibt es keine Evidenz. Im Ergebnis der Risikobewertung lassen sich jedoch folgende Schlussfolgerungen ableiten:

  • Operationssäle mit Laminar Air Flow (LAF; Raumklasse Ia) haben einen erheblich größeren Lüftungsvolumenstrom als OPs mit Mischlüftung (Raumklasse Ib), wodurch die Aerosolverdünnung im OP-Bereich mit LAF-Belüftung erheblich schneller erfolgt. In OP-Räumen mit LAF ist zudem durch die gerichtete statt nur vermischende Lüftungsform im OP-Gebiet ein zusätzlicher Schutz für das OP-Team und den Patienten gewährleistet. Sofern die Abluft aus dem OP-Raum direkt via Abluftgerät ins Freie strömt, ist der OP uneingeschränkt nutzbar. In der OP-Umgebung würden die üblichen PSA ausreichen. Werden jedoch mittels Überströmtechnik die benachbarten Räume mit der „Abluft“ des OPs belüftet, kann eine Kontamination dieser Räume nicht ausgeschlossen werden. Da nicht bekannt ist, wie lange das Coronavirus in der Raumluft persistiert, ist das Risiko unkalkulierbar, sodass in derartigen OPs keine COVID-19-Patienten operiert werden sollten.

    Falls sich die RLTA auf Unterdruck umschalten lässt, ist gewährleistet, dass keine Viren aus dem OP durch Überströmen in benachbarte Räume gelangen können. Dementsprechend ist ein OP mit Unterdruck zu bevorzugen. Bei geöffneten Türen wird der Unterdruck sofort unterbrochen und es kommt während der Türöffnung zu einem Luftaustausch mit der Umgebung. Daher sind während der gesamten OP-Zeit die Türen geschlossen zu halten.

  • Operationssäle der Raumklasse Ib (ohne LAF) sind aufgrund der turbulenten Mischströmung und des deutlich geringeren Lüftungsvolumens mit der Folge der Durchwirbelung entstehender Aerosole mit einem höheren Kontaminationsrisiko für das OP-Team verbunden. Es sollten daher in diesen OP-Sälen FFP3-Masken getragen werden. Ein möglicherweise sicherer Schutz des OP-Teams wäre durch das Verwenden von Überdruck-Body-exhaust-Suits erreichbar [24], [25].

  • Operationssäle bzw. Eingriffsräume der Raumklasse II mit RLTA haben ebenfalls geringe Lüftungsvolumenströme und häufig keine Sterilfilter. Diese sollten daher nicht für Operationen mit COVID-19-Patienten in Betracht kommen.

  • Operationssäle ohne RLTA kommen ebenfalls nicht infrage, da keine Verdünnung freiwerdender Aerosole erfolgt und nach Türöffnung am Schluss der OP die höchste Aerosolkonzentration austritt.


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Sterilgutversorgung, Zutrittsbeschränkungen, Anforderungen an den OP

  • Die Vorbereitung aller erforderlichen OP-Siebe/-Tische erfolgt außerhalb des OP-Saals im Sterilbereich.

  • Die OP-Pflege im Pufferraum (Sterilflur) ist für die Lieferung von OP-Material verantwortlich.

  • Nicht relevantes Personal ist vom Betreten des OP-Saals ausgeschlossen.

  • Während des Betriebs müssen der Pufferraum und der OP-Saal dicht geschlossen sein.

  • Die anästhesiologische Einleitung einschließlich In- und Extubation sind separiert, außerhalb des OP-Saals im Ein- bzw. Ausleitungssaal vorzunehmen. Dabei sollte nur die Anästhesiepflege und Anästhesist/-in anwesend sein. Für diese gelten ebenfalls besondere Regeln bei der In- und Extubation von SARS-CoV-2-positiven Patienten [26].

  • Am OP-Ende ist der OP-Saal bei der Flächendesinfektion mit einem begrenzt viruzid wirksamen Desinfektionsmittel zu desinfizieren; geeignet sind Sauerstoffabspalter, z. B. Descogen liquid.


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Schutzkleidung

  • Das gesamte OP-Personal soll die PSA vor dem Betreten im Pufferraum anlegen. Das inkludiert Doppel-OP-Hauben, medizinische Schutzmaske (FFP2, besser FFP3) mit darüber liegendem Standard-OP-MNS, Schutzbrille oder Mundschutz mit Schutzschild, Stiefel, unsterile medizinische Einmalhandschuhe.

  • Die Chirurgen und die OP-Pflege legen über die PSA den sterilen OP-Kittel (high performance) und sterile Handschuhe an.

  • Patienten sollen eine OP-Haube und einen MNS tragen.


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Operationsindikationen von an COVID-19 erkrankten Patienten

Operationsindikationen von an COVID-19 erkrankten Patienten sind äußerst zurückhaltend zu stellen und nur unter Rücksprache mit internistischen und anästhesiologischen Kollegen vorzunehmen. In der Regel sollten nur Operationen durchgeführt werden, die dem Lebenserhalt dienen oder der Sicherung einer stabilen und schmerzfreien Lagerung oder Mobilisation des Patienten, wobei nur die stets minimalinvasivste und zeitsparendste OP-Technik verwendet werden sollte.


