ergopraxis 2021; 14(01): 14-15
DOI: 10.1055/a-1300-4549
Wissenschaft

Gesundes Altern – Occupational Well-Being im Alter

Florence Kranz
 

Zum gesunden und aktiven Altern gehört untrennbar dazu, dass Senioren Betätigungen durchführen können, die sie als bedeutsam und wohltuend erleben. Deshalb untersuchte Simone Gritsch in ihrer qualitativen Studie, wie ältere Menschen in Deutschland ihr „Occupational Well-Being“ erleben.


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Simone Gritsch … ... ... ist eine leidenschaftliche Vertreterin der Ergotherapie und erwarb 2005 den Bachelorabschluss an der Hogeschool Zuyd in Heerlen, Niederlande. Anschließend arbeitete sie in verschiedenen Fachbereichen und Settings, bevor sie 2008 ins Verlagswesen wechselte. Hier gestaltet sie – von der ersten Geburtsstunde an – die Fachzeitschrift „ergopraxis“ und engagiert sich so für die professionelle Weiterentwicklung der deutschen Ergotherapie. Mittlerweile leitet sie den Bereich Ergotherapie. Zu ihren Aufgaben gehört es unter anderem, gemeinsam mit ihrem Team Bücher, Zeitschriften und elektronische Produkte zu planen und umzusetzen sowie jedes Jahr den ergotag in Stuttgart und in Essen zu organisieren. Nebenbei engagiert sie sich als externe Prüferin sowie Peer-Reviewerin für die Hogeschool Zuyd. Ihr Bedürfnis nach lebenslangem Lernen hat sie dazu bewogen, berufsbegleitend ein Masterstudium in „Prävention und Gesundheitspsychologie“ zu absolvieren. Abb.: Thieme Gruppe

Die Masterarbeit

Damit Menschen gesund und aktiv altern können, brauchen sie die Möglichkeit, bedeutsame Betätigungen auswählen und ausführen zu können. Also Betätigungen, die ihren Fähigkeiten, Wünschen oder Bedürfnissen entsprechen und zu innerem Wohlbefinden führen – dem sogenannten Occupational Well-Being. Bislang mangelt es in Deutschland an Studien, welche die Rolle von Betätigungen mit Blick auf das Occupational Life oder Occupational Well-Being älterer Menschen untersuchen. Das wollte Simone Gritsch ändern. In ihrer Masterarbeit ging sie der Frage nach, welche Betätigungen für Senioren bedeutsam sind und ihnen Wohlbefinden vermitteln. Außerdem interessierte sie, welche Faktoren sich förderlich oder hinderlich auf die Betätigungen von alten Menschen auswirken.

Selbstständig lebende Senioren legen besonders Wert auf Selbstfürsorge.

Um sich der Lebenswirklichkeit dieser Altersgruppe anzunähern, führte sie auf der Grundlage des „Do-Live-Well“-Frameworks semistrukturierte Interviews mit 12 Senioren durch. Die 6 Frauen und 6 Männer waren zwischen 78 und 89 Jahre alt. Neben Personen, die alleine oder mit Partner im eigenen Haushalt leben, nahmen auch 6 Bewohner von Seniorenheimen an ihrer qualitativen Studie teil.


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Ergebnis

Sowohl Bewohner von Seniorenheimen als auch selbstständig lebende Senioren identifizieren verschiedene Betätigungen als wichtig und wohltuend. Hierzu zählen Betätigungen zur Selbstfürsorge, zur körperlichen und geistigen Aktivierung, der Kontakt mit anderen sowie Tätigkeiten, die mit Genuss oder Freude verbunden sind. Es fällt auf, dass die selbstständig lebenden Senioren deutlich häufiger von wichtigen und wohltuenden Betätigungen berichten als ihre Altersgenossen im Heim. Dabei verbinden sie Wohlbefinden vor allem mit Betätigungen, die sie in Kontakt mit anderen Menschen bringen oder die mit Genuss und Freude verbunden sind, wie zum Beispiel Reisen. Seniorenheimbewohner erleben vor allem Tätigkeiten zur Selbstfürsorge und zur geistigen Aktivierung als wohltuend, beispielsweise Musikhören oder Lesen.

Formen der Occupational Balance und Occupational Imbalance sind bei selbstständig lebenden Senioren besonders ausgeprägt. Auf der einen Seite erfahren sie ein erfülltes Betätigungsleben, auf der anderen Seite jedoch auch ein Betätigungsungleichgewicht. Letzteres vor allem im Zusammenhang mit anfallenden Haus- und Gartenarbeiten oder anderen Verpflichtungen, die sie als belastend erleben.

Inwieweit Menschen in Seniorenheimen bedeutsame und wohltuende Tätigkeiten ausführen können, hängt stark von den Umgebungsfaktoren ab. Diese können sowohl unterstützend als auch hemmend wirken. Selbstständig lebende Senioren erleben vor allem soziale Faktoren als förderlich für ihr Betätigungsleben, während sie personenbezogene Faktoren wie altersbedingte Veränderungen oftmals als hinderlich wahrnehmen.

