Pneumologie 2021; 75(07): 536-538
DOI: 10.1055/a-1396-8067
Historisches Kaleidoskop

Jean-Nicolas Corvisart (1755–1821) – Leibarzt Napoleons, Retter der Auenbruggerschen Perkussion und Pionier der Herzerkrankungen

Jean-Nicolas Corvisart (1755–1821) – Personal Physician of Napoleon, Preserver of Auenbrugger's Chest Percussion and Founder of Modern Cardiology
U. Koehler
Klinik für Innere Medizin, SP Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin, Philipps-Universität Marburg, Marburg
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Zusammenfassung

Jean-Nicolas Corvisart des Marets (1755–1821) war der persönliche Leibarzt von Kaiser Napoleon I. Er war einer der führenden französischen Ärzte, der die klinisch-anatomische Diagnostik exzellent beherrscht und gelehrt hat. Corvisart war ein Pionier der modernen Kardiologie. Bekannt geworden ist er aber v. a. dadurch, dass er die von Leopold Auenbrugger (1722–1809) entwickelte Perkussionstechnik wieder „belebt“ und bekannt gemacht hat.


Abstract

Jean-Nicolas Corvisart des Marets (1755–1821) was the personal physician of the Emperor Napoleon I. He was one of the leading french physicians to promote and teach clinical and anatomical medicine. Corvisart was a pioneer of modern cardiology. He became famous by his contribution to the development and popularization of the chest percussion technique of Leopold Auenbrugger (1722–1809).


Corvisart, der Leibarzt Napoleons

Unter den Leibärzten Napoleons ist Jean-Nicolas Corvisart sicherlich der bedeutendste gewesen. Er war ein brillianter Diagnostiker und ein herausragender Kliniker. Napoleon selbst war beeindruckt von der Verlässlichkeit, der Präzision sowie der selbstlosen und im Umgang offenen Art Corvisarts. Als Leibarzt hat Corvisart seinem kaiserlichen Patienten gegenüber den richtigen Ton gefunden. Napoleon war ein durchaus schwieriger und kritischer Patient, der von Medizin und medizinischer Therapie nicht allzu viel gehalten hat [1] [2]. Das Verhältnis von Corvisart zu Kaiser Napoleon wurde von Corvisarts Schüler, dem großen Chirurgen Guillaume Dupuytren (1777–1833), bei der Grabrede Corvisarts wie folgt beschrieben [2]: „Der Scharfblick, die Richtigkeit seiner Beobachtungen, die Präzision und Raschheit des Urteils, die Corvisart auszeichneten, mußten dem Kaiser zusagen, der, weil er unaufhörlich mit gigantischen Plänen beschäftigt war, in der Unterhaltung meist nur Fragen stellte und lebendige, rasche, brüske und sprungvolle Einfälle bevorzugte.“ Von Napoleon selbst existiert das folgende Zitat über Corvisart [3]: „Ich glaube nicht an die Medizin, ich glaube aber an Corvisart.“ Corvisart wurde von Napoleon zum Ritter der Ehrenlegion und zum Baron dʼEmpire ernannt.


Lebensdaten und klinisches Verständnis

Jean-Nicolas Corvisart des Marets wurde am 15. Februar 1755 in Dricourt/Champagne geboren. Er bekam durch seinen Onkel, Priester von Beruf, früh Unterricht in Latein und Französisch und besuchte das College Sainte-Barbe [1] [2]. Sein in Paris begonnenes Studium der Jurisprudenz hat er, gegen den ausdrücklichen Willen des Vaters, abgebrochen und sich der Medizin zugewandt. Er hat bei den führenden Ärzten in Paris studiert. Nach dem Studium hat er eine Anstellung als Arzt im Hopital des Paroisses abgelehnt, da er dort eine gepuderte Perücke hätte tragen müssen. Nach einem Aufenthalt im Armenspital wurde er 1788 leitender Arzt des Charité Hospitals. 1795 wurde die neue École de Sante in Paris gegründet, Corvisart bekam den Lehrstuhl für Innere Medizin.

Für Corvisart ist das Verständnis von Anatomie und Physiologie elementar, Krankheiten müssen vom Arzt an Symptomen und Zeichen erkannt werden. In der genauen Inspektion des Kranken und der Wahrnehmung jeglicher körperlicher Veränderungen lag für ihn der Erfolg der richtigen Diagnose [1] [3]. Seinen Schülern hat er zu beweisen versucht, dass falsche Diagnosen v. a. durch mangelhafte medizinische Kenntnisse und eine nicht exakt durchgeführte Untersuchung zustande kommen. Corvisart übernahm die Vorgehensweise der Ärzte der „älteren Wiener Schule“, insbesondere die von Maximilian Stoll (1742–1788), den er als sein Vorbild ansah. „Hier sind die Bücher, die Ihr braucht!“ hat er zu seinen Studenten gesagt, wenn er mit ihnen den Krankensaal betreten und auf die Patienten verwiesen hat [2]. Corvisart soll Diagnosen mit einer unglaublichen Präzision gestellt haben.