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Isolation von COVID-19-Patienten oder Verdachtsfällen auf Station

COVID-19-Patienten einschl. Verdachtsfälle sind auf einer gesonderten, streng abgetrennten Station unter Beachtung der Isoliertechniken zu behandeln. Diese beinhalten die folgenden Kriterien:

  • Die Isolation erfolgt in einem Isolationszimmer mit Vorzimmer zum An- und Auskleiden.

  • Jeder Patient bekommt eine Atemschutzmaske (einfach), Aufklärung über Schutzmaßnahmen, selbstständige Händedesinfektionen sind vorzunehmen.

  • Die Anzahl der Kontakte zwischen Patienten und Arzt/Pflegekräften ist auf ein Minimum zu reduzieren.

  • Besuche des Patienten sind nicht zugelassen.

  • Der Patient kommuniziert ausschließlich über Handy/Tablet/Notebook/Telefon mit Freunden oder Angehörigen.

  • Pflegepersonal und Ärzte, die SARS-CoV-2-positive Patienten behandeln, sind – sofern möglich – nur noch für diese einzuplanen. Wöchentlich sind alle in die Versorgung einbezogenen Mitarbeiter/-innen auf SARS-CoV-2 zu screenen.

  • Mehrere SARS-CoV-2-positive Patienten können in ein Zimmer zusammengelegt werden.


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Notwendige Maßnahmen im stationären Bereich

Im stationären Bereich sollten die SARS-CoV-2-positiven Patienten, die an Symptomen leiden, adäquat überwacht und bei Bedarf mit der Gabe von Sauerstoff unterstützt werden:

  • regelmäßiges Temperaturmonitoring

  • bedarfsgerechte Durchführung des Monitorings von Sauerstoffsättigung unter Verwendung eines Pulsoximeters

  • Sauerstoffgabe bei Bedarf, wenn ein Sättigungsabfall PO2 < 94% bei Raumluft vorliegt

Bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes, insbesondere bei Auftreten von Somnolenz, Delir, Dyspnoe oder Sättigungsabfall, sollten zusätzlich die Atemfrequenz, der Blutdruck und der Puls überwacht werden:

  • Atemfrequenzmessungen

  • Messung von Blutdruck und Puls


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Zusätzliche Laboruntersuchungen und erweiterte Bildgebungen

Regelmäßig sollten Laborkontrollen durchgeführt werden und bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes eine Computertomografie:

  • Verlaufsparameter: Blutbild, C-reaktives Protein, D-Dimer, Procalcitonin, Interleukin 6 (IL6), Angiotensin III (ATIII)

  • erweitert: Nierenparameter/Leberenzyme

  • CT-Bildgebung bei sichtlicher Verschlechterung


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Notwendigkeit einer Verlegung auf die Intensivstation

Bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes des Patienten ist eine umgehende Verlegung auf die ITS vorzunehmen [27]. Die folgenden Kriterien sind dabei ausschlaggebend:

  • Atemfrequenz > 30 Atemzüge/min

  • Sauerstoffsättigung < 93% im Ruhezustand (ohne O2-Gabe)

  • arterieller Partialdruck von Sauerstoff (PaO2)/Sauerstoffkonzentration (FiO2) < 300 mmHg

  • Patienten mit > 50% Läsionsprogression innerhalb von 24 – 48 h in der Lungenbildgebung sollten als schwere Fälle behandelt werden.


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Ausblick

Die aktuellen Maßnahmen des gesellschaftlichen Lockdowns einschließlich der maximalen Fokussierung des Gesundheitssystems auf die Pandemie haben das Ziel, die Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus zu reduzieren und eine unkontrollierte Zuwachsrate zu vermeiden. Nur so kann die Rate der behandlungsnotwendigen COVID-19-Patienten im Krankenhaus an die vorhandenen Ressourcen des Gesundheitssystems angepasst werden. Das ist von unbestrittener Notwendigkeit und diese Maßnahmen zeigen aktuell den gewünschten Erfolg. Klar ist, dass damit nicht das Virus als solches bekämpft, sondern nur dessen rasche Ausbreitung verhindert wird. Bei Lockerungen der Maßnahmen können jederzeit unbemerkte und unkontrollierte Infektionen auftreten mit den gleichen gefährlichen Folgen. Erst wenn mehr als 66% der Bevölkerung immun sind (sog. Herdenimmunität) oder ein Impfstoff entwickelt ist, besteht voraussichtlich kein Risiko mehr für eine unkontrollierte Ausbreitung. Die Herdenimmunität beruht auf der Beobachtung, dass Infizierte das Virus durchschnittlich auf 2 bis 3 weitere Menschen übertragen. Sind aber mehr als 2 der 3 Menschen in der Umgebung immun, gerät das Virus in die Sackgasse. Allerdings ist ein langfristiger Lockdown des Gesundheitssystems aufgrund anderer therapiebedürftiger Patienten, deren Behandlung in so einer Krise aufgeschoben wird, nicht auf Dauer möglich. So lassen sich operativ zu versorgende degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen nicht unendlich lang hinauszuzögern. Immobilisation, chronische Schmerzprobleme, erhebliche körperliche Einschränkungen sind die Folge eines langandauernden Therapieverzugs mit der Gefahr der Entstehung weiterer gesundheitlicher Probleme wie Gelenkversteifungen, Muskelatrophien, Fehlstellungen oder Auswirkungen auf andere Gelenke oder Organe einschließlich der Gefahr von Depressionen. Hier bedarf es daher einer Lösung. Aus unserer Sicht sollte unter Berücksichtigung der aktuellen Infektionszahlen und der epidemiologischen Entwicklung in absehbarer Zeit der reguläre OP-Ablauf schrittweise wieder aufgenommen werden, natürlich unter Berücksichtigung der aktuellen Pandemielage, der freien Ressourcen des Krankenhauses und der zur Verfügung stehenden Personal-, Betten- und ITS-Kapazitäten. Dazu sollten sich die verantwortlichen Fachdisziplinen täglich und wöchentlich zusammenfinden und die zu planenden Saal- und OP-Kapazitäten in Abhängigkeit von der Gesamtsituation besprechen. Jeder elektiv zu operierende Patient sollte bis auf Weiteres bei der Aufnahme abgestrichen werden. Vor Krankenhausaufnahme ist jedem Elektivpatienten, unter Berücksichtigung einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen, eine 14-tägige Selbstisolation zu empfehlen. Erst nach Abstrich und Vorliegen des Testergebnisses wird die OP durchgeführt und eine Verlegung auf eine Normalstation oder bei Bedarf auf eine COVID-19-Station vorgenommen.