Die Interviews zeigen zudem, dass wichtige und wohltuende Betätigungen älterer Menschen häufig mit ihrer Lebensgeschichte verbunden sind.

Im Altenheim steht und fällt Occupational Well-Being mit der Umwelt.


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Fazit

Ob Menschen in Seniorenheimen bedeutsame und wohltuende Tätigkeiten ausüben können, hängt entscheidend von der Ausrichtung und Ausstattung der jeweiligen Einrichtung ab. Ein vielfältiges Betätigungsangebot und eine angenehme Umfeldgestaltung können sich zum Beispiel förderlich auf das Betätigungsleben und -wohlbefinden der Bewohner auswirken. Bei selbstständig lebenden Senioren zeigt sich die Möglichkeit, an der Occupational Balance anzusetzen, um das Occupational Well-Being zu steigern. Hierzu bieten sich etwa Energie- oder Selbstmanagementprogramme an.

Florence Kranz


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3 Fragen an Simone Gritsch

Wie war es für dich, die Senioren zu besuchen und zu interviewen?

Es war richtig spannend. Ich bin mittlerweile seit 13 Jahren im Verlag, und es hat mich echt gereizt, mal wieder mit Klienten zu arbeiten. Die Senioren formulierten im Gespräch so tolle Betätigungsanliegen. Zum Beispiel wollte ein älterer Herr gerne sein Fahrrad „fit machen“, um endlich wieder damit fahren zu können. Da ließe sich in wenigen Einheiten so viel erreichen.

Welchen Eindruck hattest du von den Betätigungsangeboten in den Seniorenheimen?

Es gab Einrichtungen mit sehr wenigen Angeboten und andere mit einem vielfältigen Programm. Eine Einrichtung ermöglichte es einer Bewohnerin gezielt, bedeutsame Betätigungen auszuführen: Sie half als ehemalige Küchenchefin im Essenservice mit und betreute als große Tierfreundin tagsüber den Hund einer Pflegerin. Das fand ich großartig! Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass sehr viel Potenzial brachliegt. Eine Dame äußerte zum Beispiel den Wunsch, Kinder von Alleinerziehenden zu betreuen. Das ist aus meiner Sicht von unschätzbarem Wert für die Gesellschaft und kann sich erst dann entfalten, wenn ältere Menschen tatsächlich teilhaben.

Haben dich Studienergebnisse überrascht?

Ja, nach den Interviews hat sich mein Bild vom Wohnen im Alter gewandelt. Mein Umfeld vermittelt mir häufig, dass man es erst „geschafft“ hat, wenn man ein eigenes Haus hat. Es zeigte sich jedoch, dass einige Teilnehmer zugunsten des Eigenheims auf vieles im Leben verzichtet hatten, zum Beispiel Urlaub. Im Alter wurden Haus und Garten vor allem zur Belastung. Sie quälen sich mit den anfallenden Arbeiten herum und sind oft zu geschafft, um anderen, mit Freude verbundenen Betätigungen nachzugehen.


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  • Masterarbeit

  • 1 Gritsch S.. Occupational Well-Being im Alter. Eine qualitative Interviewstudie zur Rolle von Betätigung für das Wohlbefinden. Masterarbeit an der SRH Fernhochschule – The Mobile University Riedlingen. 2020

Publication History

Article published online:
04 January 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Masterarbeit

  • 1 Gritsch S.. Occupational Well-Being im Alter. Eine qualitative Interviewstudie zur Rolle von Betätigung für das Wohlbefinden. Masterarbeit an der SRH Fernhochschule – The Mobile University Riedlingen. 2020

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Simone Gritsch … ... ... ist eine leidenschaftliche Vertreterin der Ergotherapie und erwarb 2005 den Bachelorabschluss an der Hogeschool Zuyd in Heerlen, Niederlande. Anschließend arbeitete sie in verschiedenen Fachbereichen und Settings, bevor sie 2008 ins Verlagswesen wechselte. Hier gestaltet sie – von der ersten Geburtsstunde an – die Fachzeitschrift „ergopraxis“ und engagiert sich so für die professionelle Weiterentwicklung der deutschen Ergotherapie. Mittlerweile leitet sie den Bereich Ergotherapie. Zu ihren Aufgaben gehört es unter anderem, gemeinsam mit ihrem Team Bücher, Zeitschriften und elektronische Produkte zu planen und umzusetzen sowie jedes Jahr den ergotag in Stuttgart und in Essen zu organisieren. Nebenbei engagiert sie sich als externe Prüferin sowie Peer-Reviewerin für die Hogeschool Zuyd. Ihr Bedürfnis nach lebenslangem Lernen hat sie dazu bewogen, berufsbegleitend ein Masterstudium in „Prävention und Gesundheitspsychologie“ zu absolvieren. Abb.: Thieme Gruppe