Schlüsselwörter
Angebotsstrukturen - Ambulante Versorgung - Ambulante Versorgungsorganisationen -
Einzelpraxis - Gemeinschaftspraxis - Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ)
Key words
Delivery system - outpatient health organization - solo practice - group practice
- outpatient medical care - medical care centers
Einleitung
Das Bild der vertragsärztlichen niedergelassenen Versorgung in Deutschland wird wesentlich
von dem tätigen Facharzt/der Fachärztin geprägt. Vertragsärztliche Versorgungsorganisationen
(VO), also Praxen oder Medizinische Versorgungszentren (MVZ), sind hingegen selten
im Fokus, obwohl die Diskussion immer wieder um den arztunabhängigen Einfluss auf
das Versorgungsgeschehen kreist [1]. So wird davon ausgegangen, dass gemeinschaftliche Berufsausübung von Ärzten/Ärztinnen
verschiedener Fachgruppen innerhalb von Gemeinschaftspraxen oder MVZ im Vergleich
zur Versorgung durch Einzelpraxen grundsätzlich bessere Voraussetzungen bei komplexen
patientenbezogenen Versorgungsbedarfen bietet [2]. Diskutiert wird auch, dass die Trägerschaft Einfluss auf Art und Umfang des Versorgungsangebots
haben kann. Von bestimmten Rechtsformen wird eher eine Versorgung in ländlichen Gegenden
erwartet [3]. VO könnte damit grundsätzlich eine eigenständige Qualität in der Beschreibung und
Bewertung des Versorgungsgeschehens und der Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen
zukommen.
Als Annäherung an diesen Themenkomplex befasst sich dieser Beitrag mit der strukturierten
Erfassung der organisationsbezogenen Angebotsstrukturen im Zeitablauf auf Basis verfügbarer
Sekundärdatenquellen. Diese erlauben eine Auswertung nach Rechtsformen und hier nach
Anzahlen, durchschnittlicher Teamstärke und interdisziplinärer Aufstellung insgesamt
und hausärztlichem und fachärztlichem Versorgungsbereich (im Folgenden „Bereiche“).
Der Vergleich mit Angebotsstrukturen anderer dezentraler Gesundheitssysteme dient
als Orientierung zur Identifikation von Spezifika des deutschen Systems. Inwieweit
diese per öffentlich zugänglichen Statistiken abgreifbaren Merkmale geeignet sind,
die Heterogenität in den Angebotsstrukturen abzubilden, wird abschließend diskutiert.
Methode
Es wurden die folgenden Sekundärdatenquellen verwendet; die Daten wurden z.T. kombiniert
ausgewertet und dazu bearbeitet. Quellenbedingte Limitationen bei der Auswertung werden
im Folgenden jeweils benannt.
-
Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) „Anzahl Praxen nach Praxisart,
2008–2018“ [4]
-
KBV Statistik „Anzahl Ärzte in Praxen nach Art der Praxis, 2010–2018“ [5]
-
KBV Statistik „Statistische Informationen aus dem Bundesarztregister“, Tabelle 5 [6],
VO-Typen werden nach Rechtsform (also Einzelpraxis (EP), Gemeinschaftspraxis (GP)
und Medizinische Versorgungszentren (MVZ)) sowie nach hausärztlichem (HV) bzw. fachärztlichem
Versorgungsbereich (FV) nach § 73 Sozialgesetzbuch V (SGB V) unterschieden. Die Auswertung
umfasst nur ambulante vertragsärztliche VO inklusive MVZ in Krankenhausträgerschaft.
Ermächtigungsambulanzen wurden nicht einbezogen, da sie üblicherweise keine geschlossene
organisatorische Einheit sind. Vertragspsychologische VO und Mischorganisationen (vertragspsychologische
und -ärztliche GP) wurden ausgeschlossen, da dazu internationale Vergleichsdaten fehlen.
Anzahl Versorgungsorganisationen
Die absolute und relative Häufigkeit von VO (Quelle [4]) wird für 2010, 2014 und 2018 ausgewiesen. Nach HV und FV getrennt können nur Anzahlen
von EP und GP nicht jedoch von MVZ ausgewiesen werden.
