Der Klinikarzt 2020; 49(10): 402-403
DOI: 10.1055/a-1260-9954
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MORTUI VIVOS DOCENT Von den Toten lernen … für die Lebenden!

Klaus Püschel
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Publication Date:
13 October 2020 (online)

Im Stadtstaat Hamburg wurde der Untersuchung von Todesfällen infolge einer SARS-CoV-2-Infektion seit Beginn der Pandemie besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sämtliche Todesfälle der Hansestadt konnten im Zusammenhang mit speziellen Voraussetzungen im Leichenschausystem sowie bei der Durchführung von Sektionen im Hinblick auf die Pathogenese von COVID-19-Sterbefällen analysiert werden. Das Infektionsschutzgesetz (speziell § 25 (4) worin die Durchführung von Sektionen geregelt ist), wurde konsequent umgesetzt. Bisher wurden durch das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf 235 Corona-Tote registriert (Stand 31.08.2020). – Die zeitliche Analyse ergibt, dass es seit etwa Ende Mai in Hamburg überhaupt nur noch einzelne Todesfälle gab, die kausal auf eine COVID-19-Infektion zurückzuführen sind. Gemäß unserer eigenen Analysen gibt es aktuell in Deutschland insgesamt eine vergleichsweise geringe Mortalität bei Infizierten (unterhalb 0,5 %).

Über die Ursache der vergleichsweise viel höheren Mortalität zu Beginn der Pandemie gibt es inzwischen zahlreiche Auswertungen der Pathologen, Rechtsmediziner und Kliniker. Hervorzuheben sind hier nochmals die bekannten Risikogruppen der multimorbiden bzw. schwerkranken Personen, insbesondere im Hinblick auf vorbestehende fortgeschrittene Herzkreislauferkrankungen und Lungenerkrankungen, der aktuell Krebskranken und diesbezüglich therapierten Patienten sowie der erheblich immungeschwächten und häufig bereits auch hochbetagten Menschen. Die Pathologen haben kürzlich in einer deutschlandweiten Studie festgestellt (betreffend die Auswertung von 154 Sektionsfällen), dass in der Vergangenheit insbesondere hochaltrige Personen (im Lebensalter zwischen 70 und 90 Jahren) mit fortgeschrittenen inneren Erkrankungen tödliche Verläufe der SARS-CoV-2-Infektion hatten. Es wurde errechnet, dass die Toten etwa 10 Jahre ihrer Lebenserwartung eingebüßt haben. Pathologen und Rechtsmediziner betonen gleichermaßen, dass die bisher durchgeführten Sektionen und weiterführenden Untersuchungen bei den COVID-19-Sterbefällen viele für das Verständnis des Krankheitsgeschehens bei SARS-CoV-2-Infektionen wichtige Faktoren aufgezeigt haben. Dies betrifft z. B. den für den tödlichen Ausgang entscheidenden klinischen Verlauf im Bereich der Atemwege und der Lunge (todesursächlich ist fast immer eine Pneumonie). Weiterhin das gehäufte Auftreten von Thrombosen (auch Mikrothrombosen!) und Embolien. Die diverse Organotropie des Virus wurde aufgezeigt, z. B. mit weiterer Ausbreitung des Virus im Bereich der Niere. Dies ist therapeutisch bedeutsam und für die Prognose relevant. Insgesamt ist das Verständnis der Pathogenese dieser speziellen neuartigen Virusinfektion stark angewachsen. Diverse qualitätssichernde Maßnahmen und Leitlinien im Hinblick auf die Therapie sind von den Erfahrungen bei den Sektionen ausgegangen. Im Hinblick auf Infektionsschutz, Prävention, Diagnostik und Therapie (betreffend z. B. angepasste Schutzmaßnahmen für Hochrisikogruppen in klinischer Therapie sowie Bewohner von Altenpflegeeinrichtungen) besteht weitgehende Handlungssicherheit.

Insgesamt ist das Gesundheitssystem jetzt bezüglich therapeutischer Standards (speziell auch im Bereich Intensivmedizin) deutlich besser aufgestellt als zu Beginn der Pandemie. Einer sorgfältigen weiteren Analyse (unbedingt an größeren Fallkollektiven) bedürfen die Beobachtungen von chronischen Verläufen und möglichen Spätfolgen dieser Viruserkrankung. Deren Mitteilung führt immer wieder zu Beunruhigung und Angst in der Bevölkerung. Auch hier zeigt sich meines Erachtens eine Tendenz, die zahlreichen ganz überwiegend positiven Verläufe mit vollständiger Ausheilung der Infektion bzw. überhaupt ohne relevante Krankheitserscheinungen ablaufende Infektionen außer Acht zu lassen und stattdessen Einzelbeobachtungen von schwerwiegenden Krankheitserscheinungen hervorzuheben.

Im Zusammenhang mit Todesfällen wurden derartige unerwartete Spätfolgen bisher von uns nicht beobachtet. Allerdings liegen auch nur vereinzelt Sektionsergebnisse von Personen vor, die ehemals eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben. Diesbezüglich sind weitere Analysen in den kommenden Monaten und Jahren abzuwarten.

Die Bundesregierung hat (über das Bundesforschungsministerium) Forschungsmittel zur Verfügung gestellt, um die medizinische Seite des Infektionsgeschehens möglichst schnell, sorgfältig und umfangreich zu analysieren. Im Hinblick auf die Untersuchungen von Verstorbenen soll eine bundesweite Plattform („DEFEAT PANDEMICS“) erarbeitet werden (koordiniert vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und vom Universitätsklinikum Aachen). Es werden die Voraussetzungen geschaffen, um zukünftig in einem Netzwerk der Universitätsmedizin durch zeitnahe interdisziplinäre bundesweite Studien die medizinischen Aspekte zu Pathogenese, Diagnose, Therapie und Prävention derartiger neuer Infektionskrankheiten zu koordinieren und intensivieren.

Die derzeitige Entwicklung bezüglich der Mortalität weist darauf hin, dass die Belastung im Hinblick auf Intensivmedizin und Todesgefahr bei COVID-19 in Deutschland deutlich weniger dramatisch einzuschätzen ist, als dies zu Beginn der Pandemie hierzulande der Fall war. Dabei bleibt festzustellen, dass sich die Lage anderenorts (in Ländern mit hohen Infektionsraten, weniger Vorsorge und schlecht ausgestattetem Gesundheitssystem) aktuell nachhaltig bedrohlich darstellt.

Gedankt sei den vielen, sehr engagierten Kolleginnen und Kollegen aus den Instituten und Kliniken des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, die im interdisziplinären Kontext mit der Rechtsmedizin die COVID-19-Sterbefälle in Hamburg sehr zeitnah, detailliert und kompetent aufgearbeitet haben und damit unser Wissen um diese Krankheit versachlicht und verbessert haben.