Diabetes aktuell 2020; 18(07): 259
DOI: 10.1055/a-1284-4369
Editorial

Diabetes 2. Welle

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations

Was bedeutet die 2. Covid-19-Welle, in der wir uns gerade befinden, für unsere Patienten mit Diabetes mellitus? Sicherlich haben wir alle die Berichte gelesen, dass es erste neudiagnostizierte Fälle von Typ-1-Diabetes gibt, deren Diagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Sars-CoV-2-Infektion zurückzuführen ist. Wir verstehen das Virus immer besser: Es bewirkt nicht nur eine progressive Entzündung des Gefäßendothels bewirkt, sondern „hackt“ sozusagen auch das Immunsystem des Wirtes. Wie das zu einem Typ-1-Diabetes führen kann ist unklar, aber es werden verschiedene Mechanismen diskutiert. Pathophysiologisch ist der Zusammenhang allerdings für uns nicht so fremd: eine virale Infektionserkrankung, die komplexe Immunmechanismen und einen Zytokinsturm auslösen kann – da sind auch autoimmune Mechanismen zur Entstehung eines Typ-1-Diabetes nicht weit.

Wie ist es aber mit dem Typ-2-Diabetes? Noch gibt es keine komplexen epidemiologischen Untersuchungen zur Prävalenz des Typ-2-Diabetes im „Corona-Jahr“. Viele berichten über eine Zunahme der Erkrankung zwischen 5 und 20 %. Vorwiegend 2 Mechanismen können dabei im Fokus stehen: Es war zu beobachten, dass Patienten während der Corona-Pandemie Angst hatten, zum Arzt zu gehen, weil sie eine Ansteckungsgefahr befürchteten. Das führte dazu, dass Arztbesuche verschoben wurden und der Arzt oder die Klinik nur bei schwerwiegenden Problemen aufgesucht wurden. Da ist es plausibel, dass nach dem Ende des Lockdowns und einer gefühlten Normalisierung Erstdiagnosen auch mit Typ-2-Diabetes höher ausfallen.

Es gibt aber noch eine 2. Erklärung. Wir reden immer darüber, dass es sehr viele Risikopersonen für Diabetes gibt, ohne genau zu spezifizieren, was den Sprung von der Risikoperson zum Typ-2-Diabetespatienten ausmacht. Wir denken, das sind die Personen mit einer gestörten Glukosetoleranz oder diejenigen mit einem grenzwertigen Gewicht, aber auch viszerale Adipositas und Leberfett mit noch gerade so normalen Blutzuckerwerten könnte eine solche Grenzsituation sein. Was braucht es, um bei diesen einen Typ-2-Diabetes auszulösen? Häufig reicht schon eine Gewichtszunahme von 0,5 oder 1 kg: Wenn diese vorwiegend zulasten von Fettmasse geht und nicht durch einen Aufbau von Muskelmasse zustande kommt (durch verstärkte körperliche Aktivität), reicht dies in sehr vielen Fällen als Trigger aus, um einen Diabetes auszulösen. Zwar gibt es dazu bisher keine Studien, aber im Verlauf des Lockdowns reden wir sehr schnell über eine Gewichtszunahme von 2–5 kg. Ich persönlich sehe darin den entscheidenden Trigger für die Zunahme an Typ-2-Diabetes nach der ersten Covid-19-Welle. Man war zu Hause, hat wenig unternehmen können, hat häufiger gegessen, genascht, auch versucht sich die Zeit durch das Essen zu „versüßen“ – und das hat den Sprung von der Risikoperson zum Typ-2-Diabetes möglich gemacht.

Eigentlich schreit diese Situation danach, zu Hause aktiv zu werden, die Möglichkeiten innerhalb der Quarantäne-Bestimmung für sportliche Aktivitäten auszuloten oder mehr Bewegung im Alltag zu integrieren. Es gibt so viele Möglichkeiten, Aktivität mit digitalen Tools zu tracken, oder unterstützende Apps, die ihre Nutzer dazu stimulieren aktiv zu bleiben. Wenn man es schafft, trotz Quarantäne in Bewegung zu bleiben, dann ist auch das „Quarantäne-Bäuchlein“ nicht ganz so schlimm und wir betreiben tatsächlich Prävention – trotz Quarantäne.



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Article published online:
20 November 2020

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