Gleiches gilt für das Personal, das im Normalbereich alle 14 Tage abzustreichen ist, solange nicht der Antikörpernachweis eine höchst wahrscheinliche Immunität bestätigt [28]. Das Tragen eines MNS für alle im Krankenhaus befindlichen Personen ist weiterhin solange sinnvoll, bis die Herdenimmunität erreicht ist. Gleiches gilt für die Reduktion der Personal-Patienten-Kontakte. Es erscheint sinnvoll, Mitarbeiter-/innen monatlich auf Antikörper zu testen, um nach Vorliegen ausreichend immuner Mitarbeiter/-innen diese im Normalbereich ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen einsetzen zu können. Zunächst ist vor allem die operative Versorgung von Patienten vorzunehmen, für die eine postoperative ITS-Überwachung weitestgehend unwahrscheinlich ist. Die maximale Anzahl der aufgenommenen Patienten sollte anfänglich deutlich unter der maximalen Bettenkapazität der Klinik liegen, um zum einen wichtige Hygienebedingungen besser zu gewährleisten und zum anderen, um jederzeit rasch auf ein potenzielles Wiederauftreten einer Viruskrise reagieren zu können. Gleiches gilt natürlich für die maximale postoperative Liegedauer von Patienten, die ebenfalls im überschaubaren Rahmen liegen sollte.


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Zusammenfassung/Fazit

In der akuten Pandemie mit rasch steigenden Infektionszahlen durch SARS-CoV-2 ist es notwendig, die OP-Kapazität dem aktuellen Pandemiestatus anzupassen und nicht dringliche OPs zu verschieben. Die Freistellung und die maximale Schonung von relevanten Ressourcen im Krankenhaus sind wesentliche Ziele in einer akuten Phase. Es gibt natürlich Patienten mit akut oder zeitnah durchzuführenden Operationsindikationen. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus, bei der stationären Betreuung und im OP-Saal sind strenge Hygienevorschriften einzuhalten, um das Personal und andere Patienten vor einer Infektion zu schützen und gleichzeitig einer unkontrollierten Ausbreitung im Krankenhaus vorzubeugen. Hierzu zählen das Abstreichen der aufzunehmenden Patienten, das Tragen eines MNS von Patienten und Personal, die Verwendung der PSA bei Verdachts- und positiv getesteten Fällen. Zur Gewährleistung der entsprechenden Hygiene sollte das Krankenhaus in Bereiche für SARS-CoV-2-positive und -negative Patienten sowie in einen Bereich der Abklärung getrennt werden. Nach Möglichkeit sind OPs erst dann durchzuführen, wenn das Ergebnis des Abstrichs vorliegt, andernfalls ist jeder Patient zunächst als potenziell SARS-CoV-2-positiv anzusehen. OP-Saal und -Team bedürfen einer speziellen Ausstattung, wenn SARS-CoV-2-Patienten operiert werden müssen, da sowohl durch In- und Extubation als auch während der OP ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko besteht.


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

The authors declare that they have no conflict of interest./Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Correspondence/Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Michael Müller
Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Charitéplatz 1
10117 Berlin
Germany   
Phone: 0 30/4 50-65-24 55   
Fax: 0 30/4 50-51-59 11   

Publication History

Article published online:
05 November 2020

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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Fig. 1 Flowchart of organisation and admission of patients to an orthopaedic/trauma surgery department or clinic.
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Abb. 1 Flowchart zur Organisation und Aufnahme von Patienten in eine orthopädische/unfallchirurgische Abteilung/Klinik.