Ärztliche Teamstärke
Die durchschnittliche ärztliche Teamstärke wird als Quotient aus Anzahl der tätigen
Fachärzte/-ärztinnen (Quelle [5] und Anzahl Praxen nach Praxisart (Quelle [4]) für 2010, 2014 und 2018 ermittelt. Für die Auswertung nach Bereichen wurden die
(fachgruppenspezifischen) Daten aus Quelle [5] bereichsspezifisch aufsummiert. Zur HV gehören Fachärzten/-innen für Allgemeinmedizin,
hausärztlich tätige Internisten/-innen und Fachärzte/-innen für Kinderheilkunde.
Interdisziplinäre Aufstellung: Fachübergreifende und bereichsübergreifende Versorgungsorganisationen
Fachübergreifende Aufstellung beschreibt die gemeinschaftliche Berufsausübung von
Ärzten/-innen aus mindestens 2 Fachgruppen, bereichsübergreifende Aufstellung beschreibt
die gemeinschaftliche Berufsausübung von Ärzten/-innen von HV und FV. Im Folgenden
wird für beide Merkmale der Begriff „interdisziplinäre Aufstellung“ verwendet, sie
ist rechtsformbedingt nur in GP und MVZ möglich.
Die Häufigkeit interdisziplinärer GP wurde der KBV-Quelle [4] entnommen. Die Angaben zu MVZ entstammen einer Antwort der Bundesregierung [7]; diese Daten liegen nur für 2015 bis 2017 vor, daher umfasst die Auswertung nur
diesen Zeitraum.
Ergebnisse
Angebotsstrukturen in der deutschen vertragsärztlichen Versorgung
2018 wurde die vertragsärztliche Versorgung in Deutschland von insgesamt 80 811 unabhängigen
VO verantwortet ([Tab. 1]). Im Zeitablauf seit 2010 lässt sich ein leichter Trend zur Konzentration erkennen;
pro Jahr nahm die Zahl der VO im Schnitt um knapp 1000 ab. 2018 entfielen nahezu drei
Viertel aller VO auf EP, sie dominierten trotz leicht rückläufiger Anzahl die Angebotsstrukturen
über den gesamten Auswertungszeitraum. Etwas weniger als ein Viertel aller VO entfielen
auf GP, ihre Zahl war im Zeitablauf ebenfalls rückläufig. Die Zahl der MVZ stieg von
einem niedrigen Ausgangswert absolut wie relativ.
Tab. 1 Absolute und relative Häufigkeiten vertragsärztlicher Versorgungsorganisationen gesamt
und nach Rechtsformen, über beide Versorgungsbereiche und getrennt nach hausärztlichem
und fachärztlichen Versorgungsbereichen **für 2010, 2014 und 2018.
|
2010
|
2014
|
2018
|
∆ 2010/2018
|
Anzahl Versorgungsorganisationen
|
abs.
|
in%
|
abs.
|
in%
|
abs.
