Zeitschrift für Palliativmedizin 2021; 22(05): 229-230
DOI: 10.1055/a-1388-0543
Editorial

Menschenwürdige Begleitung auch unter Pandemiebedingungen ein Muss! – Nationale Strategie mit 33 Handlungsempfehlungen

Liebe Leserin, lieber Leser,

sind Sie auch coronamüde? Seit vielen Monaten beherrscht die Corona-Pandemie unser Leben hierzulande und weltweit, im Privaten wie im Beruflichen. Während für manche die Einschränkungen zum Schutz vor Infektionen weniger schwer wiegen, leiden insbesondere schwerkranke und sterbende Menschen und ihre Angehörige unter der alltäglich gewordenen Distanz. Und wir alle wissen doch, dass vor allem Nähe, persönlicher Austausch und füreinander da sein in der Zeit am Lebensende so wichtig, so essenziell, so menschlich sind.

Was können wir als Versorgende, Verantwortungsträger oder politisch Tätige dafür tun, dass schwerkranke und sterbende Menschen – infiziert oder nicht infiziert – auch in einer Pandemie gut versorgt werden und Nähe gelebt werden kann, wo sie so wichtig ist? Der Forschungsverbund PallPan (Palliativversorgung in der Pandemie) ist als Teil des Netzwerks Universitätsmedizin in 2020 gemeinsam angetreten, um mit der Entwicklung einer Nationalen Strategie Antworten auf diese Frage zu finden – für diese und künftige Pandemien.

PallPan setzt sich zusammen aus 13 palliativmedizinischen Einrichtungen an Universitätskliniken in Deutschland sowie weiteren nationalen Kooperationspartnern. Alle palliativmedizinischen Lehrstühle sind daran beteiligt, über 60 Mitarbeitende haben mitgewirkt.

In 16 Studien wurden innerhalb von 9 Monaten über 1700 Betroffene, Versorgende und Verantwortliche im Gesundheitssystem und in der Politik nach ihren Erfahrungen befragt und deren Aussagen systematisch ausgewertet. Auf Basis dieser Ergebnisse und mithilfe von 120 Expert*innen aus den verschiedenen Bereichen von Gesundheitswesen, Verwaltung und Politik wurde die Nationale Strategie für die Betreuung von schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen in Pandemiezeiten entwickelt und konsentiert. Kernstück der Strategie sind 33 konkrete Handlungsempfehlungen. Zusammen mit konkreten Umsetzungsbeispielen und vielen Informations- und Schulungsmaterialien liegen damit erstmals strukturierte Empfehlungen für diese Ausnahmesituation vor.

Die Handlungsempfehlungen gliedern sich in drei Abschnitte: Patient*innen & Angehörige unterstützen, Mitarbeitende unterstützen und Strukturen und Angebote der Palliativversorgung unterstützen und aufrechterhalten.

Patient*innen und ihre Angehörigen wünschen sich nach den Befragungsergebnissen vor allem eines für die Zukunft: Nähe am Lebensende – auch während einer Pandemie. Hierfür braucht es abgewogene Besuchsregelungen für Krankenhäuser und stationäre Pflegeeinrichtungen, aber auch einen rechtlichen Rahmen, den die Politik schaffen muss. Einzelfallentscheidungen und klar definierte Ausnahmeregelungen haben sich als eine praktikable und hilfreiche Strategie bewährt und sollten überall genutzt werden. Es darf Sterbenden nicht mehr verwehrt werden, ihre Angehörigen bei sich zu haben!

Mitarbeitende in der Versorgung benötigen Unterstützung durch Schulungen, ausreichend Schutzmaterial und Aufstockung des Personals: hierdurch gewinnen die Mitarbeitenden Sicherheit, um sich und die Patienten vor Infektionen zu schützen, ohne den Patientenkontakt zu meiden und Angehörige zu unterstützten.

Die Sicherstellung grundlegender palliativmedizinischer Kenntnisse und psychosoziale Unterstützung für die herausfordernden Situationen, die die Pandemie hervorruft, sind darüber hinaus essenziell.

Vonseiten der Politik sowie der Kliniken und Pflegeeinrichtungen muss darauf geachtet werden, dass die Palliativversorgungsstrukturen auch und gerade in einer Pandemiesituation aufrechterhalten bzw. weiter ausgebaut werden. Palliativstationen dürfen in einer Pandemie nicht geschlossen werden – Ambulante Teams und Palliativdienste müssen arbeitsfähig bleiben.

Das Forschungsprojekt hat dazu beigetragen, die Hospiz- und Palliativversorgung in der Pandemie sichtbar zu machen und die universitätsübergreifende Kooperation zu stärken. Trotz vieler Herausforderungen mit sehr engen Deadlines, vielen Aufgaben in kurzer Zeit und zusätzlichen pandemiebedingten Belastungen in der klinischen Versorgung haben alle Beteiligten mit viel Engagement, Flexibilität und Kreativität intensiv zusammengearbeitet. Offenheit und gegenseitige Wertschätzung haben die Arbeit geprägt. Dies ist eine gute Grundlage und Erfahrung für die zukünftige Zusammenarbeit im Forschungsverbund Palliativmedizin zu anderen Themen als der Pandemie.

Nach Veröffentlichung der Handlungsempfehlungen warten nun neue Aufgaben auf das Konsortium, die bis zum Jahresende abgeschlossen sein sollen. Dazu zählen der Aufbau einer webbasierten PallPan-Plattform und die Entwicklung von Unterstützungsmaterialien für trauernde Angehörige sowie Mitarbeitende in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern.

Hauptaufgabe wird es jedoch nun sein, dafür zu sorgen, dass auf Empfehlung auch Handlung folgt. Dies ist die größte Herausforderung. Gleichzeitig ist es der wichtigste Schritt, um zusätzliches, pandemiebedingtes Leid in der Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen zu verhindern. Um auch für künftige Pandemien gerüstet zu sein, soll die Nationale Strategie in die Erarbeitung einer „Nationale Pandemic Preparedness“ einfließen, welche im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) für 2022 ansteht. Ob eine Umsetzung in die Praxis gut gelingt, hängt allerdings von den Ressourcen und vom politischen Willen in den kommenden Monaten ab.

Auch in Zeiten der Pandemie haben jeder schwerkranke und sterbende Mensch sowie seine Angehörigen ein Recht auf die bestmögliche Begleitung und Versorgung. Ein Schritt ist getan, um dies auch trotz der Herausforderungen einer Pandemie zu ermöglichen, aber weitere werden und müssen folgen.

Mit herzlichen Grüßen,
Ihre
Norma Jung und Steffen Simon

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Norma Jung
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Steffen Simon


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Article published online:
10 August 2021

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