Keywords
Kultursensible Psychotherapie - Dolmetscher - Sprachmittler - Muttersprache - Fluchterfahrung
Abb. 1 © verdateo / stock.adobe.com
DolmetscherInnen nehmen in der Psychotherapie von Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung
eine wichtige Rolle ein – Erkenntnisse aus der sprachgemittelten Psychotherapie an
der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München
Ein wesentliches Merkmal der psychotherapeutischen Arbeit ist die vertrauensvolle,
geschützte Beziehung zwischen BehandlerIn und PatientIn. Innerhalb dieser gilt die
gesprochene Sprache als wichtigstes Behandlungsinstrument. Durch die spezifische Wahl
von Worten, Wortwendungen und Metaphern gewähren uns PatientInnen Einblicke in ihre
Welten. Wenn Sprache als „Verkörperung des Seelenlebens“ betrachtet wird, dann folgt
daraus, dass die eigene Muttersprache den unmittelbarsten Zugang zum emotionalen Erleben
bietet [1]. Vor dem Hintergrund erhöhter Migrationsbewegungen verzeichnen wir einen stetig
wachsenden Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung in verschiedenen Muttersprachen,
der aktuell nicht gedeckt ist. Diese Versorgungslücke kann durch den Einsatz von DolmetscherInnen
verringert werden. Doch ist Psychotherapie unter Hinzunahme von SprachmittlerInnen
möglich? Und was ändert sich dadurch für den therapeutischen Prozess?
DolmetscherIn als Sprachrohr und kulturelle Brücke
Seit 2018 sammeln wir an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität
München Erfahrungen im Einbezug von professionellen SprachmittlerInnen in die Psychotherapie
bei PatientInnen mit Fluchterfahrungen [2], [3]. Die SprachmittlerInnen sind dabei sowohl Sprachrohr als auch kulturelle Brücke
zu unseren PatientInnen. Bei der Auswahl der DolmetscherInnen berücksichtigen wir
das Geschlecht und die ethnischen Hintergründe von PatientIn und SprachmittlerIn.
Die PatientInnen werden zu Beginn umfassend über die Schweigepflicht der Dolmetscherin/des
Dolmetschers aufgeklärt – ein Aspekt, der insbesondere bei Opfern von Menschenrechtsverletzungen
bedeutsam ist.
Der Einsatz von DolmetscherInnen in der Psychotherapie ermöglicht effektive und kultursensible
Interventionen bei PatientInnen mit Migrations- und Fluchterfahrung. Die Möglichkeit,
das eigene Erleben in der Muttersprache zu artikulieren, befähigt die PatientInnen,
sich im Sinne eines Empowerment-Prinzips aktiv am therapeutischen Prozess zu beteiligen.
Die Gesprächssituation zu dritt bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich, weshalb
eine klare Rollenverteilung notwendig ist.
BehandlerIn, PatientIn und DolmetscherIn sitzen in einem gleichschenkligen Dreieck.
Auch eine Anordnung, in welcher der/die SprachmittlerIn versetzt hinter der Patientin/dem
Patienten Platz nimmt, ist möglich und betont, dass die Therapeutin/der Therapeut
Ansprechpartner im Gespräch ist. Es wird in einfachen, möglichst kurzen Sätzen gesprochen.
Das Konsekutivdolmetschen, bei dem das Gesagte absatzweise nach 2–3 Sätzen übermittelt
wird, hat sich in der Praxis bewährt. Es verlangsamt die Gesprächsdynamik und erleichtert
es der Therapeutin/dem Therapeuten, sich auf nonverbales Verhalten zu konzentrieren
und nachfolgende Interventionen zu planen. Das Dolmetschen in der Ich-Form fördert
die Nähe zwischen PatientIn und BehandlerIn und erleichtert der Dolmetscherin/dem
Dolmetscher die unmittelbare Wiedergabe des Gesprochenen. Werden sehr emotionale oder
traumatische Inhalte gedolmetscht, kann ein Wechsel in die indirekte Rede hilfreich
sein. Dies unterstützt die Sprachmittlerin/den Sprachmittler bei der inneren Distanzierung
von den wiedergegebenen Inhalten [4].