|
in%
|
in%
|
des hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereichs
|
|
|
|
|
|
|
|
Einzelpraxen
|
67 022
|
76%
|
63 513
|
75%
|
59 257
|
73%
|
−12%
|
Gemeinschaftspraxen
|
20 044
|
23%
|
19 174
|
23%
|
18 381
|
23%
|
−8%
|
MVZ
|
1654
|
2%
|
2073
|
2%
|
3173
|
4%
|
92%
|
Gesamt
|
88 720
|
100%
|
84 760
|
100%
|
80 811
|
100%
|
−9%
|
des hausärztlichen Versorgungsbereichs***
|
|
|
|
|
|
|
|
Einzelpraxen
|
33 504
|
|
31 198
|
|
28 668
|
|
−14%
|
Gemeinschaftspraxen
|
9558
|
|
9217
|
|
9023
|
|
−6%
|
MVZ*
|
|
|
|
|
|
|
|
des fachärztlichen Versorgungsbereichs***
|
|
|
|
|
|
|
|
Einzelpraxen
|
33 518
|
|
32 315
|
|
30 589
|
|
−9%
|
Gemeinschaftspraxen
|
9350
|
|
9035
|
|
8624
|
|
−8%
|
MVZ*
|
|
|
|
|
|
|
|
MVZ: Medizinisches Versorgungszentrum. *Quelle [4] erlaubt keine Auswertung, wie viele der Medizinischen Versorgungszentren in hausärztlicher
Versorgung und/oder fachärztlicher Versorgung tätig sind. Eine Befragung des Zentralinstitut
für die Kassenärztliche Versorgung aus 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass von den in
2017 zugelassenen MVZ 7% ausschließlich zu dem hausärztlichen und 48% ausschließlich
zu dem fachärztlichen Versorgungsbereich gehören [28]. **Die Zahl der Gemeinschaftspraxen in der differenzierten Darstellung nach Versorgungsbereich
berücksichtigt nicht die bereichsübergreifenden Gemeinschaftspraxen. ***Keine Angaben
zu prozentualen Verteilungen da quellenbedingt für den hausärztlichen und fachärztlichen
Versorgungsbereich nur die Zahl der Einzelpraxen und Gemeinschaftspraxen, nicht jedoch
der MVZ, bekannt sind.
In der HV und FV waren über den gesamten Betrachtungszeitraum in etwa die gleiche
Zahl von EP bzw. bereichsinternen GP tätig ([Tab. 1]).
Ärztliche Teamstärke
Rund die Hälfte aller Ärzte/-innen arbeitete 2018 in GP oder MVZ, der Anteil der in
EP tätigen Mediziner/-innen war leicht rückläufig ([Tab. 3]). Die durchschnittliche ärztliche Teamstärke über alle VO stieg von 2010 bis 2018
von 1,4 auf 1,7 ([Tab. 2]). In EP blieb sie weitgehend konstant (2010: 1,1, 2018: 1,2 (Teamstärke in EP>1,
da Inhaber andere Ärzte/-innen anstellen können)), in GP wuchs sie leicht (2010: 2,5,
2018: 2,8). In MVZ stieg sie ausgehend von dem vergleichsweise hohen Ausgangswert
von 5,0 Ärzten/-innen auf 6,2 bis 2014, anschließend nahm die durchschnittliche Teamstärke
wieder ab und lag 2018 bei 5,9.
Tab. 2 Durchschnittliche ärztliche Teamstärke vertragsärztlicher Versorgungsorganisationen
gesamt und nach Rechtsformen, über beide Versorgungsbereiche und getrennt nach hausärztlichem
und fachärztlichen Versorgungsbereichen **für 2010, 2014 und 2018.
|
2010
|
2014
|
2018
|
Durchschnittliche ärztliche Teamstärke
|
|
|
|
in allen vertragsärztlichen Organisationen
|
1,4
|
1,6
|
1,7
|
in Einzelpraxen
|
1,1
|
1,1
|
1,2
|
in Gemeinschaftspraxen
|
2,5
|
2,7
|
2,8
|
in MVZ
|
5,0
|
6,2
|
5,9
|
in Organisationen der (ausschließlich) hausärztlichen Versorgung
|
|
|
|
in Einzelpraxen
|
1,1
|
1,1
|
1,2
|
in Gemeinschaftspraxen**
|
2,4
|
2,6
|
2,7
|
in MVZ*
|
|
|
|
in Organisationen der (ausschließlich) fachärztlichen Versorgung
|
|
|
|
in Einzelpraxen
|
1,1
|
1,1
|
1,1
|
in Gemeinschaftspraxen**
|
2,8
|
3,1
|
3,2
|
in MVZ*
|
|
|
|
MVZ: Medizinische Versorgungszentren.*Quelle [4] erlaubt getrennte Aufschlüsselung nach Bereichen nur für Einzelpraxen und Gemeinschaftspraxen. **In
die Berechnung der Teamstärke in Gemeinschaftspraxen in der Darstellung nach Bereich
sind keine versorgungsbereichsübergreifenden Gemeinschaftspraxen eingegangen.