Über 250 Jahre „Inventum novum“ – die Erfindung der Perkussion

Die Erfindung der Perkussion durch Leopold Auenbrugger (1722–1809) darf durchaus als eine der bedeutendsten Leistungen der Heilkunst des 18. Jahrhunderts angesehen werden. 1761 hat Auenbrugger Methode und Ergebnisse seiner Untersuchungen in einer Schrift: „Inventum novum ex percussione thoracis humani ut signo abstrusos interni pectoris morbos detegendi“ („Neue Erfindung mittelst des Anschlagens an den Brustkorb, als eines Zeichens, verborgene Brustkrankheiten zu entdecken“) veröffentlicht [4]. Missgunst seitens der klinischen Kollegen, aber auch Widerstand seitens der Patienten, die diese neumodische Methode nicht an sich praktizieren lassen wollten, haben dazu geführt, dass die Perkussion im Verlauf der Jahre zunehmend in Vergessenheit geriet [5] [6]. Auch Gerhard van Swieten, der hochgeschätzte Lehrer Auenbruggers, hat seine Arbeit verschmäht und totgeschwiegen [5] [6].


Die ehrenvolle Tat: Corvisart hat die Perkussion und die Ehre Auenbruggers gerettet

Erst wieder in den 80er-Jahren des 18. Jahrhunderts wurde die Perkussion durch Maximilian Stoll (1742–1787) am Wiener Allgemeinen Krankenhaus praktiziert [5]. Stoll hat die Auenbruggersche Untersuchungsmethode als brauchbar zur Erkennung von Pneumonien, Brustwassersucht und Empyemen empfohlen. Corvisart war durch Stoll auf Auenbruggers Perkussionsmethode aufmerksam geworden. Er hatte, nachdem er sich über viele Jahre hinweg anhand eigens durchgeführter Untersuchungen von der Sinnhaftigkeit des Verfahrens überzeugen konnte, 1808 – also 47 Jahre nach Auenbruggers Veröffentlichung! – eine mit Kommentaren und Ergänzungen versehene französische Übersetzung des Auenbruggerschen „Inventum novum“ herausgegeben. Bei der aktualisierten Version war aus den 95 Seiten „Inventum novum“ ein umfangreiches Werk mit 440 Seiten entstanden [7]. Corvisart hat durch die uneigennützige Bearbeitung von Auenbruggers berühmtem „Büchlein“ bleibenden Verdienst erworben. Er hat Anstand, Uneitelkeit und Kollegialität bewiesen und der Auenbruggerschen Perkussion durch sein Schrifttum und sein eifriges Praktizieren zu allgemeiner Wahrnehmung verholfen. Corvisart hat das Werk des Wiener Arztes der zunehmenden Vergessenheit entrissen und die Perkussion zu einem diagnostischen Verfahren etabliert. Er hat Auenbrugger in der Vorrede seines Buches ein Denkmal gesetzt, indem er das Verfahren der Perkussion ausdrücklich als das Werk Auenbruggers würdigt [4] [7]. So schrieb er:

„Ich weiß wohl, wie wenig Ruhm fast alle Übersetzer, wie der größte Teil der Kommentatoren ernten, und so hätte ich mir eine Autorenschaft sichern können, wenn ich in einer Umarbeitung der Schrift Auenbruggers ein Werk über die Perkussion veröffentlicht hätte. Alsdann aber hätte ich den Namen Auenbruggers meiner eigenen Eitelkeit geopfert; das wollte ich nicht, ihn und seine schöne und rechtmäßige Entdeckung, welche er mit vollem Recht ein „Inventum novum“ nennt, habe ich der Vergessenheit entreißen wollen.“

Auenbrugger, der am 18. 05. 1809 starb, hat diesen Triumph noch miterleben dürfen. Er mag im sicheren Bewusstsein dahingeschieden sein, dass er der Nachwelt etwas Großartiges hinterlassen hatte. Corvisarts uneigennütziges Eintreten für die Perkussion hat der Auenbruggerschen Methode einen dauerhaften Platz unter den diagnostischen Hilfsmitteln bis heute gesichert.


Corvisart und die Erkrankungen des Herzens

Corvisart hat die Perkussion und die von seinem Schüler René Theophile Hyacinthe Laennec (1781–1826) entdeckte Auskultation zur Diagnostik von Herzerkrankungen eingesetzt [8] [9]. Seine Beschreibung der Symptome des Aortenaneurysmas ist erstaunlich exakt, ebenso diejenige der Veränderungen der Herzklappen. Die 1806 erschienene Arbeit „Essai sur les maladies et les lesions organiques du coeur et des gros vaisseaux“ („Über die Krankheiten und organischen Läsionen des Herzens und der grossen Gefäße“) ist sein bedeutendstes schriftliches Werk [10]. Corvisarts Schüler René Theophile Hyacinthe Laennec, der Entdecker des Stethoskops, ist heute sicherlich bekannter als sein medizinischer Lehrer. Dies mag ungerecht erscheinen, denn Corvisarts Engagement im Sinne der Auenbruggerschen Perkussion sowie die „Erweckung der Kardiologie“ ist als durchaus ebenbürtig anzusehen. Laennec hat die Diagnostik der Lungenerkrankungen, Corvisart die der Herzerkrankungen etabliert. Corvisart ist am 18. September 1821 in Courbevoie bei Paris gestorben. Er hat Kaiser Napoleon, der nach Elba verbannt wurde, nur um wenige Monate überlebt. Als Todesursache werden mehrere Schlaganfälle angegeben.



Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Ulrich Koehler
Klinik für Innere Medizin
SP Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin
Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH
Baldingerstr. 1
35033 Marburg
Deutschland   

Publication History

Article published online:
12 March 2021

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