Die Finanzierung der Sprachmittlung, z. B. über die gesetzlichen Krankenversicherungen,
würde einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, psychotherapeutische Angebote für Menschen
mit Migrations- und Fluchterfahrungen zugänglicher zu machen.
Psychotherapie unter Einbezug von DolmetscherInnen setzt klare Rollenverteilungen
voraus. Mögliche Herausforderungen in der sprachgemittelten psychotherapeutischen
Arbeit stellen Rollenkonfusionen, Parteilichkeit oder Rivalität dar. Mit der Dolmetscherin/dem
Dolmetscher tritt eine zusätzliche Fachperson in den therapeutischen Raum ein, die
häufig soziale und biografische Gemeinsamkeiten mit der Patientin/dem Patienten aufweist.
Dies kann aufseiten der Therapeutin/des Therapeuten zu Verunsicherungen führen und
setzt eine fortdauernde Reflexion der eigenen Rolle und der Beziehungskonstellationen
voraus [1].
Vorteile sprachgemittelter Psychotherapie
Eine sprachgemittelte Psychotherapie ist für alle Beteiligten anspruchsvoll und bietet
gleichzeitig einen großen Nutzen. Sie baut Kommunikationsschwierigkeiten als eine
der wesentlichen Zugangsbarrieren zu Behandlungsangeboten ab und ermöglicht den effektiven
und kultursensiblen Einsatz von Interventionen bei PatientInnen, deren Sprache wir
nicht sprechen. Die Möglichkeit, das eigene Erleben in der Muttersprache zu artikulieren,
stärkt das Selbstvertrauen der PatientInnen und befähigt sie, sich im Sinne eines
Empowerment-Prinzips aktiv am therapeutischen Prozess zu beteiligen. In dieser Hinsicht
ist es erfreulich, dass in den vergangenen Jahren zunehmend spezialisierte Dolmetscherdienste
aufgebaut wurden. Die Kosten für die Sprachmittlung werden im ambulanten Einsatz in
der Regel von den PatientInnen selbst oder von gemeinnützigen Organisationen getragen.
In der stationären Versorgung obliegt die Kostenübernahme den Kliniken. In der gesetzlichen
Krankenversicherung ist eine Rechtsgrundlage für die Übernahme von Dolmetscherkosten
nicht vorgesehen. Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) entschied bereits 1995:
Die Dolmetscherleistung „ist nicht Teil der ärztlichen Behandlung, weil der Arzt sie
aufgrund seines ärztlichen Fachwissens weder leiten noch kontrollieren und somit auch
nicht verantworten kann“. In einem Urteil aus dem Jahr 2006 bekräftigte das BSG, dass
die Hinzuziehung einer Dolmetscherin/eines Dolmetschers im Rahmen einer ambulanten
Krankenbehandlung nicht zum Leistungsumfang einer ausreichenden zweckmäßigen und wirtschaftlichen
Versorgung gehöre. Die Folge dessen ist, dass psychotherapeutische Behandlungen unter
Hinzunahme von professionellen SprachmittlerInnen kaum durchgeführt werden. Eine stabile
Finanzierungsgrundlage für die Sprachmittlung, z. B. über gesetzliche Krankenkassen,
würde einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, psychotherapeutische Angebote für Menschen
mit Migrations- und Fluchterfahrungen zugänglicher zu machen. Wir gehen sogar davon
aus, dass diese die Versorgung substanziell verbessern würde und letztlich auch kosteneffektiver
wäre.
Interessenkonflikt:
Die Autorinnen und Autoren geben an, dass kein Interessenskonflikt besteht.
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