Tab. 3 Absolute und relative Häufigkeit von Fachärzten/-innen gesamt und nach Rechtsformen,
über beide Versorgungsbereiche und getrennt nach hausärztlichem und fachärztlichen
Versorgungsbereichen für 2010, 2014 und 2018.
|
2010
|
2014
|
2018
|
∆ 2010/2018
|
Anzahl Fachärzte/Fachärztinnen
|
abs.
|
in%
|
abs.
|
in%
|
abs.
|
in%
|
|
in allen vertragsärztlichen Organisationen
|
128 450
|
|
134 152
|
|
139 393
|
|
9%
|
Davon
|
|
|
|
|
|
|
|
in Einzelpraxen
|
70 916
|
55%
|
69 957
|
52%
|
68 361
|
49%
|
−4%
|
in Gemeinschaftspraxen
|
49 208
|
38%
|
51 240
|
38%
|
52 207
|
37%
|
6%
|
in MVZ
|
8326
|
6%
|
12 955
|
10%
|
18 825
|
14%
|
126%
|
in der hausärztlichen Versorgung, gesamt
|
60 573
|
|
60 738
|
|
61 845
|
|
2%
|
davon
|
|
|
|
|
|
|
|
in Einzelpraxen
|
35 631
|
59%
|
34 734
|
57%
|
33 949
|
55%
|
−5%
|
in Gemeinschaftspraxen
|
23 224
|
38%
|
23 592
|
39%
|
24 298
|
39%
|
5%
|
in MVZ
|
1718
|
3%
|
2412
|
4%
|
3598
|
6%
|
109%
|
in der fachärztlichen Versorgung, gesamt
|
67 877
|
|
73 414
|
|
77 548
|
|
14%
|
davon
|
|
|
|
|
|
|
|
in Einzelpraxen
|
35 285
|
52%
|
35 223
|
48%
|
34 412
|
44%
|
−2%
|
in Gemeinschaftspraxen
|
25 984
|
38%
|
27 648
|
38%
|
27 909
|
36%
|
7%
|
in MVZ
|
6608
|
10%
|
10 543
|
14%
|
15 227
|
20%
|
130%
|
MVZ: Medizinische Versorgungszentren.
Nach Zahl tätiger Fachärzte/-innen ist die FV stärker gewachsen als die HV ([Tab. 3]). Der Anteil der in EP tätigen Ärzte/-innen in der HV lag 2018 11 Prozentpunkte
über dem in der FV, zugleich lag der Anteil der in MVZ tätigen hausärztlichen Fachärzte/-innen
mit 6% deutlich unter der in der FV (20%). Die EP-Teamstärken waren in HV und FV über
den gesamten Auswertungszeitraum nahezu identisch, in fachärztlichen GP arbeiteten
im Schnitt mehr Ärzte/-innen zusammen als in hausärztlichen ([Tab. 2]).
Auf die durchschnittliche Teamstärke wirkten 2 Einflussfaktoren: Die VO-Gesamtzahl
ging um 9% zurück ([Tab. 1]), gleichzeitig stieg die Gesamtzahl der vertragsärztlichen Mediziner/-innen um 9%
([Tab. 3]).
Interdisziplinäre Aufstellung von Versorgungsorganisationen
2017 waren insgesamt 3686 GP und MVZ interdisziplinär aufgestellt, das entspricht
17% dieser VO (8% der GP und 75% der MVZ) ([Abb. 1]). Von den interdisziplinären GP waren 642 fachübergreifende und 772 bereichsübergreifende
GP. Absolut wie relativ entwickelte sich die Zahl interdisziplinärer GP stetig rückläufig,
besonders stark bei den bereichsübergreifenden GP (in 2010 noch 1136). Der Anteil
fachgleicher MVZ ist von 0% im Jahr 2015 auf 25% im Jahr 2017 angestiegen. MVZ konnten
erst ab 2016 fachgleich gegründet werden.
Abb. 1 Anzahl fach- bzw. versorgungsbereichsübergreifender und fachgleicher Gemeinschaftspraxen
(GP) und Medizinischer Versorgungszentren (MVZ), 2015 bis 2017.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Angebotsstrukturen der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland sind durch
eine sehr weitreichende Fragmentierung bei lediglich geringer und langsamer Konzentrationsdynamik
geprägt. 2018 versorgten insgesamt 139 393 Fachärzte/-innen der vertragsärztlichen
Versorgung in insgesamt 80 811 voneinander unabhängigen VO. Rund ein Viertel der VO
entfielen auf die kooperativen Rechtsformen GP und MVZ, dominierende Rechtsform war
die Kleinstorganisation EP mit rund 75% aller VO. Im durchschnittlichen Ärzteteam
über alle VO waren deutlich weniger als 2, in GP weniger als 3 Fachärzte/-innen tätig.
Lediglich MVZ erreichten mit einer Teamstärke von 5,9 Ärzten/Ärztinnen einen höheren
Wert.
Die Unterschiede in den Angebotsstrukturen nach HV und FV sind lediglich graduell.
Die Teamstärke der FV-GP ist etwas höher als in HV-GP und es arbeiten insgesamt weniger
Fachärzte/-innen der FV in Einzelpraxen und mehr in MVZ. Die Angebotsstrukturen beider
Bereiche werden jedoch von EP dominiert. Die etwas größere Variabilität der bereichsbezogenen
Daten legt nahe, dass die fachärztlichen Angebotsstrukturen etwas heterogener sind
als die hausärztlichen.
Eine interdisziplinäre Aufstellung von VO war die Ausnahme, lediglich 17% aller GP
und MVZ versorgten entsprechend. Aus anderen Quellen ist bekannt, dass einige Fächer
– allen voran die methodenorientierten Fächer wie Pathologie, Laboratoriumsmedizin
und Mikrobiologie, Virologie und Infektionsmedizin – überdurchschnittlich häufig eine
interdisziplinäre Aufstellung wählen [8]. Insgesamt scheinen die Gründe für eine monofachliche Aufstellung zu überwiegen.
Diskutiert werden dabei regulatorische und medizinisch-fachliche Aspekte, zudem schaffe
die Gebührenordnung für die Vertragsärztliche Versorgung keine Anreize für interdisziplinäre
Kooperation innerhalb einer VO [9].
Unter Annahme einer konstanten Veränderungsgeschwindigkeit werden die Angebotsstrukturen
in Deutschland perspektivisch noch lang von kleinsten und kleinen VO geprägt bleiben.
Der hohe Grad der Fragmentierung reduzierte sich trotz gut dokumentierter sich ändernder
Präferenzen junger Ärzte/-innen (Arbeit im Team, Möglichkeit zur Anstellung [10]
[11]) und der steigenden Zahl angestellter Fachärzte und -innen [12] nur geringgradig. MVZ wiesen zwar größere Teamstärke und mehr Interdisziplinarität
auf, sie waren aber auch 14 Jahre nach ihrer Einführung mit 4% aller VO nur ein Randphänomen.
MVZ entwickelten sich auch nach Arztzahlen eher moderat: die Zahl der in MVZ beschäftigten
Ärzte/-innen nahm zwischen 2010 und 2018 pro Jahr um rund 1300 zu (zum Vergleich:
2018 wurden 8652 Ärzte/-innen neu vertragsärztlich tätig [12]).
Diskussion
Im Sinne der Limitation der Auswertung sei angemerkt, dass die Sekundärdatenquellen
der KBV uneinheitliche Kategorisierungen verwenden, sodass Auswertungen unter Kombination
verschiedener Quellen nur teilweise möglich sind. Für eine Beschreibung der Angebotsstrukturen
scheint es jedoch gravierender, dass zu VO ausschließlich entlang von Rechtsformen
berichtet wird, Daten zu Verteilung anderer Merkmale fehlen. Es ist jedoch davon auszugehen,
dass potentiell versorgungsrelevante Unterschiede sich nicht (alleine) in der Rechtsform
manifestieren.
Abgleich mit ambulanten Angebotsstrukturen anderer dezentraler Gesundheitssysteme
Die Online-Datenbank des Commonwealth Fund mit textbasierten halb standardisierten
Profilinformationen zu Gesundheitswesen, u. a. auch zu „Delivery system“ (Art der
Bereitstellung medizinischer Leistungen) wurde für den Abgleich von ambulanten Angebotsstrukturen
verwendet [13]. Berücksichtigt wurden nur Gesundheitswesen aus Nordamerika und Europa, deren ambulante
Versorgung ganz oder überwiegend dezentral in von Kostenträgern bzw. staatlicher Administration
unabhängigen VO und ganz oder überwiegend von selbstständigen Fachärzten/-innen erbracht
wird. Diese Kriterien erfüllten die Länder Dänemark, England, Frankreich, Italien,
Kanada, Niederlande, Norwegen, Schweiz und USA ([Tab. 4]).
Tab. 4 Länderübergreifender Vergleich der ambulanten Angebotsstrukturen zu verschiedenen
angebotsstrukturellen Merkmalen. Alleinige Quelle für alle Länder außer Deutschland
sind die Länderprofile des Commonwealth Fund [13].
|
Tätigkeitsformen (outpatient/ambulant)
|
Versorgungsorganisationen (outpatient/ambulant)
|
Größe von outpatient/ambulanten Versorgungs-organisation nach Arztzahl
|
Interdisziplinär/interprofessionell Aufstellung von outpatient/ambulanten Versorgungs-organisationen
|
|
Hausärzte/General Practicioner GP)/family doctors
|
Specialists Fachärzte/Fachärztinnen
|
Primary Care/Hausärztliche Versorgung
|
Specialists/Secondary Care/fachärztliche Versorgung
|
Art/Anzahl Organisationen
|
Anzahl Fachärzte/Fachärztinnen nach Organisation
|
Art/Anzahl Organisationen
|
Anzahl Fachärzte/Fachärztinnen nach Organisation
|
Canada
|
self-employed in private practices
|
mostly self-employed (even hospital-based physicians)
|
|
2014: 46% in Group practice, 19% interprofessional practice, 15% solo practice
|
in hospitals; trend toward nonhospital diagnostic or surgical facilities.
|
|
|
2014: 19% GPs worked in interprofessional practice. There are few formal multispecialty
clinics.
|
Denmark
|
almost all GPs are self-employed
|
employed by the hospital (full-time or part-time) and/or self-employed
|
practice structure is gradually shifting from solo to group practices
|
|
hospital-based ambulatory clinics; in privately owned facilities.
|
|
group practice typically consisting of 2 to 4 GPs
|
“Multispecialty clinics have also been increasing in recent years.”
|
England
|
2017: 59.4% of GP are self-employed. 22% of GP employed in practices or locums
|
Nearly all specialists are salaried employees. Are free to engage in private practice
(estimated 55% of specialists).
|
2017: nearly 7.400 practices 11% of practices were solo Practice
|
|
NHS Hospitals, are free to engage in private practice within wards in NHS, private
hospitals, general practices
|
|
2017: On the Average 4,6 GP per practice 46% of all practices had 5 or more GPs.
|
|
France
|
67% of GP are self-employed
|
51% self-employed, darunter 36% exclusivly selfemployed. Others are fully salaried
at hospital or mix.
|
|
More than 50% of GPs are in group practices.
|
hospital, private practice, private clinic
|
50% in group practice (percentage increasing)
|
An average GP group practice is made up of 2 to 3 physicians.
|
1,000 medical homes provide multi-professional services
|
Italy
|
contracted self-employed and independent GPs and pediatricians;
|
generally contracted self-employed
|
|
2017: nearly 71% of GPs and 65% of pediatricians in a team.
|
local health units, public or private accredited hospitals
|
|
Group practices typically 3–8 GP.
|
GPs are asked to work in multidisciplinary groups; specialists: Multispecialty groups
are more common in northern regions
|
Netherlands
|
2/3 work independently or in a self-employed partnership;1/3 are employed
|
independently and on salary 2015: 39% in group practice, 49% on salary in university
clinics, 12% on salary and independently
|
|
2016: 82% in group practice, 18% in solo practice
|
2015: nearly all specialists hospital-based, additionally group practice, 229 independent
private and nonprofit outpatient
|
|
2016: small GP practices of 2 to 7 physicians
|
A special GP modell consists of funding for programmatic multidisciplinary care
|
Norway
|
mostly self-employed, 6% municipal employees
|
Hospital-based specialists are salaried, self employed private practice specialist
|
solo practice, group practice
|
|
Public hospitals, private practice
|
|
GP practices typically comprise 1 to 6 physicians
|
private multidisciplinary physician clinics have emerged in the last few years
|
Switzerland
|
self-employed
|
mostly self-employed.
|
private solo practice, group practice
|
54% of GP and specialists in solo practice;
|
private specialist practices
|
54% of GP and specialists in solo practice;
|
group practice with an average of 4,2 physicians
|
|
USA
|
2018: 50% of GP in physician owned practices
|
|
physician owned practice
|
|
private practice and hospital; majority for specialists in group practices; specialists
practices are increasingly integrating with hospital systems
|
|
|
most specialist work in single-specialty group practices
|
Germany (Daten aus Sekundärdatenanalyse) und Quelle
[12]
|
2018: Selbstständig (81%) und angestellt (19%)1
|
2018: Selbstständig (71%) und angestellt (29%)1
|
2018: 76% EP, 24% GP, MVZ nicht berücksichtigt
|
2018: 55% in EP, 39% in GP, 6% MVZ
|
2018: 78% EP, 22% GP, MVZ nicht berücksichtigt
|
2018: 44% in EP, 36% in GP, 20% MVZ
|
2018: Durchschnittliche Arztzahl EP: 1,2, GP: 2,7, MVZ: 5,9
|
2017: 17% aller GP und MVZ, 5% aller Rechtsformen
|
Bezogen auf die Merkmale ‚Häufigkeit von Einzelpraxen‘ und ‚Teamstärke‘ weisen die
deutschen Angebotsstrukturen eine eher größere Kleinteiligkeit auf als andere Gesundheitssysteme.
Eine vergleichbar hohe Zahl an Einzelpraxen wie in Deutschland wird noch aus Frankreich
(50% der „General practicioner“ in EP) und der Schweiz (54% der „General practicioner“
und „Specialists“ in EP) berichtet. In anderen Ländern mit Daten zu diesem Merkmal
sind mindestens 2/3 der hausärztlich tätigen Fachärzte/-innen in GP tätig. Eine weitere
Besonderheit: In Deutschland findet auch die fachärztliche Versorgung überwiegend
in Einzelpraxen statt. Auch die durchschnittliche Teamstärke ist in Deutschland gering,
ähnliche niedrige Werte in kooperativen VO werden nur aus Dänemark und Frankreich
berichtet. Aus anderen Ländern werden höhere Durchschnittswerte (Schweiz 4,2, England
4,6 (eigene Berechnung auf Basis der Angaben in der Quelle)) oder höhere Bandbreiten
in den Arztzahlen berichtet.
In anderen Ländern mit kleinteiligen ambulanten Angebotsstrukturen zielen staatliche
Initiativen auf stärkere Konzentration. Das gilt z. B. für die Schweiz [14], Frankreich („loi de modernisation du système de santé“ aus 2016) und Dänemark [15]; die OECD gibt explizit der „Group Practice“ den Vorzug gegenüber „Solo Practices“
[16]. Ein entsprechendes Politikziel ist in der deutschen Gesundheitsgesetzgebung nicht
zu erkennen; hier liegt der Fokus auf (freiwilligen) Kooperationsmöglichkeiten unabhängiger
VO.
Eine fachübergreifende Aufstellung von VO scheint in der überwiegenden Zahl der Länder
zwar angestrebt zu werden, die Länderberichte liefern jedoch mit Ausnahme von Kanada
(19% der Hausärzte/-innen in interprofessionellen Teams) keine Häufigkeitsangaben.
Ambulante Angebotsstrukturen, organisationsbezogene Versorgungsforschung und Versorgungssteuerung
In den letzten Jahren hat sich das Spektrum von VO z. B. nach Anzahl Standorten, Leistungsspektrum,
Versorgungstiefe, Spezialisierungsgrad, Tätigkeitsformen der Ärzte/-innen, Trägermodellen,
Beteiligungskapital usw. auch innerhalb einzelner Rechtsformen ausdifferenziert, Fachspezifika
haben zusätzlich Einfluss. Im Interesse eines besseren Verständnisses und damit auch
einer gezielteren Versorgungssteuerung wäre Forschung zu organisationsbezogenen Merkmalen
und eventuellen Wechselwirkungen mit Versorgungsgeschehen wünschenswert.
Bislang wurden jedoch wenig Studienergebnisse zu den Wechselwirkungen veröffentlicht
[17]
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[22]. Die Diskussion wird derzeit vorrangig in den USA geführt, Motoren sind die Möglichkeit
zur Gründung von Accountable Care Organizations (ACO) und der wachsende Beitrag von
fachfremden Investoren [23]. In systematischen Auswertungen ist die Evidenz zur Effektivität entlang von Indikatoren
wie Versorgungsqualität, Ergebnisqualität, Inanspruchnahme, Gesundheitsausgaben und
Patientenzufriedenheit (zumindest bislang) partiell heterogen. Eine Ursache für die
wenig entwickelte Studienlage dürfte die hohe Variabilität der VO und deren geringer
Standardisierungsgrad sein.
Im Sinne einer gezielteren Versorgungssteuerung ist eine Auseinandersetzung mit den
Wechselwirkungen von Merkmalen von VO und Versorgungsparametern dessen ungeachtet
wünschenswert. Ein Beispiel soll das illustrieren: Allgemein beklagt wird, dass die
medizinische Versorgung auf dem Land unzureichend sei [3]
[24]. Im Vorfeld einer gesundheitspolitischen Maßnahme wäre es sinnvoll zu wissen, ob
eine überproportional häufige Versorgung an peripheren Standorten mit bestimmten Merkmalen
von VO (z. B. nach Größe, Leistungsspektrum oder nach Filialisierung) oder mit bestimmten
Tätigkeitsformen von Ärzten/-innen (angestellte vs. selbstständige Ärzte) vergesellschaftet
ist. In Kenntnis von Zusammenhängen ließen sich Ansatzpunkte für eine gezieltere Versorgungssteuerung
ableiten [25].
Eine in diesem Sinne verstandene organisationsbezogene Versorgungsforschung setzt
eine ausreichende Datenverfügbarkeit voraus. Die Analysemöglichkeiten zu der stationären
Versorgung sind dank der verpflichtenden Qualitätsberichte nach § 136b Abs. 1 Satz
1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) V besser. Krankenhäusern können entlang von Merkmalen
wie z. B. Versorgungsebene, Trägerschaft oder Größe nach Betten- oder Abteilungszahl
typisiert werden [26]. Organisationsbezogene Merkmale von Krankenhäusern werden bereits als Aufgreifkriterium
für versorgungssteuernde Maßnahmen herangezogen (Beispiel: „Zentren für besondere
Aufgaben“ § 2 Abs. 2 Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen).
Eine ausreichend differenzierte Berichtssystematik wäre für die vertragsärztliche
Versorgung ebenfalls wünschenswert, muss aber den Besonderheiten dieses Versorgungsbereichs
mit über 80 000 einzelnen VO Rechnung tragen. Als Basis kommen von den Kassenärztlichen
Vereinigungen (KVen) erfasste Daten wie z. B. die lebenslange Arztnummer oder die
Betriebsstättennummer in Frage [27].